Digestorum libri
Ex libro V
Scaevola lib. V. Digest. Ad Dig. 12,6,67 pr.Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 427, Note 10.Stichus hat, nachdem er durch das Testament dessen, den er für seinen Herrn hielt, die Freiheit [unter der Bedingung] erhalten hat, wenn er zehn Jahre lang vom Tage des Todes [des Herrn] an den Erben jährlich Zehn geleistet hätte, acht Jahre lang die vorgeschriebene Summe, wie ihm befohlen war, gegeben; nachher hat er erfahren, dass er ein Freigeborener sei, und hat [die Summe] für die übrigen Jahre nicht gegeben, und ist für einen Freigeborenen ausgesprochen worden; man hat gefragt, ob er das Geld, welches er den Erben gegeben hat, als ungeschuldet gegeben zurückfordern und mit welcher Klage er [dies] könne? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass, wenn er solches Geld gegeben hat, welches weder durch seine Dienste, noch durch das Vermögen dessen, dem er in gutem Glauben diente, erworben worden sei, es zurückgefordert werden könne. 1Ein Vormund hat dem Gläubiger seines Mündels Mehr, als geschuldet wurde, ausgezahlt, und bei der Vormundschaftsklage dem Mündel nicht angerechnet; ich frage, ob er die Zurückforderung gegen den Gläubiger habe? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass er [sie] habe. 2Titius hat, da er viele Gläubiger, und unter ihnen auch den Sejus, hatte, sein Vermögen, nachdem nicht öffentlich ein Verkauf [derselben] geschehen war, dem Mävius abgetreten, damit er den Gläubigern Genüge leisten sollte; aber Mävius hat dem Sejus Geld als geschuldet gezahlt, da es schon von dem Titius gezahlt worden war; man hat gefragt, wenn nachher Quittungen über das zum Theil gezahlte Geld bei dem Titius, dem Schuldner, gefunden werden sollten, wem mehr die Zurückforderung des nichtgeschuldet gezahlten Geldes zusteht, dem Titius, dem Schuldner, oder dem Mävius, welcher zum Geschäftsbesorger zu eigenem Besten bestellt worden ist? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben: dem gemäss, was angeführt wurde, demjenigen, welcher nachher gezahlt hätte. 3Derselbe hat gefragt, ob das Pactum, welches bei Rechnungsabschlüssen11In pariationibus. Pariatio heisst die Schrift, aus welcher hervorgeht, dass das den Gläubigern Gezahlte der Schuld gleichgemacht, ihnen also Alles bezahlt worden ist. Die Uebersetzung durch Rechnungsabschluss hat v. Glück a. a. O. S. 109. Anm. 29. vorgeschlagen. In den Basil. steht ἐν ταῖς ἀποδείξεσι i. e. in apochis. auf folgende Weise hinzugeschrieben zu werden pflegt: in Folge dieses Contracts finde weiter kein Streit unter ihnen Statt, die Zurückforderung verhindere? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass Nichts angeführt werde, weshalb [es dieselbe] verhindern sollte. 4Lucius Titius hat dem Cajus Sejus, da dieser jünger als fünfundzwanzig Jahre war, eine bestimmte Geldsumme dargeliehen22Credidit. Zu dem oben zu Anfang des Tit. de rebus creditis Bemerkten möge hier nachträglich stehen, dass unter res creditae überhaupt die auf Treu und Glauben beruhenden Contractsverhältnisse zu verstehen sind. Creditum heisst daher ein solcher auf Treu und Glauben beruhender Vertrag, etwa Credit im weitesten Sinne des Worts. So ist auch die in der L. 2. §. 3. de reb. cred. dafür gegebene Uebersetzung: ein Anvertrauen (oder eigentlich: ein Anvertrautes, Zugetrautes, Credit) zu verstehen. und von demselben Einiges Namens der Zinsen erhalten; und der Erbe des minderjährigen Cajus Sejus ist gegen den Publius Mävius von dem Präses der Provinz in den vorigen Stand wiedereingesetzt worden, damit er die Erbschaftsschuld nicht zahlte; und es ist Nichts über das Zurückfordern der Zinsen desselben Capitals, welche Sejus, der jünger als fünfundzwanzig Jahre war, zahlte, bei dem Präses verhandelt oder von demselben ausgesprochen worden; ich frage, ob die Zinsen, welche Cajus Sejus, der jünger als fünfundzwanzig Jahre war, so lange er lebte, dem Gläubiger zahlte, der Erbe desselben zurückfordern könne? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass dem gemäss, was angeführt wurde, das, was der Verstorbene Namens der Zinsen gezahlt hätte, nicht condicirt werden könne. Ingleichen frage ich, ob, wenn du glaubst, dass es nicht zurückgefordert werden könne, der Erbe sie aus einer andern Schuld zurückbehalten könne? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben: nicht einmal das.
Scaevola lib. V. Digest. Lucius Titius, der Schuldner der Sejer, ist gestorben; diese haben den Publius Mävius überredet, dass die Erbschaft ihm gehöre, und bewirkt, dass er einen Brief an sie aufsetze, [des Inhalts,] dass er ihr Schuldner sei, indem er sich gleichsam als Erbe seines Oheims bekennt; und er hat auch seinem Briefe noch hinzugefügt, dass dasselbe Geld in seine Rechnungen gekommen ist; man hat gefragt, ob, da an den Publius Mävius aus der Erbschaft des Lucius Titius Nichts gekommen sei, er aus dem angeführten Schreiben [mit der Klage] wegen des constituirten Geldes belangt werden könne, und ob er sich der Einrede der bösen Absicht bedienen könne? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass weder eine civilrechtliche Klage deswegen, noch aber [die Klage] wegen des constituirten [Geldes,] dem gemäss, was angeführt wurde, zustehe. Derselbe hat gefragt, ob das, was Namens der Zinsen aus dem obengeschriebenen Grunde gegeben worden sei, zurückgefordert werden könne? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dem gemäss, was angeführt wurde, könne es [zurückgefordert werden].
Scaevola lib. V. Digest. [Jemand] hat einen freien Platz [seinem] Gläubiger zum Pfand verbindlich gemacht, und demselben die Kaufurkunde übergeben, und da er jenen Platz bebauen wollte, so hat er, da ihm von dem Nachbar wegen der Breite Streitigkeit erregt wurde, den Gläubiger, weil er es nicht anders beweisen konnte, gebeten, dass er die von ihm übergebene Urkunde über den Erwerbungsgrund33Instrumentum — auctoritatis. Auctoritas bedeutet hier den rechtlichen Erwerbsgrund, also den Kauf, und instr. auctoritatis ist daher soviel als Kaufurkunde. s. Unterholzner a. a. O. B. 1. S. 35. herausgeben möchte; und da dieser [sie] nicht herausgab, so hat er einen kleineren Platz bebaut und so Schaden gelitten; man hat gefragt, ob, wenn der Gläubiger das [schuldige] Geld fordern oder das Pfand vindiciren44Mit der Pfandklage, welche zuweilen vindicatio pignoris heisst. S. 2. B. L. 16. §. 3. D. de pignor. 20. 1. sollte, der Richter, nachdem die Einrede der bösen Absicht entgegengestellt worden, Rücksicht auf diesen Schaden nehmen müsse? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass, wenn [der Gläubiger] nicht beabsichtigt hätte, dass der Schuldner dadurch, dass ihm die Möglichkeit, die Urkunde [zu benutzen,] entzogen worden, verkürzt würde, der Schuldner, nachdem das Geld gezahlt worden sei, mit der Pfand[klage] klagen könne; wenn [aber der Gläubiger] dies beabsichtigt hätte, dann werde, auch ehe das Geld gezahlt worden sei, auf das Interesse gegen den Gläubiger geklagt. 1Da Titius ein Gelddarlehn vom Cajus Sejus unter dem Pfande von ledernen Säcken erhalten hat, [und] da Sejus diese ledernen Säcke in [seinem] Speicher hatte, so hat ein von der Proviantbehörde abgeschickter Hauptmann die ledernen Säcke für den Proviant mit sich genommen, und nachher sind sie durch die anhaltende Mühe des Cajus Sejus, des Gläubigers, wiedererlangt worden; ich frage, ob Titius, der Schuldner, oder Sejus, der Gläubiger, den Schaden, welcher [den Säcken] durch die Arbeitsleute zugefügt worden ist, [als den seinigen] anerkennen müsse? [Scävola] hat zum Bescheid gegeben, dass dem gemäss, was angeführt würde, er55Dies ist wohl ohne Bedenken auf den Gläubiger zu beziehen. wegen des Schadens, welcher sich in dieser Hinsicht ereignet hätte, nicht gehalten sei.
Ad Dig. 14,3,20Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 482, Note 17.Scaevola lib. V. Digest. Lucius Titius hatte einer Wechselbank, die er betrieb, seinen Freigelassenen vorgesetzt; dieser verschrieb dem Cajus Sejus auf folgende Weise: Octavius Terminalis, Geschäftsführer des Octavius Felix, dem Domitius Felix Gruss66Lucius Titius ist hier offenbar mit Octavius Felix, und Domitius Felix mit dem Cajus Sejus Eine Person.. Du hast bei der Wechselbank meines Patrons tausend Denarien gut, welche ich auch den letzten April zu zahlen schuldig bin. Da nun Lucius Titius ohne Erben verstorben und zu seinem Vermögen Gant eröffnet war, so wurde gefragt: ob Terminalis aus dem Briefe mit Recht in Anspruch genommen werden könne? Er [Scävola] antwortete: er sei weder nach dem [Römischen] Rechte durch diese Worte verpflichtet, noch bleibe ein Grund der Billigkeit [des natürlichen Rechts] übrig, ihn zu belangen, da er solches vermöge seines Factordienstes, um ein Versprechen für die Wechselbank zu thun, geschrieben hat.
Scaevol. lib. V. Digest. Einem von den Erben hat er Grundstücke ausgesetzt, wie sie eingerichtet waren, mit Sclaven und andern Dingen, und was nur da sein möchte; diese Sclaven waren des Herrn Schuldner, sowohl aus andern Gründen, als aus den Monatsrechnungen; es ist gefragt worden, ob den übrigen Erben gegen jenen wegen des schuldigen Geldes eine Klage auf das Sondergut zusteht? Er hat erklärt, sie stehe [ihnen] nicht zu.
Idem lib. V. Digest. Es hat [einer] eine Haustochter zur Frau genommen, der Vater versprach Aussteuer, und unter allen Personen war es ausgemacht, dass sie [die Frau] den Vater, oder sie sich selbst erhielte: der Ehemann hat ihr darlehnsweise Geld gegeben, weil er die gerechte Ueberzeugung hegte, ihr Vater werde einen so grossen Jahrgehalt hergeben, wie er ihn seiner Tochter zu geben angemessen gefunden hatte; jenes Geld hat sie in nothwendigen Dingen für sich, und [in Erhaltung] der Sclaven, die sie bei sich hatte, verbraucht; etwas auch, weil ihr das Hauswesen anvertraut war, hat sie von dem Gelde des Ehemanns in solche Sachen gewendet; hierauf, ehe der Vater den Jahrgehalt vollständig gezahlt hat, stirbt die Tochter; der Vater verweigert die Ergänzungssumme, der Mann behält die Sachen der Frau zurück; ich frage, ob gegen den Vater die Klage aus einer Verwendung in [seinen] Nutzen zulässig sei? Er hat darauf geantwortet, wenn das, was creditirt worden, in solchen Ausgaben verbraucht worden sei, ohne welche entweder sie sich selbst zu erhalten, oder die väterlichen Sclaven zu erhalten nicht im Stande gewesen wäre, so dürfe eine analogische Klage auf den Grund einer Verwendung in [des Vaters] Nutzen gegeben werden.
Übersetzung nicht erfasst.
Scaevola lib. V. Dig. Eine Mutter hat die Geschäfte ihrer Tochter, welche Intestaterbin ihres Vaters geworden war, geführt, und Sachen [derselben] durch Geldwechsler verkaufen lassen77Es pflegten bei den Römern Sachen durch argentarii öffentlich verkauft zu werden. S. v. Glück a. a. O. XXXII. S. 326. ff., und eben dies ist in das Wechslerbuch88Codice. „Die Argentarien trugen auch den Empfang und Erlös in die Bücher ihrer Bank (codices) ein.“ V. Glück a. a. O. eingetragen worden. Die Geldwechsler haben den ganzen Erlös des Verkaufs gezahlt, und nach der Zahlung hat die Mutter noch fast neun Jahre alle Geschäfte, welche zu verrichten waren, im Namen der unmündigen Tochter verrichtet, und sie einem Manne in die Ehe gegeben, auch ihr ihr Vermögen übergeben. Man hat gefragt, ob das Mädchen gegen die Wechsler irgend eine Klage habe, weil ja nicht sie selbst den Preis für die Sachen, welche zum Verkauf gegeben worden sind, stipulirt hat, sondern die Mutter. [Scaevola] hat das Gutachten ertheilt: wenn darnach gefragt würde, ob die Geldwechsler durch jene Zahlung dem Rechte nach befreit wären, so müsse man antworten, dass sie dem Rechte nach befreit seien. Claudius99Claud. Tryphoninus, s. d. Bem. zu l. 36. D. de leg. III. (32.) u. v. Glück a. a. O. S. 328. ff. [bemerkt hierzu:] Es liegt hier nemlich jene von der richterlichen Entscheidung abhängige Frage zum Grunde1010Subest enim illa ex jurisdictione pendens quaestio. S. v. Glück a. a. O. S. 330.: „eine quaestio facti, welche zur richterlichen Untersuchung und Reflexion gehört., ob sie die Preise der Sachen, von welchen sie wussten, dass sie der Unmündigen gehörten, der Mutter, welche das Recht zur Verwaltung nicht hatte, in gutem Glauben bezahlt zu haben scheinen? und darum werden sie, wenn sie das wussten, nicht befreit, nemlich wenn die Mutter nicht zahlungsfähig ist1111Denn ist sie zahlungsfähig, so können sich die argentarii dadurch, dass sie die Klage gegen sie der Tochter cediren, von den Ansprüchen der Letzteren befreien. S. v. Glück a. a. O. S. 331. ff..