Stipulationum libri
Ex libro XV
Venulej. lib. XV. Stipulat. Ein Procurator hat auf Auslieferung geklagt und der Gegner ist freigesprochen worden, weil er nicht besass; aber als er den Besitz derselben Sache erlangt hatte, hat der Geschäftsherr gegen ihn auf Auslieferung geklagt. Sabinus sagt, die Bürgen [des Procurators] seien nicht gehalten, weil dies eine andere Sache sei; denn auch wenn der Geschäftsherr selbst geklagt hätte, und darauf, nachdem der Gegner, weil er nicht besass, freigesprochen, von Neuem klagen würde, werde ihm die Einrede der durch Urtheil entschiedenen Sache nicht entgegenstehen11Weil in dem ersten Process der Beklagte blos wegen mangelnden Besitzes freigesprochen, nicht über das Recht entschieden ist. Vgl. l. 9. pr. §. 1., l. 17. u. 18. D. de exc. rei jud. 44. 2. und zur Erläuterung aller dieser Stellen Keller a. a. O. §. 36. u. 71.. 1Wenn der Procurator vom Schuldner Geld eingefordert und Bürgschaft bestellt, dass der Geschäftherr es genehmigen werde, darauf der Geschäftsherr wegen desselben Geldes geklagt und den Process verloren haben sollte22Gewöhnlich versteht man dies von einem Verlust des Processes durch ein den Beklagten freisprechendes Urtheil, durch welche Auslegung aber die Schwierigkeit entsteht, dass am Ende der Stelle von einem noch bleibenden naturale debitum die Rede ist, nun aber doch nach Absolvirung des Schuldners keine naturalis obligatio mehr vorhanden sein kann. Man hat nun dies auf verschiedene Weise erklären wollen, namentlich hat Weber a. a. O. §. 94. diese naturalis obligatio von einer in den Gerichten unwirksamen Gewissenspflicht verstanden. S. dagegen Francke a. a. O. S. 77. Die richtige Ansicht ist die, dass litem amittere in dieser Stelle ebenso wie in l. 30. §. 1. D. ad leg. Aq. 9. 2. auf den Verlust des Processes durch Verjährung, nicht der Klage, sondern des Processes, welche die lex Julia judiciaria festgesetzt hat, zu beziehen ist. S. die Bem. z. l. 30. §. 1. cit. u. zu l. 2. im vorh. Tit. d. B. In Folge dieser Processverjährung verlor aber der Kläger nur die Klage, und es blieb der Schuldner naturaliter verpflichtet. S. Keller a. a. O. §. 15—19. insbes. S. 159., so verfällt die Stipulation, und wenn der Procurator dasselbe Geld dem Geschäftsherrn ohne Dazwischenkunft des Richters gezahlt hat, so wird er es [von demselben] condiciren. Aber wenn der Schuldner aus der Stipulation zu klagen angefangen haben wird, so kann man sagen, dass der Geschäftsherr, wenn er die Vertheidigung des Procurator übernehme, nicht erfolglos die Einrede der bösen Absicht gegen den Schuldner gebrauche, weil eine natürliche Schuld bleibt. 2Wenn Jemand von einem Procurator in einem Rechtsstreit über seinen Rechtszustand verwickelt worden ist, so muss er vom Procurator Bürgschaft erhalten, damit er nicht ungestraft öfter wegen seines Rechszustandes belangt werde; und wenn der Geschäftsherr und die von demselben abstammenden Personen es nicht genehmigt haben werden, dass der Procurator ihn in die Sclaverei gefordert hat, oder dass er gegen den Procurator aus der Sclaverei in die Freiheit gefordert worden ist, so muss ihm, — nemlich wenn seine Freiheit erwiesen sein wird, — so viel geleistet werden, als diese Sache beträgt, das heisst, so viel, als sein Interesse betragen hat, dass er sich wegen seines Rechtszustandes nicht wieder in Gefahr befinde, und als die Kosten ausmachen, welche er auf den Rechtsstreit verwendet haben wird. Aber Labeo meinte, dass eine bestimmte Summe auszudrücken sei, weil sonst die Schätzung der Freiheit ins Unendliche ausgedehnt würde. Die Stipulation scheint aber von der Zeit an zu verfallen, zu welcher der Geschäftsherr die Sache nicht genehmigt haben wird; aber es wird nicht eher aus derselben geklagt werden können, als bis über die Freiheit durch das Urtheil entschieden worden ist, weil, wenn entschieden sein wird, dass er Sclave sei, die Stipulation wirkungslos wird, da man dann, auch wenn eine Klage vorhanden sein sollte, es so ansieht, als habe er sie dem Geschäftsherrn erworben.