Opinionum libri
Ex libro VI
Idem lib. VI. Opin. Wenn nach Anstellung der Lieblosigkeitsklage der Streit durch einen Vertrag verglichen worden ist, und der Erbe dem Vergleich nicht treu bleibt, so soll die Klage wegen Lieblosigkeit wirksam bleiben. 1Demjenigen, welcher ein Sohn dessen zu sein versichert, der dies in seinem Testament geleugnet, ihn dennoch aber enterbt hat, steht frei, die Lieblosigkeitsklage zu ergreifen. 2Das Testament eines Soldaten kann nicht einmal ein Soldat als lieblos anfechten. 3Ein Enkel hatte wegen lieblosen Testaments gegen seinen Vatersbruder oder einen andern darin eingesetzten Erben auf seinen Antheil geklagt und gewonnen, der eingesetzte Erbe aber appellirt; hier werden unterdessen dem Unmündigen wegen seiner Dürftigkeit, nach Maassgabe des Vermögens, welches durch die Lieblosigkeitsklage zum Theil von ihm in Anspruch genommen ward, Alimente zugesprochen, und der Gegner muss ihm dieselben bis zum Ausgang des Processes verabreichen. 4Wegen eines Testaments der Mutter, die in dem Glauben, ihr Sohn sei todt, einen Andern zum Erben eingesetzt hat, kann die Lieblosigkeitsklage erhoben werden.
Ulp. lib. VI. Opin. Der Schwester, welche mit vier Brüdern11Welche nämlich die Erbschaft besitzen. Miterbin zum Vermögen der Mutter geworden ist, wird der fünfte Theil von jedem Antheile, der an jene fiel, zukommen, so dass jeder Einzelne auf das Viertheil [eingesetzte], welches er vorher zu haben angenommen ward, ihr [davon] nicht mehr als das Fünftheil abzutreten braucht. 1Die Kosten, welche auf die Lasten der ganzen Erbschaft rechtmässig verwendet worden sind, werden demjenigen, der auf den Grund des Rechts eines Freilassers seinen Antheil entwährt hat, verhältnissmässig angerechnet.
Ulp. lib. VI. Opin. Zwischen der Pflicht der Rechtsanwaltschaft und der Vertheidigung einer eigenen Sache ist ein grosser Unterschied, und wenn Jemand eine Sache als ihm gehörig späterhin erkennt, so hat er dadurch, dass er einem Andern, sie eigenthümlich verlangenden, früher, ohne zu wissen, dass sie ihm selbst gehöre, beigestanden, sein Eigenthum nicht verloren.
Ulp. lib. VI. Opin. Der Verkäufer des Geronianischen Landgutes hatte für das Botrianische, welches er zurückbehalten hatte, die Bedingung gestellt, dass längs desselben die Seefischerei nicht betrieben werden solle. Wiewohl nun dem Meere, welches der Natur nach Jedem offensteht, durch ein Privatabkommen keine Dienstbarkeit auferlegt werden kann, so werden dennoch die Besitzer, oder die Nachfolger in deren Recht, durch eine [solche] Stipulations- oder Verkaufsbedingung verbindlich, weil der gute Glaube eines Contracts die Aufrechterhaltung der Verkaufsbedingungen erfordert. 1Wenn auf deinem Acker Steinbrüche sind, so darf wider deinen Willen Niemand, der dazu kein Recht hat, weder zu einem öffentlichen noch zu einem Privatzweck, daselbst Steine brechen, ausser wenn in jenen Steinbrüchen eine Gewohnheit in der Art besteht, dass, wenn Jemand daraus brechen will, er es, gegen Zahlung des dafür üblichen Bruchgeldes an den Eigenthümer, thun dürfe. Auch nach dessen Entrichtung an den letztern darf er jedoch die Steine nur in der Art brechen, dass weder der Bedarf nothwendiger Steine dadurch geschmälert, noch die Bequemlichkeit der Sache dem Eigenthümer durch jene Gewohnheit22Jure. Die Glosse interpretirt: jure i. occasione juris consuetudinarii. entzogen werde.
Ulp. lib. VI. Opin. Jemand bewirkt durch Erhöhung seiner Gebäude, dass die Hellung des einem Minderjährigen oder Unmündigen gehörigen Hauses, dessen Curator oder Vormund er war, geschmälert wird. Wiewohl nun derselbe und seine Erben aus diesem Grunde auch durch die [Vormundschafts-] Klage haften, weil er etwas, das er selbst, wenn ein Anderer es gethan hätte, seiner Pflicht nach hätte verhindern müssen, nicht selbst thun durfte, so ist doch dem Unmündigen oder Minderjährigen auch gegen den Besitzer jener Gebäude die Klage auf Wiederhinwegnahme des widerrechtlich Hingebauten zu ertheilen.
Idem lib. VI. Opin. Wer ein fremdes Haus wider den Willen des Eigenthümers eingerissen, und auf dessen Stelle ein Bad angelegt hat, der unterliegt, ausserdem, dass die natürliche Rechtsregel, wonach das Aufgebaute dem Eigenthümer des Bodens zugehört, [wider ihn zur Anwendung kommt], auch der Klage wegen [widerrechtlichen] Schadens.
Ulp. lib. VI. Opin. Wenn eine Ueberschwemmung durch einen Durchbruch eines Flusses die Grenzen eines Ackers zerstört, und dadurch diesem oder jenem Gelegenheit gegeben hat, sich Ländereien zu bemächtigen, an denen ihnen kein Recht zukommt, so befiehlt ihnen der Provincialpräsident, sich fremden Eigenthums zu enthalten und dem Eigenthümer das Seine zurückzuerstatten, und die Grenzen durch einen Feldmesser zu bestimmen. 1Zur Amtspflicht dessen, dem die rechtliche Erörterung über die Grenzen obliegt, gehört auch die Absendung von Feldmessern, um durch dieselben die Frage wegen der Grenzen selbst lösen zu lassen, wie es billig ist; wenn es die Sache erfordert, auch die [streitigen] Stellen selbst in Augenschein zu nehmen.
Idem lib. VI. Opin. Was der Vater dem aus der Gewalt entlassenen und seiner Studien halber auswärts sich aufhaltenden Sohn hat zufliessen lassen, das gestattet, wenn dargethan wird, dass es der Vater nicht in der Absicht, einen Vorschuss zu machen, sondern aus väterlicher Liebe veranlasst gethan habe, die Billigkeit nicht, auf das dem Sohn aus des Erblassers Nachlass zugefallenen Erbantheil einzurechnen.
Idem lib. VI. Opinion. Einem Gläubiger, welcher geliehenes Geld forderte, hat der Schuldner, da er keins bei der Hand hatte, Stücken Gold gegeben, damit [der Gläubiger dieselben] bei einem andern Gläubiger zum Pfand setzte. Wenn nun der, welcher [sie von dem Schuldner] erhalten hatte, sie, nachdem sie [von ihm] durch Zahlung befreit und zurückgenommen sind, behält, so ist ihm zu befehlen, dass er sie ausliefere. Wenn sie aber auch jetzt noch bei dem Gläubiger des Gläubigers sich befinden, so scheinen sie mit dem Willen des Eigenthümers [zum Pfand] verbindlich gemacht zu sein; aber damit sie, nachdem sie befreit sind, übergeben werden, steht dem Eigenthümer derselben gegen seinen Gläubiger eine eigene Klage33Nämlich eine actio praescriptis verbis. Denn da der Schuldner weder mit seinem Gläubiger, noch mit dem Gläubiger seines Gläubigers einen Pfandvertrag geschlossen hat, so kann die Pfandklage nicht Statt finden (s. v. Glück a. a. O. S. 157), sondern se tritt jene Ergänzungsklage (s. Anmerk. 38.) ein. zu.
Idem lib. VI. Opinion. Wenn, nachdem ein Grundstück eines Mündels oder Minderjährigen nach dem Senatsschluss unerlaubter Weise verkauft worden ist, deshalb auf die Vormundschafts- oder die analoge [Vormundschafts-]Klage eine Schätzung vorgenommen, und der durch dieselbe bestimmte Werth [dem Pflegbefohlenen] bezahlt worden ist, so wird die Vindication des Grundstücks aus Billigkeit behindert.