Ad edictum praetoris libri
Ex libro LV
Ulp. lib. LV. ad Ed. Wenn wegen [entzogener] Kunstleistungen eines Sclaven Klage erhoben worden, so muss in dieser Rücksicht Ersatz dafür geleistet werden; gemeine Sclaven [werden] hingegen nach ihren Dienstleistungen [beurtheilt]; so schreibt Mela. 1Ist ein Sclav unter fünf Jahr alt, oder immerwährend krank11Debilis, s. Brisson. h. v. oder sonst von der Art, dass er seinem Herrn keine Dienste leisten kann, so findet auch keine Schätzung Statt. 2Ebenso wenig findet eine Schätzung für Vergnügungen oder Neigungen Statt, z. B. wenn der Herr [einen Sclaven] lieb hatte, oder eine besondere Vorliebe für ihn hegte. 3Uebrigens geschieht die Schätzung mit Abzug der nothwendigen Kosten.
Ulp. lib. LV. ad Ed. Der Prätor sagt: „Was ein Staatspächter oder ein Anderer in des Staatspächters Namen22Nach der Lesart ejus publici nomine Cujac. (ὀνόματι τοῦ τέλους, Basilic.)Der Sinn der andern Lesart: „Seu alius publicani nomine,“ ist von selbst klar., mit Gewalt [Jemandem] abgenommen, oder die Familie der Staatspächter, dafür werde ich, wenn es nicht zurückerstattet worden, eine Klage auf das Doppelte, oder, wenn nach Jahresfrist geklagt werden wird, auf das Einfache ertheilen. Ebenso werde ich eine Klage ertheilen, wenn [bei der Zollerhebung] ein widerrechtlicher Schaden oder Diebstahl verübt worden zu sein angegeben werden wird. Werden andiejenigen (Sclaven)33Nach der Lesart: Si ii, ad quos ea res pertinebit, non exhibebuntur., welche die Sache geht, nicht vorgezeigt, so werde ich eine Klage gegen die Herren ertheilen, ohne dass diese von der Auslieferung an Schadens Statt Gebrauch machen dürfen.“ 1Dieser Titel hat auf die Staatspächter Bezug. Staatspächter sind aber Diejenigen, welche das öffentliche Einkommen beziehen, — denn daher haben sie den Namen, — sie mögen solches an den öffentlichen Schatz wiederabliefern, oder es für eigene Rechnung erheben; auch Alle, die etwas mit Recht vom Fiscus pachten, werden mit Recht Staatspächter genannt. 2Es könnte Jemand sagen, wozu denn überhaupt dieses Edict erlassen sei? als ob der Prätor nicht auch sonst den Diebstahlen, den [widerrechtlichen] Schadenstiftungen und dem Raube vorgebeugt habe? Er hielt es aber für nützlich, gegen die Staatspächter auch insbesondere ein Edict ergehen zu lassen. 3Dieses Edict ist einestheils milder: da es nemlich auf das Doppelte verliehen ist, während die Klage wegen Raubes auf das Vierfache geht, und die wegen öffentlichen Diebstahls gleichfalls auf das Vierfache. 4Dem Staatspächter ist auch die Befugniss ertheilt, das widerrechtlich Erpresste zurückzuerstatten: hat er dies gethan, so wird derselbe aller Verbindlichkeit entledigt, und von der Strafklage aus diesem Theile des Edicts frei. Deshalb fragt es sich, wenn Jemand wider einen Staatspächter nicht aus diesem Edicte, sondern überhaupt wegen Raubes, widerrechtlicher Schadenstiftung oder Diebstahls klagen wolle, ob er es könne? Die Meinung ist, er könne es: es schreibt dies auch Pomponius; denn es ist ungereimt, anzunehmen, dass [durch dieses Edict] der Standpunkt der Staatspächter besser, als jener der Uebrigen geworden sei. 5Den Namen „Familie“ müssen wir hier nicht blos auf die Sclaven der Staatspächter beziehen, sondern auch auf Diejenigen, welche zu der Zahl der Familiaren des Staatspächters gehören. Es mögen also Kinder [der Staatspächter] sein, oder fremde Sclaven, welche den Staatspächtern bei [Erhebung] des Zolles Dienste leisten, so werden sie in diesem Edicte begriffen sein. Wenn aber ein Sclave eines Staatspächters, der jedoch nicht zu jener Familie gehört, die den öffentlichen Zoll erhebt, einen Raub verübt hat, so findet dieses Edict nicht Statt. 6Was der Prätor zuletzt sagt: „Wenn diese [Sclaven] nicht vorgezeigt werden, so werde ich eine Klage gegen die Herren ertheilen, ohne dass dieselben von der Auslieferung an Schadens Statt Gebrauch machen dürfen,“ ist eine Eigenthümlichkeit dieses Edicts. Werden die Sclaven nicht vorgezeigt, so findet die Klage Statt, ohne dass die Auslieferung an Schadens Statt [von Seite der Herren] zulässig wäre; diese mögen solche in ihrer Gewalt haben, oder nicht; herausgeben können oder nicht.
Ulp. lib. LV. ad Ed. da dieselben, wenn sie diese vorgezeigt hätten, mit der Noxalklage belangt werden würden. Es ist aber darum ihre Stellung so erschwert worden, weil sie zu diesem Dienste gute Sclaven auswählen müssen. 1Der Ausdruck „gegen die Herren“ ist auch so zu verstehen, gegen die Zolltheilhaber, wenn solche gleich nicht die Herren [der Sclaven] sind. 2Zuvor aber muss der Kläger sagen, wen, oder welche [Sclaven] er vorgezeigt haben wolle, so dass, wenn die Vorzeigung nicht erfolgt, aus diesem Edicte Klage gestellt wird. Wenn er aber sagt: Zeige sie alle vor, damit ich unterscheiden kann, welcher es sei, so muss ihm, nach meiner Meinung, gewillfahrt werden. 3Haben mehrere Sclaven den Diebstahl, oder die Beschädigung vollführt, so muss es so gehalten werden, dass, wenn so viel Ersatz geleistet wird, als wenn sie Ein Freier verübt hätte, die Freisprechung erfolgt.
Ulp. lib. LV. ad Ed. Die Klage in einer Freiheitssache wird dem Niessbraucher [des angeblichen Sclaven] gegeben, wenn auch der Herr, das heisst Der, welcher behauptet, dass er Herr sei, den Streit über den Rechtszustand des Sclaven erheben will. 1Wenn Mehrere die Herrschaft über einen Sclaven in Anspruch nehmen, indem sie behaupten, dass er ein gemeinschaftlicher sei, so müssen sie an einen und denselben Richter geschickt werden; und so hat der Senat verordnet. Sonst wenn ein Jeder behaupten sollte, dass derselbe aufs Ganze, nicht auf einen Theil sein sei, so fällt der Senatsschluss weg, denn es findet keine Besorgniss Statt, dass verschieden geurtheilt werden möchte, da ein Jeder sich die ganze Herrschaft anmasst. 2Aber auch, wenn der Eine nur den Niessbrauch, der Andere das blosse Eigenthum an dem Sclaven in Anspruch nimmt, desgleichen wenn der Eine behauptet, dass er in seinem Eigenthume, der Andere, dass er ihm verpfändet sei, wird ein und derselbe Richter sein, und es macht nichts aus, ob der Sclave dem Letzteren vom Erstern, oder von einem Anderen zum Pfande gegeben worden sei.
Ulp. lib. LV. ad Ed. Wenn wir aber gesagt haben: sich in der Freiheit befunden habe, so ist dies so zu verstehen, nicht dass Der, welcher in einen Freiheitsstreit verwickelt wird, darthue, dass er frei sei, sondern dass er sich ohne Arglist im Besitze der Freiheit befunden habe. Was heisst das aber, sich ohne Arglist befunden haben? Julianus sagt, dass Alle, welche sich für frei halten, sich ohne Arglist in der Freiheit befunden haben, wenn sie sich nur als Freie benehmen, obwohl sie Sclaven sind. Varus aber schreibt: dass Derjenige, welcher wisse, dass er frei sei, so lange er auf der Flucht sei, sich nicht ohne Arglist in der Freiheit zu befinden scheine, sondern erst dann, wenn er aufgehört habe, sich als ein Flüchtling zu verbergen, und als Freier handle, fange er an, sich ohne Arglist in der Freiheit zu befinden; denn er sagt: Derjenige, welcher weiss, dass er frei ist, aber als Flüchtling handelt, benimmt sich gerade dadurch, dass er auf der Flucht ist, als Sclave.
Ulp. lib. LV. ad Ed. Daher muss man wissen, dass sowohl ein Freier sich mit Arglist in der Freiheit, als ein Sclave ohne Arglist sich in der Freiheit befinden könne. 1Ein entwendetes Kind hat sich in gutem Glauben in der Sclaverei befunden, während es doch frei war; sodann hat es sich, unkundig über seinen Rechtszustand, entfernt, und angefangen, heimlich sich in der Freiheit zu befinden; dieses befindet sich nicht ohne Arglist in der Freiheit. 2Es kann sich auch ein Sclave ohne Arglist in der Freiheit befinden, z. B. er hat in einem Testamente die Freiheit erhalten, von welchem er nicht weiss, dass es von keiner Gültigkeit sei, oder es ist ihm der Stab von Demjenigen auferlegt worden, welchen er für seinen Herrn gehalten hat, während er es nicht war, oder er ist als ein Freier erzogen worden, während er Sclave war. 3Man kann im Allgemeinen die Regel aufstellen, dass, so oft Jemand durch rechtmässige Gründe verleitet, oder durch unrechtmässige, jedoch ohne Verschlagenheit sich für frei gehalten und in der Freiheit befunden hat, er in der Lage sei, dass er sich ohne Arglist in der Freiheit befunden habe, und darum den Vortheil des Beklagten geniesse. 4Der Beweis aber wird, wenn er sich ohne Arglist in der Freiheit befunden hat, auf die Zeit bezogen werden, zu welcher man zuerst vor Gericht gegangen ist. 5Wem Dienste gebühren, der kann auch einen Rechtsstreit über die Freiheit beginnen. 6Wenn Der, welcher auf die Freiheit Anspruch erhebt, während der Zeit, dass er mir in gutem Glauben als Sclave diente, mir einen Schaden zugefügt hat, z. B. wenn ich, als sein Herr, im guten Glauben, mit einer Noxalklage belangt und verurtheilt für ihn die Streitwürderung bezahlt habe, so wird er mir dazu verurtheilt werden.
Ulp. lib. LV. ad Ed. Mit vollem Rechte begegnet der Prätor der Verschlagenheit Derjenigen, welche, da sie wussten, dass sie frei seien, sich haben als Sclaven verkaufen lassen; denn er hat eine Klage gegen sie ertheilt. 1Und diese Klage hat allemal dann Statt, wenn sich Der, welcher sich hat verkaufen lassen, nicht in der Lage befindet, dass ihm die Berufung auf die Freiheit versagt wird. 2Wir nehmen aber an, dass nicht Der mit Arglist gehandelt habe, welcher den Käufer nicht von selbst unterrichtet hat, sondern Der, welcher [denselben] betrogen hat44Nach der Florent. Lesart, welche auch durch die Basil. XLVIII. 8. 14. bestätigt wird.,
Ulp. lib. LV. ad Ed. jedoch auch Der, welcher sich gestellt hat, als sei er Sclave, und so, um den Käufer zu betrügen, verkauft worden ist. 1Wenn jedoch Der, welcher verkauft worden ist, durch Gewalt oder Furcht genöthigt worden ist, so werden wir sagen, dass er von Arglist frei sei. 2Der Käufer hat dann diese Klage, wenn er nicht wusste, dass [der Andere] frei sei; denn wenn er es weiss, und ihn doch kauft, so hintergeht er sich selbst. 3Wenn daher ein Haussohn gekauft hat, so hat er, wenn er selbst es weiss, der Vater aber es nicht gewusst hat, dem Vater die Klage nicht erworben. So, wenn er Namens des Sondergutes gehandelt hat; sonst, wenn im Auftrag des Vaters, so fragt es sich, ob das Wissen des Sohnes schade? Und ich glaube noch, dass es schade, ebenso wie das des Geschäftsbesorgers schadet. 4Wenn freilich der Sohn es nicht gewusst hat, der Vater es aber weiss, so behaupte ich doch noch, dass der Vater zurückzuweisen sei, auch wenn der Sohn Namens des Sondergutes gekauft hat, sobald nur der Vater gegenwärtig gewesen ist, und den Sohn vom Kauf hat abhalten können.
Ulp. lib. LV. ad Ed. [Der Käufer] ist also auf so viel gehalten, als er gegeben hat, oder auf wie viel er verbindlich geworden ist, und zwar auf das Doppelte. 1Ob aber blos der Preis, oder auch Das, was zu dem Preise hinzugekommen ist, verdoppelt werde, wollen wir sehen. Ich möchte glauben, dass überhaupt Alles, was er wegen des Kaufes entweder gegeben,
Ulp. lib. LV. ad Ed. oder auf was er verbindlich geworden ist, verdoppelt werden müsse. 1Deshalb ist, wenn er Einem Etwas wegen dieser Klage rechtlich erlaubterweise gegeben hat, zu sagen, dass es unter dieses Edict falle und verdoppelt werde. 2Als verbindlich geworden müssen wir Den ansehen, welcher entweder dem Verkäufer selbst, oder einem Andern verbindlich geworden ist. Denn was er gegeben hat, sei es dem Verkäufer selbst, oder einem Andern auf das Geheiss desselben, möge er es selbst, oder ein Anderer gegeben haben, wird auf gleiche Weise darunter begriffen sein. 3Als verbindlich geworden müssen wir ihn dann ansehen, wenn er sich durch keine Einrede schützen kann; sonst, wenn er es kann, so muss man sagen, dass er nicht verbindlich geworden sei. 4Zuweilen trägt es sich zu, dass Der, welcher den Sclaven gekauft hat, eine Klage aufs Vierfache erhält; denn gegen Den selbst, welcher wissentlich als Sclave verkauft worden ist, hat er diese Klage auf das Doppelte, und ausserdem findet gegen den Verkäufer, oder Den, welcher das Doppelte versprochen hat55Auf den Fall der Entwährung. S. tit. D. de evict. 21. 2., eine Klage auf das Doppelte Statt;
Ulp. lib. LV. ad Ed. Nicht aber blos der Käufer, sondern auch die Nachfolger desselben werden mit dieser Klage auf das Geschehene klagen können. 1Kaufen werden wir so verstehen, auch wenn Jemand durch einen Andern gekauft hat, z. B. durch einen Geschäftsbesorger. 2Aber auch wenn Mehrere gekauft haben, werden Alle diese Klage haben, so jedoch, dass, wenn sie zu Theilen gekauft haben, sie nach Verhältniss des Theiles am Preise die Klage haben; wenn aber ein Jeder aufs Ganze gekauft hat, so wird Jeder die Klage aufs Ganze haben, auch wird das Wissen des Einen nicht dem Andern schaden, oder das Nichtwissen nützen. 3Wenn der Käufer nicht gewusst hat, dass [der Gekaufte] frei sei, nachher aber es erfahren hat, so wird ihm dies nicht schaden, weil er es damals nicht gewusst hat. Aber wenn er es damals gewusst, [aber] nachher angefangen hat, daran zu zweifeln, so wird es ihm gar nichts nützen. 4Sowohl dem Erben, als den übrigen Nachfolgern schadet ihr Wissen nichts, und nützt ihr Nichtwissen nichts. 5Aber wenn Jemand durch einen Geschäftsbesorger, welcher es weiss, gekauft hat, so schadet es ihm, sowie Labeo glaubt, dass auch das Wissen des Vormunds schade. 6Diese Klage wird nach einem Jahre nicht gegeben, da sie eine honorarische ist, sie ist aber auch eine Strafklage.
Übersetzung nicht erfasst.