Ad Sabinum libri
Ex libro XV
Paul. lib. XV. ad Sabin. Ad Dig. 8,1,14 pr.Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 163, Note 11.Die Dienstbarkeiten an ländlichen Grundstücken sind, wenn sie auch Körpern anhängen, doch unkörperlich, und können deshalb nicht ersessen werden, oder auch darum, weil sie Dienstbarkeiten von der Art sind, dass sie keinen bestimmten ununterbrochenen Besitz möglich machen; denn Niemand kann [z. B.] so ununterbrochen und fortwährend gehen, dass sein Besitz auch nicht in einem Augenblick als unterbrochen angesehen werden kann. Dasselbe gilt von den Dienstbarkeiten an städtischen Grundstücken11Es ist unverkennbar, dass in diesem Gesetz, das auf die vielbesprochene Lex Scribonia (s. Glück IX. p. 112.) Bezug nimmt, Unsinn enthalten sei. Man wirft daher dem Paulus vor, er habe das letztere nicht verstanden.. 1Die Dienstbarkeit des Fusssteiges zu einem Begräbniss bleibt privatrechtlich, und kann daher dem Eigenthümer des dienenden Grundstücks erlassen werden; dieselbe kann auch erst nach Errichtung des Begräbnisses erworben werden. 2Wenn ein öffentlicher Platz, oder ein öffentlicher Weg dazwischen kommt, so kann einem Grundstück zwar die Dienstbarkeit des Wasserschöpfens auferlegt werden, nicht aber die einer Wasserleitung; man pflegt sich jedoch an den Kaiser zu wenden, um eine Wasserleitung ohne allgemeinen Nachtheil über eine öffentliche Strasse zu führen. Liegt ein heiliger oder religiöser Ort dazwischen, so hindert dies sogar die Dienstbarkeit des Fusssteiges, indem über einen Platz der Art Niemand ein Recht auf eine Dienstbarkeit haben kann.
Idem lib. XV. ad Sabin. Dienstbarkeiten, welche an der Oberfläche [eines Grundstücks] bestehen, werden durch den Besitz [allein] erhalten; denn habe ich z. B. aus meinem Gebäude in das deinige einen Balken gelegt, so besitze ich dadurch, dass ich den eingelegten Balken besitze, die Dienstbarkeit der Berechtigung dazu selbst. Dasselbe ist der Fall, wenn ich eine über dein [Gebiet] vorgeschobene Balcongallerie oder Traufe habe, weil ich hier auf deinem Gebiet einen Gebrauch ausübe, und also gleichsam durch eine Thatsache besitze. 1Wenn dein Hof höher liegt, als mein Haus, und du mir zugestanden hast, über deinen Hof in mein Haus zu gehen und zu fahren, zu demselben über jenen aber kein ebener Zugang ist, so kann ich dem Rechte nach Stufen oder einen Anberg nach meiner Thür zu machen, wenn ich nur nichts weiter als nöthig ist, des Weges halber zerstöre. 2Wenn das Gebäude, von dem die Traufe herniederfällt, weggenommen worden ist, um unter denselben Verhältnissen und in derselben Eigenschaft wieder aufgebaut zu werden, so erfordert der Nutzen, dass es [fortdauernd] als dasselbe angesehen werde; denn ohnedies ist, wenn man es strenge nimmt, das neuaufgeführte ein anderes, und deshalb geht mit der Wegnahme eines Gebäudes ein [daran bestellter] Niessbrauch verloren, wiewohl der Hof ein Theil des Gebäudes ist. 3Wenn die Dienstbarkeit der Traufe vorhanden ist, so darf der Eigenthümer des dienenden Hofraums nicht an einer Stelle bauen, wo die Traufe herabfällt. 4Wenn die Traufe vorher von Dachziegeln gefallen ist, so darf sie nachher nicht von Estrich oder von einem andern Stoff fallen. 5Die Traufe kann erhöhet werden, sie mag erworben worden sein, wie sie will; denn die Dienstbarkeit wird dadurch erleichtert, indem dasjenige, was aus der Höhe fällt, leichter und mehr zerstreuet wird, und nicht auf das dienstbare Grundstück gelangt; niedriger darf [die Traufe] nicht gemacht werden, weil die Dienstbarkeit dadurch beschwerlicher wird, nämlich zu einem Abfluss statt der Traufe. Aus demselben Grunde darf eine Traufe auch weiter rückwärts verlegt werden, weil der Fall dann mehr auf unserm eigenen Boden geschieht; vorgerückt darf sie nicht werden, damit dieselbe nicht an einem andern Orte herabfällt, als wo die Dienstbarkeit ruht; denn erleichtern darf man wohl [die Dienstbarkeiten], nicht aber erschweren. Ueberhaupt ist zu bemerken, dass das Nachbargrundstück zwar in ein vortheilhafteres Verhältniss gesetzt werden dürfe, nicht aber in ein nachtheiligeres, es müsste denn die Veränderung mit ausdrücklicher Auflage einer Dienstbarkeit geschehen sein. 6Wer auf einem Hofraum, auf den die Traufe fällt, bauet, der kann das Gebäude bis dahin fortführen, wo die Traufe gerade herunterfällt; es kann aber auch ein Gebäude, auf welches die Traufe fällt, erhöhet werden, sobald nur für den geraden Herabfall derselben Raum bleibt.
Paul. lib. XV. ad Sabin. Wessen Gebäude vermöge des [Tramm-] Rechtes22S. Glück X. p. 81. Uebrigens bemerke ich, dass ich Glücks Gründen nicht durchgehends beitrete. auf einem andern ruhet, der darf sein Gebäude ohne Begrenzung in die Höhe führen, sobald er die unten befindlichen Gebäude mit keiner schwereren Dienstbarkeit belastet, als sie zu leiden haben.
Paul. lib. XV. ad Sabin. An einer gemeinschaftlichen Sache kann einer von zwei Eigenthümern vermöge einer Dienstbarkeit weder wider den Willen des andern etwas thun, noch verhindern, dass der andere etwas nicht thue, denn Niemandem ist seine eigene Sache dienstbar. Wegen der endlosen Streitigkeiten kommt die Sache daher meist auf Theilung hinaus; der Mitgenosse erlangt aber durch die Gemeingutstheilungsklage, dass Etwas33Hier sind besonders Neuerungen und Veränderungen in Bauten u. s. w. zu verstehen. nicht geschehe, oder dass [der andere] das bereits Geschehene wieder wegnehmen müsse, wenn dessen Wegnahme der gemeinschaftlichen Sache nützt.
Ad Dig. 8,2,28Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 209, Note 7.Paul. lib. XV. ad Sabin. Ein unten in der Wand eines Zimmers oder Speisesaales, um den Fussboden zu scheuern, angebrachtes Loch, ist weder ein Abfluss, noch kann [dadurch ein solcher] durch Zeitablauf erworben werden. Dies ist insofern richtig, wenn in diesen Ort kein Wasser vom Himmel fliesst; denn dasjenige, wozu die Hand nöthig ist, hat keine immerwährende Ursach; was aber vom Himmel fällt, das geschieht, wenn es auch nicht häufig geschieht, doch aus einer natürlichen Veranlassung, und wird daher als immerwährend geschehend angenommen. Jede Dienstbarkeit eines Grundstücks muss aber eine immerwährende Ursach haben, und daher kann weder aus einem Teiche noch aus einem stehenden Wasser eine Wasserleitung zugestanden werden. Auch der Trauffall muss eine natürliche und immerwährende Ursach haben.
Paul. lib. XV. ad Sabin. Wenn Jemand ein Gebäude, welches dem seinigen dienstbar ist, gekauft und übergeben erhalten hat, so ist die Dienstbarkeit dadurch vereinigt und aufgehoben, und wenn er [das erstere] wieder verkaufen will, so muss die Dienstbarkeit ausdrücklich wieder auferlegt werden, sonst bleibt jenes Gebäude befreiet. 1Wenn ich einen Theil eines Grundstücks erlangt habe, welches mir44d. h. meinem Grundstück., oder dem ich dienstbar bin, so findet keine Vereinigung der Dienstbarkeit Statt, weil diese zum Theil fortbesteht, wenn daher mein Grundstück dem deinigen dienstbar ist, und ich dir einen Theil von dem meinigen, und du mir einem von den deinigen übergeben hast, so besteht die Dienstbarkeit fort. Ebensowenig unterbricht auch der an einem oder dem andern Grundstück erworbene Niessbrauch die Dienstbarkeit.
Paul. lib. XV. ad Sabin. Ein Fahrweg kann sowohl breiter, als schmäler als acht Fuss bestellt werden, wenn er nur die Breite hat, dass ein Wagen fahren kann, denn sonst ist es ein Fusssteig und kein Fahrweg. 1Wenn ein immerwährender See auf deinem Landgute ist, so kann auch das Beschiffen, um auf das benachbarte Grundstück zu gelangen, als Dienstbarkeit auferlegt werden. 2Wenn das dienstbare oder das zur Dienstbarkeit berechtigte Landgut öffentlichen Rechtens wird, so dauern in beiden Fällen die Dienstbarkeiten fort, weil ein jedes Landgut nur in seinen [rechtlichen] Verhältnissen öffentlichen Rechtens werden kann. 3Jede einem Landgut pflichtige Dienstbarkeit steht allen dessen Theilen zu, und wenn dasselbe daher auch stückweis verkauft wird, so folgt die Dienstbarkeit allen seinen Theilen, und so, dass alle einzelnen [Besitzer] das Recht des Landgutes55D. h. die Dienstbarkeit selbst. in Anspruch nehmen können. Wenn jedoch ein Landgut, dem eine Dienstbarkeit zusteht, nach bestimmten Theilen unter mehrere Eigenthümer vertheilt worden ist, so ist, wiewohl allen Theilen die Dienstbarkeit zukommt, dennoch nothwendig, dass diejenigen, welche die dem dienstbaren Landgute nicht zunächst liegenden Theile bekommen, einen Durchgang über die andern Theile des getheilten Grundstücks rechtlicher Weise erhalten, oder, wenn es die nächsten leiden wollen, [so] übergehen dürfen.
Paul. lib. XV. ad Sabin. Wenn sich Jemand eines andern, als des bei Bestellung der Dienstbarkeit ausgemachten Wassers bedient hat, so geht die Dienstbarkeit verloren. 1Diejenige Zeit, während welcher ein früherer Eigenthümer eines zu einer Dienstbarkeit berechtigten Landgutes den Gebrauch nicht ausgeübt hat, wird demjenigen, welcher an seine Stelle nachfolgt, angerechnet. 2Wenn, während du ein Trammrecht hast, der Nachbar die gesetzliche [Verjährungs-]Zeit hindurch kein Gebäude gehalten hat, und da daher jenes Recht nicht hast ausüben können, so verlierst du dennoch die Dienstbarkeit nicht, weil man nicht annehmen kann, dass dein Nachbar, der dein Recht nicht angefochten hat, für seine Gebäude Befreiung [von der Dienstbarkeit] ersessen habe.
Paul. lib. XV. ad Sab. Einem Abwesenden kann eine gültige Schenkung gemacht werden, man mag ihm [etwas] durch einen Ueberbringer senden, oder, was er bereits besitzt, als Eigenthum ihm überlassen. Weiss er aber nicht, dass die in seinem Besitze befindliche Sache ihm geschenkt worden sei, oder hat er die ihm übersendete Sache nicht erhalten, so wird er nicht Eigenthümer der geschenkten Sache, wenn solche auch durch den Sclaven des Beschenkten übersendet worden wäre: es sei denn, dass die Sache dessen Sclaven in der Absicht gegeben worden ist, dass sie sogleich sein Eigenthum werde.
Paul. lib. XV. ad Sabin. Wer ein ganzes Gebäude besitzt, von dem wird [in Folge dessen] nicht angenommen, dass er die einzelnen Sachen, welche darin sind, [nun auch]66S. Savigny a. a. O. S. 183. besitze; dasselbe gilt von einem Schiffe und einem Schranke. 1Verloren geht der Besitz auf vielfache Art, z. B. wenn man an einem Orte, den man besass, einen Todten beigesetzt hat, denn einen religiösen oder heiligen Ort kann man nicht besitzen, wenn man auch die Religion verachten, und ihn wie einen Privatort innehaben sollte, so wenig wie einen freien Menschen. 2Ingleichen wenn der Prätor aus dem Grunde die Besitzergreifung einer Sache befiehlt, weil wegen drohenden Schadens keine Sicherheit bestellt ward, verliert, sagt Labeo, der Eigenthümer wider seinen Willen den Besitz. 3Man verliert ferner den Besitz an Dem, was vom Meere oder einem Flusse eingenommen worden ist, oder wenn der Besitzer in eines Andern Gewalt getreten ist. 4Nicht minder giebt es viele Arten des Verlustes für den Besitz an beweglichen Sachen; z. B. wenn man [ihn] nicht [mehr haben] will, oder wenn man einen Sclaven freilässt, ferner wenn Das, was ich besass, in eine andere äussere Form gebracht worden ist, z. B. ein aus Wolle gefertigtes Kleidungsstück. 5Was ich durch meinen Pächter besitze, wird mein Erbe, wenn er den Besitz nicht selbst erlangt hat, nicht besitzen können; denn behalten kann man zwar wohl durch den Willen, nicht aber erlangen. Was ich aber als Käufer besitze, das wird mein Erbe auch durch den Pächter ersitzen. 6Wenn ich dir Etwas geliehen habe, und du an Titius, welcher es für dir gehörig hält, so besitze ich es nichtsdestoweniger. Derselbe Fall wird dann vorhanden sein, wenn mein Pächter ein Landgut verafterpachtet, oder Derjenige, bei dem ich Etwas niedergelegt habe, es wiederum bei einem Andern niedergelegt hat. Und dies gilt so, wenn es auch durch noch mehrere Personen so gegangen ist.
Paul. lib. XV. ad Sabin. Obwohl ein Unmündiger ohne seines Vormundes Ermächtigung nicht verpflichtet wird, so behält man durch denselben dennoch den Besitz. 1Wenn der Pächter die Sache verkauft und vom Verkäufer wieder in Pacht genommen, und Beiden den Pachtzins gezahlt hat, so behält der erste Verpächter den Besitz rechtlichermassen durch den Pächter. 2Ad Dig. 41,2,32,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 155, Note 13.Ein Kind kann rechtlichermassen besitzen, wenn der Besitz unter Ermächtigung des Vormundes angehoben hat; denn der Wille des Kindes wird durch die Ermächtigung des Vormundes ersetzt; dies ist des Nutzens wegen77D. h. gegen die allgemeine Regel. Savigny a. a. O. S. 210. angenommen worden, denn auch in einem andern Fall findet ja die Einwilligung des Kindes zu dem Empfang des Besitzes [von Seiten des Vormundes] nicht statt88Nach der Lesart: — infantis est accipienti possessionem, bei Savigny a. a. O. Er findet nöthig diese Stelle so zu erläutern: Die Gültigkeit der auctoritas ist abweichend von der allgemeinen Regel angenommen worden, denn wenn man sie verwerfen wollte, so würde dies aus dem Grunde geschehen müssen, weil es nicht der Besitzer selbst ist, der den animus possidendi hat; das ist aber auch der Fall, wenn nicht das Kind, auctore tutore, sondern der Vormund selbst im Namen des Kindes den Besitz erwirbt, da auch hier das Kind nicht den animus possidendi hat. Was in einem Fall für die Erwerbung des Besitzes gilt, muss es der Consequenz wegen auch im andern.. Der Unmündige kann jedoch den Besitz auch ohne des Vormundes Ermächtigung erlangen; es kann endlich das Kind, soweit es einen Gegenstand des Sonderguts betrifft, auch durch einen Sclaven besitzen.