Responsorum libri
Ex libro IX
Idem lib. IX. Respons. [Paulus hat zum Bescheid gegeben,] dass von dem streitenden Theil, welcher behauptet, sein Gegner sei von irgend einem Rechte besonders durch ein Gesetz oder eine Constitution ausgeschlossen, dies beweisen müsse. 1Derselbe hat zum Bescheid gegeben, dass, wenn Jemand behauptet, dass eine Entlassung aus der väterlichen Gewalt nicht gehörig geschehen sei, den Beweis selbst führen müsse.
Paul. lib. IX. Respons. Ich frage, ob nicht Jemand Bürger derselben Gemeinde als testamentarische Vormünder geben könne? Paulus bejaht dieses. 1Derselbe Paulus ist der Meinung, dass auch der, welcher wegen seiner Kenntniss der Vermögensverhältnisse als Vormund gegeben wurde, ebenso wie die übrigen Testamentsvormünder durchaus sowohl wegen der Verwaltung11Nämlich wenn er den Verwaltenden nicht mit seinem Rath unterstützte., als wegen der damit zusammenhängenden Geschäfte22Unter dem accessionis jus versteht hier Cujacius das Recht, nach welchem man einen solchen Vormund, nachdem die Verwaltenden ausgeklagt wurden, belangen kann. rechtlich belangt werden könne. 2Lucius Titius setzte seine unmündigen Söhne zu Erben ein und gab ihnen Vormünder mit diesen Worten: Gajus Mävius und Lucius Eros sollen die Vormünder meiner Söhne sein. Diesem Eros hatte er die Freiheit nicht geschenkt, er war aber auch noch nicht 25 Jahre alt. Nun frage ich, ob dieser (Eros) seine Freiheit gerichtlich verfolgen kann? Paulus bejaht es, weil man annimmt, der von seinem Herrn zum Vormund bestellte Sclav habe [eben dadurch] der Freiheit sich würdig gemacht. Deshalb müsse denn auch der in Frage stehende Sclav ebenso beurtheilt werden, als wäre er zwar frei von der Erbschaftsantretung an, werde aber erst nach Erlangung des gesetzlichen Alters mit der Vormundschaft beschwert33Uber die vielfache Interpolation dieser Stelle s. Zeitschrift für die geschichtl. Rechtsw. Bd. 3. S. 287..
Paul. lib. IX. Resp. Der höchstselige Marcus und Verus rescribirten an den Cornelius Proculus: Wenn einmal in der Gemeinde, wo der Mündel geboren wurde, kein tüchtiger Vormund aufzufinden ist, so sei es Pflicht der Obrigkeit, in der benachbarten Gemeinde die ehrbarsten Männer aufzusuchen, und ihre Namen dem Statthalter der Provinz zu übersenden, nicht aber sollten sie sich das Recht selbst zu bevormunden anmaassen.
Idem lib. IX. Resp. Lucius Titius, der Curator des Gajus Sejus, vermiethete zur Zeit der Curatel das Cornelianische Grundstück an den Sempronius. Dieser Sempronius blieb mit einem Theile des Pachtgeldes im Rest. Der bereits volljährig gewordene Pflegbefohlene machte denselben Sempronius, der ehedem sein Pächter war, zu seinem Geschäftsführer. Nun frage ich, ob aus dem Grunde, weil jener [nun] in der Eigenschaft als Geschäftsführer handelt, der junge Mann die ganze Schuld anerkannt, und dadurch den Curator [von seiner Verbindlichkeit] befreit zu haben scheine? Paulus antwortete, der volljährig Gewordene scheine dadurch, dass er seinen ehemaligen Grundstückspächter zum Geschäftsführer haben wollte, diesen dadurch nicht als seinen Schuldner [wegen des rückständigen Pachtbetrages] anerkannt zu haben. 1Die Güter des Sempronius, der in Folge einer Versprechung44Weil eine dem Staat gemachte pollicitatio klagbar ist. in ein Schuldverhältniss gegen sein Vaterland kam, nahm der Staat auf Befehl des Statthalters in Besitz. Ueber diese Güter bestellte die Obrigkeit des Staates drei Curatoren, die bei den Griechen ἐπιμεληταὶ heissen, diese theilten späterhin ohne die Zustimmung des Staates die Verwaltung der Sempronischen Güter unter sich. Einige von diesen blieben im [Zahlungs-]Rückstand, und wurden so während der Zeit der Verwaltung selbst zahlungsunfähig. In der Folge erlangte der Mündel, der als Erbe des Sempronius [die Erbschaft] ausgeschlagen hatte, vom Kaiser in Hinsicht des väterlichen Vermögens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nun frage ich, ob aus dem Vermögen der Zahlungsfähigen der Mündel schadlos gehalten werden müsse, da ihnen die Verpflichtung zur Curatel ungetheilt von der Obrigkeit auferlegt wurde? Paulus antwortete, wenn man dem Mündel Klagen gegen die Curatoren des Vermögens zugestehen wollte, so müsse [im vorliegenden Falle] für den Theil des Zahlungsunfähigen die Obrigkeit belangt werden. Denn ein anderes Verhältniss ist das der Vormünder, ein anderes derer, welche Geschäfte des Staates verwalten55Den Grund dieser Verschiedenheit setzt Cujazius in das Recht der Mitvormünder, sich gegenseitig als suspect belangen zu können.. 2Ad Dig. 26,7,46,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 439, Note 10; Bd. II, § 442, Note 2.Wenngleich ein Vormund Mündelgelder in seinem Namen zinslich auslieh, so scheint er doch nicht gegen die Verordnungen, welche es untersagen, Mündelgelder zu seinem Nutzen zu verwenden, gefehlt zu haben. 3Es ist die Frage erhoben worden, ob ein Vormund von dem Gelde, welches er selbst benutzte, dieselben Zinsen66Sc. usuras pupillares, d. i. 12 Procent. auch nach Beendigung der Vormundschaft, bis zur Zeit der Klagannehmung [oder der förmlichen Eröffnung des Rechtsstreites] leisten müsse? Paulus antwortete: Nach beendigter Verwaltung gelte dieselbe Zinsberechnung, welche man auch bei der Vormundschaftsklage annimmt. 4Paulus hat den Bescheid gegeben, der Bürge, welcher wegen redlicher Verwaltung (salvam rem fore) Sicherheit leistete, hafte nicht für die Verwaltung, welche der Vormund nach eingetretener Mündigkeit, ohne irgend eine Nothwendigkeit, sondern blos nach eigenem Willen, fortsetzte. 5Ein mit der Vormundschaftsklage belangter Vormund lieferte das Rechnungsbuch aus, wurde nach demselben verurtheilt und zahlte. Als nachmals der Mündel von den Schuldnern seines Vaters, deren Forderungen in dem Rechnungsbuche nicht enthalten waren, Gelder77Beck hat hier: decem. erheben wollte, so zeigten diese Quittungen vom Vormunde auf. Nun entstand die Frage, ob dem Mündel eine Klage gegen den Vormund oder gegen die Schuldner zustehe? Paulus antwortete: wenn die Schuldner zur Zeit der zu verwaltenden Vormundschaft dem Vormunde, der diese führte, zahlten, so wären sie unmittelbar nach dem Rechte von aller Obliegenheit gegen den Mündel befreit. Wäre aber gegen den Vormund schon geklagt worden, so könne der Volljährige in dieser Beziehung die Vormundschaftsklage wiederholt anstellen, und gegen die Einrede: richterlichen Erkenntnisses (rei judicatae)88Sie waren ja schon einmal judicio tutelae verurtheilt worden. die Erwiederung, betrügerischer Absicht (doli mali)99Weil sie, nach Cujazius, diese getilgten Forderungen dolo nicht in den Rechnungsbüchern bemerkten. anwenden. 6Ein Mündel erhielt zwei testamentarische Vormünder. Da der eine von diesen starb, so wurde auf Verlangen der Mutter, an die Stelle desselben von der Obrigkeit, nach einer Weisung des Statthalters der Provinz, ein anderer Vormund gegeben. Die Obrigkeit hatte sich auch von diesem Sicherheit dahin leisten lassen, das Mündelvermögen solle im guten Zustande erhalten werden. Der testamentarische Vormund klagte hierauf den nachmals bestellten [Vormund] als verdächtig an. Nun erhob sich die Frage: inwieweit dieser hafte. Paulus antwortete, der testamentarische Vormund dürfe nur nach seinem Antheile an der Verwaltung belangt werden. Was den Antheil des Mitvormundes betrifft, so müssen zuerst die, welche für ihn bürgten, und dann die Obrigkeit, welche ihn bestellte, belangt werden. Konnte aber der Mündel das Ganze nicht erhalten, sodann muss man die Pflichttreue des Mitvormundes untersuchen, ob er ihn [vielleicht früher] hätte verdächtig machen sollen, besonders da er ihn als solchen vor Gericht forderte. Ausserdem, wenn die Obrigkeit mehrere Vormünder bestellt, kann der Mündel sich nicht früher an diese (Obrigkeit) halten, als bis alle Vormünder ausgeklagt1010Die Florentine liest excusati. Haloander und Beck excussi. sind. Da nun im vorliegenden Falle ein einziger von der Obrigkeit gegebener Vormund angenommen wurde, so hat es nicht den Anschein, als ob der Mitvormund, der ihn als verdächtig anklagte, und auch durch’s Testament gegeben worden ist, eher belangt werden müsse. Und [überhaupt] müssen diese Vormünder so betrachtet werden, als ob jeder1111Haloander und Beck schalten hier testamento ein. In der Florentine fehlt es. zum Vormund auf die Hälfte bestellt worden wäre. 7Denn Vormündern ist es gestattet, Geld von den Schuldnern des Mündels zu erheben, so dass diese unmittelbar durch das Recht [von der Forderung] befreit werden. Schenken aber oder mit diesen zum Verluste des Mündels sich vergleichen, dürfen sie nicht. Deshalb kann denn auch der Mündel den, welcher dem Vormunde zu wenig bezahlte, auf das Uebrige belangen.
Idem lib. IX. Resp. [Ich habe das Gutachten ertheilt,] dass die Eltern zwar ihre besten Freunde und die Redlichsten zu Vormündern zu erwählen, und darum, damit sie die Last der Vormundschaft übernehmen, auch mit dem Geschenke eines Legats zu bedenken pflegen; da aber der Fall aufgestellt wird, dass der, wegen dessen gefragt wird, ein Legat im Testament bekommen habe, und eben derselbe dem Mündel substituirt sei, so ist es nicht wahrscheinlich, dass ihn der Testator erst dann1212Tunc statt hunc mit Haloander. habe substituirt wissen wollen, wenn er auch die Vormundschaft übernommen hätte; und darum sei der, wegen dessen man fragt, zwar, wenn der Mündel noch lebte, von dem Legat zurückzuweisen gewesen, von der Substitution aber nicht auszuschliessen, da in diesem Falle1313Wenn der Mündel gestorben wäre. auch eine übernommene Vormundschaft beendigt werden würde. 1Lucius Titius hat unter drei am Leben befindlichen Söhnen einen, der aus der väterlichen Gewalt entlassen worden ist, von dem Alter, dass er Curatoren erhalten muss; ich frage, ob, wenn derselbe Titius, der Vater, auf Bitten eben dieses aus der Gewalt entlassenen Sohnes, vom Prätor zum Curator bestellt werden sollte, er sich des gemeingültigen1414S. die Bem. zu L. 30. §. 3. h. t. Das jus publ. s. in L. 2. §. 2. sqq. Rechts bedienen, und nichts desto weniger wegen der drei Söhne eine Befreiung verlangen könne. Ich habe das Gutachten ertheilt, dass dem Vater zwar die Belohnung, welche ihm wegen der Zahl der Kinder zukommt, nicht versagt werden könne; aber wenn er zum Curator für seinen Sohn erbeten werden sollte, so würde er gegen die natürlichen Triebe handeln, wenn er versuchen sollte, sich einer solchen Entschuldigung zu bedienen.
Idem lib. IX. Resp. [Ich habe das Gutachten ertheilt,] dass, wenn der Erbe des Vormunds mit der Vormundschaftsklage belangt sei, der Curator desselben [Pflegbefohlenen] weder von Rechts wegen befreit zu sein scheine, noch demselben die Einrede der entschiedenen Sache zu geben sei; und dass dasselbe auch bei den Erben der obrigkeitlichen Personen zu beobachten sei.
Paul. lib. IX. Resp. [Ich habe das Gutachten ertheilt,] dass die Erben desjenigen, welcher, da er nicht dem Rechte gemäss zum Vormund oder Curator bestellt worden ist, sich nicht in die Verwaltung gemischt hat, nicht für böse Absicht und Verschulden stehen müsse. 1Paulus hat das Gutachten ertheilt, dass die Klage so gegen den Erben des Vormundes übertragen werden müsse, wie sie der Verstorbene aufgenommen hat. Dies bezieht sich darauf, dass der Erbe nicht entschuldigt wird, wenn er sagen sollte, er habe keine die Vormundschaft betreffenden Urkunden gefunden; denn da der Erbe bei allen Klagen guten Glaubens wegen der bösen Absicht des Verstorbenen gehalten ist, so glaube ich, dass dasselbe auch bei der Vormundschaftsklage zu beobachten sei. Aber man ist durch die Constitutionen der Unwissenheit der Erben zu Hülfe gekommen. Dies ist jedoch [nur] zu beobachten, wenn der Erbe nach dem Tode des Vormundes belangt wird, nicht wenn der Vormund nach eingeleitetem Streit gestorben ist; denn durch die Einleitung des Streits werden sowohl Strafklagen, [auf die Erben] von beiden Theilen übertragen, als auch zeitliche [Klagen] in immerwährende verwandelt.
Idem lib. IX. Resp. Paulus hat das Gutachten ertheilt, auch wenn sich nachher ergeben hat, dass das Testament des Vaters ungültig1515Irritum, d. h. ohne Widerruf des Vaters auf irgend eine Art ungültig geworden. S. v. Glück XXXIII. S. 17. Anm. 32. sei, so scheinen doch die Vormünder des Mündels oder die Curatoren des Sohnes nicht gegen die Rede der höchstseligen Kaiser1616Septimius Severus und Antoninus Caracalla. S. v. Glück XXXII. S. 461. f. gehandelt zu haben, wenn sie dem im Testamente aufgezeichneten Willen des Verstorbenen gemäss ein ländliches Mündelgrundstück verkauft haben.