De iuris et facti ignorantia liber singularis
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Dig. 22,6,9Paulus libro singulari de iuris et facti ignorantia. Regula est iuris quidem ignorantiam cuique nocere, facti vero ignorantiam non nocere. videamus igitur, in quibus speciebus locum habere possit, ante praemisso quod minoribus viginti quinque annis ius ignorare permissum est. quod et in feminis in quibusdam causis propter sexus infirmitatem dicitur: et ideo sicubi non est delictum, sed iuris ignorantia, non laeduntur. hac ratione si minor viginti quinque annis filio familias crediderit, subvenitur ei, ut non videatur filio familias credidisse. 1Si filius familias miles a commilitone heres institutus nesciat sibi etiam sine patre licere adire per constitutiones principales, ius ignorare potest et ideo ei dies aditionis cedit. 2Sed facti ignorantia ita demum cuique non nocet, si non ei summa neglegentia obiciatur: quid enim si omnes in civitate sciant, quod ille solus ignorat? et recte Labeo definit scientiam neque curiosissimi neque neglegentissimi hominis accipiendam, verum eius, qui cum eam rem ut, diligenter inquirendo notam habere possit. 3Sed iuris ignorantiam non prodesse Labeo ita accipiendum existimat, si iuris consulti copiam haberet vel sua prudentia instructus sit, ut, cui facile sit scire, ei detrimento sit iuris ignorantia: quod raro accipiendum est. 4Qui ignoravit dominum esse rei venditorem, plus in re est, quam in existimatione mentis: et ideo, tametsi existimet se non a domino emere, tamen, si a domino ei tradatur, dominus efficitur. 5Si quis ius ignorans lege Falcidia usus non sit, nocere ei dicit epistula divi Pii. sed et imperatores Severus et Antoninus in haec verba rescripserunt: ‘Quod ex causa fideicommissi indebitum datum est, si non per errorem solutum est, repeti non potest. quamobrem Gargiliani heredes, qui, cum ex testamento eius pecuniam ad opus aquae ductus rei publicae cirtensium relictam solverint, non solum cautiones non exegerunt, quae interponi solent, ut quod amplius cepissent municipes quam per legem Falcidiam licuisset redderent, verum etiam stipulati sunt, ne ea summa in alios usus converteretur et scientes prudentesque passi sunt eam pecuniam in opus aquae ductus impendi, frustra postulant reddi sibi a re publica cirtensium, quasi plus debito dederint, cum sit utrumque iniquum pecuniam, quae ad opus aquae ductus data est, repeti et rem publicam ex corpore patrimonii sui impendere in id opus, quod totum alienae liberalitatis gloriam repraesentet. quod si ideo repetitionem eius pecuniae habere credunt, quod imperitia lapsi legis Falcidiae beneficio usi non sunt, sciant ignorantiam facti, non iuris prodesse nec stultis solere succurri, sed errantibus’. 6Et licet municipum mentio in hac epistula fiat, tamen et in qualibet persona idem observabitur. sed nec quod in opere aquae ductus relicta esse pecunia proponitur, in hunc solum casum cessare repetitionem dicendum est. nam initium constitutionis generale est: demonstrat enim, si non per errorem solutum sit fideicommissum, quod indebitum fuit, non posse repeti: item et illa pars aeque generalis est, ut qui iuris ignorantia legis Falcidiae beneficio usi non sunt, non possint repetere: ut secundum hoc possit dici etiam, si pecunia, quae per fideicommissum relicta est quaeque soluta est, non ad aliquid faciendum relicta sit, et licet consumpta non sit, sed exstet apud eum cui soluta est, cessare repetitionem.
Paul. lib. sing. de jur. et facti ignor. Es gilt die Regel, dass zwar das Nichtwissen eines Rechtssatzes einem Jeden schade, das Nichtwissen einer Thatsache aber nicht schade. Wir wollen daher untersuchen, in welchen Fällen sie Statt haben könne, nachdem wir zuvor vorausgeschickt haben, dass es denen, welche jünger als fünfundzwanzig Jahre sind, erlaubt ist, das Recht nicht zu kennen — was man auch von den Frauen in gewissen Fällen wegen der Schwachheit ihres Geschlechts sagt — und darum werden sie da, wo kein Vergehen vorhanden ist, sondern ein Nichtwissen eines Rechtssatzes, nicht verletzt. Aus diesem Grunde kommt man Einem, der jünger als fünfundzwanzig Jahre ist, wenn er einem Haussohn dargeliehen haben wird zu Hülfe, so dass es so angesehen wird, als habe er nicht einem Haussohn dargeliehen. 1Wenn ein Haussohn, der Soldat ist, von seinem Cameraden zum Erben eingesetzt ist und nicht weiss, dass er auch ohne seinen Vater [die Erbschaft] antreten dürfe, so ist es ihm kraft kaiserlicher Constitutionen erlaubt (potest), das Recht nicht zu kennen; und darum läuft ihm der Termin der Antretung nicht. 2Aber das Nichtwissen einer Thatsache schadet Jemandem nur dann nicht, wenn ihm nicht die höchste Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann; denn wie, wenn alle in der Stadt wissen sollten, was er allein nicht weiss? Und richtig bestimmt Labeo [dies so], dass man unter dem Wissen weder das eines höchst sorgfältigen, noch das eines ganz nachlässigen, sondern das [Wissen] desjenigen verstehen müsse, der die [fragliche] Sache dadurch, dass er fleissig nachforschte, hätte wissen können. 3Dass aber das Nichtwissen eines Rechtssatzes nichts nütze (schade), glaubt Labeo, sei so zu verstehen, wenn der [Nichtwissende] Gelegenheit, [Belehrung] durch einen Rechtsgelehrten [zu erhalten,] gehabt hätte, oder selbst [Rechts-]Kenntniss habe, so dass [nur] dem, welchem es leicht sei, [das Recht] zu kennen, das Nichtwissen eines Rechtssatzes zum Nachtheil gereiche. Dies ist aber selten anzunehmen11Diese Worte sind auf den ganzen vorhergehenden Satz zu beziehen und der Sinn derselben ist: die von Labeo augestellte Einschränkung der Regel wird selten zur Anwendung kommen. Vgl. Mühlenbruch im Arch. f. civ. Pr. Bd. 2. S. 382 f.. 4Wenn Jemand nicht gewusst hat, dass der Verkäufer Eigenthümer der [verkauften] Sache sei, so gilt die wahre Beschaffenheit der Sache mehr, als die blosse Meinung, und darum wird er, obgleich er glauben sollte, dass er [die Sache] nicht von dem Eigenthümer kaufe, dennoch zum Eigenthümer gemacht, wenn [sie] ihm vom Eigenthümer übergeben wird. 5Wenn Jemand sich, weil er das Recht nicht kannte, des Falcidischen Gesetzes nicht bedient hat, so schadet ihm das, wie ein Schreiben des höchstseligen Pius sagt. Aber auch die Kaiser Severus und Antoninus haben folgendermaassen rescribirt: Was bei Gelegenheit eines Fideicommisses ungeschuldet gegeben worden ist, kann nicht zurückgefordert werden, wenn es nicht aus Irrthum [über eine Thatsache] gezahlt worden ist, deshalb verlangen die Erben des Cargilianus, — welche, als sie dem Testament desselben gemäss zur Anlegung einer Wasserleitung Geld an das Gemeinwesen der Cirtenser gezahlt hatten, die Sicherheitsbestellung, welche gewöhnlich vorzukommen pflegt, dass [nämlich] die Municipalbürger das, was sie mehr genommen hätten, als kraft des Falcidischen Gesetzes erlaubt gewesen wäre, zurückgeben sollten, nicht gefordert haben, sondern nur stipulirt haben, dass jene Summe zu anderen Zwecken nicht verwendet werden sollte, und mit Wissen und Bedacht geduldet haben, dass jenes [ganze] Geld zur Anlegung einer Wasserleitung angewendet wurde, — vergeblich, dass ihnen [Etwas] von dem Gemeinwesen der Cirtenser zurückgegeben werden solle, gleich als ob sie mehr, als was sie schuldig gewesen, gegeben hätten, da beides unbillig sein würde, [sowohl] wenn das Geld, welches zur Anlegung einer Wasserleitung gegeben worden ist, zurückgefordert werden würde, als auch wenn das Gemeinwesen aus seinem eigenen Vermögensbestand, [Etwas] auf ein solches Werk verwenden sollte, welches ganz und gar [nur] fremde Freigebigkeit verherrliche. Wenn sie aber darum ein Recht zur Zurückforderung jenes Geldes zu haben glauben, weil sie aus Unkunde sich der Wohlthat des Falcidischen Gesetzes nicht bedient haben, so mögen sie wissen, dass das Nichtwissen einer Thatsache, nicht das eines Rechtssatzes nütze, und dass man nicht Einfältigen, sondern Irrenden zu Hülfe komme. 6Und wenn gleich in diesem Schreiben nur der Municipalbürger Erwähnung geschieht, so wird doch dasselbe auch in Betreff einer jeden anderen Person beobachtet werden. Man muss aber auch nicht [deshalb], weil [hier] der Fall vorgelegt wird, dass Geld zur Anlegung einer Wasserleitung hinterlassen worden sei, sagen, dass blos in diesem Fall das Recht zur Zurückforderung wegfalle; denn der Anfang der Constitution ist allgemein, er zeigt nämlich, dass wenn ein Fideicommiss nicht aus Irrthum [über eine Thatsache] gezahlt worden sei, das, was nicht geschuldet gewesen ist, nicht zurückgefordert werden könne. Desgleichen ist auch der Satz auf gleiche Weise allgemein, dass die, welche aus Nichtwissen des Rechts sich der Wohlthat des Falcidischen Gesetzes nicht bedient haben, nicht zurückfordern können; so dass man demgemäss sagen kann, dass, wenn auch das Geld, welches durch ein Fideicommiss hinterlassen worden ist, und welches gezahlt worden ist, nicht zu irgend einem Zweck hinterlassen worden ist, und wenngleich es noch nicht verbraucht worden ist, sondern bei dem, dem es gezahlt worden ist, noch vorhanden ist, das Recht zur Zurückforderung wegfalle.