De testibus
(Von den Zeugen.)
1Arcad. Qui Et Charis. lib. sing. de testib. Der Gebrauch der Zeugnisse ist häufig und nothwendig, und [sie sind] von denen vorzüglich zu fordern, deren Glaubwürdigkeit nicht schwankt. 1Es können auch Zeugen nicht blos in peinlichen Rechtssachen, sondern auch in bürgerlichen Rechtsstreiten11In criminalibus causis — in pecuniariis litibus. S. die Bem. zu L. 1. §. 1. D. de calumn. 3. 6., sowie es die Umstände verlangen, gebraucht werden, und [zwar] solche, welchen nicht untersagt ist, ein Zeugniss [abzulegen], und welche durch kein Gesetz eine Entschuldigung gegen die Zeugnissablegung haben. 2Obgleich durch einige Gesetze eine sehr grosse Zahl von Zeugen festgesetzt worden ist, so wird doch in Folge kaiserlicher Constitutionen diese Freiheit auf eine genügende Zahl von Zeugen beschränkt, so das die Richter es anordnen und nur das Vorfordern derjenigen Zahl von Zeugen, welche sie für nothwendig gehalten haben werden, dulden sollen, damit nicht bei ungebundener Erlaubniss zur Plage der Menschen eine überflüssige Menge von Zeugen herbeigezogen werde.
2Modestin. lib. VIII. Regul. Bei den Zeugnissen ist aber die Würde, die Glaubwürdigkeit, die Sitten, die Festigkeit [der Zeugen] zu prüfen, und darum sind die Zeugen, welche zum Nachtheil der Glaubwürdigkeit ihrer Aussage schwanken, nicht zu hören.
3Callistr. lib. IV. de Cognitionib. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen ist genau zu prüfen. Und darum werden in Betreff der Person derselben vorzüglich die Verhältnisse eines jeden auszuforschen sein, ober ein Decurio, oder ein Plebejer sei, und ob er von ehrbarem und tadellosem Lebenswandel, oder mit einem Schandfleck bezeichnet und tadelhaft, oder ob er reich oder arm sei, so dass er sich leicht Etwas um eines Gewinns willen zu Schulden kommen lässt, oder ob er ein Feind desjenigen sei, gegen den er das Zeugniss ablegt, oder ob er ein Freund desjenigen sei, für den er Zeugniss gibt, denn wenn das Zeugniss frei von Verdacht ist, sowohl in Betreff der Person, von welcher es abgelegt wird, indem sie ehrbar ist, als auch in Betreff des Grundes, weil weder zum Gewinn, noch zur Gunst, noch zur Feindschaft ein Grund vorhanden ist, so ist [der Zeuge] zuzulassen. 1Und darum hat der höchstselige Hadrianus an den Vivius Varus, den Legat in der Provinz Cilicia, rescribirt, dass der, welcher richtet, besser wissen könne, wieviel Glaubwürdigkeit den Zeugen beizumessen sei. Die Worte des Schreibens sind diese: Du kannst besser wissen, wieviel Glaubwürdigkeit den Zeugen beizumessen sei, wer sie und von welcher Würde und bürgerlicher Achtung sie seien, und welche aufrichtig gesprochen zu haben scheinen, ob sie eine und dieselbe Rede sich überdacht und vorgebracht haben, oder auf das, was du gefragt hattest, unvorbereitet Wahrscheinliches geantwortet haben. 2Es ist auch ein Rescript desselben Kaisers an den Valerius Varus über die Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugen vorhanden, welches so lautet: Es kann auf keine sichere Weise hinlänglich bestimmt werden, welche Beweisgründe und in welchem Maasse sie zum Beweis irgend einer Sache hinreichen; [denn] sowie nicht immer so wird doch oft die Wahrheit einer Sache ohne öffentliche Denkmäler erkannt; bald bestätigt die Zahl, bald die Würde und das Ansehen der Zeugen, bald zum Beispiel ein übereinstimmendes Gerücht die Glaubwürdigkeit der Sache, um welche es sich handelt. Ich kann dir also blos dies im Allgemeinen rescribiren, dass man durchaus nicht die Untersuchung sogleich an eine einzige Art des Beweises binden müsse, sondern dass du nach deiner inneren Ueberzeugung abwägen musst, was du entweder glauben, oder für zu wenig bewiesen halten sollst. 3Derselbe höchstselige Hadrianus hat an den Junius Rufinus, Proconsul von Macedonien, rescribirt, dass er den Zeugen, nicht den [schriftlichen] Zeugnissen glauben würde. Die hierher gehörigen Worte des Schreibens sind diese: Weil Alexander bei mir dem Aper Verbrechen vorgeworfen hatte, und weil er sie nicht bewies, auch keine Zeugen vorführte, sondern sich [schriftlicher] Zeugnisse bedienen wollte, die bei mir nicht gelten, — denn ich pflege [die Zeugen] selbst zu fragen — so habe ich denselben an den Präses der Provinz verwiesen, damit dieser die Glaubwürdigkeit der Zeugen untersuchen sollte, and [Alexander,] wenn er das, was er behauptet hatte, nicht bewiesen hätte, relegirt würde. 4Derselbe Kaiser hat auch an den Gabinius Maximus folgendermaassen rescribirt: Die Beweiskraft gegenwärtiger Zeugen ist eine andere, als die von [schriftlichen] Zeugnissen, welche vorgelesen zu werden pflegen; daher überlege dir [die Sache], damit du den [Zeugen], wenn du sie zurückbehalten willst, die Kosten ersetzen mögest. 5Durch das Julische Gesetz von der Gewalt wird bestimmt, dass es folgenden Personen nicht erlaubt sein soll, ein Zeugniss gegen den nach diesem Gesetze Angeklagten22Ne hac lege in reum testim. dicere nach der Erklärung des Accursius. abzulegen: wer von demselben oder dem Vater desselben die Freiheit erlangt haben wird, oder die, welche unmündig sein werden, und wer in einem öffentlichen (peinlichen) Process verurtheilt sein wird, wer nicht in den vorigen Stand wieder eingesetzt sein wird, oder wer in Banden oder in öffentlichem Gewahrsam sein wird, oder wer seine Dienste vermiethet haben wird, um mit den Bestien zu kämpfen, oder eine solche, welche öffentlich mit ihrem Körper Gewinn treiben oder getrieben haben wird, oder wer verurtheilt oder überführt sein wird, dass er dafür, dass er ein Zeugniss ablegen oder nicht ablegen sollte, Geld erhalten habe. Denn Einige sind wegen der Ehrfurcht der Personen33D. h. wegen der von ihnen dem Angeschuldigten zu erzeigenden Ehrfurcht, z. B. Freigelassene im Verhältniss zum Freilasser., Andere wegen ihrer Unbedachtsamkeit im Ueberlegen, noch Andere wegen des Schandflecks und der Infamie ihres Lebenswandels zum Zeugniss nicht zuzulassen. 6Die Zeugen sind nicht ohne Grund weither vorzufordern; und noch viel weniger sind Soldaten von ihren Feldzeichen und Diensten abzurufen, um ein Zeugniss zu geben, und das hat der höchstselige Hadrianus rescribirt. Aber auch die höchstseligen Brüder haben rescribirt: Was das Vorfordern der Zeugen betrifft, so ist es [Gegenstand der] Achtsamkeit des Richters, sich darnach zu erkundigen, welche Gewohnheit in der Provinz, in welcher er richtet, gegolten habe; denn wenn es bewiesen werden wird, dass oft sehr Viele nach einer andern Stadt um eines Zeugnisses willen vorgefordert worden seien, so ist kein Bedenken zu tragen, dass diejenigen aufzurufen seien, [deren Gegenwart] der, welcher richtet, als nothwendig bei der Untersuchung selbst erkannt haben wird.
4Paul. lib. II. ad leg. Jul. et Pap. Durch das Julische Gesetz von den öffentlichen (peinlichen) Processen wird bestimmt, dass Niemand wider Willen genöthigt werden soll, ein Zeugniss in einem Process gegen seinen Schwiegervater, Schwiegersohn, Stiefvater, Stiefsohn, die Andergeschwisterkinder und die Kinder von Andergeschwisterkindern, oder solche, welche noch auf einem früheren Grade stehen, abzulegen; ingleichen dass nicht der Freigelassene desselben44D. h. der Freigelassene desjenigen, der mit dem, gegen welchen ein Zeugniss abgelegt werden soll, in einem der angegebenen verwandschaftlichen oder schwägerschaftlichen Verhältnisse steht, und daher nicht zum Zeugnisse genöthigt werden kann., der Kinder desselben, der Eltern, des Ehemannes55Wenn es nämlich eine Frauensperson ist, welche aus den angegebenen Gründen nicht wider Willen zum Zeugniss genöthigt werden kann., der Ehefrau, desgleichen des Patrons, oder der Patronin [desselben wider Willen zum Zeugniss genöthigt werden soll], und dass nicht die Patrone [und] die Patroninnen gegen ihre Freigelassenen, sowie nicht die Freigelassenen gegen ihren Patron ein Zeugniss abzulegen gezwungen werden sollen.
5Gaj. lib. IV. ad leg. Jul. et Pap. Man nimmt an, dass in den Gesetzen, durch welche ausnahmsweise festgesetzt wird, dass ein Schwiegersohn oder Schwiegervater nicht wider Willen ein Zeugniss abzulegen gezwungen werden soll, in der Benennung Schwiegersohn auch der Bräutigam der Tochter, ingleichen in der Benennung Schwiegervater auch der Vater der Braut begriffen sei.
6Licin. Rufin. lib. II. Regul. Diejenigen scheinen keine tauglichen Zeugen zu sein, welchen man befehlen kann, dass sie Zeugen werden sollen.
11Idem lib. XXXIII. ad Sabin. Zum Beweis eines Vorfalls hält man auch einen nicht [zur Ablegung eines Zeugnisses] berufenen Zeugen [für zulässig].
12Ulp. lib. XXXVII. ad Ed. Wo die Zahl der Zeugen nicht beigefügt wird, da werden auch zwei genügen; denn wenn man von der Mehrzahl redet, so ist man mit der Zahl von Zweien zufrieden.
13Papinian. lib. I. de adulter. Ich weiss, dass man darüber gestritten hat, ob die, welche wegen Chicane in öffentlichen Processen verurtheilt worden sind, in einem öffentlichen Process ein Zeugniss ablegen können? Aber weder werden sie durch das Remmische Gesetz davon abgehalten, noch haben die Julischen Gesetze von der Gewalt, vom Amtsmissbrauch und von der Entwendung öffentlichen Eigenthums verboten, dass solche Menschen ein Zeugniss ablegen dürfen; jedoch wird das, was in den Gesetzen übergangen worden ist, von der Gewissenhaftigkeit der Richter nicht übergangen werden, zu deren Pflicht es gehört, auch die Glaubwürdigkeit eines solchen Zeugnisses, welches ein Mensch von unbescholtenem Rufe abgelegt haben wird, zu untersuchen.
14Idem lib. sing. de adulter. Ich weiss zwar, dass man darüber verhandelt hat, ob bei einer Testamentserrichtung ein wegen Ehebruchs Verurtheilter [als Zeuge] gebraucht werden könne? Und in der That wird einem solchen die [in Ablegung] eines Zeugnisses [bestehende] Dienstleistung rechtmässiger Weise untersagt werden. Ich glaube also, dass ein Testament, zu welchem ein Zeuge der Art gekommen ist, weder nach bürgerlichem Rechte, noch nach prätorischem Rechte, welches an das bürgerliche Recht sich anschliesst, gelte, so dass [aus einem solchen Testament] weder eine Erbschaft angetreten, noch ein Nachlassbesitz gegeben werden kann.
15Paul. lib. III. Sentent. Ein wegen Amtsmissbrauchs Verurtheilter kann weder bei einem Testament, noch bei einem Zeugniss [als Zeuge] gebraucht werden. 1Ob ein Zwitter bei einem Testament [als Zeuge] gebraucht werden könne, zeigt die Beschaffenheit des Geschlechts an, dessen Begierde sich in ihm regt66Qualitas sexus incalescentis (vgl. L. 10. D. de statu hom. 1. 5.), so dass sie, wenn sie männliche Begierden haben, in diesem Falle Zeugen sein können, sonst aber nicht..
16Idem lib. V. Sentent. Diejenigen, welche falsche oder verschiedenartige Zeugnisse abgelegt, oder an beiden Theilen verrätherisch gehandelt haben77Utrique parti prodiderunt, d. h. nach der Erklärung der Griechen: von jeder Partei bestochen, für jede günstig ausgesagt haben. Vgl. v. Glück a. a. O. S. 148. Anm. 94., werden von den Richtern angemessen bestraft.
17Ulp. lib. sing. Regul. Ein Vater und ein Sohn, welcher sich in der Gewalt desselben befindet, ingleichen zwei Brüder, welche sich in der Gewalt desselben Vaters befinden, können Beide Zeugen bei demselben Testament oder demselben Geschäft werden, weil es nichts schadet, wenn mehrere aus einem Hause als Zeugen bei einem fremden Geschäft gebraucht werden.
18Paul. lib. II. de adulter. Daraus, dass das Julische Gesetz von den Ehebrüchen eine [wegen Ehebruchs] verurtheilte Frauensperson davon abhält, ein Zeugniss abzulegen, schliesst man, dass [in anderen Fällen] auch Frauenspersonen das Recht haben, ein Zeugniss vor Gericht abzulegen.
19Ulp. lib. VIII. de off. Procons. Die Pächter öffentlicher Einkünfte, ingleichen der, welcher, nicht um [der Ablegung] eines Zeugnisses auszuweichen, sich entfernt habe, ingleichen der, welcher die Lieferung für das Heer gepachtet haben wird, legen wider Willen kein Zeugniss ab. 1Aber auch Mündel können nicht [zur Ablegung] eines Zeugnisses genöthigt werden.
20Venulej. lib. II. de Jud. publ. Ein Ankläger darf einen solchen, welcher in einem öffentlichen Process angeklagt sein wird, oder welcher jünger als fünfundzwanzig Jahre sein wird, nicht zum Zeugniss herbeirufen.
21Arcad. Qui Et Charis. lib. sing. de testib. Ein wegen einer Schmähschrift Verurtheilter wird zum Zeugniss unfähig88Intestabilis, d. h. sowohl kein Zeugniss ablegen, als auch kein Testament machen, wobei Andere Zeugen sind.. 1Auch das ist unbezweifelt, dass, wenn es die Umstände fordern, nicht blos Privatpersonen, sondern auch Magistrate, wenn sie gegenwärtig sind, ein Zeugniss ablegen [müssen]. Ingleichen hat der Senat verordnet, dass der Prätor in einem Process wegen Ehebruchs ein Zeugniss ablegen müsse. 2Wenn die Lage einer Sache so sein sollte, dass wir auch einen Fechter99Arenarium; namentlich bezeichnet dieses Wort einen solchen, welcher in den Schauspielen mit wilden Thieren kämpft. Solche Personen waren infam und daher eigentlich untüchtige Zeugen. oder eine ähnliche Person als Zeugen zuzulassen gezwungen werden, so ist dem Zeugniss desselben ohne Tortur nicht zu glauben. 3Wenn alle Zeugen von derselben Ehrbarkeit und bürgerlichen Achtung sein sollten und die Beschaffenheit des Geschäfts und die innere Ueberzeugung des Richters mit ihnen übereinstimmt, so muss man alle Zeugnisse berücksichtigen; wenn aber einige unter ihnen verschieden ausgesagt haben, wenn gleich in ungleicher Zahl, so muss man das, was der Natur des Geschäfts angemessen und von dem Verdacht einer Feindschaft, oder einer Gunst frei ist, glauben; und es wird der Richter seine innere Ueberzeugung durch Schlüsse, und Zeugnisse, und [durch das], was er als der Sache entsprechender und der Wahrheit gemässer erfahren haben wird, bestätigen, denn man muss nicht auf die Menge [der Zeugen], sondern auf die lautere Glaubwürdigkeit der Zeugnisse, und auf die Zeugnisse sehen, denen das Licht der Wahrheit mehr zur Seite steht.
22Venulej. lib. II. de off. Procons. Die Magistrate eines jeden Ortes sollen dafür sorgen, denen, welche ein Geschäft vor Zeugen begehen wollen, sowohl aus ihrer eigenen Mitte, als auch andere Zeugen und Besiegler1010Signatores; die Zeugen unterschrieben und besiegelten nämlich die über ein Rechtsgeschäft aufgesetzten Urkunden. S. Brisson. s. h. v. Uebrigens sind die Magistrate hier Municipalbeamte. S. v. Glück a. a. O. S. 240. zu verschaffen, damit die Geschäfte desto leichter vollzogen werden und der Beweiss des Vorgefallenen gesichert sei.
23Idem lib. I. de Jud. publ. Der kann nicht als Zeuge vorgeführt werden, welcher vorher gegen denselben Beklagten ein Zeugniss abgelegt hat.
25Arcad. Qui Et Charis. lib. sing. de testib. Durch [kaiserliche] Mandate wird bestimmt, dass die Präsides darauf sehen sollen, dass Sachwalter in einer Rechtssache, in welcher sie als Sachwalter gedient haben, kein Zeugniss ablegen und das ist auch in Bezug auf Geschäftsführer1111In exsecutoribus negotiorum. Welche Personen Arcadius hiermit gemeint habe, darüber hat man verschiedene Meinungen aufgestellt. Die neueste und sehr wahrscheinliche Erklärung ist die von Linde in d. Zeitschr. f. Civilr. und Proc. B. 1. S. 285. ff., nach welcher unter exsecutores — der Natur des Verhältnisses nach, stets entweder ausschliesslich im Interesse eines Theils handeln, oder — zugleich ein eigenes Interesse wahrnehmen. — Dahin gehören denn Tutoren, Curatoren, Procuratoren, Administratoren und dgl. Anderer Meinung ist Heffter Instit. d. Civil. Proc. S. 205. Anm. 20. welcher unter exsec. negot. gerichtliche Beamte oder Deputirte versteht, welche den Parteien in einer anhängigen Streitsache und für dieselbe angewiesen worden sein sollen. zu beobachten.