Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 38 übersetzt von Sintenis
Dig. XXXVIII15,
Quis ordo in possessionibus servetur
Liber trigesimus octavus
XV.

Quis ordo in possessionibus servetur

(Von der zu beobachtenden Reihenfolge beim Nachlassbesitz.)

1Mo­des­ti­nus li­bro sex­to pan­dec­ta­rum. In­tes­ta­ti hi gra­dus vo­can­tur: pri­mum sui he­redes, se­cun­do le­gi­ti­mi, ter­tio pro­xi­mi co­gna­ti, de­in­de vir et uxor. 1Si­ve ta­bu­lae tes­ta­men­ti non ex­stent, si­ve ex­stent, si se­cun­dum eas vel con­tra eas bo­no­rum pos­ses­sio­nem ne­mo ac­ce­pit, in­tes­ta­ti de­tur bo­no­rum pos­ses­sio. 2In­tes­ta­ti pa­tris li­be­ris bo­no­rum pos­ses­sio da­tur non tan­tum his, qui in po­tes­ta­tem pa­ren­tis us­que in mor­tis tem­pus fue­runt, sed em­an­ci­pa­tis.

1Modestin. lib. VI. Pand. Testamentslos werden die Abstufungen folgendergestalt berufen: zuerst die Notherben, sodann die gesetzmässigen Erben, darauf die nächsten Verwandten, und zuletzt Mann und Frau. 1Wenn dem Testamentsinhalt zufolge oder demselben zuwider, gleichviel, ob ein Testament vorhanden ist, oder nicht, Niemand den Nachlassbesitz erhalten hat, so wird der Nachlassbesitz testamentslos ertheilt. 2Eines testamentslos verstorbenen Vaters Nachlasses Besitz wird nicht nur denjenigen seiner Kinder gegeben, die sich zur Zeit seines Todes in seiner Gewalt befinden, sondern auch den daraus entlassenen.

2Ul­pia­nus li­bro qua­dra­gen­si­mo no­no ad edic­tum. Uti­le tem­pus est bo­no­rum pos­ses­sio­num ad­mit­ten­da­rum: ita au­tem uti­le tem­pus est, ut sin­gu­li dies in eo uti­les sint, sci­li­cet ut per sin­gu­los dies et scie­rit et po­tue­rit ad­mit­te­re: ce­te­rum qua­cum­que die ne­scie­rit aut non po­tue­rit, nul­la du­bi­ta­tio est, quin dies ei non ce­dat. fie­ri au­tem pot­est, ut qui in­itio scie­rit vel po­tue­rit bo­no­rum pos­ses­sio­nem ad­mit­te­re, hic in­ci­piat ne­sci­re vel non pos­se ad­mit­te­re: sci­li­cet si, cum in­itio co­gno­vis­set eum in­tes­ta­tum de­ces­sis­se, post­ea qua­si cer­tio­re nun­tio al­la­to du­bi­ta­re coe­pe­rit, num­quid tes­ta­tus de­ces­se­rit vel num­quid vi­vat, quia hic ru­mor post­ea per­rep­se­rat. idem et in con­tra­rium ac­ci­pi pot­est, ut qui igno­ra­vit in­itio, post­ea sci­re in­ci­piat. 1Dies bo­no­rum pos­ses­sio­nis uti­les es­se pa­lam est: sed non ses­sio­num nu­me­ra­bun­tur, si mo­do ea sit bo­no­rum pos­ses­sio, quae de pla­no pe­ti po­tuit. quod si ea, quae cau­sae co­gni­tio­nem pro tri­bu­na­li de­si­de­rat vel quae de­cre­tum ex­pos­cit, ses­sio­nes erunt no­bis com­pu­tan­dae, qui­bus se­dit is qui­bus­que per ip­sum prae­to­rem fac­tum non est, quo mi­nus da­ret bo­no­rum pos­ses­sio­nem. 2In bo­no­rum pos­ses­sio­ne, quae pro tri­bu­na­li da­tur, il­lud quae­ri­tur, si se­dit qui­dem prae­tor pro tri­bu­na­li, sed pos­tu­la­tio­ni­bus non de­dit: pot­est di­ci tem­pus ad bo­no­rum pos­ses­sio­nem non ce­de­re, cum prae­ses aliis re­bus aut mi­li­ta­ri­bus aut cus­to­diis aut co­gni­tio­ni­bus fue­rit oc­cu­pa­tus. 3Si prae­ses pro­vin­ciae in pro­xi­ma fuit ci­vi­ta­te, ac­ce­de­re de­bet ad uti­li­ta­tem tem­po­ris ra­tio iti­ne­ris, sci­li­cet nu­me­ra­tio­ne vi­gin­ti mi­lium pas­suum fac­ta: nec enim ex­spec­ta­re de­be­mus, ut prae­ses pro­vin­ciae ve­niat ad eum, qui bo­no­rum pos­ses­sio­nem pe­ti­tu­rus est. 4Si ven­ter in pos­ses­sio­nem mis­sus sit, bo­no­rum pos­ses­sio­nis tem­pus non ce­de­re se­quen­ti­bus ne­qua­quam amb­igen­dum est, nec tan­tum in­tra cen­ten­si­mum diem, ve­rum et­iam quam­diu nas­ci pos­sit: nam et si na­tus fue­rit, an­te ei de­fer­ri bo­no­rum pos­ses­sio­nem scien­dum est. 5Scien­tiam eam ob­ser­van­dam Pom­po­nius ait, non quae ca­dit in iu­ris pru­den­tes, sed quam quis aut per se aut per alios ad­se­qui po­tuit, sci­li­cet con­su­len­do pru­den­tio­res, ut di­li­gen­tio­rem pa­trem fa­mi­lias con­su­le­re dig­num sit.

2Ad Dig. 38,15,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 104, Note 7.Ulp. lib. XLIX. ad Ed. Die Zeit zur Erlangung des Nachlassbesitzes wird mit Ueberspringung der zur Rechtsverfolgung nicht dienlichen Tage gerechnet11Utile; der Deutlichkeit wegen ist dieser Ausdruck das erste Mal ausführlicher als nachher übersetzt; s. übr. die Anm. zu l. 14. §. 2. D. quod met. cssa.; eine zur Rechtsverfolgung dienliche Zeit ist eine solche, in der jeder einzelne Tag zur Rechtsverfolgung dienlich ist, nämlich dergestalt, dass man jeden einzelnen Tag sowohl davon gewusst, als auch [den Nachlassbesitz] hat erhalten können; jeder andere Tag, an dem man es nicht gewusst, oder ihn nicht hat erhalten können, läuft einem ohne allen Zweifel nicht ab. Es kann aber geschehen, dass Jemand, der Anfangs darum gewusst, oder den Nachlassbesitz hat erhalten können, nachher nichts mehr davon weiss, oder ihn nicht erlangen kann, nämlich wenn er anfänglich erfahren hat, der Erblasser sei testamentslos gestorben, und nachher durch angeblich gewissere Nachricht in Zweifel gesetzt worden ist, ob er mit Hinterlassung eines Testaments gestorben, oder ob er überhaupt todt sei, weil sich nachher das Gerücht [, dass er sich noch am Leben befinde,] verbreitet hatte. Denselben Fall kann man umgekehrt verstehen, so dass Jemand, der Anfangs keine Kenntniss gehabt, sie nachher erlangt hat. 1Dass als Tage [der Frist für die Forderung des Nachlassbesitzes [nur] die zur Rechtsverfolgung dienlichen gerechnet werden, ist klar, sie werden jedoch nicht nach den Sitzungen gezählt, sobald der Nachlassbesitz von der Art ist, dass er überall und auf der Stelle gefordert werden kann. Wie aber dann, wenn er von der Art ist, dass er eine Erörterung und Entscheidung vor dem Tribunale erheischt oder ein Decret erfordert? Dann werden die Sitzungen gezählt werden müssen, soviel nämlich derselbe hält, und wo es nicht am Prätor gelegen hat, dass er den Nachlassbesitz nicht ertheilt hat. 2Bei dem Nachlassbesitz, der vor dem Tribunal ertheilt wird, kommt die Frage zur Sprache, [wie es zu halten sei,] wenn zwar der Prätor zu Gericht gesessen, aber der geschehenen Forderung kein Gehör gegeben habe; hier kann man sagen, laufe die Frist für die Forderung des Nachlassbesitzes nicht ab, da der Präsident mit andern Geschäften, mit Militärsachen, Gefangenen, oder Erörterungen und Entscheidungen zu thun gehabt hat. 3Wenn sich der Provincialpräsident in der nächsten Stadt befand, so muss bei der Berechnung der zur Rechtsverfolgung dienlichen Zeit auch der zurückzulegende Weg berücksichtigt werden, so dass zwanzigtausend Schritt [auf einen Tag]22L. 3. D. de V. S. gerechnet werden; denn man braucht nicht darauf zu warten, dass der Provincialpräsident zu dem komme, der den Nachlassbesitz fordern will. 4Wenn eine Leibesfrucht in den Besitz gesetzt worden ist, so läuft ohne allen Zweifel die Frist für die Folgenden nicht, und zwar nicht blos nicht innerhalb des hundertsten Tages, sondern auch nicht, so lange sie geboren werden kann, denn man weiss, dass, wenn sie auch [erst dann] geboren worden ist, ihr der Nachlassbesitz vor jenen zuständig sei. 5Pomponius sagt, es komme hier nicht auf diejenige Wissenschaft an, die man von Rechtsgelehrten erwartet, sondern auf diejenige, welche jeder durch sich oder Andere erlangen kann, nämlich durch Anfrage um Rath bei Erfahrenen, wie es einem aufmerksamen Hausvater ansteht, um Rath zu fragen.

3Pau­lus li­bro qua­dra­gen­si­mo quar­to ad edic­tum. Cir­ca tem­po­ra bo­no­rum pos­ses­sio­nis pa­tris scien­tia igno­ran­ti fi­lio non no­cet.

3Paul. lib. XLIV. ad Ed. Die Wissenschaft des Vaters schadet rücksichtlich der Frist für die Forderung des Nachlassbesitzes dem nichtwissenden Sohne nicht.

4Iu­lia­nus li­bro vi­cen­si­mo oc­ta­vo di­ges­to­rum. Si co­he­redi tuo sub­sti­tu­tus fuis­ses et bo­no­rum pos­ses­sio­nem ac­ce­pe­ris, quan­do­que co­he­res tuus con­sti­tue­rit nol­le pe­te­re bo­no­rum pos­ses­sio­nem, ti­bi da­ta to­ta in­tel­le­gi­tur, co­he­res tuus am­plius pe­ten­dae bo­no­rum pos­ses­sio­nis fa­cul­ta­tem non ha­be­bit. 1Fi­lius non so­lum si tam­quam fi­lius, sed et si tam­quam ad­gna­tus vel tam­quam co­gna­tus ad bo­no­rum pos­ses­sio­nem vo­ca­tur, an­nuum spa­tium ha­bet: sic­uti pa­ter, qui fi­lium ma­nu­mi­sis­set, quam­vis ut ma­nu­mis­sor bo­no­rum pos­ses­sio­nem ac­ci­piat, ta­men ad bo­no­rum pos­ses­sio­nem ac­ci­pien­dam an­nuum spa­tium ha­bet.

4Julian. lib. XXVIII. Dig. Wenn du deinem Miterben substituirt worden bist, und den Nachlassbesitz erhalten hast, so wird derselbe erst von da an als dir ganz ertheilt betrachtet, wenn dein Miterbe beschlossen hat, ihn nicht fordern zu wollen, und er hat alsdann keine Befugniss weiter, den Nachlassbesitz zu fordern. 1Der Sohn hat nicht nur dann den Zeitraum eines Jahres für sich, wenn er zum Nachlassbesitz als Sohn berufen wird, sondern auch wenn als Seitenverwandter, oder als Verwandter, gleichwie der Vater, wenn er den Sohn aus der Gewalt entlassen hat, obwohl er als Entlasser aus der Gewalt den Nachlassbesitz empfängt, dennoch zu dessen Empfang eine Jahresfrist hat.

5Mar­cel­lus li­bro no­no di­ges­to­rum. Cum fi­lio fa­mi­lias bo­no­rum pos­ses­sio de­la­ta est, dies, qui­bus cer­tio­ra­re pa­trem non pot­est, ut vel iu­beat ad­gnos­ci bo­no­rum pos­ses­sio­nem vel ra­tam ha­beat agni­tio­nem bo­no­rum pos­ses­sio­nis, non ce­dunt. fin­ga­mus sta­tim pri­mo die, quo fue­rit de­la­ta, ad­gno­vis­se eum bo­no­rum pos­ses­sio­nem, cer­tio­ra­re pa­trem, ut com­pro­bet, non pos­se, non ce­dent dies cen­tum: in­ci­pient au­tem ce­de­re, cum cer­tior fie­ri po­tuit. prae­teritis au­tem cen­tum die­bus frus­tra ra­tum ha­be­bit. 1Quae­ri pot­est, si, cum pos­set fi­lius pe­te­re bo­no­rum pos­ses­sio­nem, pa­tre ita ab­sen­te, ut cer­tio­ra­re eum non pos­sit, vel et­iam fu­ren­te, pe­te­re neg­le­xe­rit, an pe­ti am­plius non pos­sit. sed quid no­ceat non pe­ti­tam bo­no­rum pos­ses­sio­nem, quae, si pe­ti­ta es­set, ta­men non an­te ad­quire­re­tur, quam pa­ter com­pro­bas­set? 2Si ser­vus alie­nus he­res in­sti­tu­tus venis­set, quae­ri­tur, an pos­te­rio­ri do­mi­no dies bo­no­rum pos­ses­sio­nis pe­ten­dae im­pu­ta­ri opor­te­ret. et pla­cet, quan­tum prio­ri do­mi­no su­per­fue­rit, ei im­pu­ta­ri.

5Marcell. lib. IX. Dig. Wenn einem Haussohn der Nachlassbesitz angefallen ist, so laufen ihm diejenigen Tage, an denen er den Vater davon nicht in Kenntniss setzen kann, so dass er ihm entweder dessen Annahme heisse, oder den geschehenen Empfang des Nachlassbesitzes genehmige, [von der Frist] nicht ab. Man denke sich den Fall: er hat gleich am ersten Tage [des Fristlaufs], wo ihm der Nachlassbesitz angefallen, denselben empfangen, den Vater aber von dessen Annahme, damit er sie genehmigen möge, nicht unterrichten können; hier werden die hundert Tage nicht ablaufen, sie fangen aber an zu laufen, sobald er davon hat in Kenntniss gesetzt werden können; sind [dann] aber die hundert Tage verstrichen, so wird er die Genehmigung vergebens ertheilen. 1Man kaun die Frage aufwerfen, ob der Sohn, der den Nachlassbesitz fordern konnte, dies aber, während sein Vater abwesend war, so dass er ihn nicht davon benachrichtigen konnte, oder im Wahnsinn befangen war, zu thun vernachlässigt habe, ihn noch fordern könne? Doch, was soll ihm daraus, dass er den Nachlassbesitz nicht gefordert, für ein Nachtheil entstehen, da er denselben, wenn er ihn auch gefordert hätte, dennoch nicht erwerben würde, bevor es der Vater genehmigt hätte? 2Wenn ein zum Erben eingesetzter fremder Sclav verkauft worden ist, so fragt es sich, ob die Frist für den Nachlassbesitz dem zweiten Herrn angerechnet werden müsse? Man hat sich dahin entschieden, dass, soviel dem frühern Herrn noch übrig gewesen, dem zweiten angerechnet werde.