Si usus fructus petetur vel ad alium pertinere negetur
(Von der Klage wegen Niessbrauchs und dessen Verweigerung.)
1Ulp. lib. XVIII. ad Sabin. Wenn ein Niessbrauchsgrundstück ein Dienstbarkeitsrecht hat, so tritt Marcell im achten Buche zum Julian der Meinung Labeo’s und Nerva’s bei, welche dahin geht, dass [der Niessbraucher] zwar nicht Klage auf die Dienstbarbeit selbst erheben könne, wohl aber auf den Niessbrauch, und in Folge dessen hafte ihm der Nachbar, wenn er ihm nicht zu gehen und zu treiben gestatten will, wie wenn er ihm im Niessbrauch hinderlich sei. 1Der vermachte Niessbrauch bedarf einer Unterstützung [von Umständen], ohne welche man denselben nicht ausüben kann; wenn daher auch der Niessbrauch vermacht worden ist, so ist doch [z. B.] nothwendig, dass der Zugang zu ihm gehörig bleibe: und dies geht soweit, dass wenn Jemand den Niessbrauch an einem Stück Grund und Boden mit dem Zusatz vermacht, der Erbe solle nicht gezwungen werden, einen Weg dahin zuzugestehen, der Zusatz als ungültig angesehen wird. Ebenso ist es ungültig, wenn der Niessbrauch daran vermacht worden und der [dahinführende] Weg davon genommen worden ist, weil er immer dem Niessbrauch folgt. 2Wenn aber ein Niessbrauch [an einem Orte] vermacht worden ist, zu dem kein Zugang über das Erbschaftsgrundstück führt, so kann der Niessbraucher dennoch es mittelst der Klages aus dem Testament erlangen, dass ihm der Niessbrauch mit einem Zugang gewährt werde. 3Ob nun der Niessbraucher, wenn ihm der Niessbrauch vermacht worden, nur ein Recht auf einen Zugang und Fussweg, oder auch auf den Fahrweg habe, darüber erhebt Pomponius im fünften Buche Zweifel; er glaubt aber ganz richtig, dass ihm [der eine wie der andere] gewährt werden müsse, je nachdem es der Gewinn des Niessbrauchs erfordere. 4Muss ihm aber der Erbe auch andere Vortheile und Dienstbarkeiten einräumen, z. B. in Betreff von Fenstern und Wasser, oder nicht? Nach meiner Ansicht kann derselbe nur zur Gestattung derjenigen genöthigt werden, ohne welche jener durchaus den Gebrauch nicht ausüben kann, nicht aber, wenn derselbe nur etwas unbequemer ist.
2Pompon. lib. V. ad Sabin. Wenn gegen einen Erben auf den Niessbrauch eines Landguts Klage aus dem Testament erhoben wird, der Bäume umgehauen, oder ein Gebäude eingerissen, oder sonst auf irgend eine Weise den Niessbrauch beeinträchtigt hat, mag durch Auflage von Dienstbarkeiten, oder durch Befreiung der nachbarlichen Grundstücke von solchen, so ist es Pflicht des Richters, darauf zu achten, wie das Landgut vor der Einlassung auf die Klage war, damit dem Niessbraucher zu dem, um wieviel er betheiligt ist, verholfen werde.
3Julian. lib. VII. Dig. Wer den ihm auf den Grund eines Fideicommisses übergebenen Niessbrauch einen so langen Zeitraum hindurch nicht benutzt, wo er, wenn derselbe gesetzmässig sein eigen gewesen wäre, ihn verloren haben würde, der kann keine Klage auf dessen Ersatz haben. Denn es wäre widersinnig, dass diejenigen mehr Recht haben sollen, welche blos den Besitz des Niessbrauchs und nicht auch das Eigenthum erlangt haben.
4Idem lib. XXXV. Dig. Dem Titius ist ein Grundstück mit Abzug des Niessbrauchs vermacht worden, der Niessbrauch daran aber dem Sempronius unter einer Bedingung; hier habe ich mich dahin ausgesprochen, dass der Niessbrauch einstweilen bei der Eigenheit bleibe, wenn schon man allgemein annimmt, dass, wenn ein Landgut mit Abzug des Niessbrauchs vermacht wird, derselbe dem Erben zukomme, weil der Erblasser, wenn er ein Landgut mit Abzug des Niessbrauchs und einem Andern den Niessbrauch unter einer Bedingung vermacht, nicht beabsichtigt, dass derselbe dem Erben verbleiben solle.
5Ulp. lib. XVII. ad Ed. Ein Recht des Gebrauchs und der Benutzung zu haben, kann nur derjenige behaupten, wer den Niessbrauch hat; der Eigenthümer des Grundstücks kann es nicht, weil wer die Eigenheit hat, kein besonderes Niessbrauchsrecht hat. Denn er kann an seinem eigenen Landgute keine Dienstbarkeit haben, und es kann nur ein Jeder über sein eigenes Recht, nicht über das eines Dritten klagen. Wenn gleich nämlich dem Eigenthümer gegen den Niessbraucher11D. h. derjenige, welcher den Niessbrauch zu haben behauptet. die Negatorienklage22Negativa (toria) mit einem Worte zu übersetzen, dürfte, ohne dem Begriff zu nahe zu treten, nicht möglich sein. zusteht, so scheint er doch vielmehr wegen eines eigenen Rechts zu klagen, als wegen eines fremden, indem er behauptet, dass der Niessbraucher gegen seinen Willen kein Recht des Gebrauches habe, oder ihm ein Recht des Verbots zustehe. Sollte der Kläger nicht Eigenthümer der Eigenheit sein, wiewohl der Niessbraucher auch das Recht des Gebrauches nicht hat, so wird jener doch nach dem Rechtsgrundsatz obsiegen, wornach die Besitzer im Vortheil sind, wenn gleich sie kein Recht haben. 1Ob aber dem Niessbraucher nur gegen den Eigenthümer eine dingliche Klage zustehe, oder auch gegen jeden Besitzer, das ist die Frage. Julian schreibt im siebenten Buche der Digesten, dass ihm diese Klage gegen jeden Besitzer zukomme; denn auch wenn ein Niessbrauchs-Landgut ein Recht auf eine Dienstbarkeit hat, so kann der Niessbraucher zwar nicht Klage auf die Dienstbarkeit, wohl aber auf den Niessbrauch gegen den Eigenthümer des Nachbargrundstücks erheben. 2Wenn der Niessbrauch an einem Theile eines Landguts bestellt wird, so kann wegen desselben eine dingliche Klage angestellt werden, man mag den Niessbrauch selbst fordern, oder ihn einem Andern verweigern. 3Dass bei diesen wegen des Niessbrauchs stattfindenden Klagen, auch die Früchte in Betracht kommen, ist mehr als klar. 4Wenn sich der Niessbrauch nach Einleitung eines darüber erhobenen Rechtsstreits endigt, hört da eine weitere Verpflichtung zu den Nutzungen auf? Ich glaube ja; denn auch wenn der Niessbraucher gestorben ist, darf seinem Erben, wie Pomponius im 40. Buche schreibt, nur die Klage auf die bereits der Vergangenheit angehörigen Nutzungen ertheilt werden. 4aDem obsiegenden Niessbraucher muss aller Zubehör [mit] herausgegeben werden; ist daher der Niessbrauch an einem Sclaven vermacht worden, so muss der Besitzer Alles, was derselbe aus dem Vermögen des Niessbrauchers, oder durch seine Arbeit erworben hat, herausgeben. 5Aber auch wenn der Niessbrauch etwa durch Zeitablauf verloren gegangen ist, und ein Anderer, als der wirkliche Besitzer, sich muthwillig auf den Process eingelassen hat, so genügt es nicht, dass dieser den Niessbrauch [wenn er besiegt worden], wieder herstelle, sondern er muss auch für dessen Entwährung Bürgschaft bestellen. Denn wie, wenn der Besitzer den Sclaven, oder das Landgut verpfändet hat, und der [obsiegende Niessbraucher] von dem, welchem das Pfand bestellt worden ist, an der Ausübung seines Rechts behindert wird? Darum muss ihm Sicherheit bestellt werden. 6Sowie dem Niessbraucher, wenn er die Confessorienklage erhebt, die [ihm entzogenen] Nutzungen gewährt werden müssen, so muss dies auch an den Eigenheitsherrn, wenn er die Negatorienklage erhoben, geschehen. [Dies findet] jedoch nur allemal dann [Statt], wenn der Kläger nicht Besitzer ist, denn [jene Klagen] stehen auch dem Besitzer zu; befindet er sich im Besitz, so kann er Namens der Früchte nichts verlangen. Es kann mithin nur Pflicht des Richters sein, dem Niessbraucher die ungestörte Freiheit der Benutzung zu verschaffen, und den Eigenheitsherrn nicht beunruhigen zu lassen.