Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Siebentes Buch übersetzt von Sintenis
Dig. VII6,
Si usus fructus petetur vel ad alium pertinere negetur
Liber septimus
VI.

Si usus fructus petetur vel ad alium pertinere negetur

(Von der Klage wegen Niessbrauchs und dessen Verweigerung.)

1Ul­pia­nus li­bro oc­ta­vo de­ci­mo ad Sa­binum. Si fun­do fruc­tua­rio ser­vi­tus de­bea­tur, Mar­cel­lus li­bro oc­ta­vo apud Iu­lia­num La­beo­nis et Ner­vae sen­ten­tiam pro­bat ex­is­ti­man­tium ser­vi­tu­tem qui­dem eum vin­di­ca­re non pos­se, ve­rum usum fruc­tum vin­di­ca­tu­rum ac per hoc vi­ci­num, si non pa­tia­tur eum ire et age­re, te­ne­ri ei, qua­si non pa­tia­tur uti frui. 1Usus fruc­tus le­ga­tus ad­mi­ni­cu­lis eget, si­ne qui­bus uti frui quis non pot­est: et id­eo si usus fruc­tus le­ge­tur, ne­ces­se est ta­men ut se­qua­tur eum ad­itus, us­que ad­eo, ut, si quis usum fruc­tum lo­ci le­get ita, ne he­res co­ga­tur viam prae­sta­re, in­uti­li­ter hoc ad­iec­tum vi­dea­tur: item si usu fruc­tu le­ga­to iter ad­emp­tum sit, in­uti­lis est ad­emp­tio, quia sem­per se­qui­tur usum fruc­tum. 2Sed si usus fruc­tus sit le­ga­tus, ad quem ad­itus non est per he­redi­ta­rium fun­dum, ex tes­ta­men­to uti­que agen­do fruc­tua­rius con­se­que­tur, ut cum ad­itu si­bi prae­ste­tur usus fruc­tus. 3Utrum au­tem ad­itus tan­tum et iter an ve­ro et via de­bea­tur fruc­tua­rio le­ga­to ei usu fruc­tu, Pom­po­nius li­bro quin­to du­bi­tat: et rec­te pu­tat, pro­ut usus fruc­tus per­cep­tio de­si­de­rat, hoc ei prae­stan­dum. 4Sed an et alias uti­li­ta­tes et ser­vi­tu­tes ei he­res prae­sta­re de­beat, pu­ta lu­mi­num et aqua­rum, an ve­ro non? et pu­to eas so­las prae­sta­re com­pel­len­dum, si­ne qui­bus om­ni­no uti non pot­est: sed si cum ali­quo in­com­mo­do uta­tur, non es­se prae­stan­das.

1Ulp. lib. XVIII. ad Sabin. Wenn ein Niessbrauchsgrundstück ein Dienstbarkeitsrecht hat, so tritt Marcell im achten Buche zum Julian der Meinung Labeo’s und Nerva’s bei, welche dahin geht, dass [der Niessbraucher] zwar nicht Klage auf die Dienstbarbeit selbst erheben könne, wohl aber auf den Niessbrauch, und in Folge dessen hafte ihm der Nachbar, wenn er ihm nicht zu gehen und zu treiben gestatten will, wie wenn er ihm im Niessbrauch hinderlich sei. 1Der vermachte Niessbrauch bedarf einer Unterstützung [von Umständen], ohne welche man denselben nicht ausüben kann; wenn daher auch der Niessbrauch vermacht worden ist, so ist doch [z. B.] nothwendig, dass der Zugang zu ihm gehörig bleibe: und dies geht soweit, dass wenn Jemand den Niessbrauch an einem Stück Grund und Boden mit dem Zusatz vermacht, der Erbe solle nicht gezwungen werden, einen Weg dahin zuzugestehen, der Zusatz als ungültig angesehen wird. Ebenso ist es ungültig, wenn der Niessbrauch daran vermacht worden und der [dahinführende] Weg davon genommen worden ist, weil er immer dem Niessbrauch folgt. 2Wenn aber ein Niessbrauch [an einem Orte] vermacht worden ist, zu dem kein Zugang über das Erbschaftsgrundstück führt, so kann der Niessbraucher dennoch es mittelst der Klages aus dem Testament erlangen, dass ihm der Niessbrauch mit einem Zugang gewährt werde. 3Ob nun der Niessbraucher, wenn ihm der Niessbrauch vermacht worden, nur ein Recht auf einen Zugang und Fussweg, oder auch auf den Fahrweg habe, darüber erhebt Pomponius im fünften Buche Zweifel; er glaubt aber ganz richtig, dass ihm [der eine wie der andere] gewährt werden müsse, je nachdem es der Gewinn des Niessbrauchs erfordere. 4Muss ihm aber der Erbe auch andere Vortheile und Dienstbarkeiten einräumen, z. B. in Betreff von Fenstern und Wasser, oder nicht? Nach meiner Ansicht kann derselbe nur zur Gestattung derjenigen genöthigt werden, ohne welche jener durchaus den Gebrauch nicht ausüben kann, nicht aber, wenn derselbe nur etwas unbequemer ist.

2Pom­po­nius li­bro quin­to ad Sa­binum. Si ab he­rede ex tes­ta­men­to fun­di usus fruc­tus pe­ti­tus sit, qui ar­bo­res de­ie­cis­set aut ae­di­fi­cium de­mo­li­tus es­set aut ali­quo mo­do de­te­rio­rem usum fruc­tum fe­cis­set aut ser­vi­tu­tes im­po­nen­do aut vi­ci­no­rum prae­dia li­be­ran­do, ad iu­di­cis re­li­gio­nem per­ti­net, ut in­spi­ciat, qua­lis an­te iu­di­cium ac­cep­tum fun­dus fue­rit, ut usu­fruc­tua­rio hoc quod in­ter­est ab eo ser­ve­tur.

2Pompon. lib. V. ad Sabin. Wenn gegen einen Erben auf den Niessbrauch eines Landguts Klage aus dem Testament erhoben wird, der Bäume umgehauen, oder ein Gebäude eingerissen, oder sonst auf irgend eine Weise den Niessbrauch beeinträchtigt hat, mag durch Auflage von Dienstbarkeiten, oder durch Befreiung der nachbarlichen Grundstücke von solchen, so ist es Pflicht des Richters, darauf zu achten, wie das Landgut vor der Einlassung auf die Klage war, damit dem Niessbraucher zu dem, um wieviel er betheiligt ist, verholfen werde.

3Iu­lia­nus li­bro sep­ti­mo di­ges­to­rum. Qui usum fruc­tum tra­di­tum si­bi ex cau­sa fi­dei­com­mis­si de­siit in usu ha­be­re tan­to tem­po­re, quan­to, si le­gi­ti­me eius fac­tus es­set, amis­su­rus eum fue­rit, ac­tio­nem ad re­sti­tuen­dum eum ha­be­re non de­bet: est enim ab­sur­dum plus iu­ris ha­be­re eos, qui pos­ses­sio­nem dum­ta­xat usus fruc­tus, non et­iam do­mi­nium ad­ep­ti sint.

3Julian. lib. VII. Dig. Wer den ihm auf den Grund eines Fideicommisses übergebenen Niessbrauch einen so langen Zeitraum hindurch nicht benutzt, wo er, wenn derselbe gesetzmässig sein eigen gewesen wäre, ihn verloren haben würde, der kann keine Klage auf dessen Ersatz haben. Denn es wäre widersinnig, dass diejenigen mehr Recht haben sollen, welche blos den Besitz des Niessbrauchs und nicht auch das Eigenthum erlangt haben.

4Idem li­bro tri­gen­si­mo quin­to di­ges­to­rum. Fun­dus de­trac­to usu fruc­tu le­ga­tus est Ti­tio et eius­dem fun­di usus fruc­tus Sem­pro­nio sub con­di­cio­ne: di­xi in­ter­im cum pro­prie­ta­te usum fruc­tum es­se, li­cet pla­ceat, cum de­trac­to usu fruc­tu fun­dus le­ga­tur, apud he­redem usum fruc­tum es­se: quia pa­ter fa­mi­lias cum de­trac­to usu fruc­tu fun­dum le­gat et alii usum fruc­tum sub con­di­cio­ne, non hoc agit, ut apud he­redem usus fruc­tus re­ma­neat.

4Idem lib. XXXV. Dig. Dem Titius ist ein Grundstück mit Abzug des Niessbrauchs vermacht worden, der Niessbrauch daran aber dem Sempronius unter einer Bedingung; hier habe ich mich dahin ausgesprochen, dass der Niessbrauch einstweilen bei der Eigenheit bleibe, wenn schon man allgemein annimmt, dass, wenn ein Landgut mit Abzug des Niessbrauchs vermacht wird, derselbe dem Erben zukomme, weil der Erblasser, wenn er ein Landgut mit Abzug des Niessbrauchs und einem Andern den Niessbrauch unter einer Bedingung vermacht, nicht beabsichtigt, dass derselbe dem Erben verbleiben solle.

5Ul­pia­nus li­bro sep­ti­mo de­ci­mo ad edic­tum. Uti frui ius si­bi es­se so­lus pot­est in­ten­de­re, qui ha­bet usum fruc­tum, do­mi­nus au­tem fun­di non pot­est, quia qui ha­bet pro­prie­ta­tem, uten­di fruen­di ius se­pa­ra­tum non ha­bet: nec enim pot­est ei suus fun­dus ser­vi­re: de suo enim, non de alie­no iu­re quem­que age­re opor­tet. quam­quam enim ac­tio ne­ga­ti­va do­mi­no com­pe­tat ad­ver­sus fruc­tua­rium, ma­gis ta­men de suo iu­re age­re vi­de­tur quam alie­no, cum in­vi­to se ne­gat ius es­se uten­di fruc­tua­rio vel si­bi ius es­se pro­hi­ben­di. quod si for­te qui agit do­mi­nus pro­prie­ta­tis non sit, quam­vis fruc­tua­rius ius uten­di non ha­bet, vin­cet ta­men iu­re, quo pos­ses­so­res sunt po­tio­res, li­cet nul­lum ius ha­beant. 1Utrum au­tem ad­ver­sus do­mi­num dum­ta­xat in rem ac­tio usu­fruc­tua­rio com­pe­tat an et­iam ad­ver­sus quem­vis pos­ses­so­rem, quae­ri­tur. et Iu­lia­nus li­bro sep­ti­mo di­ges­to­rum scri­bit hanc ac­tio­nem ad­ver­sus quem­vis pos­ses­so­rem ei com­pe­te­re: nam et si fun­do fruc­tua­rio ser­vi­tus de­bea­tur, fruc­tua­rius non ser­vi­tu­tem, sed usum fruc­tum vin­di­ca­re de­bet ad­ver­sus vi­ci­ni fun­di do­mi­num. 2Si par­tis fun­di usus fruc­tus con­sti­tua­tur, pot­est de eo in rem agi, si­ve vin­di­cet quis usum fruc­tum si­ve alii ne­get. 3In his au­tem ac­tio­ni­bus, quae de usu fruc­tu agun­tur, et­iam fruc­tus venire plus quam ma­ni­fes­tum est. 4Si post li­tem de usu fruc­tu con­tes­ta­tam fue­rit fi­ni­tus usus fruc­tus, an ul­te­rius fruc­tus de­si­nant de­be­ri? et pu­to de­si­ne­re: nam et si mor­tuus fue­rit fruc­tua­rius, he­redi eius ac­tio­nem prae­ter­ito­rum dum­ta­xat fruc­tuum dan­dam Pom­po­nius li­bro qua­dra­gen­si­mo scri­bit. 4aFruc­tua­rio qui vi­cit om­nis cau­sa re­sti­tuen­da est: et id­eo si ser­vi fue­rit usus fruc­tus le­ga­tus, quid­quid ex re fruc­tua­rii vel ex ope­ris suis con­se­cu­tus est, pos­ses­sor de­be­bit re­sti­tue­re. 5Sed et si for­te tem­po­re usus fruc­tus amis­sus est alio qui­dem pos­si­den­te, alio au­tem li­ti se of­fe­ren­te, non suf­fi­cit eum usum fruc­tum ite­rum re­no­va­re, ve­rum ca­ve­re quo­que eum de evic­tio­ne usus fruc­tus opor­tet: quid enim si ser­vum aut fun­dum is qui pos­si­de­bat pig­no­ri de­dit is­que ab eo qui pig­no­ri ac­ce­pit iu­re uti pro­hi­be­tur? de­be­bit ita­que ha­be­re cau­tum. 6Sic­ut fruc­tua­rio in rem con­fes­so­riam agen­ti fruc­tus prae­stan­di sunt, ita et pro­prie­ta­tis do­mi­no, si ne­ga­to­ria ac­tio­ne uta­tur: sed in om­ni­bus ita de­mum, si non sit pos­ses­sor qui agat (nam et pos­ses­so­ri com­pe­tunt): quod si pos­si­dent, ni­hil fruc­tuum no­mi­ne con­se­quen­tur. quid er­go of­fi­cium erit iu­di­cis quam hoc, ut se­cu­rus con­se­qua­tur fruc­tua­rius fruen­di li­cen­tiam, pro­prie­ta­tis do­mi­nus, ne in­quie­te­tur?

5Ulp. lib. XVII. ad Ed. Ein Recht des Gebrauchs und der Benutzung zu haben, kann nur derjenige behaupten, wer den Niessbrauch hat; der Eigenthümer des Grundstücks kann es nicht, weil wer die Eigenheit hat, kein besonderes Niessbrauchsrecht hat. Denn er kann an seinem eigenen Landgute keine Dienstbarkeit haben, und es kann nur ein Jeder über sein eigenes Recht, nicht über das eines Dritten klagen. Wenn gleich nämlich dem Eigenthümer gegen den Niessbraucher11D. h. derjenige, welcher den Niessbrauch zu haben behauptet. die Negatorienklage22Negativa (toria) mit einem Worte zu übersetzen, dürfte, ohne dem Begriff zu nahe zu treten, nicht möglich sein. zusteht, so scheint er doch vielmehr wegen eines eigenen Rechts zu klagen, als wegen eines fremden, indem er behauptet, dass der Niessbraucher gegen seinen Willen kein Recht des Gebrauches habe, oder ihm ein Recht des Verbots zustehe. Sollte der Kläger nicht Eigenthümer der Eigenheit sein, wiewohl der Niessbraucher auch das Recht des Gebrauches nicht hat, so wird jener doch nach dem Rechtsgrundsatz obsiegen, wornach die Besitzer im Vortheil sind, wenn gleich sie kein Recht haben. 1Ob aber dem Niessbraucher nur gegen den Eigenthümer eine dingliche Klage zustehe, oder auch gegen jeden Besitzer, das ist die Frage. Julian schreibt im siebenten Buche der Digesten, dass ihm diese Klage gegen jeden Besitzer zukomme; denn auch wenn ein Niessbrauchs-Landgut ein Recht auf eine Dienstbarkeit hat, so kann der Niessbraucher zwar nicht Klage auf die Dienstbarkeit, wohl aber auf den Niessbrauch gegen den Eigenthümer des Nachbargrundstücks erheben. 2Wenn der Niessbrauch an einem Theile eines Landguts bestellt wird, so kann wegen desselben eine dingliche Klage angestellt werden, man mag den Niessbrauch selbst fordern, oder ihn einem Andern verweigern. 3Dass bei diesen wegen des Niessbrauchs stattfindenden Klagen, auch die Früchte in Betracht kommen, ist mehr als klar. 4Wenn sich der Niessbrauch nach Einleitung eines darüber erhobenen Rechtsstreits endigt, hört da eine weitere Verpflichtung zu den Nutzungen auf? Ich glaube ja; denn auch wenn der Niessbraucher gestorben ist, darf seinem Erben, wie Pomponius im 40. Buche schreibt, nur die Klage auf die bereits der Vergangenheit angehörigen Nutzungen ertheilt werden. 4aDem obsiegenden Niessbraucher muss aller Zubehör [mit] herausgegeben werden; ist daher der Niessbrauch an einem Sclaven vermacht worden, so muss der Besitzer Alles, was derselbe aus dem Vermögen des Niessbrauchers, oder durch seine Arbeit erworben hat, herausgeben. 5Aber auch wenn der Niessbrauch etwa durch Zeitablauf verloren gegangen ist, und ein Anderer, als der wirkliche Besitzer, sich muthwillig auf den Process eingelassen hat, so genügt es nicht, dass dieser den Niessbrauch [wenn er besiegt worden], wieder herstelle, sondern er muss auch für dessen Entwährung Bürgschaft bestellen. Denn wie, wenn der Besitzer den Sclaven, oder das Landgut verpfändet hat, und der [obsiegende Niessbraucher] von dem, welchem das Pfand bestellt worden ist, an der Ausübung seines Rechts behindert wird? Darum muss ihm Sicherheit bestellt werden. 6Sowie dem Niessbraucher, wenn er die Confessorienklage erhebt, die [ihm entzogenen] Nutzungen gewährt werden müssen, so muss dies auch an den Eigenheitsherrn, wenn er die Negatorienklage erhoben, geschehen. [Dies findet] jedoch nur allemal dann [Statt], wenn der Kläger nicht Besitzer ist, denn [jene Klagen] stehen auch dem Besitzer zu; befindet er sich im Besitz, so kann er Namens der Früchte nichts verlangen. Es kann mithin nur Pflicht des Richters sein, dem Niessbraucher die ungestörte Freiheit der Benutzung zu verschaffen, und den Eigenheitsherrn nicht beunruhigen zu lassen.

6Pau­lus li­bro vi­cen­si­mo pri­mo ad edic­tum. Qui de usu fruc­tu iu­di­cium ac­ce­pit, si de­sie­rit pos­si­de­re si­ne do­lo, ab­sol­ve­tur: quod si li­ti se ob­tu­lit et qua­si pos­ses­sor ac­tio­nem de usu fruc­tu ac­ce­pit, dam­na­bi­tur.

6Paul. lib. XXI. ad Ed. Wenn Jemand, der wegen Niessbrauchs beklagt worden ist, den Besitz ohne böse Absicht verloren hat, so wird er freigesprochen; hat er sich muthwillig auf den Streit eingelassen, und gleichsam als Besitzer eine Klage wegen Niessbrauchs angenommen, so wird er verurtheilt.