De capite minutis
(Von denen, welche eine Schmälerung des bürgerlichen Zustandes erlitten haben.)
1Gaj. lib. IV. ad Ed. prov. Capitis deminutio ist eine Veränderung des bürgerlichen Zustandes.
2Ulp. lib. XII. ad Ed. Es bezieht sich dieses Edict auf diejenigen Schmälerungen des bürgerlichen Zustandes, welche unbeschadet des Bürgerrechts eintreten; es mag übrigens die Schmälerung des bürgerlichen Zustandes in dem Verluste des Bürgerrechts oder in dem Verluste des Rechts der Freiheit sich äussern, so wird dieses Edict nicht in Anwendung kommen, und es können solche [denen dies widerfahren] gar nicht belangt werden; es wird jedoch eine Klage gegen diejenigen, an welche das Vermögen derselben gekommen ist, gestattet werden. 1Es sagt der Prätor: Wenn von männlichen oder weiblichen Personen11Im Deutschen ist hier wegen der in einem solchen Zusammenhange unübersetzbaren Pronomina qui quaeve eine Umschreibung nicht zu vermeiden, und deshalb mag der lateinische Text folgen: Qui quaeve, posteaquam quid cum his actum contractumve sit, capite deminuti deminutae [was auch im Deutschen sich nicht wörtlich wiedergeben lässt] esse dicentur, in eos easve perinde quasi id factum non sit, judicium dabo., nachdem mit ihnen etwas verhandelt oder contrahirt worden ist, ausgesagt werden wird, dass sie eine Schmälerung des bürgerlichen Zustandes erlitten haben22Es ist aber hier nur der geringste Grad der Schmälerung, oder die sogenannte capitis deminutio minima zu verstehen., so werde ich gegen solche männliche und weibliche Personen eben so, als ob ihnen dies nicht widerfahren sei, eine Klage bewilligen. 2Diejenigen, welche eine Schmälerung ihres bürgerlichen Zustandes erfahren, bleiben aus solchen Angelegenheiten, welche der Schmälerung des bürgerlichen Zustandes vorangingen, in natürlicher Verpflichtung (obligati naturaliter); übrigens wenn später [für Andere aus einem Contracte mit solchen Personen Nachtheil entstehen sollte], so wird sich Jeder selbst die Schuld davon zuschreiben müssen, dass er contrahirt hat, was nämlich die Worte dieses Edicts anlangt. Allein bisweilen ist doch, wenn etwa mit ihnen nach eingetretener Schmälerung des bürgerlichen Zustandes contrahirt wird, eine Klage gegen sie zu bewilligen. Und zwar [wenn die Schmälerung] durch Adrogation entstanden ist, so findet gar kein Bedenken Statt; denn [der Adrogirte] wird eben so verpflichtet bleiben, wie ein Haussohn33Anton Faber ist der Meinung, dass die ganze Stelle von caeterum si postea an vom Tribonianus herrühre.. 3Niemand wird, wenn er auch Schmälerung des bürgerlichen Zustandes erleidet, dadurch seiner Verbrechen entledigt. 4Demjenigen, welcher seinen Schuldner adrogirt hat, wird keineswegs gegen diesen, nachdem derselbe wieder selbstständig geworden ist, das Klagrecht zurückgegeben. 5Diese Klage44Die Restitutionsklage nämlich aus dem prätorischen Edicte (cf. oben im Texte §. 1.) gegen den, welchem Capitis Deminution widerfahren ist. ist unverjährbar und wird sowohl gegen die Erben des Beklagten als den Erben des Klägers bewilligt.
3Paul. lib. XI. ad Ed. Es gilt die Meinung, dass Kinder, die ihrem adrogirten Vater folgen, auch eine Schmälerung des bürgerlichen Zustandes erfahren, da sie unter fremder Gewalt sich befinden und die Familie verändert haben. 1Einem aus väterlicher Gewalt entlassenen Sohne und andern [emancipirten] Personen55Namentlich Töchtern und Enkeln. widerfährt offenbar eine Schmälerung des bürgerlichen Zustandes, da Niemand auf andere Weise aus der väterlichen Gewalt entlassen werden kann, als so, dass er zum Scheine in die Sclaverei abgeführt wird. Anders verhält es sich [freilich], wenn ein Sclav freigelassen wird, weil ein Sclav (servile caput) kein Recht hat, mithin auch keine Schmälerung seines rechtlichen Zustandes erleiden kann;
5Paul. lib. XI. ad Ed. Durch Verlust des Bürgerrechts entsteht eine Schmälerung des bürgerlichen Zustandes, wie z. B. bei der Untersagung [des Gebrauchs] von Wasser und Feuer (ut in aqua et igni interdictione). 1Diejenigen, welche abtrünnig werden (deficiunt), erleiden eine Schmälerung des bürgerlichen Zustandes; es wird aber der Ausdruck deficere auf solche bezogen, welche von denjenigen, unter deren Botmässigkeit sie stehen, abfallen und zur Zahl der Feinde sich begeben; aber auch auf solche, welche der Senat für Feinde [des Staats] erklärt hat, oder die durch ein ausdrückliches Staatsgesetz [dafür erklärt worden sind], und zwar in soweit, dass sie das Bürgerrecht verlieren. 2Jetzt ist in Erwägung zu ziehen, was durch die Schmälerung des bürgerlichen Zustandes verloren gehe; und was nun zuerst diejenige Schmälerung anlangt, welche unbeschadet des Bürgerrechts sich ereignet, so ist es bekannt, dass durch sie öffentliche Rechte nicht aufgehoben werden; denn dass der [welchen sie betroffen hat] Magistratsperson oder Senator oder Richter bleibe, ist gewiss.
7Paul. lib. XI. ad Ed. Ad Dig. 4,5,7 pr.Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 437, Note 1.Die Vormundschaften hebt die Schmälerung des bürgerlichen Zustandes auch nicht auf, mit Ausnahme derjenigen, welche in Abhängigkeit befindlichen Personen angetragen werden. Also die durch Testament, durch Gesetz oder durch Senatsbeschluss gegebenen [Vormünder] werden nichts desto weniger Vormünder sein. Aber die gesetzlichen Vormundschaften nach den Zwölftafelgesetzen werden [in Folge eingetretener Schmälerung des bürgerlichen Zustandes] aus demselben Grunde ungültig, wie auch gesetzliche Erbschaften, weil sie [nämlich] den Agnaten angetragen werden, diese aber nach Veränderung der Familie nicht mehr als solche gelten. Nach den neuern Gesetzen dagegen werden sowohl die Erbschaften als die Vormundschaften meistens so angetragen, dass die Personen nach ihrer natürlichen Benennung bezeichnet werden; wie denn z. B. die Senatsbeschlüsse das Erbfolgerecht der Mutter und dem Sohne antragen. 1Die Forderungen aus Injurien und durch ein Verbrechen entstehenden Klagen haften an der Person (cum capite ambulant). 2Wenn wegen Verlustes der Freiheit eine Aufhebung des bürgerlichen Zustandes erfolgt sein sollte, so wird eine Wiedereinsetzung in den vorigen Zustand gegen den [auf diese Weise entstandenen] Sclaven nicht zugelassen, weil auch nicht einmal in Gemässheit der Gerichtsbarkeit des Prätors ein Sclav so verpflichtet wird, dass gegen ihn eine Klage statthaft sei. Allein gegen seinen Herrn ist eine analoge Klage (utilis actio) zu gewähren, wie Julianus schreibt; und wenn er nicht rücksichtlich des Ganzen [der Forderung] vertheidigt werden sollte, so ist mir die Zulassung in das Vermögen, welches er bisher hatte, zu gestatten. 3Desgleichen wenn das Bürgerrecht verloren gegangen ist, so tritt nicht etwa eine aus Rücksicht auf Billigkeit zu gestattende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen denjenigen ein, welcher nach dem Verluste seines Vermögens und unter Aufgebung des Bürgerrechts von allem entblösst auswandert.
8Gaj. lib. IV. ad Ed. prov. Dass diejenigen Forderungen, von welchen man einsieht, dass sie eine vernunftmässige Leistung (naturalem praestationem) zum Gegenstande haben, durch Schmälerung des bürgerlichen Zustandes nicht erlöschen, liegt am Tage, weil das bürgerliche Rechtsverhältniss vernunftgemässe Rechte nicht verfälschen kann. Aus welchem Grunde denn die auf Mitgift sich beziehende Klage, weil sie auf das Gute und Billige gerichtet ist, nicht minder auch nach der Schmälerung des bürgerlichen Zustandes fortdauert,
10Modestin. lib. VIII. Differentiar. Wenn ein Vermächtniss auf einzelne Jahre oder einzelne Monate hinterlassen oder die Wohnung vermacht wird, so erlöscht zwar ein solches Vermächtniss durch den Tod des Vermächtnissnehmers, dauert jedoch bei der Dazwischenkunft einer Schmälerung vom bürgerlichen Zustande [desselben] fort, weil ein solches Vermächtniss mehr in einer Thatsache, als in einem Rechte besteht.
11Paul. lib. XI. ad Sabin. Es gibt drei Gattungen der Schmälerung des bürgerlichen Zustandes, eine grösste, eine mittlere und eine kleinste (geringste), es gibt nämlich drei [wichtige Dinge], die wir haben, das Freiheitsrecht, das Bürgerrecht, das Familienrecht (libertatem, civitatem, familiam). Dass nun also, wenn wir alle diese drei Gegenstände verlieren, das heisst das Freiheits-, Bürger- und Familienrecht, dies die grösste Schmälerung des bürgerlichen Zustandes; dass ferner, wenn wir das Bürgerrecht verlieren, die Freiheit [aber] behalten, dies die mittlere Schmälerung des bürgerlichen Zustandes, dass [endlich], wenn das Freiheits- und das Bürgerrecht beibehalten, die Familie nur verändert ist, dies die kleinste Schmälerung des bürgerlichen Zustandes sei, ist unbestritten.