Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Drittes Buch übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. III4,
Quod cuiuscumque universitatis nomine vel contra eam agatur
Liber tertius
IV.

Quod cuiuscumque universitatis nomine vel contra eam agatur

(Wenn im Namen irgend einer Gemeinheit oder gegen eine solche geklagt werden sollte.)

1Gaius li­bro ter­tio ad edic­tum pro­vin­cia­le. Ne­que so­cie­tas ne­que col­le­gium ne­que hu­ius­mo­di cor­pus pas­sim om­ni­bus ha­be­re con­ce­di­tur: nam et le­gi­bus et se­na­tus con­sul­tis et prin­ci­pa­li­bus con­sti­tu­tio­ni­bus ea res co­er­ce­tur. pau­cis ad­mo­dum in cau­sis con­ces­sa sunt hu­ius­mo­di cor­po­ra: ut ec­ce vec­ti­ga­lium pu­bli­co­rum so­ciis per­mis­sum est cor­pus ha­be­re vel au­ri­fo­di­na­rum vel ar­gen­ti­fo­di­na­rum et sa­li­na­rum. item col­le­gia Ro­mae cer­ta sunt, quo­rum cor­pus se­na­tus con­sul­tis at­que con­sti­tu­tio­ni­bus prin­ci­pa­li­bus con­fir­ma­tum est, vel­uti pis­to­rum et quo­run­dam alio­rum, et na­vi­cu­la­rio­rum, qui et in pro­vin­ciis sunt. 1Qui­bus au­tem per­mis­sum est cor­pus ha­be­re col­le­gii so­cie­ta­tis si­ve cu­ius­que al­te­rius eo­rum no­mi­ne, pro­prium est ad ex­em­plum rei pu­bli­cae ha­be­re res com­mu­nes, ar­cam com­mu­nem et ac­to­rem si­ve syn­di­cum, per quem tam­quam in re pu­bli­ca, quod com­mu­ni­ter agi fie­ri­que opor­teat, aga­tur fiat. 2Quod si ne­mo eos de­fen­dat, quod eo­rum com­mu­ne erit pos­si­de­ri et, si ad­mo­ni­ti non ex­ci­ten­tur ad sui de­fen­sio­nem, venire se ius­su­rum pro­con­sul ait. et qui­dem non es­se ac­to­rem vel syn­di­cum tunc quo­que in­tel­le­gi­mus, cum is ab­sit aut va­le­tu­di­ne im­pe­die­tur aut in­ha­bi­lis sit ad agen­dum. 3Et si ex­tra­neus de­fen­de­re ve­lit uni­ver­si­ta­tem, per­mit­tit pro­con­sul, sic­ut in pri­va­to­rum de­fen­sio­ni­bus ob­ser­va­tur, quia eo mo­do me­lior con­di­cio uni­ver­si­ta­tis fit.

1Gaj. lib. III. ad Ed. provinc. Weder dass eine Gesellschaft, noch eine Innung (collegium), noch eine Corporation dieser Art gebildet werde (haberi), wird Allen ohne Unterschied gestattet; denn sowohl durch Gesetze, als durch Senatsbeschlüsse, und durch kaiserliche Constitutionen wird diese Sache beschränkt. In sehr wenigen Fällen sind Corporationen der Art gestattet worden, wie da z. B. (ut ecce) den Gesellschaftern [bei der Pachtung] der öffentlichen Einkünfte, oder der Goldgruben, oder der Silbergruben und der Salzwerke erlaubt ist, eine Corporation zu bilden. Ingleichen sind zu Rom gewisse Innungen, deren Corporation durch Senatsbeschlüsse und kaiserliche Constitutionen bestätigt worden ist, wie der Bäcker und einiger andern, und der Schiffsführer, die sich auch in den Provinzen befinden. 1Denen aber, welchen es gestattet ist, eine Corporation unter dem Namen einer Innung, Gesellschaft oder jedes andern [Vereins] der Art (cujusque alterius eorum) zu bilden, ist es eigenthümlich, nach dem Muster einer Stadt gemeinschaftliche Sachen, eine gemeinschaftliche Casse und einen Vertreter oder Syndicus zu haben, durch welchen, wie in einer Stadt, was gemeinschaftlich betrieben werden und geschehen muss, betrieben werde, geschehe. 2Wenn aber Niemand sie vertheidigen sollte, so sagt der Proconsul, werde das, was ihnen gemeinschaftlich angehören wird, in Besitz genommen, und wenn sie, [daran] erinnert, nicht zu ihrer Vertheidigung ermuntert würden, so werde er befehlen, dass es verkauft werde. Und zwar sehen wir es auch dann so an, als sei kein Vertreter oder Syndicus da, wenn der abwesend sein, oder durch Krankheit verhindert werden, oder untauglich zur Verhandlung sein sollte. 3Auch wenn ein Fremder eine Gemeinheit vertheidigen will, so erlaubt es der Proconsul, sowie es bei Vertheidigungen von Privatpersonen gehalten wird, weil auf diese Weise die Lage der Gemeinheit besser wird.

2Ul­pia­nus li­bro oc­ta­vo ad edic­tum. Si mu­ni­ci­pes vel ali­qua uni­ver­si­tas ad agen­dum det ac­to­rem, non erit di­cen­dum qua­si a plu­ri­bus da­tum sic ha­be­ri: hic enim pro re pu­bli­ca vel uni­ver­si­ta­te in­ter­ve­nit, non pro sin­gu­lis.

2Ulp. lib. VIII. ad Ed. Wenn Bürger eines Municipiums11Municipien waren Städte in Italien, denen das Römische Bürgerrecht geschenkt war, die jedoch ihre eigene Verfassung hatten, und nur bei freiwilliger Unterwerfung unter die Römischen Gesetze an diese gebunden waren. oder irgend eine Gemeinheit einen Vertreter zur Anstellung einer Klage bestellen sollte, so wird man nicht sagen dürfen, er werde so angesehen, gleichsam als sei er von Mehrern bestellt; denn er tritt für die Stadt oder die Gemeinheit ein, nicht für die Einzelnen.

3Idem li­bro no­no ad edic­tum. Nul­li per­mit­ti­tur no­mi­ne ci­vi­ta­tis vel cu­riae ex­per­i­ri ni­si ei, cui lex per­mit­tit, aut le­ge ces­san­te or­do de­dit, cum duae par­tes ad­es­sent aut am­plius quam duae.

3Idem lib. IX. ad Ed. Keinem wird es erlaubt, im Namen einer Stadt oder eines Stadtraths (curiae) rechtlich zu verfahren, ausser dem, dem es das Gesetz erlaubt, oder, da ein Gesetz fehlte, der Stand [der Decurionen] es verliehen hat, da zwei Theile anwesend waren, oder mehr, als zwei.

4Pau­lus li­bro no­no ad edic­tum. Pla­ne ut duae par­tes de­cu­rio­num ad­fue­rint, is quo­que quem de­cer­nent nu­me­ra­ri pot­est.

4Paul. lib. IX. ad Ed. Allerdings, damit zwei Theile der Decurionen anwesend wären, kann auch der, auf den ihr Beschluss fallen wird, [mit] gezählt werden.

5Ul­pia­nus li­bro oc­ta­vo ad edic­tum. Il­lud no­tan­dum Pom­po­nius ait, quod et pa­tris suf­fra­gium fi­lio prod­erit et fi­lii pa­tri,

5Ulp. lib. VIII. ad Ed. Das, sagt Pomponius sei zu bemerken, dass auch des Vaters Stimme dem Sohne, und [die] des Sohnes dem Vater nützen wird;

6Pau­lus li­bro no­no ad edic­tum. item eo­rum, qui in eius­dem po­tes­ta­te sunt: qua­si de­cu­rio enim hoc de­dit, non qua­si do­mes­ti­ca per­so­na. quod et in ho­no­rum pe­ti­tio­ne erit ser­van­dum, ni­si lex mu­ni­ci­pii vel per­pe­tua con­sue­tu­do pro­hi­beat. 1Si de­cu­rio­nes de­cre­ve­runt ac­tio­nem per eum mo­ven­dam quem duum­vi­ri ele­ge­rint, is vi­de­tur ab or­di­ne elec­tus et id­eo ex­per­i­ri pot­est: par­vi enim re­fert, ip­se or­do ele­ge­rit an is cui or­do neg­otium de­dit. sed si ita de­cre­ve­rint, ut quae­cum­que in­ci­dis­set con­tro­ver­sia, eius pe­ten­dae neg­otium Ti­tius ha­be­ret, ip­so iu­re id de­cre­tum nul­lius mo­men­ti es­se, quia non pos­sit vi­de­ri de ea re, quae ad­huc in con­tro­ver­sia non sit, de­cre­to da­tam per­se­cu­tio­nem. sed ho­die haec om­nia per syn­di­cos so­lent se­cun­dum lo­co­rum con­sue­tu­di­nem ex­pli­ca­ri. 2Quid si ac­tor da­tus post­ea de­cre­to de­cu­rio­num pro­hi­bi­tus sit, an ex­cep­tio ei no­ceat? et pu­to sic hoc ac­ci­pien­dum, ut ei per­mis­sa vi­dea­tur, cui et per­mis­sa du­rat. 3Ac­tor uni­ver­si­ta­tis si agat, com­pel­li­tur et­iam de­fen­de­re, non au­tem com­pel­li­tur ca­ve­re de ra­to. sed in­ter­dum si de de­cre­to du­bi­te­tur, pu­to in­ter­po­nen­dam et de ra­to cau­tio­nem. ac­tor ita­que is­te pro­cu­ra­to­ris par­ti­bus fun­gi­tur et iu­di­ca­ti ac­tio ei ex edic­to non da­tur ni­si in rem suam da­tus sit. et con­sti­tui ei pot­est. ex is­dem cau­sis mu­tan­di ac­to­ris po­tes­tas erit, ex qui­bus et­iam pro­cu­ra­to­ris. ac­tor et­iam fi­lius fa­mi­lias da­ri pot­est.

6Paul. lib. IX. ad Ed. ingleichen [die Stimmen] derer, die sich in desselben Gewalt befinden; denn er hat sie gleichsam als Decurio gegeben, nicht als Person aus [demselben] Haus. Und dies ist auch bei der Forderung eines Vermögens zu beobachten, wenn nicht ein Gesetz des Municipiums oder eine ununterbrochene Gewohnheit [davon] abhalten sollte. 1Wenn die Decurionen beschlossen haben, dass eine Klage durch den anzustellen sie, den die Duumviri22Wörtlich: Zweimänner. So hiessen die vornehmsten Magistratspersonen in den Municipien, etwa mit den Consuln in Rom vergleichbar. Vergl, Heineccii Antiquitt. R. jpdtiam. illust. syntagma adp. lib I. c. 123. erwählt haben würden, so ist der son anzusehen, als ob er vom [ganzen Decurionen-] Stand erwählt sei, und kann darum rechtliche verfahren; denn es verschlägt wenig, ob der Stand selbst erwählt hat, oder der, dem der Stand das Geschäft übergeben hat. Aber wenn sie so beschlossen haben sollten, dass, welche Streitigkeit auch immer vorkommen sollte, Titius das Geschäft haben sollte, sie zu verfolgen, so sei dieser Beschluss von Rechtswegen von keinem Gewicht, weil in Bezug auf eine solche Sache, die sich noch nicht im [Zustand] der Streitigkeit befinde, eine gerichtliche Verfolgung nicht könne durch einen Beschluss aufgetragen zu sein scheinen. Aber heutzutage pflegt dies alles durch Syndicen nach der Ortsgewohnheit zu Stande gebracht zu werden. 2Wie, wenn ein bestellter Vertreter nachher durch einen Beschluss der Decurionen [von der Vertretung] abgehalten sein sollte, ob ihm [dann wohl] eine [hierauf sich beziehende] Einrede schaden sollte? und ich glaube, das ist so zu verstehen, dass dem [die Rechtsverfolgung] erlaubt zu sein scheint, für den sie auch als erlaubt fortdauert. 3Wenn ein Vertreter einer Gemeinheit klagen sollte, so wird er auch genöthigt, [dieselbe] zu vertheidigen; nicht aber wird er genöthigt, wegen Genehmigung Sicherheit zu geben. Doch zuweilen, wenn man in Bezug auf den Beschluss ein Bedenken haben sollte, glaube ich, sei auch Sicherheit wegen Genehmigung zu bestellen. Daher versieht jener Vertreter die Stelle eines Geschäftsbesorgers, und es wird ihm die Klage wegen des Erkannte zu Folge des Edicts nicht gegeben, wenn er nicht zu seinem eigenen Besten bestellt sein sollte, und ihm die Leistung einer Verbindlichekeit nach prätorischem Recht noch besonders versprochen werden kann. Aus denselben Gründen wird die Befugniss, den Vertreter zu vertauschen, zustehen, aus denen [man] auch den Geschäftsbesorger [vertauschen kann]. Auch ein Haussohn kann zum Vertreter bestellt werden.

7Ul­pia­nus li­bro de­ci­mo ad edic­tum. Sic­ut mu­ni­ci­pum no­mi­ne ac­tio­nem prae­tor de­dit, ita et ad­ver­sus eos ius­tis­si­me edi­cen­dum pu­ta­vit. sed et le­ga­to, qui in neg­otium pu­bli­cum sump­tum fe­cit, pu­to dan­dam ac­tio­nem in mu­ni­ci­pes. 1Si quid uni­ver­si­ta­ti de­be­tur, sin­gu­lis non de­be­tur: nec quod de­bet uni­ver­si­tas sin­gu­li de­bent. 2In de­cu­rio­ni­bus vel aliis uni­ver­si­ta­ti­bus ni­hil re­fert, utrum om­nes idem ma­neant an pars ma­neat vel om­nes im­mu­ta­ti sint. sed si uni­ver­si­tas ad unum red­it, ma­gis ad­mit­ti­tur pos­se eum con­ve­ni­re et con­ve­ni­ri, cum ius om­nium in unum rec­ci­de­rit et stet no­men uni­ver­si­ta­tis.

7Ulp. lib. X. ad Ed. Sowie der Prätor im Namen der Bürger eines Municipiums eine Klage gegeben hat, so hat er auch gegen sie auf die gerechteste Weise sich im Edict aussprechen zu müssen geglaubt. Aber auch einem Legatus, der auf ein öffentliches Geschäft Kosten verwendet hat, glaube ich, ist eine Klage gegen die Bürger des Municipiums zu geben. 1Wenn etwas einer Gemeinheit geschuldet wird, so wird es nicht den Einzelnen geschuldet, auch schulden nicht die Einzelnen das, was eine Gemeinheit schuldet. 2Bei Decurionen oder andern Gemeinheiten verschlägt es nichts, ob alle dieselben bleiben, oder ein Theil bleibt, oder alle verändert sind. Aber wenn die Gemeinheit bis auf Einen herabgekommen ist, so lässt man es mehr zu, dass er belangen und belangt werden könne, weil das Recht Aller auf den Einen zurückgefallen ist und der Name einer Gemeinheit bestehen bleibt.

8Ia­vo­le­nus li­bro quin­to de­ci­mo ex Cas­sio. Ci­vi­ta­tes si per eos qui res ea­rum ad­mi­nis­trant non de­fen­dun­tur nec quic­quam est cor­po­ra­le rei pu­bli­cae quod pos­si­dea­tur, per ac­tio­nes de­bi­to­rum ci­vi­ta­tis agen­ti­bus sa­tis­fie­ri opor­tet.

8Javol. lib. XV. ex Cassio. Wenn Städte durch die, welche die Angelegenheiten derselben verwalten, nicht vertheidigt werden, auch nichts Körperliches dem Gemeinwesen gehört, was [von ihm] besessen wird, so muss durch die [Abtretung der] Klagen gegen die Schuldner der Stadt den Klägern Genüge geleistet werden.

9Pom­po­nius li­bro ter­tio de­ci­mo ad Sa­binum. Si ti­bi cum mu­ni­ci­pi­bus he­redi­tas com­mu­nis erit, fa­mi­liae er­cis­cun­dae iu­di­cium in­ter vos red­di­tur. idem­que di­cen­dum est et in fi­nium re­gun­do­rum et aquae plu­viae ar­cen­dae iu­di­cio.

9Ad Dig. 3,4,9Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 58, Note 4.Pompon. lib. XIII. ad Sabin. Wenn dir mit den Bürgern eines Municipiums eine Erbschaft gemeinschaftlich gehören wird, so wird die Erbsonderungsklage unter euch angestellt. Und dasselbe ist bei der Klage auf Grenzberichtigung und [bei der] wegen Abhaltung des Regenwassers zu sagen.

10Pau­lus li­bro pri­mo ma­nua­lium. Con­sti­tui pot­est ac­tor et­iam ad ope­ris no­vi nun­tia­tio­nem et ad sti­pu­la­tio­nes in­ter­po­nen­das, vel­uti le­ga­to­rum, dam­ni in­fec­ti, iu­di­ca­tum sol­vi, quam­vis ser­vo po­tius ci­vi­ta­tis ca­ve­ri de­beat: sed et si ac­to­ri cau­tum fue­rit, uti­lis ac­tio ad­mi­nis­tra­to­ri re­rum ci­vi­ta­tis da­bi­tur.

10Paul. lib. I. Manual. Ein Vertreter kann auch bestellt werden zur Verbietung eines neuen Werkes und um Stipulationen [Sicherheiten] einzugehen, wie wegen Legaten, wegen eines zu befürchtenden Schadens, dass das Erkannte geleistet werde, obgleich einem Sclaven der Stadt vielmehr Sicherheit gegeben werden muss; aber wenn auch dem Vertreter Sicherheit gegeben worden sein sollte, so wird eine analoge Klage dem Verwalter der Stadtangelegenheiten gegeben werden.