De postulando
(Von gerichtlichen Anträgen.)
1Ulp. lib. VI. ad Edictum. Diesen Titel hat der Prätor aufgestellt, um eine gehörige Bestimmung zu treffen, sowie um seine Würde zu behaupten und um seines Ansehens (decoris) willen, damit nicht ohne Auswahl und Unterschied [von Jedermann] bei ihm gerichtliche Anträge gemacht würden. 1Deswegen hat er drei Ordnungen gemacht: Einigen nämlich hat er ganz und gar verboten, gerichtliche Anträge zu machen, Einigen hat er erlaubt, es nur für sich zu thun; Einigen hat er es sowohl für andere, aber nur gewisse, Personen, als auch für sich erlaubt. 2Gerichtliche Anträge machen heisst aber sein rechtliches Verlangen oder das seines Clienten vor Gericht (in jure) bei dem, der der Gerichtsbarkeit vorsteht, auseinandersetzen, oder dem Verlangen eines Andern widersprechen. 3Den Anfang aber hat der Prätor mit denen gemacht, welche ganz und gar abgehalten sein sollen, gerichtliche Anträge zu machen. Und in diesem Edict hat er theils auf die Jugend, theils auf den Unglücksfall Rücksicht genommen11Excusavit. Eigentlich hat hier excusare die auch von Brissonius h. v. angeführte Bedeutung von abhalten, verhindern (prohibere), wie öfters bei den Röm. Juristen, die jenes Wort z. B. auch von denen gebrauchen, welche nicht Tutoren werden dürfen. S. Mühlenbruch Doctr. Pand. §. 226. not. 1. Doch schien die angenommene Uebersetzung in dieser Verbindung dem deutschen Sprachgebrauch am angemessensten.. Auf die Jugend, indem er einen noch nicht Siebenjährigen, der nämlich diese Jahre noch nicht ganz und gar erfüllt hat, abhält, gerichtliche Anträge zu machen, weil er dieses Alter [von 17 Jahren] für angemessen zum öffentlichen Auftreten gehalten hat; und in diesem oder einem etwas höheren Alter, sagt man, habe Nerva, der Sohn, auch bereits öffentlich Gutachten über Rechtsfragen gegeben. Wegen des Unglücksfalls hält er den Tauben, der gar nicht hört, ab, vor ihm gerichtlichen Anträge zu machen; denn man konnte es ja dem nicht erlauben, gerichtliche Anträge zu machen, der das Decret des Prätors zu hören nicht vermochte; und es konnte dies auch für ihn (den Tauben) selbst gefährlich werden, denn hätte er das Decret des Prätors nicht gehört, so würde er, gleichsam als hätte er nicht Folge geleistet, wie ein Säumiger mit einer Strafe belegt werden. 4Der Prätor sagt: Wenn sie keinen Advocaten haben werden, so werde ich einen geben. Doch pflegt der Prätor nicht blos solchen Personen diese Leutseligkeit zu erzeigen, sondern [er thut es] auch, wenn irgend ein Anderer sein sollte, der aus gewissen Ursachen, entweder wegen Bestechung (ambitio) von Seiten seines Gegners, oder wegen Furcht keinen Rechtsbeistand gefunden hat. 5Zweitens ist das Edict gegen diejenigen aufgestellt, welche für Andere gerichtliche Anträge nicht machen sollen; und in diesem Edict hat der Prätor das Geschlecht und den Unglücksfall ausgenommen, ingleichen die Personen, welche durch Anrüchigkeit kenntlich sind, mit einem Schandfleck bezeichnet (notavit). Das Geschlecht [hat er ausgenommen], indem er Frauen abhält, für Andere gerichtliche Anträge zu machen; und zwar der Grund, warum er sie abhält, [ist,] damit Frauenspersonen nicht der für ihr Geschlecht schicklichen Züchtigkeit zuwider in fremde Angelegenheiten sich mischen, damit sie nicht männliche Dienste verrichten mögen. Ursprünglich ist dies seit der Carfania, einer sehr unverschämten Frauensperson, eingeführt worden, welche dadurch, dass sie auf eine unverschämte Weise gerichtliche Anträge machte und die Obrigkeit beunruhigte, Veranlassung zu diesem Edict gab. Den Unglücksfall [hat der Prätor ausgenommen], indem der Prätor den beider Augen beraubten Blinden abweist; weil er nämlich die Ehrenzeichen der Obrigkeit nicht sehen und ihnen seine Ehrerbietung nicht bezeugen kann. Es erzählt auch Labeo, dass Publilius, ein Blinder, der Vater des Asprenas Nonius, mit dem Rücken gegen den obrigkeitlichen Sessel vom Brutus hingestellt worden sei, als er einen gerichtlichen Antrag machen wollte. Obwohl nun ein Blinder für einen Andern keinen gerichtlichen Antrag machen kann, so behält er doch sowohl den Senatorenrang, als kann auch das Richteramt bekleiden. Kann er denn also auch Staatsämter führen? Es ist zwar ein Beispiel eines solchen vorhanden, der [ein Staatsamt] geführt hat; so22Denique. Dieses Wort wird von den Römischen Juristen häufig bei Anführung eines Beispiels, beim Uebergang von der Regel zur Anwendung gebraucht, und ist dann so oder so zum Beispiel zu übersetzen. Auf diesen Sprachgebrauch hat, meines Wissens zuerst von Savigny im Recht des Besitzes, 5. Aufl. S. 50 und 69 aufmerksam gemacht. wohnte Appius Claudius der Blinde den öffentlichen Berathschlagungen bei und hat im Senat eine sehr strenge Stimme in Betreff der Gefangenen des Pyrrhus abgegeben. Doch ist es besser, wenn wir sagen, dass [ein Blinder] zwar ein schon angetretenes Staatsamt behalten könne, aber durchaus abgehalten werde, sich um ein neues zu bewerben; und das wird durch viele Beispiele bestätigt. 6Es weist aber der Prätor von gerichtlichen Anträgen für Andere auch den zurück, der seinen Körper wie einen weiblichen hat missbrauchen lassen. Wenn jedoch Jemand durch die Gewalt der Räuber oder Feinde geschändet worden ist, so darf er nicht mit einem Schandfleck bezeichnet werden, wie auch Pomponius sagt. Auch der, welcher wegen eines Capitalverbrechens verurtheilt ist, darf nicht für einen Andern gerichtliche Anträge machen. Ingleichen wird durch einen Senatsbeschluss der, welcher wegen falscher Anklage (calumnia) in einem peinlichen Process verurtheilt worden ist, auch bei den judices pedanei33Wörtlich: Fussrichter. Es scheinen diese Richter Beamte gewesen zu sein, welche Gegenstände von geringerer Wichtigkeit zu untersuchen hatten, und dem wirklichen Magistratus am Rang nachstanden. Ueber den Grund der Benennung ist man nicht einig; die gewöhnliche Erklärung ist, weil sie zu den Füssen des Magistratus sassen; wahrscheinlicher ist die, weil sie kein Tribunal zu Sitzen hatten, wie die Magistratus. Vgl. Zimmern in der Gesch. d. Röm. Privatrechts. 3. Bd. §. 18. gerichtliche Anträge zu machen abgehalten. Auch wer seine Dienste dazu vermiethet haben sollte, um mit Bestien zu kämpfen. [Den Ausdruck] Bestien müssen wir aber mehr nach Maassgabe der Wildheit, als nach der Thiergattung verstehen; denn wenn es nun ein Löwe, der aber zahm ist, oder eine andere mit Zähnen versehene Bestie sein sollte, die zahm ist? Also nur der welcher [seine Dienste dazu] vermiethet hat, wird mit einem Schandfleck belegt, mag er nun gekämpft haben oder nicht. Hat er gekämpft, da er seine Dienste nicht vermiethet hatte, so wird er nicht straffällig sein (tenebitur); denn nicht der, welcher gekämpft hat, wird straffällig sein, sondern der, welcher seine Dienste zu diesem Zweck vermiethet hat. Endlich sagen die alten Juristen44D. h. aus der Zeit der Republik; denn dies ist die technische Bedeutung des hier gebrauchten Ausdrucks veteres bei den Pandecten-Juristen. Vergl. Dirksen in den Beiträgen Abh. 2., dass die, welche dies um ihre Tapferkeit zu zeigen, ohne Miethlohn [zu nehmen,] thun, nicht straffällig werde, wenn sie sich nicht auf dem Kampfplatz den Fechterlohn55Nisi in arena passi sunt se honorari. Vergl. von Glück in d. Erläuterung der Pand. Th. 5. S. 168. und die daselbst angeführten Schriftsteller. haben geben lassen; denn die, glaube ich, entgehen dem Schandfleck nicht. Doch wenn Jemand seine Dienste vermiethet haben sollte, um wilde Thiere zu jagen, oder um ein wildes Thier zu bekämpfen, welches der Umgegend schadet, [und zwar] ausserhalb des Kampfplatzes, so ist er nicht mit einem Schandfleck belegt. Diesen Personen also, welche nicht um ihre Tapferkeit [zu zeigen, sondern um Lohn] mit Bestien gekämpft haben, erlaubt der Prätor, für sich vor Gericht etwas vorzubringen (allegare), für Andere [es zu thun], hält er sie ab. Doch ist es ganz billig, dass, wenn dergleichen Personen eine Vormundschaft oder Curatel führen, es ihnen gestattet werde, für diejenigen gerichtliche Anträge zu machen, deren Angelegenheiten sie besorgen (curam gerunt). Wer nun überwiesen sein sollte, hiergegen gehandelt zu haben, der wird sowohl von den ihm untersagten gerichtlichen Anträgen für Andere abgewiesen, als auch nach Ermessen des Richters ausserordentlich mit einer Geldstrafe belegt werden. 7Wie wir zu Anfang dieses Titels gesagt haben, so hat der Prätor drei Ordnungen derer, welche keine gerichtlichen Anträge machen dürfen, gefertigt (fecit), wovon diese dritte diejenigen enthält, denen er nicht ganz und gar die Fähigkeit, gerichtliche Anträge zu machen, versagt, die aber nicht für Alle gerichtliche Anträge machen sollten, gleichsam als hätten sie weniger begangen, als die, welche in den frühern Capiteln mit einem Schandfleck bezeichnet werden. 8Der Prätor sagt: Die, welche durch ein Gesetz, einen Volksschluss, einen Senatsbeschluss, ein Edict, ein kaiserliches Decret, von gerichtlichen Anträgen, ausser für gewisse Personen, abgehalten werden, die sollen für einen Andern, als für den es ihnen erlaubt sein wird, im Gericht (in jure) bei mir keinen Antrag machen. In diesem Edict sind auch alle Andern begriffen, welche im Edict des Prätors mit dem Schandfleck als Ehrlose belegt werden; welche Alle, ausser für sich und gewisse Personen, keine gerichtlichen Anträge machen sollen. 9Sodann fügt der Prätor hinzu: Wer von diesen Allen, die oben geschrieben stehen, nicht in den vorigen Stand wieder eingesetzt sein wird. [Die Worte] Wer von diesen, die oben geschrieben stehen, verstehe so, wenn er unter die gehören sollte, die im dritten Edict enthalten sind, und, ausser für gewisse Personen, abgehalten werden, gerichtliche Anträge zu machen; sonst, wenn er zu den früher genannten gehören sollte, wird schwerlich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erlangt werden. 10Von welcher Wiedereinsetzung aber spricht der Prätor, etwa von der, welche vom Kaiser oder vom Senat [ertheilt wird]? so fragt Pomponius und glaubt, dass die Wiedereinsetzung gemeint sei, welche der Kaiser oder der Senat ertheilt hat. Ob aber auch der Prätor [in diesem Falle] wieder einsetzen könne, ist eine Streitfrage (quaeritur), und mir scheint, dass solche Decrete der Prätoren nicht für gültig zu halten sind, ausser wenn sie irgend Einem66Si cui scheint mir besser zu subvenire zu passen, als sicubi. kraft (ex officio) ihrer Gerichtsbarkeit zu Hülfe gekommen sind; wie es beim [minderjährigen] Alter gehalten wird, wenn einer [dieses Alters] betrogen sein sollte, und in den übrigen Fällen, welche wir im Titel von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausführen werden. Für diese Meinung spricht, dass, wenn ein in einem Process, welcher Ehrlosigkeit nach sich zieht (famoso judicio), Verurtheilter durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand losgesprochen sein sollte, Pomponius glaubt, dieser werde von der Ehrlosigkeit befreit. 11Sodann fügt der Prätor hinzu: Sie sollen für keinen Andern gerichtliche Anträge machen, ausser für die Eltern77Pro parente; dass aber beide Eltern zu verstehen seien, geht aus L. 4. §. 2. D. de in jus voc. hervor., den Patron, die Patronin, die Kinder und die Eltern des Patrons, der Patronin; von welchen Personen wir in dem Titel von der Vorladung vor Gericht vollständiger gesprochen haben. Derselbe fügt hinzu: Oder für ihre Kinder, den Bruder, die Schwester, die Gattin, den Schwiegervater, die Schwiegermutter, den Schweigersohn, die Schwiegermutter, den Vater, die Stiefmutter, den Stiefsohn, die Stieftochter, den Mündel, die Mündelin, einen Wahnsinnigen, eine Wahnsinnige,
2Gaj. lib. I. ad Ed. provinc. einen Albernen, eine Alberne, da auch diesen Personen ein Curator gegeben wird.
3Ulp. lib. VI. ad Ed. Wenn nämlich einem von ihnen vom Vater, oder nach der Meinung des grössern Theils der Vormünder, oder von dem, der darüber die Gerichtsbarkeit hatte, eine solche Vormundschaft oder Curatel gegeben sein wird. 1Unter den schägerschaftlichen Verhältnissen dürfen wir nicht die verstehen, die einst bestanden, sondern gegenwärtige. 2Ingleichen sagt Pomponius, dass unter der Benennung der Schwiegertochter und des Schwiegersohnes, sowie des Schwiegervaters und der Schwiegermutter, auch die entfernteren, bei denen das Wort Gross hinzuzukommen pflegt88Quibus pro praepositio accedere solet (z. B. L. 4. §. 6. D. de gradib. et affin. progener, pronurus, prosocrus.) Es lässt sich dies natürlich im Deutschen nicht wörtlich wiedergeben. S. die Anm. 56. zu dem tit. Inst. de gradibus cognationis. S. 111.. emthalten sein. 3Bei den Curatoren hätte er (der Prätor) hinzufügen sollen: eines Stummen und der übrigen, denen man [Curatoren] zu geben pflegt, das heisst, einem Tauben, einem Verschwender und einem jungen Menschen;
5Ulp. lib. IX. ad Edictum. und welche ihren Geschäften wegen irgend einer beständigen Krankheit nicht vorstehen können.
6Idem lib. VI. ad Edictum. Ich glaube aber, dass alle, welche nicht freiwillig, sondern dazu genöthigt ein Amt bekleiden, ohne Verstossung gegen das Edict gerichtliche Anträge machen können, obgleich sie solche sein sollten, die nur für sich gerichtliche Anträge machen können. 1Wenn Jemand [durch ein Verbot] von der Advocatenpraxis (advocationem praestare) abgehalten sein sollte, so glaube ich, wenn dies nur bei dem amtführenden Prätor (apud se) [geschehen ist], wie es [die Prätoren] während der Zeit ihrer Amtsführung (Magistratus sui) zu thun pflegen; dass er nachher bei dem Nachfolger desselben als Rechtsbeistand dienen könne.
7Gaj. lib. III. ad Ed. provinc. Diejenigen, welche der Prätor abhält, vor ihm gerichtliche Anträge zu machen, hält er unter jeder Bedingung ab, auch wenn der Gegner es dulden sollte, dass sie gerichtliche Anträge machen.
8Papin. lib. II. Quaest. Der Kaiser Titus Antoninus hat rescribirt, dass der, dem die Advocatenpraxis auf fünft Jahre untersagt wäre, nach fünf Jahren nicht abgehalten werde, für Alle gerichtliche Anträge zu machen. Auch der Kaiser Hadrianus hatte rescribirt, dass eine aus dem Exil Zurückgekehrter gerichtliche Anträge machen könne; auch wird kein Unterschied gemacht, wegen welchen Verbrechens Stillschweigen [vor Gericht] oder Exil auferlegt sein sollte, damit nämlich die auf eine Zeit beschränkte Strafe nicht der Zuverlässigkeit des Urthels zuwider weiter ausgedehnt werde.
9Idem lib. I. Respons. Wer gerichtliche Anträge für einen Andern zu machen aus einem solchen Grunde abgehalten ist, welcher die [Strafe der] Infamie nicht auferlegt und darum das Recht, für Alle gerichtliche Anträge zu machen, nicht benimmt, macht nur in der Provinz nicht mit Recht gerichtliche Anträge für Andere, in welcher der, der das Urthel gesprochen hat, Präsident war, in einer andern aber wird er [davon] nicht abgehalten, wenn sie auch denselben Namen führen sollte.
10Paul. lib. sing. Regul. Die, welche die Processe des Fiscus führen, werden nicht abgehalten, ihren eigenen Process, oder den ihrer Söhne und Eltern, oder den der Mündel, deren Vormundschaften sie führen, auch gegen den Fiscus zu führen. Auch die Decurionen99So hiessen die Mitglieder des Stadtraths in den einzelnen Städten Italiens ausser Rom. werden, ausser den oben genannten Personen, [davon] abgehalten, Processe gegen ihre Vaterstadt zu führen.
11Tryphonin. lib. I. Disputat. Von unserm Kaiser1010Entweder Septimius Severus oder dessen Sohn Antoninus Caracalla. Denn unter diesen Kaisern lebte Tryphoninus. Vergl. Zimmern a. a. O. Bd. 1. §. 99. ist rescribirt worden, das der Vormund nicht abgehalten werde, dem Mündel als Rechtsbeistand in einem Geschäfte zu dienen, in welchem er etwa Advocat gegen den Vater desselben gewesen wäre. Aber auch das ist von ihm erlaubt worden, dass der Vormund einen Process1111In unserm Text steht zwar: agere pupilli causa, allein causam passt besser wegen des folgenden: in qua. des Mündels gegen den Fiscus führe, in welchem er vorher Advocat des Fiscus gegen den Vater des Mündels gewesen wäre. 1Welche [Personen] aber unter die Infamen gehören, wird in folgendem Titel erklärt werden.