Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 23 übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. XXIII1,
De sponsalibus
Liber vicesimus tertius
I.

De sponsalibus

(Von dem Verlöbniss.)

1Flo­ren­ti­nus li­bro ter­tio in­sti­tu­tio­num. Spon­sa­lia sunt men­tio et re­pro­mis­sio nup­tia­rum fu­tu­ra­rum.

1Florentin. lib. III. Institut. Verlöbniss heisst die [auf die] Anfrage [des Einen, von Seiten des Andern erfolgte] Zusage einer künftigen Ehe11Mentio et repromissio futurarum nuptiarum. Die Fassung dieser Definition ist wohl aus der sonst dabei üblich gewesenen Stipulation zu erklären, indem der künftige Ehemann sich die Frau stipulirte, der, welcher im Namen der Frau auftrat, sie zu geben gelobte. S. v. Glück Erl. d. Pand. XXII. S. 377 ff..

2Ul­pia­nus li­bro sin­gu­la­ri de spon­sa­li­bus. Spon­sa­lia au­tem dic­ta sunt a spon­den­do: nam mo­ris fuit ve­te­ri­bus sti­pu­la­ri et spon­de­re si­bi uxo­res fu­tu­ras,

2Ulp. lib. sing. de Spons. Verlöbniss ist es aber benannt von geloben, denn es war bei den Alten gebräuchlich, dass man sich künftige Ehefrauen stipulirte und sie gelobte,

3Flo­ren­ti­nus li­bro ter­tio in­sti­tu­tio­num. un­de et spon­si spon­sae­que ap­pel­la­tio na­ta est.

3Florent. lib. VII. Institut. und daher ist auch die Benennung Verlobter und Verlobte entstanden.

4Ul­pia­nus li­bro tri­ge­si­mo quin­to ad Sa­binum. Suf­fi­cit nu­dus con­sen­sus ad con­sti­tuen­da spon­sa­lia. 1De­ni­que con­stat et ab­sen­ti ab­sen­tem de­spon­de­ri pos­se, et hoc cot­ti­die fie­ri:

4Ulp. lib. XXXV. ad Sabin. Es genügt die blosse Einwilligung, um ein Verlöbniss zu schliessen. 1Sonach kann auch, wie bekannt ist, ein Abwesender einer Abwesenden verlobt werden und es geschieht dies täglich.

5Pom­po­nius li­bro sex­to de­ci­mo ad Sa­binum. haec ita, si scien­ti­bus his qui ab­sint spon­sa­lia fiant aut si post­ea ra­tum ha­bue­rint.

5Pompon. lib. XVI. ad Sabin. Dies [findet] dann [Statt], wenn die Verlobung mit Wissen derjenigen, welche abwesend sind, gehalten wird, oder wenn sie [das Geschehene] nachher genehmigt haben,

6Ul­pia­nus li­bro tri­ge­si­mo sex­to ad Sa­binum. Si puel­lae tu­to­res ad fi­nien­da spon­sa­lia nun­tium mi­se­runt, non pu­ta­rem suf­fec­tu­rum ad dis­sol­ven­dam nup­tia­rum spem hunc nun­tium, non ma­gis quam spon­sa­lia pos­se eos so­los con­sti­tue­re, ni­si for­te om­nia is­ta ex vo­lun­ta­te puel­lae fac­ta sint.

6Ulp. lib. XXXVI. ad Sabin. Wenn die Vormünder eines Mädchens, um das Verlöbniss [desselben] aufzuheben, eine Kündigung haben ergehen lassen, so möchte ich nicht glauben, dass eine solche Kündigung genügen würde, um die Hoffnung der Ehe aufzulösen, [sowie ich] ebenso wenig [glaube], dass jene [Vormünder] allein ein Verlöbniss [für das Mädchen] schliessen können, wenn nicht etwa dies Alles dem Willen des Mädchens gemäss geschehen ist.

7Pau­lus li­bro tri­ge­si­mo quin­to ad edic­tum. In spon­sa­li­bus ni­hil in­ter­est, utrum tes­ta­tio in­ter­po­na­tur an ali­quis si­ne scrip­tu­ra spon­deat. 1In spon­sa­li­bus et­iam con­sen­sus eo­rum ex­igen­dus est, quo­rum in nup­tiis de­si­de­ra­tur. in­tel­le­gi ta­men sem­per fi­liae pa­trem con­sen­ti­re, ni­si evi­den­ter dis­sen­tiat, Iu­lia­nus scri­bit.

7Paul. lib. XXXV. ad Ed. Bei dem Verlöbniss macht es keinen Unterschied, ob eine [schriftliche] Erklärung vorkommt, oder Jemand ohne einen schriftlichen Aufsatz gelobt. 1Bei einem Verlöbniss ist auch die Einwilligung derer zu fordern, deren [Einwilligung] bei der Ehe verlangt wird; Julianus schreibt jedoch, dass man immer annehme, dass der Vater einer [sich verlobenden] Tochter einwillige, wenn er nicht deutlich widerspricht.

8Gaius li­bro un­de­ci­mo ad edic­tum pro­vin­cia­le. Fu­ror quin spon­sa­li­bus im­pe­d­imen­to sit, plus quam ma­ni­fes­tum est: sed post­ea in­ter­ve­niens spon­sa­lia non in­fir­mat.

8Gaj. lib. XI. ad Ed. provinc. Dass Raserei [der Eingehung] eines Verlöbnisses hinderlich sei, ist mehr als handgreiflich, aber wenn sie nachher eintritt, so entkräftet sie das Verlöbniss nicht.

9Ul­pia­nus li­bro tri­ge­si­mo quin­to ad edic­tum. Quae­si­tum est apud Iu­lia­num, an spon­sa­lia sint, an­te duo­de­ci­mum an­num si fue­rint nup­tiae col­la­tae. et sem­per La­beo­nis sen­ten­tiam pro­ba­vi ex­is­ti­man­tis, si qui­dem prae­ces­se­rint spon­sa­lia, du­ra­re ea, quam­vis in do­mo lo­co nup­tae es­se coe­pe­rit: si ve­ro non prae­ces­se­rint, hoc ip­so quod in do­mum de­duc­ta est non vi­de­ri spon­sa­lia fac­ta. quam sen­ten­tiam Pa­pi­nia­nus quo­que pro­bat.

9Ad Dig. 23,1,9Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 82, Note 14.Ulp. lib. XXXV. ad Ed. Es ist beim Julianus gefragt worden, ob es als ein Verlöbniss gelte, wenn die Ehe vor dem zwölften Jahre22Bei einer Frauensperson, oder vor dem vierzehnten Jahre bei einer Mannesperson. — Ueber die Ausdrücke nuptiae collatae s. v. Glück Erl. d. Pand. XXIII. S. 143. Anm. 14. eingegangen sei. Und ich habe stets die Meinung des Labeo gebilligt, welcher glaubt, dass, wenn ein Verlöbniss vorausgegangen sei, dies [Verhältniss] fortdauert, obwohl [die Verlobte] im Hause [des Verlobten] als Verehlichte sich befunden haben wird; dass aber, wenn kein [Verlöbniss] vorausgegangen sei, dadurch, dass sie in das Haus [des Verlobten] geführt worden ist, kein Verlöbniss geschlossen zu sein scheine; und diese Meinung billigt auch Papinianus.

10Idem li­bro ter­tio dis­pu­ta­tio­num. In po­tes­ta­te ma­nen­te fi­lia pa­ter spon­so nun­tium re­mit­te­re pot­est et spon­sa­lia dis­sol­ve­re. enim­ve­ro si em­an­ci­pa­ta est, non pot­est ne­que nun­tium re­mit­te­re ne­que quae do­tis cau­sa da­ta sunt con­di­ce­re: ip­sa enim fi­lia nu­ben­do ef­fi­ciet do­tem es­se con­dic­tio­nem­que ex­tin­guet, quae cau­sa non se­cu­ta nas­ci pot­erit. ni­si for­te quis pro­po­nat ita do­tem pa­trem pro em­an­ci­pa­ta fi­lia de­dis­se, ut, si nup­tiis non con­sen­ti­ret, vel con­trac­tis vel non con­trac­tis re­pe­te­ret quae de­de­rat: tunc enim ha­be­bit re­pe­ti­tio­nem.

10Idem lib. III. Disputat. Wenn die Tochter in der Gewalt des Vaters bleibt, so kann er an ihren Verlobten eine Kündigung ergehen lassen, und das Verlöbniss auflösen; aber wenn sie aus der väterlichen Gewalt entlassen worden ist, so kann er weder eine Kündigung ergehen lassen, noch das, was als Heirathsgut [von ihm] gegeben worden ist, condiciren; denn die Tochter selbst wird dadurch, dass sie heirathet, bewirken, dass [das von dem Vater Gegebene] ein Heirathsgut sei, und wird die Condiction vernichten, welche dann, wenn die Gegenleistung33D. h. die Ehe. Vgl. die Bem. zu tit. D. de cond. causa data, causa non sec. 12. 4. u. L. 6. sqq. eod. nicht erfolgt wäre, würde entstehen können; wenn nicht etwa Jemand den Fall vorlegen sollte, dass der Vater für die aus der Gewalt entlassene Tochter ein Heirathsgut unter der Bedingung gegeben habe, dass er, wenn er in die Ehe, möge sie eingegangen sein, oder noch nicht eingegangen sein, nicht einwilligte, das, was er gegeben hatte, zurückfordern könnte; dann nämlich wird er das Recht zur Zurückforderung haben.

11Iu­lia­nus li­bro sex­to de­ci­mo di­ges­to­rum. Spon­sa­lia sic­ut nup­tiae con­sen­su con­tra­hen­tium fiunt: et id­eo sic­ut nup­tiis, ita spon­sa­li­bus fi­liam fa­mi­lias con­sen­ti­re opor­tet:

11Julian. lib. XVI. Digestor. Ein Verlöbniss wird, ebenso wie eine Ehe, durch die Einwilligung derjenigen, welche es eingehen, geschlossen; und darum muss eine Haustochter sowie in die Ehe, so auch in das Verlöbniss einwilligen.

12Ul­pia­nus li­bro sin­gu­la­ri de spon­sa­li­bus. sed quae pa­tris vo­lun­ta­ti non re­pug­nat, con­sen­ti­re in­tel­le­gi­tur. 1Tunc au­tem so­lum dis­sen­tien­di a pa­tre li­cen­tia fi­liae con­ce­di­tur, si in­dig­num mo­ri­bus vel tur­pem spon­sum ei pa­ter eli­gat.

12Ulp. lib. sing. de Spons. Man sieht es aber so an, als ob [die Haustochter], welche dem Willen des Vaters nicht widerstreitet, einwillige. 1Dann aber blos wird einer Tochter die Freiheit, ihrem Vater zu widersprechen, zugestanden, wenn der Vater ihr einen moralisch unwürdigen und schimpflichen Verlobten wählen sollte.

13Pau­lus li­bro quin­to ad edic­tum. Fi­lio fa­mi­lias dis­sen­tien­te spon­sa­lia no­mi­ne eius fie­ri non pos­sunt.

13Paul. lib. V. ad Ed. Wenn ein Haussohn widerspricht, so kann im Namen desselben kein Verlöbniss eingegangen werden.

14Mo­des­ti­nus li­bro quar­to dif­fe­ren­tia­rum. In spon­sa­li­bus con­tra­hen­dis ae­tas con­tra­hen­tium de­fi­ni­ta non est ut in ma­tri­mo­niis. qua­prop­ter et a prim­or­dio ae­ta­tis spon­sa­lia ef­fi­ci pos­sunt, si mo­do id fie­ri ab utra­que per­so­na in­tel­le­ga­tur, id est, si non sint mi­no­res quam sep­tem an­nis.

14Modestin. lib. IV. Different. In Bezug auf die Eingehung eines Verlöbnisses ist das Alter derjenigen, welche es eingehen wollen, nicht bestimmt, wie bei den Ehen; und darum können auch vom frühsten Alter an Verlöbnisse geschlossen werden, wenn nur von beiden Personen verstanden wird, dass dies geschehe, das heisst, wenn sie nicht jünger als sieben Jahre sind.

15Idem li­bro sin­gu­la­ri de enu­clea­tis ca­si­bus. Tu­tor fac­tam pu­pil­lam suam nec ip­se uxo­rem du­ce­re nec fi­lio suo in ma­tri­mo­nio ad­iun­ge­re pot­est. scias ta­men, quod de nup­tiis trac­ta­mus, et ad spon­sa­lia per­ti­ne­re.

15Idem lib. sing. de enucl. casib. Ein Vormund kann seine gewesene Mündel weder selbst zur Ehefrau nehmen, noch seinem Sohn zur Ehe geben; man muss jedoch wissen, dass das, was wir von der Ehe sagen, sich auch auf das Verlöbniss beziehe.

16Ul­pia­nus li­bro ter­tio ad le­gem Iu­liam et Pa­piam. Ora­tio im­pe­ra­to­rum An­to­ni­ni et Com­mo­di, quae quas­dam nup­tias in per­so­nam se­na­to­rum in­hi­buit, de spon­sa­li­bus ni­hil lo­cu­ta est. rec­te ta­men di­ci­tur et­iam spon­sa­lia in his ca­si­bus ip­so iu­re nul­lius es­se mo­men­ti, ut sup­plea­tur quod ora­tio­ni de­est.

16Ulp. lib. III. ad leg. Jul. et Pap. Die Rede44In der Kaiserzeit wurden die Senatsschlüsse in der Regel durch orationes, welche entweder der Kaiser selbst hielt oder der Quaestor candidatus vorlas, veranlasst, und weil der Senat diese orationes gewöhnlich ohne Weiteres annahm und sanctionirte, so leiten die Juristen einen durch einen Senatsschluss eingeführten Rechtssatz oft geradezu aus der oratio ab und gebrauchen so oratio und SCtum ohne Unterschied. Vgl. L. 16. u. 60. D. de ritu nupt. 23. 2. u. Zimmern Gesch. d. Röm. Priv. R. Bd. 1. §. 23. der Kaiser Antoninus und Commodus, welche einige Ehen in Bezug auf die Person der Senatoren verboten hat, hat nicht von den Verlöbnissen gesprochen; man sagt jedoch richtig, dass auch die Verlöbnisse in diesen Fällen von Rechtswegen nichtig seien, so dass [auf diese Weise] das, was in der Rede fehlt, ergänzt wird.

17Gaius li­bro pri­mo ad le­gem Iu­liam et Pa­piam. Sae­pe ius­tae ac ne­ces­sa­riae cau­sae non so­lum an­num vel bi­en­nium, sed et­iam tri­en­nium et qua­dri­en­nium et ul­te­rius tra­hunt spon­sa­lia, vel­uti va­le­tu­do spon­si spon­sae­ve vel mor­tes pa­ren­tium aut ca­pi­ta­lia cri­mi­na aut lon­gio­res per­egri­na­tio­nes quae ex ne­ces­si­ta­te fiunt.

17Gai. lib. I. ad leg. Jul. et Pap. Oft schieben rechtmässige und nothwendige Gründe [die Vollziehung] eines Verlöbnisses nicht blos ein Jahr oder zwei Jahre, sondern auch drei und vier Jahre und noch weiter hinaus, z. B. eine Krankheit des Verlobten oder der Verlobten, oder Todesfälle unter den Eltern, oder Capitalverbrechen, oder längere Reisen, welche nothwendiger Weise unternommen werden.

18Ul­pia­nus li­bro sex­to ad edic­tum. In spon­sa­li­bus con­sti­tuen­dis par­vi re­fert, per se (et co­ram an per in­ter­nun­tium vel per epis­tu­lam) an per alium hoc fac­tum est: et fe­re ple­rum­que con­di­cio­nes in­ter­po­si­tis per­so­nis ex­pe­diun­tur.

18Ulp. lib. VI. ad Ed. Bei der Schliessung eines Verlöbnisses macht es wenig aus, ob dies durch die [sich Verlobenden selbst] und in [Beider] Gegenwart, oder durch einen Unterhändler, oder durch einen Brief, oder durch eine andere [Person] geschehen ist, und es werden fast in der Regel die Verbindungen durch Mittelspersonen zu Stande gebracht.