De usu fructu adcrescendo
(Vom Anwachs des Niessbrauchs.)
1Ulp. lib. XVII. ad Sabin. Wenn der Niessbrauch [Mehreren] vermacht worden ist, so findet unter den Niessbrauchern das Anwachsungsrecht allemal dann Statt, wenn der Niessbrauch [denselben] zusammen hinterlassen worden ist; ist aber jedem getrennt der Niessbrauch an einem Theile der Sache hinterlassen worden, so fällt ohne Zweifel das Anwachsungsrecht weg. 1Auch findet sich bei Julian im 35. Buche seiner Digesten die Frage, ob, wenn der Niessbrauch einem [Zweien] gemeinschaftlichen Sclaven hinterlassen, und für beide Herren erworben worden sei, der Andere, wenn der Eine denselben ausschlage oder dessen verlustig werde, ihn ganz erhalte? Und er glaubt, dass dies der Fall sei, und wenn gleich der Niessbrauch den Herrn nicht zu gleichen Theilen, sondern nach Maassgabe ihrer Eigenthumsantheile erworben werde, so komme er, weil auf die Person des [Sclaven] und nicht die der Herren Rücksicht genommen werde, dem andern Herrn zu, und falle nicht der Eigenheit anheim. 2Derselbe sagt, dass, wenn auch einem [Zweien] gemeinschaftlichen Sclaven und dem Titius der Niessbrauch getrennt vermacht worden sei, der von dem einen der Genossen verlorene Niessbrauch nicht dem Titius, sondern dem andern Genossen allein zukommen müsse, als dem allein [mit jenem] zusammen eingesetzten; diese Meinung ist richtig, denn so lange auch nur noch einer den Gebrauch ausübt, kann man sagen, dass der Niessbrauch in seinem vorigen Zustand bleibe. Dasselbe ist der Fall, wenn Zweien der Niessbrauch zusammen, und Einem getrennt vermacht worden ist. 3Ad Dig. 7,2,1,3Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. III, § 645, Note 2.Zuweilen wächst aber der vermachte Niessbrauch, wenn auch [die Niessbraucher] nicht zusammen eingesetzt worden sind, dem andern dennoch zu, z. B. wenn mir der Niessbrauch an einem ganzen Landgute getrennt hinterlassen worden ist, und dir ebenfalls; denn hier haben wir, wie auch Celsus im 18. Buche seiner Digesten, und Julian im 35. schreibt, durch das Zusammentreffen [nur] Antheile. Dies würde auch bei der Eigenheit der Fall sein; denn wenn der Eine das Landgut verschmähet, würde es dem Andern ganz zufallen. Beim Niessbrauch tritt dies aber um so mehr ein, weil derselbe auch wenn er bestellt worden, und nachher verloren gegangen ist, nichts desto weniger das Anwachsungsrecht zulässt; denn alle Rechtslehrer beim Plautius stimmen darin überein, und, wie Celsus und Julian geistreich bemerken, wird der Niessbrauch Tag für Tag11D. h. wie wenn das Recht täglich von neuem anhöbe, oder, wie die Glosse sagt, täglich ein anderer Niessbrauch Statt fände und erworben würde. [als] bestellt und vermacht [angesehen], und nicht, wie die Eigenheit, blos zu der Zeit, wo auf dieselbe Klage erhoben wird. Sobald also der Eine den Andern, der mit ihm zugleich Antheil hat, nicht vorfindet, so kann er den Gebrauch vom Ganzen allein ziehen, und es ist gleich, ob der Niessbrauch [ihnen] zusammen oder getrennt hinterlassen worden ist. 4Derselbe Julian schreibt im 35. Buche der Digesten, dass, wenn zwei als Erben eingesetzt worden sind, und die Eigenheit [einem Dritten] mit Abzug des Niessbrauchs vermacht worden ist, die Erben das Anwachsungsrecht nicht haben; denn der Niessbrauch erscheine [hier] als [vom Testator selbst] festgestellt, und nicht als durch ein Zusammentreffen [des für beide bestellten Niessbrauchs] in demselben Gegenstand ertheilt;
3Ulp. lib. XVII. ad Sabin. Neratius glaubt ebenfalls im ersten Buche seiner Quästionen, das Anwachsungsrecht falle weg. Mit dieser Meinung stimmt die Ansicht des Celsus überein, welcher sagt, dass das Anwachsungsrecht allemal dann Statt habe, wenn [der Niessbrauch] unter Zweien, die ihn im Ganzen erhalten haben, durch dieses Zusammentreffen getheilt worden ist. 1Daher schreibt Celsus im 18. Buche, dass, wenn zwei Eigenthümer eines Landguts dessen Eigenheit mit Abzug des Niessbrauches [Jemandem] übergeben haben, sobald einer von ihnen den Niessbrauch verliere, dieser zur Eigenheit zurückkehre, jedoch nicht auf das Ganze [derselben], sondern der Niessbrauch eines Jeden wachse demjenigen Theile zu, den er übergeben hat; denn er muss zu dem Theile zurückkehren, von dem er ursprünglich getrennt worden ist. 2Ad Dig. 7,2,3,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 205, Note 4; Bd. III, § 645, Note 3.Das Anwachsungsrecht findet übrigens nicht blos dann Statt, wenn der Niessbrauch Zweien vermacht worden, sondern auch wenn dem Einen der Niessbrauch, und dem Andern das Landgut; verliert hier derjenige den Niessbrauch, dem er vermacht worden ist, so fällt er dem Andern durch das Anwachsungsrecht vielmehr zu, als er zur Eigenheit zurückkehrt. Dies ist nichts Neues; denn auch wenn Zweien der Niessbrauch vermacht worden ist, und bei dem Einen Vereinigung mit der Eigenheit Statt findet, geht das Anwachsungsrecht nicht verloren, weder für den, bei dem die Vereinigung Statt gefunden, noch in Betreff seiner [für den Andern,] und er kann auf dieselbe Weise, wie vor der Vereinigung, auch noch jetzt denselben verlieren. So glauben Neratius und Aristo, und Pomponius bestätigt es.
4Jul. lib. XXXV. Dig. Wenn dir die Eigenheit eines Landguts vermacht worden ist, mir aber und dem Mävius und dir der Niessbrauch an demselben, so haben wir, ich und Mävius, am Niessbrauch Drittheile, und ein Drittheil wird mit der Eigenheit vereinigt. Mag ich nun oder Mävius eine Standesrechtsveränderung erleiden, das [betreffende] Drittheil wird dann zwischen dir und dem einen von uns beiden getheilt, so dass derjenige, welcher von uns beiden die Standesrechtsveränderung nicht erlitten hat, nun die Hälfte vom Niessbrauch hat, dir aber die Eigenheit mit der andern Hälfte des Niessbrauchs zukommnt.
5Gaj. lib. VII. ad Ed. prov. Auch wenn du Jemandem die Eigenheit mit Abzug des Niessbrauchs vermacht hast, so glaubt Julian, dass der letztere nichts desto weniger anwachsen, und nicht angenommen werden könne, als werde ein neuer Niessbrauch erworben.
6Ulp. lib. XVII. ad Sabin. Dasselbe ist auch der Fall, wenn bei einem von dreien Niessbrauchern der Niessbrauch mit der Eigenheit vereinigt worden ist. 1Ist aber Jemandem die Eigenheit mit Abzug des Niessbrauchs vermacht worden, und mir ein Theil vom letzteren, so ist die Frage, ob zwischen mir und dem Erben22Der den andern Theil des Niessbrauchs erhalten hat. ein Anwachsungsrecht Statt finde. Hier gilt die Regel, dass, so bald einer den Niessbrauch verliert, er zur Eigenheit zurückkehrt. 2Wenn mir der Niessbrauch an einem Landgute unbedingt, und dir unter einer Bedingung vermacht worden ist, so kann man sagen, dass mir einstweilen der Niessbrauch am ganzen Grundstück zukomme, und wenn ich eine Standesrechtsveränderung erlitten habe, ich dessen ganz verlustig gehe; wenn aber die Bedingung eintritt, der ganze Niessbrauch dir zukomme, sobald ich eine Standesrechtsveränderung erlitten habe; bleibe ich hingegen in meinem [vorigen] Stande, so wird der Niessbrauch gemeinschaftlich.
7Paul. lib. III. ad Sabin. Hat Jemand dem Attius und seinen eigenen Erben den Niessbrauch vermacht, so hat Attius die eine und die Erben die andere Hälfte. Ist so gesagt worden: dem Attius und Sejus mit meinen Erben, so werden drei Theile gemacht, so dass den einen die Erben, den andern Attius und den dritten Sejus erhält. Denn es ist gleich, ob das Vermächtniss so ausgedrückt wird: dem und dem mit dem Mävius; oder so: dem und dem und dem Mävius.
8Ulp. lib. XVII. ad Sabin. Wenn einer Frau mit ihren Kindern der Niessbrauch vermacht wird, so erhält sie, wenn sie ihre Kinder verloren hat, den Niessbrauch; aber auch die Kinder haben, wenn ihre Mutter gestorben ist, nichts desto weniger durch das Auwachsungsrecht den Niessbrauch. Denn auch Julian sagt im 30. Buche seiner Digesten, dasselbe sei von dem zu verstehen, der allein seine Kinder zu Erben eingesetzt habe, auch wenn er sie nicht als Vermächtnissinhaber benannt habe, sondern mehr um zu zeigen, es sei sein Wille, dass die Mutter den Genuss dergestalt ziehe, dass die Kinder mit daran Theil nehmen sollten. Aber, fragt Pomponius, wie, wenn die Kinder zusammen mit fremden Erben [eingesetzt] sind? Hier, sagt er, sind die Kinder als Vermächtnissinhaber anzusehen. Im umgekehrten Fall, wenn man will, dass die Kinder zugleich mit der Mutter den Genuss haben sollen, so muss man sagen, dass die Mutter als Vermächtnissinhaberin anzusehen, und die rechtliche Wirkung in diesem Fall durchgehends gleich sei.
9African. lib. V. Quaest. Wenn das Eigenthum33Proprietas in der Bedeutung von plena propr. s. Glück IX. p. 277. n. 30. eines Landgutes Zweien, und der Niessbrauch Einem vermacht worden ist, so finden keine Drittheile am Niessbrauch Statt, sondern die Zwei haben die Hälfte, und der Niessbraucher die andere Hälfte daran; ebenso ist es im umgekehrten Fall, wenn zwei Niessbraucher und ein Vermächtnissinhaber vorhanden sind.
10Ad Dig. 7,2,10Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. III, § 645, Note 4.Ulp. lib. XVII. ad Ed. Zuweilen wächst ein Theil des Niessbrauchs auch dem zu, der seinen Theil nicht [mehr] hat, sondern ihn [schon] verloren hat; denn wenn der Niessbrauch Zweien vermacht worden ist, und der Eine, nach Einleitung eines [desfalsigen] Rechtsstreites [gegen den falschen Beklagten] denselben [an den wahren Besitzer] verloren hat, und bald darauf der Mitvermächtnissinhaber, der in keinen Rechtsstreit verwickelt war, ebenfalls dessen verlustig wird, so erlangt jener, der gegen Jemanden, welcher sich muthwillig auf den Rechtsstreit einliess, Klage erhoben [und obgesiegt] hatte, nur den halben Theil, welchen er verloren hat vom [angenommenen]44Die Erklärung dieser schwierigen Stelle s. bei Glück IX. p. 293. Besitzer; denn der Theil des Vermächtnissinhabers wächst ihm selbst zu, nicht dem Eigenheitsherrn, indem der Anwachs des Niessbrauchs der Person verbleibt, wenn letzterer auch [ihrerseits] verloren gegangen ist.
11Papin. lib. II. Defin. Wenn Einzelnen von einzelnen Erben der Niessbrauch an demselben Gegenstande vermächtnissweise gewährt werden soll, so erscheinen die Niessbraucher ebensowohl als getrennt, wie wenn Zweien der Genuss von demselben Gegenstande zu gleichen Antheilen vermacht worden wäre; daher findet unter ihnen kein Anwachsungsrecht Statt,
12Ulp. lib. XVII. ad Sabin. indem jeder von einem andern Erben den Niessbrauch in Anspruch nimmt.