De Publiciana in rem actione
(Von der Publicianischen Klage auf eine Sache.)
1Ulp. lib. XVI. ad Ed. Der Prätor sagt: Wenn Jemand dasjenige, was ihm aus einem rechtmässigen Grunde vom Nichteigenthümer übergeben, und noch nicht ersessen worden ist, fordert, so werde ich ein Verfahren ertheilen. 1Ganz richtig sagt der Prätor: noch nicht ersessen worden; denn ist es ersessen worden, so hat man die bürgerlichrechtliche Klage und bedarf der würdenrechtlichen nicht. 2Warum aber thut er blos der Uebergabe und der Ersitzung Erwähnung, da es doch so viele rechtliche Erwerbungsarten gibt, aus denen man das Eigenthum verlangen kann? wie z. B. Vermächtnisse, [auch bei diesen schliesst er die Publiciane nicht aus]11Dies muss nach Glück Pand. VIII. p. 328. und Noodt ad h. t. p. 203. (Ed. Col.) als Antwort auf die vorhergestellte Frage hinzugedacht werden.
3Ulp. lib. XVI. ad Ed. und so gibt es noch viele andere. 1Ad Dig. 6,2,3,1Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 179, Note 7.Der Prätor sagt: aus einem rechtmässigen Grunde fordert; wer also den rechtmässigen Grund der Uebergabe für sich hat, bedient sich der Publiciane. Dieselbe steht aber nicht blos dem Käufer im guten Glauben zu, sondern auch Andern, wie z. B. dem, welchem eine Sache, die noch nicht ersessen worden, an Mitgiftsstatt übergeben worden ist; denn hier ist der rechtmässigste Grund vorhanden, es mag die Sache nach geschehener Abschätzung oder ohne dieselbe zur Mitgift gegeben worden sein. Ebenso, wenn eine Sache auf den Grund einer Verurtheilung dazu übergeben worden ist,
7Ulp. lib. XVI. ad Ed. Auch wenn eine Sache richterlich zugesprochen worden ist, so findet deshalb die Publiciane Statt. 1Ist Abschätzung eines Streitgegenstandes geschehen, so ist Aehnlichkeit mit dem Verkauf vorhanden, und Julian sagt im 22. Buche seiner Digesten, dass dem Verklagten, wenn er die Abschätzung des Streitgegenstandes angeboten habe, die Publiciane zustehe. 2Ad Dig. 6,2,7,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 199, Note 5.Marcell schreibt im 17. Buche seiner Digesten, dass derjenige, wer von einem Wahnsinnigen, ohne zu wissen, dass derselbe wahnsinnig sei, etwas gekauft habe, ersitzen könne; er wird also auch die Publiciane haben. 3Auch wenn Jemand aus bereichernden Gründen eine Sache empfangen hat, hat er die Publiciane, welche selbst gegen den Schenker Statt findet; denn wer etwas geschenkt erhalten hat, ist rechtmässiger Besitzer und Kläger22D. h. er besitzt sowohl rechtmässig, als er kann auch rechtmässiger Weise Klage erheben.. 4Ad Dig. 6,2,7,4Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 199, Note 6.Wer von einem Minderjährigen kauft, ohne zu wissen, dass er minderjährig sei, hat die Publiciane. 5Auch wenn ein Tausch getroffen worden, findet dieselbe Klage Statt. 6Die Publicianische Klage nähert sich [der Klage auf] das Eigenthum und nicht [der] auf den Besitz33So glaube ich diese Worte am richtigsten übersetzt, siehe Glück Pand. VIII. p. 334 sq., der sich wegen dieser Erklärung auf Anton Faber Rational. ad h. l. bezieht; aber die Glosse hat schon dasselbe.. 7Wenn du mir, während ich eine Sache fordere, den Eid angetragen hast, und ich beschworen habe, dass die Sache mein sei, so steht mir die Publiciane zu, jedoch nur gegen dich, denn ein Eid darf nur dem Nachtheil bringen, der ihn [dem Andern] zugeschoben hat. Wenn aber dem Besitzer der Eid angetragen worden ist, und er geschworen hat, dass die Sache dem Kläger nicht gehöre, so kann er sich auch nur der Einrede gegen ihn allein, wenn er [nochmals] als Kläger auftritt, bedienen, nicht, dass er selbst eine Klage hätte. 8Von der Publicianischen Klage gilt ganz dasselbe, was wir von der Eigenthumsklage gesagt haben. 9Diese Klage steht auch dem Erben und den würdenrechtlichen Nachfolgern zu. 10Wenn nicht ich gekauft habe, sondern mein Sclav, so habe ich [dennoch] die Publiciane; derselbe Fall ist vorhanden, wenn mein Geschäftsbesorger, Vormund, Curator oder welcher Dritte sonst meine Geschäfte führt, gekauft hat. 11Der Prätor sagt: wer im guten Glauben gekauft hat; es hilft daher nicht jeder Kauf, sondern nur der, welcher im guten Glauben geschieht; es genügt aber, dass ich Käufer im guten Glauben gewesen bin, wenn ich auch vom Nichteigenthümer gekauft habe, und selbst wenn derselbe in listiger Absicht verkauft hat; denn die Arglist des Verkäufers thut mir keinen Eintrag. 12Bei dieser Klage schadet es mir nicht, wenn ich Nachfolger bin und arglistig gehandelt habe, sobald derjenige, an dessen Stelle ich nachgefolgt bin, im guten Glauben gekauft hatte, und es nützt mir nichts, wenn mich keine Arglist trifft, aber der Käufer, dem ich nachgefolgt bin, arglistig gehandelt hat. 13Denn wenn mein Sclav gekauft hat, so wird auf dessen Arglist Rücksicht genommen und nicht auf die meinige; oder umgekehrt44Nämlich wenn er im guten Glauben ist, und nicht ich.. 14Die Publiciane berücksichtigt die Zeit des Kaufes, und nach des Pomponius Ansicht kommt bei dieser Klage weder was vor dem Kauf, noch was nachher mit Arglist geschehen ist, in Betracht. 15Den guten Glauben begreift sie aber allein auf Seiten des Käufers. 16Zum Vorhandensein der Publiciane gehört [also] das Zusammentreffen [der beiden Umstände], dass Jemand im guten Glauben gekauft habe, und die gekaufte Sache ihm in dieser Rücksicht übergeben worden sei. Uebrigens kann man vor der Uebergabe, wenn man auch Käufer im guten Glauben ist, die Publiciane nicht anstellen. 17Julian schreibt im siebenten Buche der Digesten: Die Uebergabe der gekauften Sache, müsse im guten Glauben geschehen, und wer daher wissentlich fremden Besitz ergriffen habe, könne die Publiciane nicht anstellen, weil er nicht ersitzen könne. Auch bilde sich keiner ein, dass wir der Meinung seien, als genüge es, zu Anfang der Uebergabe nicht gewusst zu haben, dass die Sache einem Andern gehöre, um die Publiciane anstellen zu können, sondern er muss auch vorher55Tunc, d. h. beim Kaufabschluss, Accurs. s. auch Glück VIII. p. 337. Käufer im guten Glauben sein.
8Gaj. lib. VII. ad Ed. prov. Ueber die Zahlung der Preises ist aber nichts ausgedrückt, daher man hieraus die Muthmassung schöpfen kann, dass auch der Prätor nicht der Meinung gewesen sei, als ob auf die Zahlung des Preises etwas ankomme.
9Ulp. lib. XVI. ad Ed. Die Publiciane findet Statt, die Sache mag dem Käufer [selbst] oder dessen Erben übergeben worden sein. 1Kauft Jemand eine bei ihm niedergelegte oder ihm geliehene, oder verpfändete Sache, so ist sie für übergeben anzusehen, wenn sie ihm nach dem Kauf verblieben ist. 2Auch wenn die Uebergabe dem Kauf vorangegangen ist, gilt dasselbe. 3Ferner, sagt Neratius, sei, wenn ich eine Erbschaft gekauft habe, und eine mir übergebene Erbschaftssache fordern will, die Publiciane zuständig. 4Ad Dig. 6,2,9,4Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 199, Note 13.Wenn Jemand zweien im guten Glauben getrennt [von einander] Kaufenden [dieselbe Sache] verkauft hat, so ist die Frage, wer von beiden die Publiciane66Nämlich gegen den Andern, s. Glück P. VIII. p. 360 sq. anstellen könne, ob der, dem die Sache zuerst übergeben worden ist77Nämlich wenn er sie dann wieder verloren hat., oder der, welcher sie blos gekauft88Hier ist auch geschehen Uebergabe hinzuzudenken, aber spätere als die erste an den andern Käufer, s. Glück a. a. O. hat. Julian schreibt im siebenten Buche seiner Digesten, dass, wenn sie beide von demselben Nichteigenthümer gekauft haben, der vorgehe, dem die Sache zuerst übergeben worden ist; wenn aber von verschiedenen Nichteigenthümern, so sei der Besitzer besser daran, als der Kläger; diese Ansicht ist richtig. 5Diese Klage findet in Ansehung solcher [Sachen], die nicht ersessen werden können, z. B. gestohlener oder eines flüchtigen Sclaven, nicht Statt. 6Wenn ein Erbschaftssclav vor dem Erbantritt eine Sache gekauft, und den ihm übergebenen Besitz verloren hat, so kann sich der Erbe mit Recht der Publiciane bedienen, wie wenn er selbst besessen hätte. Auch Municipalstädter, deren Sclaven eine Sache übergeben worden, befinden sich in derselben Lage,
11Ulp. lib. XVI. ad Ed. Wenn ich gekauft habe, und die Sache mit meinem Willen einem Andern übergeben worden ist, so hat der Kaiser Severus verordnet, dass demselben die Publiciane zu verstatten sei. 1Ad Dig. 6,2,11,1Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 217, Note 9.Wird wegen übergebenen Niessbrauchs geklagt, so wird auch die Publiciane ertheilt; nicht minder, wenn Dienstbarkeiten an Gebäuden durch Uebergabe bestellt worden sind, oder durch sich Gefallenlassen, z. B. wenn Jemand gestattet hat, durch sein Haus eine Wasserleitung zu ziehen; ebenso bei [denen an] ländlichen Grundstücken; denn auch in Ansehung dieser muss Uebergabe und [geschehenes] sich Gefallenlassen geschützt werden. 2Das Kind einer gestohlenen Sclavin, welches bei einem Käufer im guten Glauben empfangen worden, muss [auch] durch diese Klage verlangt werden, wenn es auch vom Käufer noch nicht besessen worden ist; der Erbe des Diebes hat aber diese Klage nicht, weil er Nachfolger in die [Besitz-]Mängel des Erblassers ist. 3Zuweilen aber steht mir, wenn auch die gestohlene Mutter nicht verkauft, sondern mir, ohne dass ich [die Verhältnisse] kenne, geschenkt und bei mir geschwängert und entbunden worden ist, wegen des Kindes die Publiciane zu, wie Julian sagt, wenn ich nur zu der Zeit, wo ich Klage erhebe, nicht weiss, dass die Mutter [einem Andern] gestohlen ist. 4Derselbe Julian sagt im Allgemeinen, dass ich aus demselben Grunde, aus dem ich die Mutter ersitzen kann, wenn sie nicht gestohlen ist, auch deren Kind ersitze, wenn ich nicht wusste, dass jene gestohlen sei. In allen diesen Fällen habe ich daher die Publiciane. 5Dasselbe ist auch der Fall, wenn von einem Kinde wieder ein Kind vorhanden, auch wenn es nicht geboren, sondern nach dem Tode der Mutter mittelst des Kaiserschnitts aus deren Leibe genommen worden ist, wie auch Pomponius im vierzigsten Buche geschrieben hat. 6Derselbe sagt auch, dass, wenn Gebäude gekauft und niedergerissen worden sind, dasjenige, was zu einem Gebäude hinzukomme, mit einer Klage dieser Art gefordert werden könne. 7Was durch Anspülung an ein Grundstück sich ansetzt, wird dem ähnlich, wozu es kommt; wenn daher das Grundstück selbst mittelst der Publiciane nicht gefordert werden kann, so kann jenes auch nicht verlangt werden; kann dieses aber selbst gefordert werden, so kann es auch der Theil99Unser Text hat ad partem, und in der Note Haloand. Variante et pars; dieselbe Lesart hat auch Ed. Fradin.; ich habe sie daher angenommen.; so lehrt Pomponius. 8Derselbe fügt hinzu, eine ähnliche Klage sei auch, wenn abgenommene Theile einer gekauften Statue gefordert worden, anwendbar. 9Er schreibt nicht minder, dass wenn ich einen freien Platz gekauft und ein Haus darauf gebauet habe, ich mit Recht mich der Publiciane bedienen könne. 10Auch sagt er: wenn ich das Haus gekauft habe, und dasselbe zum freien Platze kommt, so könne ich ebenfalls die Publiciane anstellen.
12Paul. lib. XIX. ad Ed. Als ein Bräutigam seiner Braut einen Sclaven geschenkt, und denselben vor der Ersitzung zur Mitgift [mit] empfangen hatte, so verfügte der Kaiser Pius, dass dieser Sclav nach geschehener Ehescheidung herausgegeben werden müsse; denn die Schenkung zwischen Braut, und Bräutigam habe Gültigkeit gehabt. Der [Ehefrau] wird daher, wenn sie besitzt, eine Einrede, und wenn der Besitz verloren gegangen, die Publiciane gestattet, mag ein Dritter oder der Schenker sich im Besitz befinden. 1Derjenige, dem nach dem Trebellianischen Senatsschluss eine Erbschaft herausgegeben worden ist, kann, wenn er auch den Besitz nicht erlangt hat, sich der Publiciane bedienen. 2Ad Dig. 6,2,12,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 182, Note 5; Bd. I, § 199, Note 11.In Betreff von Zins- und andern Grundstücken, die nicht ersessen werden können, findet die Publiciane Statt, wenn sie mir in gutem Glauben übergeben worden sind. 3Dasselbe ist der Fall, wenn ich ein Erbpachtsgebäude vom Nichteigenthümer im guten Glauben gekauft habe. 4Ist eine Sache von der Beschaffenheit, dass ein Gesetz oder eine Constitution ihre Veräusserung verbietet, so ist die Publiciane nicht anwendbar, weil in diesen Fällen der Prätor Niemanden in Schutz nimmt, um nicht den Gesetzen zuwider zu handeln. 5Der Publiciane kann man sich auch wegen eines noch nicht einjährigen Sclavenkindes bedienen. 6Wer eine Sache zum Theil verlangen will, kann sich der Publiciane bedienen. 7Aber auch der, wer nur einen Augenblick besessen hat, kann mit Recht diese Klage anstellen.
13Gaj. lib. VII. ad Ed. prov. Wenn wir in Folge rechtmässiger Gründe der Erwerbung erhaltene Sachen verloren haben, so wird zu deren Verfolgung diese Klage gegeben. 1Zuweilen steht Jemandem auch aus rechtmässigem Besitz die Publiciane [doch] nicht zu; denn pfand- und bittweiser Besitz ist zwar rechtmässig, aber aus demselben pflegt diese Klage nicht Statt zu finden, und zwar aus dem Grunde, weil weder der Gläubiger, noch der, welcher um den Besitz gebeten, denselben in der Absicht erhält, dass er sich für den Eigenthümer halten kann. 2Ad Dig. 6,2,13,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 199, Note 6.Wer von einem Minderjährigen gekauft hat, muss den Beweis führen, dass er mit Ermächtigung des Vormundes, und ohne Widerspruch eines Gesetzes gekauft habe. Aber auch wenn er betrogen, unter Ermächtigung eines falschen Vormundes, gekauft hat, wird angenommen, als habe er im guten Glauben gekauft.
14Ulp. lib. XVI. ad Ed. Papinian schreibt im sechsten Buche seiner Quaestionen: wenn Jemand verboten hat, eine Sache auf den Grund geschehenen Verkaufs zu übergeben oder [dem Käufer] davon Anzeige gemacht hat, welche mit seinem Willen von seinem Geschäftsbesorger verkauft worden war, und derselbe sie nichts desto weniger übergeben hat, so wird der Prätor dem Käufer Schutz angedeihen lassen, er mag die Sache besitzen oder sie fordern. Was aber der Geschäftsbesorger in Folge der Kaufklage dem Käufer1010Dem die Sache vom Auftragsertheiler wieder entwährt worden ist. Glosse. gewährt hat, kann ersterer durch die Auftragsgegenklage wieder erlangen; denn es kann der Fall eintreten, dass dem Käufer eine Sache von demjenigen, der zu ihrem Verkaufe Auftrag ertheilt hat, wieder entwunden wird, weil er sich aus Unwissenheit der Einrede, die er hätte vorschützen müssen, nicht bedient hat; z. B. der: wenn mein Gewährsmann nicht mit deinem Willen verkauft hat.
17Neratius lib. III. Membran. Die Publiciane ist nicht dazu eingeführt worden, um die Sache dem Eigenthümer zu entziehen; denn der Beweis davon ist zuvörderst die Billigkeit, und sodann die Einrede: wenn die Sache dem Besitzer nicht gehört; sondern dass der Käufer im guten Glauben, der aus diesem Grunde den Besitz erlangt hat, auch die Sache vielmehr erhalte, [als derjenige, welcher keinen Rechtsgrund für sich hat].