De liberis exhibendis, item ducendis
(Von der Auslieferung der Kinder und deren Abführung.)
1Ulp. lib. LXXI. ad Ed. Der Prätor sagt: Welcher [Sohn] oder welche [Tochter] in des Lucius Titius Gewalt ist, wenn der oder die sich bei dir befindet, oder es durch deine Arglist geschehen ist, dass er oder sie sich bei dir nicht befindet, den oder die sollst du ausliefern. 1Dieses Interdict wird wider Den begründet, von dem Jemand die Auslieferung Dessen verlangt, von dem er behauptet, dass er sich in seiner Gewalt befinde. Und aus den Worten des Edicts erhellt, dass Demjenigen dieses Interdict zuständig sei, in dessen Gewalt er sich befindet. 2Bei diesem Interdicte lässt der Prätor ebensowohl wie bei dem vorigen gar keinen Grund zu, warum sich bei ihm Der befinde, den er ausliefern soll, sondern er war der Ansicht, er müsse ihn jeden Falls herausgeben, sobald er sich in der Gewalt befindet. 3Wenn es aber die Mutter ist, welche ihn festhält, bei der sowohl dem Decrete des Divus Pius als dem Rescripte des Marcus und Severus zufolge die Kinder, zuweilen lieber als beim Vater bleiben sollen, vorausgesetzt, dass ein völlig rechtmässiger Grund vorhanden ist, so wird ihr ebenfalls durch eine Einrede geholfen werden müssen. 4Auf gleiche Weise wird, wenn rechtlich erkannt worden, dass sich [ein Kind] in Jemandes Gewalt nicht befinde, und wenn auch das Erkenntniss auf einer Ungerechtigkeit beruhen sollte, dem mit diesem Interdicte Klagenden die Einrede der rechtlich entschiedenen Sache entgegengestellt werden müssen, sodass dann nicht darauf Rücksicht genommen wird, ob er in Jemandes Gewalt stehe, sondern ob eine rechtliche Entscheidung vorhanden sei. 5Wenn Jemand seine an mich verheirathete Tochter hinfortführen will, oder deren Auslieferung verlangt, wird da wider das Interdict eine Einrede zu ertheilen sein, wenn etwa der Vater eine friedliche und mit Kindern gesegnete Ehe trennen will? — Allein es ist ein ausgemachter Rechtsgrundsatz, dass wohlharmonirende Ehen durch das Recht der väterlichen Gewalt nicht gestört werden dürfen; es muss hier aber so verfahren werden, dass man [zuvörderst] den Vater zu überreden sucht, von seiner väterlichen Gewalt keinen herben Gebrauch zu machen.
2Hermogen. lib. VI. jur. Epit. Ja, im Gegentheil wird der Vater, der eine Tochter in der Gewalt hat, von deren Ehemann rechtlichermaassen auf deren Auslieferung und Abführung belangt werden können.
3Ulp. lib. LXXI. ad Ed. Nachher sagt der Prätor: Wenn Lucius Titius in des Lucius Titius Gewalt steht, dass denselben Lucius Titius nicht hinfortführen dürfe, dawider verbiete ich alle Gewaltthätigkeit. 1Die vorhergedachten Interdicte sind solche, die die Auslieferung verfügen, d. h. sie bezwecken die Auslieferung der Kinder und aller übrigen obgedachten Personen; dieses Interdict bezweckt aber die Hinwegführung, damit nemlich Jeder Diejenigen hinfortführen könne, wider die er das Recht der Hinfortführung hat. Das vorherige Interdict über Auslieferung der Kinder ist also ein vorbereitendes für dieses, denn zur Möglichkeit der Fortführung war zuvörderst die Auslieferung nöthig. 2Dieses Interdict ist aus denselben Gründen zu ertheilen, wie wir gesagt haben, dass das wegen Auslieferung der Kinder zuständig sei. Was wir also dort gesagt haben, muss auch hier als gültig verstanden werden. 3Dieses Interdict ist aber nicht wider den Sohn selbst zuständig, den Jemand fortführen will, sondern es muss Jemand vorhanden sein, der ihn wider das Interdict vertheidigt. Ausserdem fällt dasselbe weg, und es kann dann die Erörterung des Prätors erfolgen, sodass vor ihm darüber verhandelt wird, ob Jemand in der Gewalt stehe, oder nicht. 4Julianus sagt, so oft dieses Interdict über die Fortführung eines Kindes erhoben wird, oder eine Erörterung, und das betreffende Kind unmündig ist, so müsse zuweilen die Sache bis zur Zeit der Mündigkeit verschoben, zuweilen aber sogleich verhandelt werden. Dies ist nach der Persönlichkeit Derer, zwischen denen Streit vorhanden ist, und der Beschaffenheit der Sache zu bestimmen. Denn wenn Derjenige, welcher Vater zu sein behauptet, von bekanntem Ansehen, Klugheit und Rechtschaffenheit ist, so kann er den Unmündigen bis zur Zeit des Anfangs des Streites bei sich behalten; wenn Der aber, welcher den Streit erhebt, ein schlechter Mensch, oder von bekannten chicaneusen oder nichtswürdigen Charakter ist, so muss die rechtliche Erörterung sogleich geschehen. Ebensowenig darf der Streit verschoben werden, wenn Derjenige, welcher leugnet, dass der Unmündige sich in eines Andern Gewalt befinde, ein in jeder Hinsicht tadelloser Mann, oder im Testamente, oder vom Prätor zum Vormunde bestellt worden ist, und den Unmündigen, welchen er bis zum Tage des Streites bei sich gehabt, schützt, Der aber11Ich lese und interpungire: quem apud se habuit in diem litis, tuetur, is vero etc., welcher sich für den Vater ausgiebt, als Chicaneur verdächtig ist. Sind beide Personen verdächtig als untüchtig oder schlecht, so wird es nicht unpassend sein, dahin zu verfügen, bei welchem [Dritten] das Kind unterdessen erzogen werden soll, und den Streit bis zur Zeit der Mündigkeit zu verschieben, damit nicht durch bösen Willen oder Unerfahrenheit des Einen von beiden Streitenden, entweder ein Hausvater fremder Gewalt unterworfen, oder ein Haussohn Hausvater werde. 5Wenn aber der Vater auch noch so strenge beweist, dass sich ein Sohn in seiner Gewalt befinde, so wird der Mutter in Ansehung der Zurückbehaltung des Kindes dennoch der Vorzug gegeben; dies ist in den Decreten des Divus22Die Nothwendigkeit, den Begriff Divus nicht völlig übergehen zu dürfen, und die Berücksichtigung des Unterschieds zwischen Kaiser und Divus, veranlassen mich, in Ermangelung einer passenden Uebersetzung Divus fortan bezubehalten. Pius bestimmt worden; es erhielt es nemlich eine Mutter, wegen Nichtswürdigkeit des Vaters, dass sich der Sohn, unbeschadet der väterlichen Gewalt, bei ihr aufhalten durfte. 6Frauen, Prätextaten33Praetextati heissen die Knaben vom 14. Jahre an, wo sie die toga praetexta, mit dem Purpurstreifen versehn, erhalten. (Pancirol. Thes. var. lect. I. 15. Ed. Lugd. p. 28. und die diesem Alter Zunächststehenden befiehlt der Prätor bei diesem Interdicte einstweilen bei einer Hausmutter in Verwahrung zu geben; den Prätextaten zunächststehend nennt man Den, der das Alter der Mündigkeit soeben angetreten hat. Unter Hausmutter ist eine Frau von tadellosem Rufe zu verstehen.
4African. lib. IV. Quaest. Wenn ich behaupte, dass Derjenige, welcher sich für einen Hausvater ausgiebt, in meiner Gewalt stehe, und auf meinen Befehl eine Erbschaft angetreten habe, so muss, sagt er, sowohl die Erbschaftsklage erhoben, als zu dem Interdicte über Abführung des Sohnes geschritten werden.
5Venulej. lib. IV. Interdict. Wenn sich ein Sohn freiwillig bei einem Andern aufhält, so wird dieses Interdict wirkungslos sein, weil der Sohn vielmehr bei sich selbst, als bei Dem ist, wider den interdicirt wird, indem es ihm freisteht, zu gehen oder zu bleiben, es müsste denn zwischen Zweien, die Väter zu sein behaupten, Streit sein und einer wider den andern die Auslieferung verlangen.