De his qui notantur infamia
(Von denen, welche mit dem Schandfleck der Infamie1 bezeichnet werden.)
1Oben ist infamia hin und wieder mit Ehrlosigkeit, infamis mit ehrlos übersetzt worden. Da jedoch die Ehrlosigkeit des Deutschen Rechts von der Römischen infamia im Begriff (andere Punkte zu geschweigen) bedeutend verschieden ist, indem jene in der gänzlichen Beraubung, diese blos in der Verminderung der bürgerlichen Ehre besteht, so schien es zweckmässiger, den Römischen, auch in der Deutschen Sprache nicht ungebräuchlichen Namen beizubehalten.
1Julian. lib. I. ad Ed. Die Worte des Prätors lauten: Mit dem Schandfleck der Infamie wird bezeichnet, wer aus dem Heere (ab exercitu) zum Schimpf vom Feldherrn, oder von dem, dem die Gewalt, hierüber zu verfügen, zugestanden haben sollte, verabschiedet sein wird; wer als Schauspieler oder Sprecher22Artis ludicrae pronunciandive causa, d. h. um durch Pantomimen (stumme Vorstellungen) oder Mimen (mit Sprechen verbundene Vorstellungen zu belustigen. S. v. Glück a. a. O. S. 170. auf der Bühne aufgetreten sein sollte; wer Hurenwirthschaft getrieben haben sollte; wer verurtheilt sein sollte, in einer öffentlichen Untersuchung etwas aus Chicane oder Prävarication33Calumnia praevaricationisve causa. Von jener handelt der letzte Titel dieses Buchs; von dieser der 15. des 47. Buchs. Prävarication aber (wofür wir Deutschen keinen Namen haben) wird eigentlich vom Ankläger begangen, der den Beklagten in einer öffentlichen Untersuchung pflichtwidrig begünstigt; sodann wird der Name auch auf das Verbrechen derer übertragen, welche den Gegner der Partei, die sie vertreten, vorsätzlich begünstigen. S. auch weiter unt. L. 4. §. 4. gethan zu haben; wer wegen Diebstahls, Raubs, Ehrenkränkungen, böser Absicht und Betrugs in eigenem Namen verurtheilt sein oder sich [wegen dieser Verbrechen] durch einen Vertrag abgefunden haben (pactus) wird; wer aus einem Gesellschaftsvertrage, aus der Vormundschaft, aus einem Auftragscontracte, einem Niederlegungsvertrage im eigenen Namen nicht durch die Gegenklage [sondern durch die Hauptklage] verurtheilt sein wird; wer die, welche in seiner Gewalt war, nachdem sein Schwiegersohn gestorben, da er wusste, dass er gestorben sei, innerhalb der Zeit, während welcher es Sitte ist, den Mann zu betrauern, ehe sie den Mann [ganz] betrauerte, verheirathet, oder wer sie wissentlich, nicht auf Befehl desjenigen, in dessen Gewalt er ist, geheirathet haben sollte; und wer geduldet haben sollte, dass der, welchen er in seiner Gewalt hatte, die, über welche [Alles] in dem oben Gesagten zusammengefasst ist (de qua supra comprehensum est), geheirathet hat; oder wer in eigenem Namen, nicht auf Befehl desjenigen, in dessen Gewalt er war, oder [wer] im Namen desjenigen, den, oder derjenigen [Frauensperson], die er in seiner Gewalt hatte, zwei Verlöbnisse oder zwei Ehen zu derselben Zeit bestehen haben sollte.
2Ulp. lib. VI. ad Edict. Wenn der Prätor sagt: wer aus dem Heere verabschiedet sein wird, so müssen wir unter dem Verabschiedeten einen gemeinen Soldaten44Militem caligatum, wörtlich: einen gestiefelten Soldaten; der gemeine Soldat wurde so von einer Art Halbstiefel genannt, welche er trug. Bekannt ist, dass daher der Kaiser Caligula diesen Namen hat. S. Sueton. vit. Calig. c. 9. verstehen, oder wenn sonst einer bis zum Hauptmann (Centurionem), oder [bis zum] Obersten (Praefectum) einer Cohorte, oder eines Flügels, oder einer Legion, oder [bis zum] Chef (Tribunum), sei es einer Cohorte, oder einer Legion, verabschiedet sein wird. Noch mehr, Pomponius sagt, sogar der, welcher einem Heer vorsteht, sei, obgleich er sich der, Consular-Ehrenzeichen bedient, wenn er vom Feldherrn zum Schimpf verabschiedet worden, mit diesem Schandfleck behaftet. Demnach wird auch der Heerführer, wenn er, während er dem Heere vorsteht, [zum Schimpf] verabschiedet sein wird, mit dem Schandfleck bezeichnet. Auch wenn der Kaiser verabschiedet und dabei bemerkt haben sollte, er verabschiede zum Schimpf, wie er es gewöhnlich thut, so wird man nicht zweifeln, dass er [der Verabschiedete] auch nach dem Edict des Prätors mit dem Schandfleck der Infamie bezeichnet sei; jedoch nicht, wenn ihm ohne Unwillen des Kaisers ein Nachfolger gegeben worden ist. 1Ein Heer nennen wir aber nicht eine einzige Cohorte, auch nicht einen einzigen Flügel, sondern eine sehr grosse Anzahl Soldaten; denn von dem sagen wir, er stehe einem Heer vor, welcher eine Legion, oder [mehrere] Legionen, mit ihren Hülfstruppen, die ihm vom Feldherrn anvertraut sind, führt (administrat). Aber hier werden wir auch den, welcher aus irgend einer Anzahl Soldaten verabschiedet ist, so ansehen (accipiemus), als wäre er aus dem Heere verabschiedet. 2Zum Schimpf verabschiedet, dies ist darum hinzugefügt, weil es viele Gattungen der Verabschiedungen gibt. Es gibt eine ehrenvolle, welche nach beendigten Dienstjahren (emeritis stipendiis) oder vorher vom Feldherrn gegeben wird; und eine aus bestimmten Gründen (causaria), welche wegen Krankheit von den Beschwerlichkeiten des Kriegsdienstes befreit. Es gibt eine schimpfliche; schimpflich ist aber die Verabschiedung so oft, als der, welcher verabschiedet, namentlich beifügt, er verabschiede zum Schimpf; immer nämlich muss er beifügen, warum der Soldat verabschiedet werde. Aber auch, wenn er ihn seines Eides entlassen, d. h. der militärischen Ehrenzeichen beraubt haben, sollte, bewirkt er, dass er unter die Infamen gehöre, wenngleich er nicht beigefügt hätte, dass er ihn zum Schimpf des Eides entlassen habe. Es gibt auch eine vierte Gattung der Verabschiedung, wenn Jemand, um der Uebernahme von Aemtern zu entgehen, sich dem Kriegsdienst unterzogen hätte; diese Verabschiedung aber verletzt die bürgerliche Ehre nicht, wie sehr oft rescribirt worden ist. 3Ein Soldat, welcher nach dem Julischen Gesetz über Ehebruch verurtheilt sein sollte, ist so infam, dass ihn auch das Urthel selbst vom Eid zum Schimpf entbindet. 4Denen aber, welche mit Schimpf verabschiedet sind, ist es weder in der Stadt, noch irgendwo sonst wo der Feldherr sich befindet, zu verweilen erlaubt. 5Der Prätor sagt: Wer auf der Bühne aufgetreten sein sollte, ist infam. Die Bühne ist, wie Labeo ihren Begriff bestimmt, was, um Spiele anzustellen, an einem beliebigen Ort, wo Jemand steht und sich bewegt, um ein Schauspiel durch seine Person zu geben, aufgestellt ist, [sei es nun] an einem öffentlichen oder Privatort, oder auf einer Strasse; jedoch an einem solchen Ort, wo ohne Unterschied Menschen des Schauspiels wegen zugelassen werden. Dass nämlich die, welche wegen Gewinn in Wettkämpfe sich einlassen, und alle wegen Belohnung auf der Bühne Aufgetretenen, infam seien, haben Pegasus und Nerva zum Bescheid gegeben.
3Gaj. lib. I. ad Edict. provinc. Wer aber seine Dienste verdungen hat, um als Schauspieler aufzutreten, aber nicht auftritt, wird nicht mit einem Schandfleck bezeichnet; weil diese Sache nicht so sehr schändlich ist, dass selbst der Vorsatz bestraft werden müsste.
4Ulp. lib. VI. ad Edict. Dass aber die Athleten ganz und gar keine Schauspielerkunst treiben, haben Sabinus und Cassius zum Bescheid gegeben; sie thäten es nämlich, um ihre Tapferkeit [zu zeigen]. Und im Allgemeinen sind Alle der Meinung, und scheint es billig zu sein, dass weder die Mitglieder des Chors (thymelici), noch die, welche sich im Fechten üben (rystici), noch die Wagenlenker, noch die, welche Wasser für die Pferde sprengen, und die übrigen Verrichtungen derer, welche in den heiligen Wettkämpfen dienen, für beschimpft zu halten seien. 1Dass die Anordner und Richter in den Kampfspielen (designatores) aber, welche die Griechen βραβευτὰς nennen, die Schauspielerkunst nicht treiben, [diese Meinung] billigt Celsus, weil sie sich mit einem Dienst, nicht mit der Schauspielerkunst beschäftigen. Und in der That wird jene Stelle heutzutage vom Kaiser nicht als eine gewöhnliche Begünstigung verliehen. 2Der Prätor sagt: Wer Hurenwirthschaft getrieben haben sollte; Hurenwirthschaft treibt, wer Sclavinnen des Gewinns halber (quaestuaria mancipia) halten sollte, aber auch, wer mit freien Menschen diesen Gewinn treibt, befindet sich in demselben Verhältniss. Mag er aber hauptsächlich dieses Geschäfttreiben, oder nebenbei sich mit einer andern Beschäftigung abgeben, wie wenn er ein Gastwirth war, oder ein Stallwirth (stabularius), und solche Sclavinnen hielt, welche bedienten und bei Gelegenheit der Bedienung [mit ihrem Körper] Gewinn trieben, oder wenn er ein Bademeister (balneator) gewesen sein sollte, der, wie es in einigen Provinzen geschieht, in den Bädern zur Bewachung der Kleider Sclavinnen der Art, welche in der Badeanstalt (officina) aufwarteten, gedungen hatte — so wird er der Strafe der Hurenwirthschaft verfallen. 3Pomponius sagt, dass auch der, welcher in der Sclaverei eigene Sclavinnen, welche sich Preis gaben, hielt, nachdem er die Freiheit wiedererlangt, mit einem Schandfleck bezeichnet werde. 4Ein Chicaneur wird nur dann mit einem Schandfleck bezeichnet, wenn er der Chicane wegen verurtheilt sein sollte; es reicht nämlich nicht hin, dass er chicanirt habe. Ingleichen der Prävaricator; ein Prävaricator ist aber gleichsam varicator55D. h. einer, der mit den Füssen in die Queere geht, grätschelt; daher im abgeleiteten Sinne praevaricator soviel ist, als einer, der in seiner Pflicht nicht geraden Schritt hält. Es musste der lateinische Ausdruck beibehalten werden, da, wenn wir auch für praevaricator Pflichtübertreter, und für varicator Uebertreter gebrauchen wollten, diese Worte doch nnicht zu der gleichfolgenden etymologischen Anspielung des Labeo passen würden., der die andere Partei unterstützt, nachdem er seine Rechtssache verrathen hat. Und dieser Name, sagt Labeo, sei a varia certatione (vom veränderlichen Streit), hergenommen; denn wer als Prävaricator handelt (praevaricatur), steht auf beiden Seiten, ja sogar auf der gegnerischen. 5Ingleichen wenn Jemand wegen Diebstahls, Raubs, Ehrenkränkungen, wegen böser Absicht auf seinen Namen verurtheilt sein oder [deshalb] sich durch einen Vertrag abgefunden haben wird [so soll er infam sein],
6Ulp. lib. VI. ad Edict. Wegen Diebstahls verstehe [so]: es mag nun ein öffentlicher oder heimlicher sein. 1Aber wenn ein wegen Diebstahls oder auf andere Klagen, die Infamie nach sich ziehen, Verurtheilter appellirt hat, so wird er, so lange die Untersuchung schwebt, noch nicht unter die Infamen gerechnet; wenn aber alle Zeiten der Appellation verstrichen sind, so ist er mit rückwirkender Kraft (retro) infam; obgleich, wenn seine Appellation als eine ungerechte erschienen ist, ich glaube, dass er vom heutigen Tage an (hodie) mit einem Schandfleck bezeichnet wird, nicht mit rückwirkender Kraft66Unser Text fügt mit der Florent. Handschrift notatur bei, in der Anm. 12 steht jedoch, dass es passend von Haloanderausgelassen sei. Jedenfalls stört es, wenn es in der Uebersetzung berücksichtigt wird.. 2Wenn Jemand auf fremden Namen verurtheilt sein wird, so ist er nicht mit der Infamie behaftet, und darum werden auch nicht mein Geschäftsbesorger, oder Vertheidiger, oder Vormund, oder Curator, oder Erbe, [sobald einer von ihnen] wegen Diebstahls oder wegen eines andern ähnlichen Falls verurtheilt worden ist, mit dem Schandfleck der Infamie bezeichnet werden; auch ich nicht, wenn vom Anfang an der Process durch den Geschäftsbesorger verhandelt worden ist. 3Oder sich durch einen Vertrag abgefunden hat, sagt [der Prätor]; durch einen Vertrag verstehen wir so, wenn er sich gegen einen Preis, er sei so gross, wie er wolle, abgefunden hat; sonst werde (erit) auch der, welcher durch Bitten es erlangt hat, dass mit ihm nicht verfahren werde, mit einem Schandfleck bezeichnet sein, und es werde keine Rücksicht auf Verzeihung Statt finden, was unmenschlich ist. 4Wer auf Befehl des Prätors sich mit Bezahlung eines Preises abgefunden hat, wird nicht mit dem Schandfleck bezeichnet. 4aAber auch wenn Jemand mit einem [ihm] angetragenen Eid beschworen hat, er habe nichts begangen, so wird er nicht mit dem Schandfleck bezeichnet sein; denn er hat gewissermaassen seine Unschuld durch den Eid erwiesen. 5Beim Auftrag verurtheilt; durch diese Worte des Edicts wird nicht blos der mit dem Schandfleck bezeichnet, der den Auftrag übernommen hat, sondern auch der, welcher das Versprechen, dem der Gegner gefolgt ist, nicht hält; z. B. ich habe für dich gebürgt und bezahlt; bewirke ich nun, dass du wegen des Auftrags verurtheilt wirst77Mandati te si condemnavero, d. h. si effecero, ut condemnareris. Ueber die Bedeutung des Wortes condemnare s. v. Glück a. a. O. Th. 15. S. 321. Anm. 90; sie ist auch bei Cicero zu finden, vergl. Schütz. Lex. Cic. s. h. v., so mache ich dich zu einem Infamen. 6Das freilich88Plane. Dies Wort gebrauchen die Römischen Juristen in der angegebenen Bedeutung sehr häufig. muss beigefügt werden, dass zuweilen auch der Erbe auf eigenen Namen verurtheilt und darum infam wird, wenn er beim Niederlegungsvertrage oder beim Auftragscontracte schlecht verfahren sein sollte. Jedoch aus der Vormundschaft oder dem Gesellschaftsvertrage kann der Erbe nicht auf eigenen Namen verurtheilt werden, weil der Erbe weder in [die Verbindlichkeit der Vormundschaft, noch in die des Gesellschaftsvertrags folgt, sondern nur in die Schulden des Verstorbenen. 7Ein durch die Gegenklage Verurtheilter wird nicht infam sein; und nicht mit Unrecht: denn bei Gegenklagen wird nicht wegen einer Treulosigkeit geklagt, sondern wegen einer Berechnung, über die insgemein durch eine Klage [oder vor Gericht] entschieden zu werden pflegt.
7Paul. lib. V. ad Edictum. Bei Klagen, die aus einem Vertrag entspringen, wenn sie auch sonst Infamie zur Folge haben und die Verurtheilten mit dem Schandfleck bezeichnet werden, wird dennoch der, welcher sich durch einen Vertrag abgefunden hat, nicht mit dem Schandfleck bezeichnet; mit Recht, weil aus diesen Gründen das Abfinden durch Vertrag nicht so schändlich ist, als aus den oben angegebenen.
8Ulp. lib. VI. ad Ed. Nachdem sein Schwiegersohn gestorben ist, sagt [der Prätor]. Mit Recht hat der Prätor hinzugefügt: da er wusste, dass er gestorben sei, damit nicht die Unwissenheit bestraft werde; doch da die Trauerzeit eine ununterbrochene ist, so läuft sie mit Recht auch für [die Frau], welche [den Tod] nicht wusste, vom Tage des Todes des Ehemanns an. Und darum, sagt Labeo, wenn [die Gattin] nach Ablauf der gesetzlichen Zeit [den Tod ihres Mannes] erfahren hat, ziehe sie sowohl an demselben Tage die Trauerkleider an, als lege sie auch dieselben ab.
10Idem. lib. VIII. ad Ed. Es pflegt vom Kaiser erlangt zu werden, dass es der Gattin erlaubt sei, innerhalb der gesetzlichen Zeit [der Trauer] zu heirathen. 1Es schadet nichts, dass die, welche ihren Gatten betrauert, innerhalb der [Trauer-] Zeit Braut gewesen sei.
11Ulp. lib. VI. ad Ed. Die Trauer der Kinder aber und der Eltern ist für die Heirath kein Hinderniss. 1Auch wenn es ein solcher Ehemann sein sollte, der nach der Sitte der Vorfahren nicht betrauert werden muss, könne sie innerhalb der gesetzlichen [Trauer-] Zeit sich nicht verheirathen; der Prätor hat sich nämlich auf die Zeit bezogen, in welcher der Mann betrauert werden würde; und der pflegt wegen der [zu befürchtenden] Vermischung des Bluts betrauert zu werden. 2Ad Dig. 3,2,11,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 22, Note 3.Pomponius glaubt, dass die, welche innerhalb der gesetzlichen [Trauer-] Zeit geboren haben sollte, sogleich sich verheirathen könne; und dies glaube ich ist wahr. 3Es pflegen aber nicht betrauert zu werden, wie Neratius sagt, Feinde, oder wegen Hochverraths Verurtheilte, auch nicht, die sich erhängt haben, noch die, welche nicht aus Lebensüberdruss, sondern aus bösem Gewissen, Hand an sichgelegt haben. Nichts desto weniger wird [eine Frau], wenn sie nach dem Tode eines Ehemannes der Art sich verheirathet haben sollte, mit dem Schandfleck der Infamie bezeichnet werden. 4Mit dem Schandfleck wird auch bezeichnet, wer sie geheirathet hat, doch [nur], wenn er [es] wissentlich [gethan hat]; die Unwissenheit wird nämlich entschuldigt, nicht die des Rechts, sondern dessen, was geschehen ist. (facti). Es wird entschuldigt, wer auf Befehl desjenigen, in dessen Gewalt er war, [eine solche Frau] geheirathet haben sollte; der selbst aber, der diese Heirath (ducere) geduldet haben sollte, wird mit dem Schandfleck bezeichnet. Beides mit Recht, denn sowohl der, welcher gehorcht hat, ist der Verzeihung würdig, als auch der, welcher die Heirath geduldet hat, [ist werth], dass er mit Schimpf bezeichnet werde.
13Ulp. lib. VI. ad Ed. Wie also, wenn er nicht die Heirath geduldet, sondern, nachdem [der, welcher in seiner Gewalt ist] geheirathet hat, es genehmigt haben sollte? Z. B. im Anfang hat er nicht gewusst, dass [die Frau] eine solche sei, nachher weiss er es, so wird er nicht mit dem Schandfleck bezeichnet; der Prätor hat sich nämlich auf den Anfang der Ehe bezogen. 1Wenn Jemand in fremdem Namen zwei Eheverlöbnisse abgeschlossen haben sollte, so wird er nicht mit dem Schandfleck bezeichnet, wenn er sie nicht im Namen desjenigen, der, oder derjenigen, die er in seiner Gewalt hatte, abschliesst; gewiss scheint, der, welcher duldet, dass sein Sohn oder seine Tochter [zwei Eheverlöbnisse] abschliessen, sie gewissermaassen selbst abgeschlossen zu haben. 2Wenn der Prätor sagt: zu derselben Zeit, so ist [darunter] nicht der Anfang von Eheverlöbnissen, die zu derselben Zeit eingegangen sind, zu verstehen, sondern [der Fall], wenn sie in dieselbe [id] Zeit zusammentreffen. 3Ingleichen, wenn [Eine] dem Einen verlobt, mit dem Andern verheirathet sein sollte, so wird sie nach dem Sinn (sententia) des Edicts bestraft. 4Da aber die That mit dem Schandfleck bezeichnet wird, so wird, wenn auch Jemand mit einer solchen eine Ehe oder ein Eheverlöbniss abschliessen sollte, die er entweder nicht heirathen kann, oder nicht darf99D. h. wenn auch eine von zwei zu derselben Zeit bestehenden Verlobungen oder Ehen ungültig sein sollte, so wird doch der, welcher sie einging, mit der infamie belegt, weil er dem Edict zuwider handelte, wenngleich nur eine seiner Verlobungen oder Ehen ihrer Natur nach möglich sein und er also dem Rechte nach nur eine Verlobung oder eine Ehe geschlossen haben sollte., er [doch] mit dem Schandfleck bezeichnet sein. 5Ein durch gegenseitige Versprechung erwählter (ex compromisso) Schiedsrichter bewirkt keine Infamie, weil [sein Ausspruch] nicht durchgängig wie ein Urthel gilt. 6Soviel die Infamie betrifft, so ist ein grosser Unterschied bei dem Process, der verhandelt wurde, ob etwas nach vorgängiger Untersuchung der Streitsache erkannt wurde, oder einige ausserhalb der Sache liegende Punkte (quaedam extrinsecus) ausgesprochen sein sollten; denn wegen dieser wird die Infamie nicht zuerkannt. 7Eine Strafe, die schwerer, als sie das Gesetz vorschreibt (gravior ultra legem), auferlegt ist, erhält die bürgerliche Ehre aufrecht, wie sowohl durch [kaiserliche] Constitutionen festgesetzt (constitutum), als auch [von Rechtsgelehrten] zum Bescheid gegeben worden ist; z. B. wenn der Präsident den, welcher um einen Theil seines Vermögens bestraft werden musste, Landes verwiesen haben sollte, so wird man sagen müssen, dass durch das härtere Urthel mit ihm über seine bürgerliche Ehre ein Vergleich abgeschlossen und er deshalb nicht infam sei. Aber wenn im Process wegen eines heimlichen Diebstahls der Richter zum Vierfachen verurtheilt hat, so [wird man sagen müssen] sei zwar der Beklagte durch die vermehrte Strafe beschwert, denn wegen eines heimlichen Diebstahls musste er aufs Zweifache belangt werden, dennoch aber habe dieser Umstand ihm die bürgerliche Ehre nicht aufrecht erhalten, obgleich, wenn [der Richter] ihn bei einer nicht in Geld bestehenden Strafe beschwert hätte, mit ihm ein Vergleich abgeschlossen zu sein scheinen würde. 8Das Verbrechen des Stellionatus1010Stellionatus war im Röm. Recht der Name für die Fälle des Betrugs, die im Cornelischen Gesetz von Betrügereien nicht namentlich aufgeführt waren. Vergl. den 20. Titel des 47. Buchs der Pandecten. Wir haben kein Wort dafür. legt dem, welcher [deshalb] verurtheilt ist, die Infamie auf, obgleich es keine öffentliche Untersuchung [Anklage] ist.
14Paul. lib. V. ad Ed. Ein Sclave, in dessen Namen sich der Herr auf einen Schädenprocess eingelassen [und] den er sodann freigelassen und zum Erben eingesetzt hat, ist, wenn er in demselben Process verurtheilt worden, nicht infam, weil er nicht auf seinen Namen verurtheilt wird, da ja im Anfang der Streit nicht gegen ihn eingeleitet (lis in eum contestata) worden ist.
15Ulp. lib. VIII. ad Ed. Mit dem Schandfleck wird [die] bezeichnet, welche durch Chicane im Namen ihres noch ungebornen Kindes in [Nachlass-] Besitz gesetzt worden ist, indem sie versichert, sie sei schwanger,
16Paul. lib. VIII. ad Ed. da sie nicht schwanger, oder von einem Andern geschwängert war:
17Ulp. lib. VIII. ad Ed. es musste nämlich die bestraft werden, welche den Prätor hinterging. Aber eine solche nur wird mit dem Schandfleck bezeichnet, welche dies thut, da sie frei über sich verfügen konnte (quum suae potestatis esset).
18Gaj. lib. III. ad Ed. provinc. Die, welche durch eine falsche Ansicht hintergangen ist, kann nicht so angesehen werden, als wäre sie durch Chicane im Besitz gewesen.
19Ulp. lib. VIII. ad Ed. Eine andere wird aber nicht mit dem Schandfleck bezeichnet, als die, über welche erkannt ist, sie sei aus Chicane in den Besitz gesetzt gewesen. Und das wird auch beim Vater beobachtet, welcher aus Chicane geduldet hat, dass seine Tochter, die er in seiner Gewalt hatte, in den [Nachlass-] Besitz im Namen ihres noch ungebornen Kindes gesetzt wurde.
20Papin. lib. I. Respons. Wegen dieser Worte im Urthel des Präsidenten der Provinz: durch eine listige Erdichtung scheinst du ein Anreizer zur Anklage gewesen zu sein, wird mehr das Schamgefühl beschwert, als ein Schimpf auferlegt zu werden scheint; denn wer [zu etwas] ermahnt, vertritt nicht die Stelle (opera fungitur) eines Auftraggebers.
21Paul. lib. II. Respons. Lucius Titius hat gegen den Cajus Sejus eine Anklage gerichtet1111Crimen intendit Cajo Sejo. Die Bedeutung des Wortes crimen für Anklage hat neuerdings Birnbaum im N. Arch. d. Crim. R. Bd. 9. St. 3. S. 339 flgde ausführlich erörtert. S. namentlich daselbst S. 346. Anm. 447., als hätte er [von diesem] eine Ehrenkränkung erlitten, und hat zu diesem Zweck die Zeugenaussage beim Präfectus Prätorio verlesen; der Präfectus hat, da er der Zeugenaussage keine Glaubwürdigkeit beimaass, erkannt, dass Lucius Titius keine Ehrenkränkung vom Cajus Sejus erlitten habe; nun frage ich, ob wegen falschen Zeugnisses unter die Infamen gerechnet werden? Paulus antwortet, dass nichts vorgebracht werde [nihil proponi kein Grund erhelle], warum die, von denen [hier] gehandelt wird, unter die Infamen gerechnet werden müssten, da aus einem Urthel, es sei ein gerechtes oder ungerechtes, das für den Einen gefällt ist, der Andere nicht zu seinem Nachtheil belästigt werden müsse.
22Marcell. lib. II. Publicorum. Stockschläge ziehen die Infamie nicht zu, sondern die Ursache, wegen welcher man dies zu leiden verdient hat, wenn sie eine solche war, die dem Verurtheilten die Infamie auferlegt. Auch bei den übrigen Gattungen der Strafen ist dieselbe Art und Weise festgesetzt worden.
23Ulp. lib. VIII. ad Ed. Die Eltern und Kinder beiderlei Geschlechts, nicht weniger auch die übrigen Verwandten vom Vater oder der Mutter her sind nach Maassgabe der Liebe und nach dem Gemüthszustand (animi sui patientiam), so wie es nun ein Jeder will, zu betrauern; wer sie aber nicht betrauert hat, wird mit dem Schandfleck der Infamie nicht bezeichnet.
25Papin. lib. II. Quaestion. Es ist angenommen worden, dass auch ein enterbter Sohn das Andenken seines Vaters betrauern [müsse]; und dasselbe ist auch bei der Mutter Rechtens, deren Erbschaft dem Sohn nicht zukommt. 1Wenn Jemand im Krieg geblieben seyn sollte, so wird er betrauert werden, wenngleich sein Leichnam nicht zum Vorschein kommen sollte.