Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 27 übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. XXVII6,
Quod falso tutore auctore gestum esse dicatur
Liber vicesimus septimus
VI.

Quod falso tutore auctore gestum esse dicatur

(Wenn behauptet werden sollte, dass Etwas unter der Ermächtigung eines falschen1 Vormunds geschehen sei.)

1Falsus tutor ist derjenige Vormund, welcher ohne gesetzliche Befugniss bei einem Geschäft des Mündels mit einem Dritten seine Ermächtigung ertheilt hat, mag er wirklich Vormund sein, oder nicht. Er unterscheidet sich vom protutor hauptsächlich nur dadurch, dass dieser negotia gerit, jener auctoritatem interponit. S. v. Glück a. a. O. S. 303. ff.

1Ulpianus libro duodecimo ad edictum. Huius edicti aequitas non est ambigua, ne contrahentes decipiantur, dum falsus tutor adhibetur. 1Verba autem edicti haec sunt. 2‘Quod eo auctore’ inquit ‘qui tutor non fuerit’. verbis edicti multa desunt: quid enim si fuit tutor, is tamen fuit qui auctoritatem accommodare non potuit? puta furiosus vel ad aliam regionem datus. 3Sed Pomponius libro trigensimo scribit interdum quamvis a non tutore gestum est, non pertinere ad hanc partem edicti: quid enim si duo tutores, alter falsus, alter verus auctoritatem accommodaverint, nonne valebit quod gestum est? 4Item hoc edictum licet singulariter scriptum sit, si tamen plures intervenerint, qui tutores non erant, tamen locum habere debere Pomponius libro trigesimo scribit. 5Idem Pomponius scribit, etiamsi pro tutore negotia gerens auctoritatem accommodaverit, nihilo minus hoc edictum locum habere, nisi forte praetor decrevit ratum se habiturum id, quod his auctoribus gestum est: tunc enim valebit per praetoris tuitionem, non ipso iure. 6Ait praetor: ‘si id actor ignoravit, dabo in integrum restitutionem’. scienti non subvenit, merito, quoniam ipse se decepit.
1Ulp. lib. XII. ad Ed. Die Billigkeit dieses Edicts ist nicht zweifelhaft, damit nämlich die, welche [mit dem Mündel] contrahiren, nicht betrogen werden sollen, wenn ein falscher Vormund zugezogen wird. 1Die Worte des Edicts sind aber diese: Wenn [ein Geschäft] unter Ermächtigung eines solchen, sagt [der Prätor], welcher nicht Vormund sein wird, [geführt sein wird]. 2In den Worten des Edicts fehlt viel; denn wie, wenn er Vormund gewesen ist, jedoch ein solcher gewesen ist, welcher seine Ermächtigung nicht hat ertheilen können, z. B. ein Rasender, oder ein für einen anderen Bezirk Bestellter? 3Aber Pomponius schreibt im dreissigsten Buche, dass zuweilen, obwohl ein Geschäft von einem Nichtvormund geführt worden ist, es doch nicht zu diesem Theil des Edicts gehöre. Denn wie, wenn zwei Vormünder, der eine ein falscher, der andere ein wahrer, ihre Ermächtigung ertheilt haben sollten, wird das Geschäft, welches geführt worden ist, nicht gelten? 4Desgleichen schreibt Pomponius im dreissigsten Buche, dass dieses Edict, obwohl es in der Einzahl abgefasst sei, doch, wenn Mehrere eingetreten seien, welche nicht Vormünder waren, Statt haben müsse. 5Derselbe Pomponius schreibt, dass, wenn auch Einer, welcher als Protutor die Geschäfte führte, seine Ermächtigung ertheilt habe, nichts desto weniger dieses Edict Statt habe, wenn nicht etwa der Prätor entschieden hat, dass er das genehmigen werde, was unter der Ermächtigung solcher [falscher Vormünder] ausgeführt worden ist; dann nämlich wird es durch den Schutz des Prätors, nicht von Rechts wegen gelten. 6Der Prätor sagt: wenn der Kläger dies nicht gewusst hat, so werde ich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geben. Einem, der es wusste, kommt er nicht zu Hülfe; mit Recht, weil der sich selbst betrogen hat.
2Paulus libro duodecimo ad edictum. ‘Si id’, inquit, ‘actor ignoraverit’. Labeo: et si dictum sit ei et bona fide non crediderit.
2Paul. lib. XII. ad Ed. Wenn der Kläger, sagt [der Prätor], dies nicht gewusst haben wird; Labeo: auch wenn es ihm gesagt sein, und er es im guten Glauben nicht geglaubt haben sollte.
3Ulpianus libro duodecimo ad edictum. Plane si is sit qui auxilio non indiget, scientia ei non nocet, ut puta si pupillus cum pupillo egit: nam cum nihil actum sit, scientia non nocet.
3Ulp. lib. XII. ad Ed. Freilich wenn er ein solcher sein sollte, welcher keiner Hülfe bedarf, so schadet ihm die Wissenschaft nicht, z. B. wenn ein Mündel mit einem Mündel [ein Geschäft] abgeschlossen hat; denn da [in einem solchen Fall] so gut wie nichts geschehen ist, so schadet die Wissenschaft nicht.
4Paulus libro duodecimo ad edictum. Minori viginti quinque annis succurretur, etiamsi scierit.
4Paul. lib. XII. ad Ed. Einem, der jünger als fünfundzwanzig Jahre ist, wird man zu Hülfe kommen, auch wenn er es gewusst haben sollte.
5Ulpianus libro duodecimo ad edictum. Interdum tamen etsi scientia noceat, tamen restitutio facienda erit, si a praetore compulsus est ad iudicium accipiendum.
5Ulp. lib. XII. ad Ed. Zuweilen wird jedoch, auch wenn die Wissenschaft [eigentlich] schadet, doch die Wiedereinsetzung geschehen müssen, wenn [Jemand] vom Prätor zur Einlassung auf die Klage genöthigt worden ist.
6Paulus libro duodecimo ad edictum. Pupilli scientia computanda non est, tutoris eius computanda est: utique etsi pupillo cautum sit, melius dicitur rem suam restitui pupillo quam incertum cautionis eventum eum spectare: quod et Iulianus, si alias circumventus sit pupillus, respondit.
6Paul. lib. XII. ad Ed. Die Wissenschaft des Mündels ist nicht in Anschlag zu bringen, die seines Vormunds ist in Anschlag zu bringen; jeden Falls sagt man auch, wenn dem Mündel Sicherheit gegeben sein sollte, billiger, dass dem Mündel seine Sache zurückerstattet werde, als dass derselbe den ungewissen Ausgang [der Klage wegen] der Sicherheit versuche, und das Gutachten hat auch Julianus [für den Fall ertheilt,] wenn der Mündel sonst betrogen sei.
7Ulpianus libro duodecimo ad edictum. Novissime praetor ait: ‘in eum qui, cum tutor non esset, dolo malo auctor factus esse dicetur, iudicium dabo, ut quanti ea res erit, tantam pecuniam condemnetur’. 1Non semper tutor convenitur nec sufficit, si sciens aucto fuit, verum ita demum, si dolo malo auctor fuit. quid si compulsus aut metu, ne compelleretur, auctoritatem accommodaverit, nonne debebit esse excusatus? 2Quod ait praetor ‘quanti ea res erit’, magis puto non poenam, sed veritatem his verbis contineri. 3Pomponius libro trigesimo recte scribit etiam sumptuum in hoc iudicio rationem haberi, quos facturus est actor restitutorio agendo. 4Si plures sint qui auctores fuerunt, perceptione ab uno facta et ceteri liberantur, non electione:
7Ulp. lib. XII. ad Ed. Zuletzt sagt der Prätor: Gegen den, der, da er nicht Vormund war, in böser Absicht seine Ermächtigung wird sollen gegeben haben, werde ich eine Klage geben, auf dass er in soviel Geld verurtheilt werde, als das volle Interesse betragen wird22Quanti ea res erit. Ueber diese Bedeutung des quanti ea res est, wo es sich nicht blos auf die reine aestimatio corporis bezieht, sondern auch die Nebendinge mit einschliesst, s. Gans üb. Röm. Obligat. R. S. 70. Anm. 4. S. auch v. Glück a. a. O. S. 309. f. u. 352.. 1Nicht immer wird der Vormund belangt, und es genügt nicht, wenn er wissentlich die Ermächtigung gegeben hat, sondern nur dann, wenn er in böser Absicht seine Ermächtigung gegeben hat. Wie, wenn er genöthigt, oder in der Furcht, dass er genöthigt werden möchte, seine Ermächtigung ertheilt haben sollte, wird er nicht entschuldigt sein müssen? 2Wenn der Prätor sagt: soviel das volle Interesse betragen wird, so glaube ich mehr, dass keine Strafe, sondern der wahre Betrag in diesen Worten enthalten sei. 3Pomponius schreibt richtig im dreissigsten Buche, dass auch auf die Kosten bei dieser Klage Rücksicht genommen werde, welche der Kläger dadurch haben wird, dass er mit der Wiedereinsetzungsklage klagt. 4Wenn es Mehrere sein sollten, welche ihre Ermächtigung gegeben haben, so werden, wenn [der Kläger] von Einem den Gegenstand der Verurtheilung in Empfang genommen hat, auch die Uebrigen befreit, nicht aber, wenn seine Wahl auf Einen gefallen ist33Perceptione ab uno facta et ceteri liberantur, non electione. Nicht dadurch werden die Uebrigen befreit, dass Einer belangt ist, sondern dadurch, dass Einer das Ganze geleistet hat..
8Paulus libro duodecimo ad edictum. et ideo si nihil aut non totum servatum sit, in reliquos non denegandam in id quod deest Sabinus scribit.
8Paul. lib. XII. ad Ed. Und darum schreibt Sabinus, wenn [der Kläger] Nichts oder nicht das Ganze erhalten habe, so sei gegen die übrigen die Klage auf das, was fehlt, nicht zu versagen.
9Ulpianus libro duodecimo ad edictum. Huius actionis exemplo Pomponius libro trigesimo primo scribit dandam actionem adversus eum, qui dolo malo adhibuit, ut alius auctoraretur inscius. 1Has in factum actiones heredibus quidem competere ceterisque successoribus, in eos vero non reddi Labeo scribit nec in ipsum post annum, quoniam et factum puniunt et in dolum concipiuntur: et adversus eas personas, quae alieno iuri subiectae sunt, noxales erunt.
9Ulp. lib. XII. ad Sabin. Pomponius schreibt im einunddreissigsten Buche, dass nach dem Muster dieser Klage eine Klage gegen den zu geben sei, welcher es mit böser Absicht dahin gebracht hat, dass ein Anderer unwissentlich seine Ermächtigung ertheilte. 1Labeo schreibt, dass diese Klagen auf das Geschehene zwar den Erben und übrigen Nachfolgern zukommen, gegen dieselben aber nicht gegeben werden, auch nach einem Jahre nicht gegen den [falschen Vormund] selbst, weil sie sowohl die Handlung bestrafen, als auch gegen die böse Absicht gerichtet werden, und gegen die Personen, welche fremdem Rechte unterworfen sind, werden sie Schädenklagen sein.
10Gaius libro quarto ad edictum provinciale. Si falso tutore auctore actum sit et interea dies actionis exierit aut res usucapta sit, omnia incommoda perinde sustinere debet, ac si illo tempore vero tutore auctore egisset.
10Gaj. lib. IV. ad Ed. prov. Wenn, da ein falscher Vormund seine Ermächtigung gab, geklagt sein, und unterdessen die Verjährungszeit (dies) abgelaufen, oder die Sache ersessen sein sollte, so muss er allen Nachtheil ebenso tragen, als wenn zu jener Zeit ein wahrer Vormund seine Ermächtigung gegeben, und so [der Kläger] geklagt hätte.
11Ulpianus libro trigesimo quinto ad edictum. Falsus tutor, qui in contrahendo auctor minori duodecim vel quattuordecim annis fuerit, tenebitur in factum actione propter dolum malum. 1Cuiuscumque condicionis fuerit vel sui iuris vel alieni, qui dolo malo auctoritatem accommodavit, tenebitur hoc edicto. 2Sed et si quis filiae familias auctor factus sit ad contrahendum, tenetur. idemque iuris est, si ancillae quis tutore auctore credidisset: nam omnibus istis modis propter tutorem decipitur is qui contraxit, quia aliter cum impubere contracturus non fuit, quam si tutoris auctoritas intercessisset. 3Iulianus libro vicesimo primo digestorum tractat, in patrem debeat dari haec actio, qui filiam minorem duodecim annis nuptum dedit. et magis probat patri ignoscendum esse, qui filiam suam maturius in familiam sponsi perducere voluit: affectu enim propensiore magis quam dolo malo id videri fecisse. 4Quod si intra duodecim annos haec decesserit, cum haberet dotem, putat Iulianus, si dolo malo conversatus sit is ad quem dos pertinet, posse maritum doli mali exceptione condicentem summovere in casibus, in quibus dotem vel in totum vel in partem, si constabat matrimonium, fuerat lucraturus.
11Ulp. lib. XXXV. ad Ed. Ein falscher Vormund, welcher beim Contrahiren einem solchen, der jünger als zwölf, oder vierzehn Jahr war, seine Ermächtigung ertheilt haben wird, wird mit einer Klage auf das Geschehene wegen der bösen Absicht gehalten sein, in welcher Lage auch immer er gewesen sein möge, ob eigenen oder fremden Rechtens. 1Wer in böser Absicht seine Ermächtigung ertheilt haben wird, wird auf dieses Edict gehalten sein. 2Aber auch wenn Jemand einer Haustochter seine Ermächtigung zum Contrahiren ertheilt haben wird, so ist er gehalten. Und dasselbe ist Rechtens, wenn Jemand einer Sclavin unter Ermächtigung eines Vormunds dargeliehen haben sollte; denn in allen jenen Fällen wird der, welcher contrahirt hat, wegen des Vormunds betrogen, indem er anders nicht mit dem Unmündigen contrahirt haben würde, als wenn die Ermächtigung des Vormunds eingetreten wäre. 3Julianus handelt im einundzwanzigsten Buche der Digesta davon, ob diese Klage auch gegen den Vater gegeben werden müsse, welcher seine Tochter, die jünger als zwölf Jahre ist, verheirathet hätte; und er billigt es mehr, dass es dem Vater zu verzeihen sei, wenn er seine Tochter zeitiger in die Familie ihres Verlobten hat bringen wollen; denn er scheine dies mehr aus zu grosser Zuneigung, als in böser Absicht gethan zu haben. 4Wenn sie aber vor dem zwölften Jahre gestorben sei, da sie ein Heirathsgut hatte, so glaubt Julianus, dass, wenn der, welchem das Heirathsgut gehört, mit böser Absicht verfahren sei, der Ehemann denselben, wenn er condicire, in den Fällen mit der Einrede der bösen Absicht zurückweisen könne, in welchen er das Heirathsgut entweder ganz oder zum Theil, wenn die Ehe rechtsbeständig gewesen wäre, gewonnen haben würde.
12Idem libro primo responsorum. Ex eo, quod interrogatus tutorem se esse respondit, nulla eum actione teneri: si tamen, cum tutor non esset, responso suo in aliquam captionem adulescentem induxit, utilem actionem adversus eum dandam.
12Idem lib. I. Resp. Ich habe das Gutachten ertheilt, das Jemand daraus, dass er auf Befragen geantwortet habe, er sei Vormund, auf keine Klage gehalten sei, wenn er jedoch, da er nicht Vormund war, durch seine Antwort den Pflegbefohlenen in irgend einen Nachtheil gebracht hat, so sei eine analoge Klage gegen denselben zu geben.