Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 26 übersetzt von Hunger unter Redaction von Otto
Dig. XXVI9,
Quando ex facto tutoris vel curatoris minores agere vel conveniri possunt
Liber vicesimus sextus
IX.

Quando ex facto tutoris vel curatoris minores agere vel conveniri possunt

(Wann aus der Handlung des Vormundes oder Curators Minderjährige klagen oder verklagt werden können.)

1Pom­po­nius li­bro vi­ce­si­mo no­no ad Sa­binum. Ob do­lum ma­lum vel cul­pam tu­to­ris Aris­to ait pu­pil­lum pos­ses­so­rem con­dem­nan­dum, sed non pu­to, quan­ti ac­tor in li­tem iu­ra­ret: et ta­men il­lud ita est, si rem a tu­to­re pu­pil­lus ser­va­re pos­sit.

1Pomp. lib. XXIX. ad Sabin. Befindet sich ein Mündel durch die Arglist oder Schuld des Vormundes im Besitz einer Sache, so soll, nach Aristo, gegen ihn (den Mündel) entschieden werden; aber nicht auf so viel, glaube ich, als der Kläger durch den Würderungseid verlangt. Doch verhält sich dies (die Meinung des Aristo) nur dann so, wenn der Mündel die Sache von dem Vormunde erhalten kann.

2Ul­pia­nus li­bro pri­mo opi­nio­num. Si tu­tor vel cu­ra­tor pe­cu­nia eius, cu­ius neg­otia ad­mi­nis­trat, mu­tua da­ta ip­se sti­pu­la­tus fue­rit vel prae­dia in no­men suum eme­rit, uti­lis ac­tio ei, cu­ius pe­cu­nia fuit, da­tur ad rem vin­di­can­dam vel mu­tuam pe­cu­niam ex­igen­dam.

2Ad Dig. 26,9,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 174, Note 9.Ulp. lib. I. Opin. Wenn ein Vormund oder Curator, der mit dem Gelde seines Pflegbefohlenen ein Darlehn bestellt hatte, sich selbst [die Zurückgabe desselben] stipulirte, oder Grundstücke in seinem Namen kaufte, so wird dem Eigenthümer des Geldes eine (utilis actio) analoge Klage zur eigenthümlichen Forderung der Sache, oder zur Eintreibung des Darlehns gegeben.

3Pa­pi­nia­nus li­bro vi­ce­si­mo quaes­tio­num. Do­lus tu­to­rum pue­ro ne­que no­ce­re ne­que prod­es­se de­bet: quod au­tem vul­go di­ci­tur tu­to­ris do­lum pu­pil­lo non no­ce­re, tunc ve­rum est, cum ex il­lius frau­de lo­cu­ple­tior pu­pil­lus fac­tus non est. qua­re me­ri­to Sa­b­inus tri­bu­to­ria ac­tio­ne pu­pil­lum con­ve­nien­dum ex do­lo tu­to­ris ex­is­ti­ma­vit, sci­li­cet si per in­iquam dis­tri­bu­tio­nem pu­pil­li ra­tio­ni­bus fa­vit. quod in de­po­si­ti quo­que ac­tio­ne di­cen­dum est, item he­redi­ta­tis pe­ti­tio­ne, si mo­do, quod tu­to­ris do­lo de­siit, pu­pil­li ra­tio­ni­bus il­la­tum pro­be­tur.

3Papin. lib. XX. Quaest. Die Arglist der Vormünder darf dem Mündel weder schaden, noch nutzen. Aber diese allgemeine Annahme, [nämlich] dass die Arglist des Vormundes dem Mündel nicht schade, ist nur in dem Falle wahr, wenn der Mündel durch den Betrug seines Vormundes nicht bereichert wurde. Deshalb vermuthet Sabinus mit Recht, der Mündel dürfe mit der actio tributoria rücksichtlich der Arglist des Vormundes dann belangt werden11Es hat nämlich der Vormund den Gläubigern des mit einem Peculium negociirenden Sclaven des Mündels weniger bei der Vermögensvertheilung desselben (Sclaven) zugewandt, als dem Mündel. In diesem Falle kann der Mündel auf diesen Vortheil belangt werden, ausserdem stände blos gegen den Vormund eine Klage (doli etc.) zu., wenn dieser [Vormund] durch parteiische Vertheilung den Vermögenszustand des Mündels begünstigte. Dies muss man auch bei der Klage aus dem Niederlegungsvertrage und ebenso bei der Erbschaftsklage annehmen, wenn nur der Beweis geführt wird, dass das, was durch des Vormundes Arglist [den Berechtigten22Z. B. dem Deponenten, mit dessen Verlust der Mündel sich durch den dolus seines Vormundes bereicherte oder dem wirklichen Erben, wenn der Mündel als putativer Erbe durch den dolus seines Vormundes aus dieser Erbschaft reicher wurde; floss aber trotz des verübten dolus des Vormundes doch nichts in das Vermögen des Mündels, so kann dieser nicht, sondern blos der Vormund in Anspruch genommen werden.] entging, in das Vermögen des Mündels floss.

4Ul­pia­nus li­bro se­xa­ge­si­mo quar­to ad edic­tum. At si ex­trin­se­cus ali­quid tu­tor do­lo ad­mi­se­rit, pu­pil­lo ni­hil no­ce­re opor­tet.

4Ulp. lib. LXIV. ad Ed. Wenn aber anderweit33D. i ohne damit verbundene Bereicherung des Mündels. der Vormund durch seine Arglist etwas [Widerrechtliches] beging, so darf dies dem Mündel nicht schaden.

5Pa­pi­nia­nus li­bro quin­to re­spon­so­rum. Post mor­tem fu­rio­si non da­bi­tur in cu­ra­to­rem qui neg­otia ges­sit iu­di­ca­ti ac­tio, non ma­gis quam in tu­to­res, si mo­do nul­lam ex con­sen­su post de­po­si­tum of­fi­cium no­va­tio­nem fac­tam et in cu­ra­to­rem vel tu­to­rem ob­li­ga­tio­nem es­se trans­la­tam con­sta­bit. 1Tu­tor, qui pe­cu­niam se so­lu­tu­rum ca­vit, quam pa­ter pu­pil­li con­dem­na­tus fue­rat, ac­tio­nem post tu­te­lam fi­ni­tam rec­te re­cu­sat. non idem in eo pla­cuit, qui suo no­mi­ne mu­tuam pe­cu­niam ac­ce­pit et iu­di­ca­tum pro pu­pil­lo fe­cit, ni­si for­te cre­di­tor id­eo con­tra­xit, ut in cau­sam iu­di­ca­ti pe­cu­nia trans­iret.

5Papin. lib. V. Resp. Nach dem Tod des Wahnsinnigen soll gegen den Curator, welcher die Geschäfte besorgte, eine Klage auf das Erkannte44Es darf also schon während der Curatel geklagt werden. (actio judicati) ebensowenig, als gegen die Vormünder, nach der Niederlegung ihres Amtes55Ich habe hier die Uebersetzung nach der Verbesserung des Cujaz. eingerichtet, indem ich die Worte post depositum officium hinter die Worte in tutorem anreihte. Daraus ergibt sich aber auch, dass man um eine von Seiten der Vormünder geschehene Novation nicht erst nach Beendigung der Vormundschaft anzunehmen habe, wie Cujaz. dies beweist., gegeben werden, wenn es nur offenkundig ist, dass der Vormund oder Curator zu keiner Novation sich verstanden66Die Worte ex consensu (sc. factam novat.) sollen auf den Unterschied einer freiwilligen und nothwendigen (durch Litiscontestation entstandenen) Novation hindeuten., und so das obligatorische Verhältniss auf ihre Personen herüberzogen. 1Ad Dig. 26,9,5,1Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 482, Note 8.Ein Vormund, welcher die Versicherung gab, er wolle das Geld, wozu der Vater des Mündels verurtheilt worden war, zahlen, weigert sich nach Beendigung der Vormundschaft mit Recht, wenn er nun darauf gerichtlich in Anspruch genommen wird. Nicht dasselbe wurde bei dem (Vormunde) angenommen, welcher im eigenen Namen ein Darlehn empfing, und das, wozu der Mündel verurtheilt ward, damit zahlte; wenn nicht etwa der Gläubiger deshalb darlieh, damit das Geld zur Erfüllung des Urtheils verwendet werde.

6Idem li­bro se­cun­do de­fi­ni­tio­num. Tu­tor in­ter­po­si­to de­cre­to prae­to­ris ac­to­rem re­li­quit. se­cun­dum eum sen­ten­tia dic­ta iu­di­ca­ti trans­fer­tur ad pu­pil­lum ac­tio non mi­nus, quam si tu­tor op­ti­nuis­set.

6Idem lib. II. Definit. Ein Vormund überliess auf erfolgtes Decret des Prätors [die Führung des Processes] einem Sachwalter (actor), da dieser den Process gewann, so geht die Klage auf das Erkannte auf den Mündel ebenso über, als wenn der Vormund selbst obgesiegt hätte.

7Scae­vo­la li­bro ter­tio de­ci­mo quaes­tio­num. Tu­to­ri, qui in­fan­tem de­fen­dit, suc­cur­ri­tur, ut in pu­pil­lum iu­di­ca­ti ac­tio de­tur.

7Scaevola lib. XIII. Quaest. Einem Vormunde, der die Vertheidigung für einen Mündel, der noch nicht sprechen kann, führt, kommt man [insofern] zu Hülfe, dass die Klage auf das Erkannte gegen den Mündel gegeben wird77Diese Gesetzstelle steht in genauem Zusammenhange mit Fr. 2. D. de adm. et per. tut. und Fr. 89. D. de adquir. v. omitt. hered. Altamiranus (Meerm. Thes. II. p. 523—526.) sagt darüber etwa Folgendes: Nach strengem Rechte geht die actio judicati gegen den Process führenden Vormund. Der Kaiser Pius beschränkte dies blos darauf, wenn freiwillig der Vormund den Process übernahm, wo er leicht seine auctoritas dem Mündel hätte interponiren können. Durch nachfolgende Rescripte anderer Kaiser wurde der Vormund durchweg von der Nothwendigkeit befreit, das judicatum zu zahlen. Auch die Bürgen, die er den Gläubigern des Mündelsvaters stellte, sind ausser aller Verpflichtung, wenn der Mündel die Erbschaft nicht antritt, denn es gehen ja alle erbschaftlichen Schuldverhältnisse auf den nunmehrigen Intestat- oder Miterben u. s. w. über. Diese Befreiung des Bürgen ist auch deshalb nöthig, weil diese sonst, das Gezahlte vom Vormunde zurückfordern könnten, folglich dieser sodann nicht frei von der Verbindlichkeit, das Erkannte zu zahlen, gelten kann. Abstinirt der Mündel nicht, so muss er das judicatum zahlen, und der Vormund und die Bürgen sind befreit, besonders wenn der Vormund den Rechtsstreit für einen Abwesenden oder infans, den er nicht ermächtigen kann, übernahm, wie es das Rescript des Kaisers Pius angibt. Das Fr. 89. spricht von Bürgen, welche der Mündel selbst den Erbschaftsgläubigern stellte, oder deren Befreiung von der Nothwendigkeit, das judicatum zu zahlen, wenn der Mündel abstinirt; weil er ja sonst von diesen act. mandati könnte belangt werden auf das, was sie für ihn zahlen mussten..

8Idem li­bro quin­to re­spon­so­rum. Tu­tor, qui et co­he­res pu­pil­lo erat, cum con­ve­ni­re­tur fi­dei­com­mis­si no­mi­ne, in so­li­dum ip­se ca­vit: quae­si­tum est, an in ad­ul­tum pu­pil­lum pro par­te dan­da sit uti­lis ac­tio. re­spon­dit dan­dam11Die Großausgabe liest dan­da statt dan­dam..

8Idem lib. V. Resp. Ein Vormund, der [zugleich] auch des Mündels Miterbe war, leistete, da er belangt wurde, in Bezug auf das Fideicommiss auf das Ganze Sicherheit. Nun entstand die Frage, ob gegen den Pflegbefohlenen nach erlangter Mündigkeit eine analoge Klage zu geben sei. Die Antwort war: sie sei zu gestatten.