Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Zweites Buch übersetzt von Heimbach unter Redaction von Otto
Dig. II2,
Quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur
Liber secundus
II.

Quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur

(Welche Rechtsgrundsätze Jemand gegen einen Andern aufgebracht hat, die sollen gegen ihn selbst in Anwendung gebracht werden dürfen.)

1Ul­pia­nus li­bro ter­tio ad edic­tum. Hoc edic­tum sum­mam ha­bet ae­qui­ta­tem, et si­ne cu­ius­quam in­dig­na­tio­ne ius­ta: quis enim asper­na­bi­tur idem ius si­bi di­ci, quod ip­se aliis di­xit vel di­ci ef­fe­cit? 1Qui ma­gis­tra­tum po­tes­ta­tem­ve ha­be­bit, si quid in ali­quem no­vi iu­ris sta­tue­rit, ip­se quan­do­que ad­ver­sa­rio pos­tu­lan­te eo­dem iu­re uti de­bet. si quis apud eum, qui ma­gis­tra­tum po­tes­ta­tem­que ha­be­bit, ali­quid no­vi iu­ris op­ti­nue­rit, quan­do­que post­ea ad­ver­sa­rio eius pos­tu­lan­te eo­dem iu­re ad­ver­sus eum de­cer­ne­tur: sci­li­cet ut quod ip­se quis in al­te­rius per­so­na ae­quum es­se cre­di­dis­set, id in ip­sius quo­que per­so­na va­le­re pa­tia­tur. 2Haec au­tem ver­ba: ‘quod sta­tue­rit qui iu­ris­dic­tio­ni prae­est’ cum ef­fec­tu ac­ci­pi­mus, non ver­bo te­nus: et id­eo si, cum vel­let sta­tue­re, pro­hi­bi­tus sit nec ef­fec­tum de­cre­tum ha­buit, ces­sat edic­tum. nam sta­tuit ver­bum rem per­fec­tam sig­ni­fi­cat et con­sum­ma­tam in­iu­riam, non coep­tam. et id­eo si in­ter eos quis di­xe­rit ius, in­ter quos iu­ris­dic­tio­nem non ha­buit, quon­iam pro nul­lo hoc ha­be­tur nec est ul­la sen­ten­tia, ces­sa­re edic­tum pu­ta­mus: quid enim of­fuit co­na­tus, cum in­iu­ria nul­lum ha­bue­rit ef­fec­tum?

1Ulp. lib. III. ad Edictum. Dieser Theil des Edicts fasst die grösste Billigkeit in sich, und zwar ohne dass irgend Jemand sich mit Recht darüber beschweren kann. Denn wer wird es verwerfen, dass nach denselben Grundsätzen ihm Recht gesprochen werde, nach welchen er es Andern gesprochen oder hat sprechen lassen. 1Wer eine obrigkeitliche oder eine mit Imperium versehene Stelle bekleidet, wenn der gegen Einen etwas, was früher nicht Rechtens war, aufgebracht hat, so muss er selbst die Anwendung desselben Rechtes sich gefallen lassen, wenn ihn einst sein Gegner verklagt. Wenn Jemand bei dem, welcher eine obrigkeitliche und eine mit Imperium versehene Stelle bekleidet, einen neuen Rechtsgrundsatz durchgesetzt hat, gegen den wird nach demselben Grundsatze verfügt werden, wenn sein Gegner ihn nachher einst verklagen sollte, damit er nämlich das, was er in des Andern Person für billig gehalten hat, auch in der seinigen gelten lasse. 2Folgende Worte aber, was der aufgebracht hat, welcher der Gerichtsbarkeit vorsteht, verstehen wir von der Wirkung, nicht wörtlich. Und deshalb ist das Edict ohne Kraft, wenn er es zwar aufbringen wollte, aber daran gehindert worden ist, und die Verfügung keine Wirkung hatte; denn der Begriff aufgebracht hat deutet auf eine vollendete Sache und ein vollbrachtes Unrecht, nicht auf ein angefangenes. Und deshalb glauben wir, dass, wenn Jemand unter denen Recht gesprochen hat, unter welchen er Recht zu sprechen nicht befugt war, weil dies für ungültig gehalten wird, und kein Urtheil in der Wirklichkeit vorhanden ist, das Edict kraftlos sei: denn was hat der Versuch geschadet, wenn das Unrecht ohne Wirkung war?

2Pau­lus li­bro ter­tio ad edic­tum. Hoc edic­to do­lus de­bet ius di­cen­tis pu­ni­ri: nam si ad­ses­so­ris im­pru­den­tia ius ali­ter dic­tum sit quam opor­tuit, non de­bet hoc ma­gis­tra­tui of­fi­ce­re, sed ip­si ad­ses­so­ri.

2Paul. lib. III. ad Edictum. Durch dieses Edict darf nur der böse Vorsatz dessen, welcher Recht spricht, bestraft werden. denn wenn durch eines Beisitzers Unvorsichtigkeit anders Recht gesprochen worden ist, als es sollte, so darf dies nicht die Obrigkeit in Schaden bringen, sondern den Besitzer allein.

3Ul­pia­nus li­bro ter­tio ad edic­tum. Si quis in­iquum ius ad­ver­sus ali­quem im­pe­tra­vit, eo iu­re uta­tur ita de­mum, si per pos­tu­la­tio­nem eius hoc ve­ne­rit: ce­te­rum si ip­so non pos­tu­lan­te, non co­er­ce­tur. sed si im­pe­tra­vit, si­ve usus est iu­re ali­quo, si­ve im­pe­tra­vit ut ute­re­tur li­cet usus non sit, hoc edic­to pu­nia­tur. 1Si pro­cu­ra­tor meus pos­tu­la­vit, quae­ri­tur, quis eo­dem iu­re uta­tur: et pu­tat Pom­po­nius me so­lum, uti­que si hoc ei spe­cia­li­ter man­da­vi vel ra­tum ha­bui. si ta­men tu­tor vel cu­ra­tor fu­rio­si pos­tu­la­ve­rit vel ad­ules­cen­tis, ip­se hoc edic­to co­er­ce­tur. item ad­ver­sus pro­cu­ra­to­rem id ob­ser­van­dum est, si in rem suam fue­rit da­tus. 2Haec poe­na ad­ver­sus om­nem sta­tui­tur, qui in edic­tum in­ci­dit, non so­lum eo pos­tu­lan­te qui ab eo lae­sus est, sed om­ni, qui quan­do­que ex­per­i­tur. 3Si is pro quo spopon­dis­ti im­pe­tra­ve­rit, ne ali­quis de­bi­tor ip­sius ad­ver­sus eum ex­cep­tio­ne uta­tur, de­in­de tu in neg­otio, in quo spopon­dis­ti, ve­lis ex­cep­tio­ne uti: nec te nec ip­sum opor­tet hoc im­pe­tra­re, et­si in­ter­dum pa­tia­ris in­iu­riam, si sol­ven­do de­bi­tor non sit. sed si tu in­ci­dis­ti in edic­tum, reus qui­dem ute­tur ex­cep­tio­ne, tu non uta­ris: nec poe­na tua ad reum pro­mit­ten­di per­ti­ne­bit: et id­eo man­da­ti ac­tio­nem non ha­be­bis. 4Si fi­lius meus in ma­gis­tra­tu in hoc edic­tum in­ci­dit, an in his ac­tio­ni­bus, quas ex per­so­na eius in­ten­do, hoc edic­to lo­cus sit? et non pu­to, ne mea con­di­cio de­te­rior fiat. 5Quod au­tem ait prae­tor, ut is eo­dem iu­re uta­tur, an et­iam ad he­redem haec poe­na trans­mit­ta­tur? et scri­bit Iu­lia­nus non so­lum ip­si de­ne­ga­ri ac­tio­nem, sed et­iam he­redi eius. 6Il­lud quo­que non si­ne ra­tio­ne scri­bit non so­lum in his ac­tio­ni­bus pa­ti eum poe­nam edic­ti, quas tunc ha­buit cum in­ci­de­ret in edic­tum, ve­rum si quae post­ea ei ad­quiren­tur. 7Ex hac cau­sa so­lu­tum re­pe­ti non pos­se Iu­lia­nus pu­tat: su­per­es­se enim na­tu­ra­lem cau­sam, quae in­hi­bet re­pe­ti­tio­nem.

3Ulp. lib. III. ad Edictum. Hat Jemand gegen den Andern einen dem Edicte nach unbilligen Rechtsgrundsatz gerichtlich durchgesetzt, so soll er die Anwendung desselben Grundsatzes gegen sich erst dann erleiden, wenn dieses aus seinem Antrage geflossen: aber wenn es ohne seinen Antrag gekommen, so wird er nicht bestraft. Aber auch, wenn er ihn gerichtlich durchgesetzt, sei es, dass er ihn wirklich angewendet oder durchgesetzt, um ihn anzuwenden, ob er ihn gleich nicht angewendet, so wird er nach diesem Edicte bestraft. 1Wenn mein Anwalt darauf angetragen, entsteht die Frage, wer denselben gegen sich anwenden lassen müsse? Und Pomponius glaubt, ich allein müsse es: allerdings, wenn ich ihm das besonders aufgetragen oder es genehmigt habe. Wenn indess ein Vormund oder Curator eines Wahnsinnigen oder eines jungen Menschen darauf angetragen, wird er allein nach diesem Edicte bestraft. Desgleichen gegen einen Anwalt ist dies zu beobachten, wenn er zum Anwalt seines eigenen Nutzens wegen bestellt worden. 2Diese Strafe wird gegen Jeden bestimmt, welcher dem Edicte verfällt, nicht allein auf dessen Antrag, der dadurch Nachtheil gehabt, sondern auf Jedes, der irgend einmal klagt. 3Wenn der, für den du dich verbürgt hast, es durchgesetzt, dass irgend ein Schuldner von ihm von einer Einrede gegen ihn Gebrauch mache, und du darauf in dem Geschäfte, in dem du dich verbürgt hast, dieselbe Exception brauchen wolltest, so darfst weder du, noch er dies durchsetzen, obgleich du dadurch bisweilen Schaden leiden solltest, im Fall der Schuldner nicht zahlen könnte. Aber wenn du dem Edicte verfallen bist, wird der Beklagte zwar die Einrede brauchen können; du aber wirst es nicht können; und dein Nachtheil wird sich nicht auf den, für welchen du dich verbürgt hast, erstrecken, und deshalb wirst du die Klage aus dem Mandat nicht gegen ihn haben. 4Wenn mein Sohn bei der Verwaltung eines obrigkeitlichen Amtes diesem Edicte verfiel, tritt dann die Wirkung des Edicts in den Klagen ein, die ich in der Person des Sohnes anstelle? Und ich glaube: nein, damit meine Umstände nicht verschlechtert werden. 5Betreffend das, was der Prätor sagt, er solle denselben Rechtsgrundsatz gegen sich gelten lassen, wird diese Strafe auch auf den Erben übergehen? Und Julian schreibt, dass nicht allein ihm das Klagrecht abgesprochen werde, sondern auch seinem Erben. 6Auch das schreibt derselbe nicht ohne Grund, dass er nicht allein in den Klagen die Strafen des Edicts leide, welche er damals hatte, als er dem Edicte verfiel, sondern auch dann, wenn ihm einige nachher erworben worden sind. 7In dieser Sache, glaubt Julian, könne man das einmal Gezahlte nicht zurückverlangen; denn es bleibe eine natürliche Verbindlichkeit zurück, welche das Zurückverlangen ausschliesst.

4Gaius li­bro pri­mo ad edic­tum pro­vin­cia­le. Il­lud ele­gan­ter prae­tor ex­ci­pit: ‘prae­ter­quam si quis eo­rum con­tra eum fe­ce­rit, qui ip­se eo­rum quid fe­cis­set’: et rec­te, ne sci­li­cet vel ma­gis­tra­tus, dum stu­det hoc edic­tum de­fen­de­re, vel li­ti­ga­tor, dum vult be­ne­fi­cio hu­ius edic­ti uti, ip­se in poe­nam ip­sius edic­ti com­mit­tat.

4Gaj. lib. I. ad Edictum prov. Folgende Ausnahme hat der Prätor treffend gemacht: ausser wenn Jemand von ihnen gegen den handelt, welcher selbst etwas dergleichen gethan hat. Und mit Recht, damit nämlich weder eine Obrigkeit, indem sie dies Edict schützen will, noch eine streitende Partei, indem sie sich bemüht, der Rechtswohlthat dieses Edicts zu geniessen, selbst der Strafe desselben Edicts verfalle.