De servo corrupto
(Vom verführten Sclaven.)
1Ulp. lib. XXIII. ad Ed. Der Prätor sagt: Wer einen fremden Sclaven oder eine fremde Sclavin versteckt oder zu etwas in böser Absicht beredet zu haben beschuldigt wird, um sie zu verschlechtern, wider den werde ich eine Klage auf das Doppelte dessen, wieviel der Gegenstand beträgt, ertheilen. 1Wer einen Sclaven im guten Glauben gekauft hat, der haftet durch dieses Edict nicht, weil er auch selbst nicht wegen Verführung des Sclaven klagen kann, indem ihm nichts daran gelegen ist, dass der Sclav nicht verführt werde; denn wer dies zulässig finden wollte, der müsste annehmen, dass die Klage wegen der Verführung des Sclaven Zweien zuständig sei, was widersinnig ist. Wir nehmen nicht einmal an, dass diese Klage derjenige, dem ein freier Mensch im guten Glauben dient, erheben könne. 2Wenn der Prätor sagt: versteckt hat, so verstehen wir darunter, wenn er einen fremden Sclaven zu sich genommen hat; verstecken heisst also eigentlich: einem Sclaven einen Zufluchtsort, um ihn zu verbergen, gewähren, gleichviel ob auf seinem eigenen Grund und Boden, oder an einem fremden Ort und Gebäude. 3Ueberreden aber ist mehr, als angetrieben und gezwungen werden, Jemandem Gehorsam zu leisten; überreden hat eine doppelte Bedeutung; man kann sowohl durch Ertheilung eines guten als eines bösen Raths [Jemandem] zureden; darum hat der Prätor hinzugesetzt; in böser Absicht, um ihn zu verschlechtern; denn nur derjenige begeht ein Verbrechen, wer den Sclaven zu etwas der Art beredet, wodurch er ihn schlechter macht. Der also, wer einen Sclaven anreizt, etwas Schlechtes zu thun oder zu denken, scheint durch dieses Edict bezeichnet zu sein. 4Haftet er aber nur dann, wenn er einen Sclaven von rechtlicher Gemüthsart zum Verbrechen verführt, oder auch wenn er einem schlechten Sclaven dazu gerathen, oder einem solchen gezeigt hat, wie er es machen müsse? Es ist richtiger, anzunehmen, dass er auch hafte, wenn er einem schlechten Sclaven gezeigt, wie er das Verbrechen begehen solle; ja er haftet sogar, wenn der Sclav schon im Begriff stand, jeden Falls zu entlaufen, oder einen Diebstahl zu begehen, und er nach seinem Vorsatz lobpreisend aufgetreten ist; denn Bosheit darf nicht durch Lob noch verstärkt werden. Er mag also einen guten Sclaven zum schlechten, oder einen schlechten zum noch schlechtern gemacht haben, es wird Verführung angenommen. 5Auch der verschlechtert einen Sclaven, der ihn überredet, eine Injurie zu begehen, zu stehlen, oder zu entlaufen, oder einen fremden Sclaven zu etwas zu bereden, oder sein Sondergut in Processe zu verwickeln, oder zu Liebschaften verleitet, oder ein Nachtschwärmer zu werden, sich schlechten Künsten zu ergeben, den Schauspielen zu sehr nachzulaufen, widerspenstig zu sein, oder wer einen Verwalter durch Ueberredung oder Bestechung bewogen hat, die Rechnungen seines Herrn zu vernichten, zu verfälschen, oder auch eine ihm übertragene Rechnung zu verwirren,
3Ulp. lib. XXIII. ad Ed. Durch den Beisatz: in böser Absicht, bezeichnet der Prätor die List dessen, der überredet; wer [den Sclaven] ohne böse Absicht schlechter gemacht hat, ist nicht gemeint; auch wer es aus Spielerei gethan, haftet nicht. 1Daher entsteht die Frage, ob derjenige, der einem Sclaven zugeredet hat, auf ein Dach hinauf oder in einen Brunnen hinabzusteigen, und wenn dieser ihm folgsam hinauf- oder hinabgestiegen, einen Fall gethan, und das Bein oder etwas Anderes zerbrochen hat, oder um’s Leben gekommen ist, deshalb verbindlich sei? Hat er es ohne böse Absicht gethan, so haftet er nicht; wenn mit böser Absicht, so muss er haften;
5Ulp. lib. XXIII. ad Ed. Der Begriff der bösen Absicht ist auch auf den zu beziehen, der ihn bei sich eingenommen hat, so dass nur derjenige haftet, der es in böser Absicht gethan hat; wer ihn übrigens in der Absicht, um ihn für seinen Herrn festzuhalten, oder aus Menschlichkeit oder Mitleid veranlasst, oder aus einem andern guten und rechtmässigen Grunde bei sich eingenommen hat, der haftet nicht. 1Wer einen Sclaven in böser Absicht überredet hat, den er für einen Freien hielt, der muss nach meiner Ansicht haften; denn wer ihn für einen Freien hält und verführt, begeht ein noch grösseres Verbrechen, und darum haftet er, wenn es ein Sclav war. 2Diese Klage findet auch wider den Geständigen auf das Doppelte Statt, wiewohl die Aquilie nur wider den Leugnenden gerichtet ist. 3Wenn ein Sclav oder eine Sclavin der That beschuldigt wird, so findet die Klage mit der Auslieferung an Schädens Statt Anwendung. 4Diese Klage wird auf die Zeit, wo der Sclav verführt oder versteckt ward, und nicht auf die Gegenwart bezogen; darum kommt sie, auch wenn er gestorben, oder veräussert, oder freigelassen worden ist, nichts desto weniger zur Anwendung; auch wird die einmal entstandene Klage durch die Freilassung nicht aufgehoben,
7Ulp. lib. XXIII. ad Ed. weil zuweilen auch schlechte Sclaven die Freiheit erlangen, und ein später entstandener Umstand hin und wieder einen rechtmässigen Grund für die Freilassung darbietet.
9Ulp. lib. XXIII. ad Ed. Bei Julian findet sich im neunten Buche seiner Digesten die Frage, ob derjenige durch diese Klage hafte, der einen mir und ihm gemeinschaftlich gehörigen Sclaven verführt hat? Er beantwortet sie dahin, dass er seinem Mitgenossen hafte; ausserdem, sagt Julian, könne er auch mit der Gemeingutstheilungsklage und der Gesellschaftsklage, wenn sie Gesellschafter sind, angegriffen werden. Warum macht aber Julian das Verhältniss des Gesellschafters zu einem nachtheiligeren11Diese Stelle hat Schwierigkeiten; dass sie schon früh gefühlt worden sind, bezeugen Haloanders Aenderungsversuche, der statt teneri eum socio liest pro socio, und dann nachher diese Worte weglässt. Allein hierdurch ist die Schwierigkeit nicht gehoben, sondern vergrössert. Man muss eum socio beibehalten. Was nämlich die fragweise Stellung betrifft, so wird die deterior conditio erst durch das nachfolgende nam etc. erläutert; Ulpian fiel überhaupt auf diese Frage blos durch den Ausdruck corruperit, in der Eingangs des Gesetzes gestellten Frage Julians. Die Frage Ulpians ist aber nicht gestellt, um direct beantwortet zu werden, sondern blos gewissermaassen ein Vorwurf, eine Rüge der des Julian, von der das folgende nisi forte etc. das enthält, was zu Julians Entschuldigung gesagt werden kann. Das nachherige Sed si celandi etc. ist die definitive Entscheidung Ulpians., wenn er wider einen Gesellschafter klagt, als wenn gegen einen Dritten? Denn wer wider einen Dritten klagen will, kann es thun, er mag ihn versteckt oder verführt haben, wer aber wider seinen Gesellschafter, nicht in beiden Fällen, d. h. [nur] wenn er ihn verführt hat; vielleicht ist Julian der Ansicht gewesen, dass dies den Gesellschafter nicht treffe, denn Niemand kann einen ihm gehörigen [Sclaven] verstecken. Allein wenn er ihn in der Absicht bei sich versteckt hat, um ihn verborgen zu halten, so kann man wohl sagen, dass er hafte. 1Wenn mir an einem Sclaven der Niessbrauch und dir die Eigenheit zusteht, und ich denselben verschlechtert habe, so kannst du wider mich Klage erheben, und wenn du es gethan, kann ich die analoge Klage erheben; denn diese Klage bezieht sich auf Verführungen aller Art, und es ist anzunehmen, dass dem Niessbraucher daran gelegen sei, dass der Sclav, an dem er den Niessbrauch hat, von unbescholtenen Sitten sei. Auch wenn ihn ein Dritter versteckt oder verführt hat, steht dem Niessbraucher eine analoge Klage zu. 2Die Klage wird auf den doppelten Werth des Betrags gegeben. 3Es ist aber die Frage, ob die Schätzung sich blos darauf erstrecken dürfe, inwieweit der Sclav an seinem Körper oder Gemüth verschlechtert worden ist, d. h. um wieviel er an seinem Werthe verloren hat, oder auch auf andere [Beziehungen]22Ceterorum, s. Noodt Commentar. ad h. l. Opp. T. II. p. 208b. Er erklärt dies von Sachen, die z. B. ein entlaufener Sclav mitgenommen hat, wovon das folgende Gesetz spricht.? Neratius sagt: der Verführer sei zu [doppelt] soviel zu verurtheilen, als der Sclav deshalb, dass er verführt worden, an Werth verloren habe.
10Paul. lib. XIX. ad Ed. Bei dieser Klage werden auch diejenigen Sachen veranschlagt, welche der [versteckte] Sclav mit sich genommen hat, weil aller Schaden doppelt gerechnet wird, und es ist gleich, ob die Sachen zu, dem [Beklagten] gebracht worden, oder zu einem Andern, oder auch ob sie verbraucht sind; denn es ist dem Rechte angemessener, dass der Urheber des Verbrechens hafte, als den aufzusuchen, zu dem die Sachen hingebracht worden sind.
11Ulp. lib. XXIII. ad Ed. Neratius sagt: später verübte Diebstähle kommen bei der Schätzung nicht in Betracht; diese Ansicht halte ich für richtig, denn auch die Worte des Edicts: wieviel der Gegenstand beträgt, begreifen [nur] allen [gegenwärtigen] Schaden. 1Habe ich einen Sclaven überredet, die Handschriften von Schuldnern zu vernichten, so muss ich haften; hat er aber durch Angewohnheit, schlechte Handlungen zu begehen, nachher Rechnungen und andere ähnliche Urkunden gestohlen, oder verdorben, oder zerstört, so haftet der Verführer dieserhalb nicht. 2Ad Dig. 11,3,11,2Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 326, Note 8.Wiewohl aber die Klage wegen der Verführung des Sclaven auch in Betreff gestohlener Sachen Statt findet, so kann man doch auch die Klage wegen Diebstahls erheben; denn die auf Anrathen des Zuredenden geschehene Entfremdung der Sachen wird als mit dessen Hülfe geschehen angenommen; auch ist es mit der Anstellung der einen Klage nicht abgethan, weil die eine die andere nicht aufhebt. Dasselbe schreibt Julian auch von dem, der einen Sclaven versteckt und verborgen gehalten und verschlechtert hat; denn die Uebelthat des Diebes ist eine andere, als die dessen, der den Sclaven verschlechtert. Um so mehr haftet derselbe auch durch die Condiction; denn wenn [der Betheiligte] auch den Sclaven selbst durch die Condiction, die Strafe aber durch die Diebstahlsklage erlangen kann, so darf er dennoch auch sein Interesse mittelst der Klage wegen der Verführung des Sclaven fordern,
13Ulp. lib. XXIII. ad Ed. Diese Klage ist eine immerwährende, und keine zeitliche, und steht dem Erben wie den übrigen [Rechts-] Nachfolgern zu; wider den Erben findet sie nicht Statt, weil sie eine Strafklage ist. 1Auch wer einen Erbschaftssclaven verführt hat, haftet durch diese Klage; er wird jedoch auch durch die Erbschaftsklage gleichsam als ein Räuber gehalten,
14Paul. lib. XIX. ad Ed. so dass auch bei der Erbschaftsklage ebensoviel in Betracht kommt, wie bei dieser Klage. 1Wegen Verführung von Familiensöhnen und Töchtern findet dieses Edict nicht Statt, weil die Klage wegen der Verführung von Sclaven begründet ist, die zu unserm Vermögen gehören, und der Herr beweisen kann, dass er ärmer geworden sei, ohne dass die Würde und der Ruf seines Hauses angegriffen wird; allein es ist eine der Schätzung der richterlichen Amtspflicht anheimzugebende analoge Klage zuständig, weil uns daran gelegen ist, dass das Gemüth unserer Kinder nicht verführt werde. 2Wenn ein dir und mir gemeinschaftlich gehöriger Sclav einen mir allein gehörigen verführt hat, so sagt Sabinus, könne wider den Genossen ebensowenig Klage erhoben werden, wie wenn ein mir allein gehöriger Sclav einen Mitsclaven verführt hätte. Ebenso ist es die Frage, ob, wenn ein Zweien gehöriger Sclav einen fremden verführt hat, wider beide Klage zu erheben sei, oder, nach Art der übrigen Noxen, gegen jeden Einzelnen [geklagt werden könne]? Es spricht mehr dafür, dass Jeder auf das Ganze haftet, jedoch durch die geschehene Zahlung von Seiten des Einen der Andere befreiet werde. 3Wenn derjenige [Sclav], an dem ich den Niessbrauch habe, meinen Sclaven verführt hat, so steht mir die Klage wider den Eigenheitsherrn zu. 4Der Schuldner hat diese Klage wegen eines zum Pfande bestellten Sclaven. 5Der doppelte Betrag ist bei dieser Klage nicht ausser der Sache selbst zu rechnen, denn es wird [nur] der wirklich angerichtete Schaden verdoppelt. 6Diesem gemäss ist auch das richtig, dass wenn du meinen Sclaven beredet hast, den Titius zu bestehlen, du nicht blos dazu verpflichtet wirst, um wieviel der Sclav verschlechtert worden ist, sondern auch dazu, was ich dem Titius gewähren muss. 7Ad Dig. 11,3,14,7ROHGE, Bd. 15 (1875), Nr. 19, S. 48: Interesse, der dem Dritten vom Beschädigten gezahlte Betrag.Ingleichen haftest du mir nicht nur, wenn er mir auf deinen Rath Schaden zugefügt hat, sondern auch, wenn einem Dritten, weil ich durch das Aquilische Gesetz selbst haften muss; oder wenn ich Jemandem aus einem Miethcontract verpflichtet bin, weil ich ihm einen Sclaven vermiethet habe, und dieser durch dich verschlechtert worden ist, so haftest du sowohl in diesem, als auch in andern ähnlichen Fällen. 8Die Schätzung geschieht bei dieser Klage darnach, um wieviel der Sclav schlechter geworden ist, was durch die Amtspflicht des Richters ermittelt wird. 9Es tritt aber zuweilen der Fall ein, dass [der Sclav] ganz unnütz und es von gar keinem Interesse ist, einen solchen Sclaven zu besitzen; wird in diesem Fall nun der Anreizer auch zur Erlegung des Werthes genöthigt, und profitirt der Herr den Sclaven noch ausserdem, oder muss der Herr zur Herausgabe des Sclaven und Annahme des Werths gezwungen werden? Es ist richtiger, dem Herrn die Wahl zu lassen, entweder den Sclaven zu behalten, und den Schadensbetrag, um den der Sclav verschlechtert worden, doppelt zu nehmen, oder nach Herausgabe des Sclaven, wenn er dazu befähigt war, den Werth zu verlangen; hat er [diese Befähigung] nicht, so muss er zwar den Werth auf gleiche Weise erhalten, jedoch dagegen dem Anreizer auf dessen Gefahr die Klagen über das Eigenthum an dem Sclaven abtreten. Was über die Herausgabe des Sclaven gesagt worden ist, hat natürlich nur dann Statt, wenn es sich um einen lebenden Sclaven handelt. Wird hingegen nach dessen Freilassung Klage erhoben, so wird er nicht leicht bei dem Richter Gehör erlangen, wenn er den Grund der Freilassung dahin angibt, dass er ihn nicht habe im Hause behalten wollen, so dass er den Werth und den Freigelassenen erhält.
15Gaj. lib. VI. ad Ed. prov. Das Gemüth des Sclaven wird auch dann verführt, wenn er überredet worden ist, seinen Herrn geringschätzend zu behandeln.
16Alfen. Varus lib. II. Dig. Ein Herr ertheilte seinem Sclaven, der Verwalter war, die Freiheit, empfing, von demselben nachher die Rechnungen, und erfuhr, als es mit denselben nicht richtig stand, dass er das Geld bei einer Dirne durchgebracht habe; es entstand nun die Frage, ob er wider das Frauenzimmer wegen der Verführung des Sclaven klagen könne, da doch der Sclav schon frei war? Ich habe zur Antwort ertheilt, er könne es allerdings, jedoch könne er auch die Diebstahlsklage wegen der Gelder, die der Sclav derselben zugesteckt habe, erheben.