De officio praesidis
(Von der Amtspflicht des Präsidenten.)
1Macer. lib. I. de off. Praes. Der Name Präsident ist ein allgemeiner, und es werden die Proconsulen, die Legaten des Kaisers, und alle Vorsteher der Provinzen, wenn sie auch Senatoren sind, Präsidenten genannt; die Benennung Proconsul ist eine besondere.
2Ulp. lib. XXVI. ad Sabin. Der Präsident kann vor sich an Kindes Statt annehmen, sowie auch seinen eigenen Sohn aus der Gewalt entlassen, und Sclaven freilassen.
3Paul. lib. XIII. ad Sabin. Der Präsident der Provinz hat blos über die Einwohner seiner Provinz Gewalt, und zwar nur, so lange er in der Provinz ist; denn wenn er sich ausserhalb derselben befindet, ist er Privatperson. Zuweilen hat er auch über Ausländer Gewalt, [nämlich] wenn sie sich thätig vergangen haben; denn in den, von den Kaisern erlassenen, Bestallungen ist auch gesagt, dass derjenige, welcher einer Provinz vorsteht, dafür sorgen soll, die Provinz von Gesindel zu reinigen, und es ist einerlei woher es ist.
4Ulp. lib. XXXIX. ad Ed. Der Provincialpräsident hat in der Provinz nach dem Kaiser eine grössere Gewalt als irgend Jemand.
5Id. lib. I. de omn. tribun. Der Provincialpräsident kann sich selbst eben so wenig zum Vormund, als zum Richter für einen besondern Fall bestellen.
6Id. lib. I. Opin. Der Provincialpräsident soll unerlaubte und gewaltsame Erpressungen, durch Gewalt abgezwungene Käufe und ohne empfangene Zahlung ausgestellte Quittungen hintertreiben. Nicht minder soll derselbe Vorkehrungen treffen, dass Niemand einen unbilligen Gewinn oder Schaden habe. 1Die Wahrheit von etwas Geschehenem wird durch Irrthum nicht vermindert, und darum soll der Provincialpräsident sich darnach richten, was er nach der Glaubwürdigkeit dessen, was bewiesen worden sein wird, für angemessen erachtet. 2Es ist Pflicht des Provincialpräsidenten, [darauf zu achten,] dass sich Mächtige gegen Niedere keine Widerrechtlichkeiten erlauben, und deren Stellvertreter nicht Unschuldige mit verbrecherischen Verläumdungen verfolgen. 3Der Provincialpräsident soll unerlaubte Bedienten, die unter dem Vorwande, dass sie den Militärbeamten Hülfe leisten, darauf ausgehen, die Einwohner zu plagen, nicht zulassen, und wenn sie ergriffen worden, sie bestrafen; auch soll er unerlaubte, unter dem Vorgeben, es seien Steuern, geschehene Erpressungen verhindern. 4Der Provincialpräsident möge es sich auch angelegen sein lassen, weder Jemanden in erlaubten Beschäftigungen zu stören, noch unerlaubte zuzulassen, noch Unschuldige zu bestrafen. 5Er soll ferner dafür Sorge tragen, dass nicht unbemittelte Leute, unter dem Vorwande der Ankunft von Beamten oder Soldaten, widerrechtliche Weise beunruhigt und ihres einzigen Zimmers und geringen Hausgeräthes zum Bedarf Anderer beraubt werden. 6Er soll auch dafür sorgen, dass nichts, angeblich für Soldaten, was zu deren Bedarf im Allgemeinen nicht gehört, von solchen geschehe, die dabei unredlicher Weise ihren eigenen Vortheil suchen. 7Sowenig dem Arzt der tödtliche Ausgang einer Krankheit zugerechnet werden darf, so sehr muss ihm dass, was er aus Unerfahrenheit begangen hat, zugerechnet werden; denn das Verbrechen desjenigen, der die Leute, wenn Gefahr vorhanden ist, betrügt, darf unter dem Vorwande menschlicher Gebrechlichkeit nicht ungestraft bleiben. 8Wer ganze Provinzen verwaltet, hat das Recht über Leben und Tod, und es ist ihnen auch Gewalt gegeben, zu Bergwerksarbeit zur verurtheilen. 9Wenn der Provincialpräsident einsihet, dass Geldstrafen, welche er auferlegt hat, aus dem vorhandenen Vermögen derer, wider welche er sie verhängt hat, nicht eingezogen werden können, so muss die Nothwendigkeit11Necessitate. Diese Lesart möchte schwerlich beizubehalten und daher entweder das Brencmannsche necessitati oder das Haloandrische necessitatem (was Ed. Frad. sowie Baudoza auch haben) anzunehmen sein; beides giebt denselben Sinn. deren Zahlung ermässigt werden, und es ist unerlaubte Habsucht der Hülfsvollstrecker zu tadeln. Eine von den Vorstehern der Provinzen wegen Armut erlassene Geldstrafe darf nicht eingetrieben werden.
8Julian. lib. I. Dig. Ich habe oft gehört, dass unser Kaiser gesagt hat: „durch die Verordnung: man kann sich an denjenigen, welcher der Provinz vorsteht, wenden, werde dem Proconsul, oder dessen Legate, oder dem Provincialpräsident nicht die Nothwendigkeit auferlegt sich einer Untersuchung selbst zu unterziehen, sondern es solle von seiner Wahl abhängen, ob er die Untersuchung selbsst leiten, oder einen Richter bestellen wolle.“
9Callistrat. lib. I. de Cognition. Es wird überhaupt, allemal, so oft der Kaiser dem Provincialpräsidenten Geschäfte durch Rescripte überträgt, wie z. B. du kannst dich an denjenigen, welcher der Provinz vorsteht, wenden, oder mit dem Zusatz: dieser wird erwägen, was er zur thun hat, dem Proconsul oder Legaten nicht die Nothwendigkeit, die Untersuchung selbst zu leiten, auferlegt, wenn auch nicht hinzugesetzt ist: dieser wird erwägen, was er zu thun hat, sondern er kann wählen, ob er selbst erkennen, oder einen Richter bestellen will.
10Hermogen. lib. II. jur. Epitom. Ueber alle Angelegenheiten, deren Untersuchung zu Rom der Stadtvorsteher, oder der Präfectus Prätorio, sowie auch die Consulen, Prätoren und übrigen Beamten leiten, gehört die Untersuchung und Entscheidung vor die Correctoren und Präsidenten der Provinzen.
13Ulp. lib. VII. de off. Procons. Es kommt einem guten und tüchtigen Präsidenten zu, Sorge dafür zu tragen, dass in der Provinz, welche er regiert, Ruhe und Frieden herrsche. Dies wird ihm nicht schwer fallen, wenn er es sich angelegen sein lässt, die Provinz von Gesindel rein zu halten, und ihm nachstellt; denn er muss Kirchenräubern, Strassenräubern, Menschenräubern, und Dieben nachstellen, und je nachdem, was jeder verbrochen, ihn bestrafen, auch ihre Heeler züchtigen, ohne welche der Strassenräuber nicht länger verborgen bleiben kann. 1Wahnsinnige, welche durch ihre Angehörigen nicht festgehalten werden können, muss der Präsident dadurch unschädlich machen, dass er sie einsperren lässt; dies hat der Kaiser Pius verordnet. Ueber die Person dessen, der einen Verwandtenmord begangen hat, soll, nach der Ansicht der kaiserlichen Brüder, eine Untersuchung angestellt werden, ob er ie That in erheucheltem Wahnsinn verübt hat, oder ob er wirklich seines Verstandes nicht mächtig sei, um, wenn er sich [wahnsinnig] gestellt, gestraft, wenn er wirklich wahnsinnig wäre, im Gefängniss festgehalten zu werden.
14Macer. lib. II. de Jud. Publ. Die Kaiser Marcus und Comodus haben an den Scapula Tertyllus ein Rescript folgenden Inhalts erlassen: Wenn du volle Gewissheit darüber erlangt hast, dass Aelius Priscus in solchem Wahnsinn befangen sei, dass er in immerwährender Geistesabwesenheit aller Einsicht entbehrt, und kein Verdacht wider ihn vorhanden ist, dass er seine Mutter in erheuchelter Geistesabwesenheit getödtet habe, so kannst du über die Bestrafung desselben hinwegsehen, da er genugsam durch seinen Wahnsinn selbst bestraft wird; dennoch aber muss er sorgfältiger bewacht, und, wenn du für nöthig erachtest, auch gefesselt werden, weil es sowohl zur Strafe, als zum Schutz seiner selbst, und zur Sicherheit seiner Umgebungen gehört. Wenn er aber, wie es öfters geschieht, in lichtem Zwischenräumen hellern Verstandes ist, so forsche darnach, ob er22Die Haloandrische Lesart sanior est num, statt saniore, non, welche unser Text in der Note giebt, ist anerkannt besser; da nun auch Ed. Fradin. ebenso liest, nur, dass sie, wie Brencmann in der Göttinger C. J.-Ausgabe richtig desiderirt, nachher statt danda sit venia (wie Haloander und auch Baudoza haben), d. est v. lieset, auch Brencmann Uebereinstimmung von Codicibus bezeugt, so kann man wohl jene Lesart ohne Zweifel annehmen. etwa in einem solchen Augenblick — und es darf hier auf die Krankheit keine Rücksicht genommen werden — das Verbrechen begangen hat, und wenn du etwas darauf bezügliches erfahren hast, so frage deshalb bei Uns an, damit Wir erwägen, ob er, wegen der Unmenschlichkeit seiner That, wenn es scheinen könnte, dass er mit Bewusstsein gehandelt habe, mit Strafe zu belegen sei. Da Wir aber aus deinem Bericht ersehen haben, dass er von einem solchen Stande und Range sei, dass er von den seinigen in einem eigenen Landhause bewacht wird, so würdest du gut daran thun, diejenigen, welche ihn zu jener Zeit beobachtet haben, zusammenzuberufen, und den Grund einer so grossen Nachlässigkeit zu erforschen und gegen einen jeden derselben je nachdem er dir mehr oder weniger in Schuld zu sein scheint, zu verfügen. Denn die Wächter werden für die Wahnsinnigen nicht blos dazu bestellt, dass sie nichts Verderbliches wider sich selbst unternehmen, sondern auch, damit sie Niemand anderem Unheil bereiten; was daher vorfällt, ist nicht mit Unrecht deren Schuld zuzuschreiben, welche nachlässig in ihrer Pflicht gewesen sind.
15Marcian. lib. I. de Jud. Publ. Es ist zu beachten, dass Niemand, wer eine Provinz regiert, deren Grenzen überschreiten darf, ausser um ein Gelübde zu lösen; nur darf er nicht über Nacht ausbleiben.
16Macer. lib. I. de off. Praes. Durch einen Senatsbeschluss ist verordnet worden, dass über solche Rechtsgeschäfte, welche die Provincialverwalter, und ihre Begleiter oder Freigelassenen, bevor sie in die Provinz gekommen, [mit Einwohnern derselben] eingegangen sind, nur ausnahmsweise ein Rechtsspruch erfolgen soll, so dass also aus diesem Grunde nicht erhobene Klagen, nach der Abreise der betheiligten Person aus der Provinz, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten. Wenn jedoch etwas ohne den Willen [einer solchen Person] vorfällt, z. B. sie injuriirt oder bestohlen worden ist, so findet sie insoweit rechtliches Gehör, dass das Verfahren eingeleitet, und die gestohlene Sache ausgeantwortet und niedergelegt, oder das Versprechen, sich zu stellen, und auszuantworten, mittelst Bürgschaftsstellung geleistet wird.
19Callistr. lib. I. de Cogn. Wer Recht spricht, der möge darauf achten, dass er den Zutritt zu sich zwar nicht erschwere, aber sich auch nicht geringschätzende begegnen lasse. Es wird daher in den Bestallungen hinzugesetzt, dass die Provincialpräsidenten mit den Provinzeinwohnern keinen vertraulichen Umgang haben sollen; denn aus einer Gleichsstellung im täglichen Umgang entsteht Geringschätzung der Würde. 1Bei Untersuchungen darf er sich weder durch Hitze wider diejenigen, welche er für Bösewichter hält, hinreissen, noch durch Bitten der Unglücklichen rühren lassen; denn derjenige ist kein unerschütterlicher und tüchtiger Richter, dessen Gemüthsbewegung seine Mienen ausdrücken. Er muss überhaupt beim Rechtsspruch so verfahren, dass er das Ansehen seiner Würde durch seine Einsicht [in der Entscheidung] bereichere.
21Paul. lib. singul. de off. Assessor. Wenn der Präsident eine Untersuchung wegen Verführung eines Sclaven, oder Entjungferung einer Sclavin, oder wegen Schädigung eines Sclaven führt, so muss er, wenn wegen Verführung des Geschäftsführers des Klägers, oder eines solchen Sclaven Klage erhoben worden ist, dass der Verlust nicht blos den körperlichen Werth, sondern eine Veränderung des ganzen Hauswesens betrifft, dies ganz besonders streng ahnden.