Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Neuntes Buch übersetzt von Sintenis
Dig. IX1,
Si quadrupes pauperiem fecisse dicatur
Liber nonus
I.

Si quadrupes pauperiem fecisse dicatur

(Von dem durch ein vierfüssiges Thier angerichteten Schaden.)

1Ul­pia­nus li­bro oc­ta­vo de­ci­mo ad edic­tum. Si qua­dru­pes pau­pe­r­iem fe­cis­se di­ce­tur, ac­tio ex le­ge duo­de­cim ta­bu­la­rum de­scen­dit: quae lex vo­luit aut da­ri id quod no­cuit, id est id ani­mal quod no­xiam com­mi­sit, aut aes­ti­ma­tio­nem no­xiae of­fer­re. 1No­xia au­tem est ip­sum de­lic­tum. 2Quae ac­tio ad om­nes qua­dru­pe­des per­ti­net. 3Ait prae­tor ‘pau­pe­r­iem fe­cis­se’. pau­pe­r­ies est dam­num si­ne in­iu­ria fa­cien­tis da­tum: nec enim pot­est ani­mal in­iu­ria fe­cis­se, quod sen­su ca­ret. 4Ita­que, ut Ser­vius scri­bit, tunc haec ac­tio lo­cum ha­bet, cum com­mo­ta fe­ri­ta­te no­cuit qua­dru­pes, pu­ta si equus cal­ci­tro­sus cal­ce per­cus­se­rit, aut bos cor­nu pe­te­re so­li­tus pe­tie­rit, aut mu­lae prop­ter ni­miam fe­ro­ciam: quod si prop­ter lo­ci in­iqui­ta­tem aut prop­ter cul­pam mu­lio­nis, aut si plus ius­to one­ra­ta qua­dru­pes in ali­quem onus ever­te­rit, haec ac­tio ces­sa­bit dam­ni­que in­iu­riae age­tur. 5Sed et si ca­nis, cum du­ce­re­tur ab ali­quo, as­pe­ri­ta­te sua eva­se­rit et ali­cui dam­num de­de­rit: si con­ti­ne­ri fir­mius ab alio pot­erit vel si per eum lo­cum in­du­ci non de­buit, haec ac­tio ces­sa­bit et te­ne­bi­tur qui ca­nem te­ne­bat. 6Sed et si in­sti­ga­tu al­te­rius fe­ra dam­num de­de­rit, ces­sa­bit haec ac­tio. 7Et ge­ne­ra­li­ter haec ac­tio lo­cum ha­bet, quo­tiens con­tra na­tu­ram fe­ra mo­ta pau­pe­r­iem de­dit: id­eo­que si equus do­lo­re con­ci­ta­tus cal­ce pe­tie­rit, ces­sa­re is­tam ac­tio­nem, sed eum, qui equum per­cus­se­rit aut vul­ne­ra­ve­rit, in fac­tum ma­gis quam le­ge Aqui­lia te­ne­ri, uti­que id­eo, quia non ip­se suo cor­po­re dam­num de­dit. at si, cum equum per­mul­sis­set quis vel pal­pa­tus es­set, cal­ce eum per­cus­se­rit, erit ac­tio­ni lo­cus. 8Et si alia qua­dru­pes aliam con­ci­ta­vit ut dam­num da­ret, eius quae con­ci­ta­vit no­mi­ne agen­dum erit. 9Si­ve au­tem cor­po­re suo pau­pe­r­iem qua­dru­pes de­dit, si­ve per aliam rem, quam teti­git qua­dru­pes, haec ac­tio lo­cum ha­be­bit: ut pu­ta si plaus­tro bos ob­tri­vit ali­quem vel alia re de­iec­ta. 10In bes­tiis au­tem prop­ter na­tu­ra­lem fe­ri­ta­tem haec ac­tio lo­cum non ha­bet: et id­eo si ur­sus fu­git et sic no­cuit, non pot­est quon­dam do­mi­nus con­ve­ni­ri, quia de­si­nit do­mi­nus es­se, ubi fe­ra eva­sit: et id­eo et si eum oc­ci­di, meum cor­pus est. 11Cum arie­tes vel bo­ves com­mis­sis­sent et al­ter al­te­rum oc­ci­dit, Quin­tus Mu­cius di­stin­xit, ut si qui­dem is per­is­set qui ad­gres­sus erat, ces­sa­ret ac­tio, si is, qui non pro­vo­ca­ve­rat, com­pe­te­ret ac­tio: quam­ob­rem eum si­bi aut no­xam sar­ci­re aut in no­xam de­de­re opor­te­re. 12Et cum et­iam in qua­dru­pe­di­bus no­xa ca­put se­qui­tur, ad­ver­sus do­mi­num haec ac­tio da­tur, non cu­ius fue­rit qua­dru­pes, cum no­ce­ret, sed cu­ius nunc est. 13Pla­ne si an­te li­tem con­tes­ta­tam de­ces­se­rit ani­mal, ex­tinc­ta erit ac­tio. 14No­xae au­tem de­de­re est ani­mal tra­de­re vi­vum. de­mum si com­mu­ne plu­rium sit ani­mal, ad­ver­sus sin­gu­los erit in so­li­dum noxa­lis ac­tio, sic­uti in ho­mi­ne. 15In­ter­dum au­tem do­mi­nus in hoc non con­ve­nie­tur, ut no­xae de­dat, sed et­iam in so­li­dum, ut pu­ta si in iu­re in­ter­ro­ga­tus, an sua qua­dru­pes es­set, re­spon­de­rit non es­se suam: nam si con­sti­te­rit es­se eius, in so­li­dum con­dem­na­bi­tur. 16Si post li­tem con­tes­ta­tam ab alio sit ani­mal oc­ci­sum, quia do­mi­no le­gis Aqui­liae ac­tio com­pe­tit, ra­tio in iu­di­cio ha­be­bi­tur le­gis Aqui­liae, quia do­mi­nus no­xae de­den­dae fa­cul­ta­tem amis­e­rit: er­go ex iu­di­cio pro­pos­i­to li­tis aes­ti­ma­tio­nem of­fe­ret, ni­si pa­ra­tus fue­rit ac­tio­nem man­da­re ad­ver­sus eum qui oc­ci­dit. 17Hanc ac­tio­nem ne­mo du­bi­ta­ve­rit he­redi da­ri ce­te­ris­que suc­ces­so­ri­bus: item ad­ver­sus he­redes ce­te­ros­que non iu­re suc­ces­sio­nis, sed eo iu­re, quo do­mi­ni sint, com­pe­tit.

1Ulp. lib. XVIII. ad Ed. Wenn ein vierfüssiges Thier einen Schaden angerichtet hat, so ist dafür eine Klage in dem Zwölftafelgesetz begründet; dieses Gesetz wollte, dass entweder Das, was geschadet hat, d. h. das Thier, welches den Schaden anrichtete, [dem Beschädigten] überliefert, oder Ersatz für den Schaden geleistet werde. 1Schaden11Noxia. Es wird nicht befremden, wenn die Uebersetzung hier den allgemeinen (zum Verständniss zureichenden) Begriff gibt. heisst hier die Wirkung der schädlichen Handlung selbst22So möchte ich delictum hier verstehen, s. auch Glück X. 289. n. 54.. 2Diese Klage betrifft alle vierfüssigen Thiere. 3Der Prätor sagt: PAUPERIEM FECISSE33Unser Text hat hinter diesen Worten keine Interpunction. Ob dieselbe aus Gründen weggelassen ist, bezweifele ich; die Göttinger C. J. Ausgabe, sowie schon Russardus und Baudoza, haben dieselbe.. Pauperies heisst ein ohne Widerrechtlichkeit des Thäters angerichteter Schaden; denn [von] ein[em] vernunftlosen Thiere kann [man] nicht [sagen, dass es] widerrechtlich gehandelt habe. 4Es kommt daher, wie Servius schreibt, diese Klage blos dann zur Anwendung, wenn ein vierfüssiges Thier angereizt durch Wildheit geschadet hat, z. B. wenn ein auszuschlagen pflegendes Pferd mit dem Huf geschlagen, oder ein stössiger Ochs gestossen hat, oder Maulthiere aus übergrosser Wildheit. Hat ein vierfüssiges Thier in Folge örtlicher Hindernisse, oder der Schuld des Mauleseltreibers, oder überladen, eine Last auf Jemanden geworfen, so fällt diese Klage weg, und es muss die wegen widerrechtlich gestifteten Schadens erhoben werden. 5Auch wenn ein Hund, der von Jemandem geleitet wird, aus Unbändigkeit davon gelaufen ist, und Jemandem Schaden zugefügt hat, dahingegen ihn ein Anderer würde haben erhalten können, oder wenn er über einen gewissen Ort nicht hätte geführt werden sollen, so fällt diese Klage weg, und es haftet der, welcher den Hund hielt. 6Auch wenn ein Thier durch Anreizung eines Andern Schaden angerichtet hat, findet jene Klage nicht Statt. 7Ueberhaupt kommt dieselbe allemal dann zur Anwendung, wenn ein Thier wider seine Natur Schaden angerichtet hat. Wenn daher ein Pferd, durch Schmerz gereizt, ausgeschlagen hat, so fällt jene Klage weg; wer aber das Pferd geschlagen oder verwundet hat, der haftet durch die Klage auf das Geschehene, und nicht aus dem Aquilischen Gesetz und zwar deswegen, weil er den Schaden nicht durch seine körperliche Kraftäusserung unmittelbar selbst zugefügt hat. Hat aber ein Pferd Jemanden mit dem Huf geschlagen, der es gestreichelt, oder geklopft hat, so findet die Klage Statt. 8Wenn ein vierfüssiges Thier das andere zum Schaden gereizt hat, so findet die Klage in Bezug auf das erstere Statt. 9Dieselbe kommt zur Anwendung, es mag das Thier den Schaden mittelst Ausübung seiner körperlichen Kräfte angerichtet haben, oder durch eine andere Sache, welche es berührt, z. B. wenn ein Ochs Jemanden mit einem Lastwagen gequetscht hat, oder durch Umwerfen einer andern Sache, 10In Ansehung wilder Thiere findet wegen ihrer angeborenen Wildheit diese Klage nicht Statt; wenn daher ein Bär entflohen ist, und dann Schaden angerichtet hat, so kann nicht sein ehemaliger Eigenthümer angegriffen werden, denn er hat aufgehört, Eigenthümer zu sein, sobald das Thier entsprungen war; daher ist auch der Körper mein, sobald ich ihn getödtet habe. 11Wenn Böcke oder Ochsen zusammengerathen sind, und einer den andern getödtet hat, so unterscheidet Quintus Mucius so, dass, wenn der Angreifende getödtet worden wäre, die Klage wegfalle, wenn aber der Angegriffene, so finde sie Statt; der [Eigenthümer des Angreifers] müsse daher entweder den Schaden ersetzen, oder den Schädensstifter ausliefern. 12Da nun in Ansehung der vierfüssigen Thiere der angerichtete Schaden dem Thiere selbst folgt, so findet die Klage auch nicht gegen den Statt, welcher zu der Zeit, wo es den Schaden anrichtete, dessen Eigenthümer war, sondern wer es zur Zeit der Anstellung der Klage ist. 13Stirbt das Thier vor der Einleitung des Verfahrens, so erlischt die Klage. 14An Schädens Statt ausliefern, heisst, das Thier lebendig übergeben. Gehört das Thier Mehreren gemeinschaftlich, so findet gegen jeden Einzelnen die Schädenskläge ungetheilt Statt, so wie in Ansehung eines Sclaven. 15Zuweilen wird aber der Eigenthümer nicht auf Auslieferung an Schädens Statt belangt, sondern auch auf den ganzen Betrag [des Schadens], z. B. wenn er vor Gericht befragt, ob das [den Schaden angerichtet habende] vierfüssige Thier ihm gehöre, dies verneint hat; denn wenn es sich ergibt, dass es ihm doch gehöre, so wird er in den ganzen Betrag verurtheilt. 16Wenn das Thier nach Einleitung des Verfahrens von einem Dritten getödtet worden ist, so wird, weil dem Eigenthümer [allein] die Klage aus dem Aquilischen Gesetz zusteht, bei der schon anhängigen Klage auf das Aquilische Gesetz Rücksicht genommen, indem dem Eigenthümer die Möglichkeit der Auslieferung an Schädens Statt entzogen worden ist. Er muss daher in dem obschwebenden Verfahren die Streitwürderung erlegen, es sei denn, dass er sich zur Abtretung der Klage wider denjenigen, der das Thier getödtet hat, bereit erkläre. 17Dass diese Klage dem Erben und andern Nachfolgern gegeben werde, wird Niemand bezweifeln; ebenso findet sie auch gegen die Erben und Andere nicht auf den Rechtsgrund einer Erbfolge, sondern den, welchem zufolge sie Eigenthümer sind, Statt.

2Pau­lus li­bro vi­cen­si­mo se­cun­do ad edic­tum. Haec ac­tio non so­lum do­mi­no, sed et­iam ei cu­ius in­ter­est com­pe­tit, vel­uti ei cui res com­mo­da­ta est, item ful­lo­ni, quia eo quod te­nen­tur dam­num vi­den­tur pa­ti. 1Si quis ali­quem evi­tans, ma­gis­tra­tum for­te, in ta­ber­na pro­xi­ma se im­mis­sis­set ibi­que a ca­ne fe­ro­ce lae­sus es­set, non pos­se agi ca­nis no­mi­ne qui­dam pu­tant: at si so­lu­tus fuis­set, con­tra.

2Paul. lib. XXII. ad Ed. Die Klage kommt nicht blos dem Eigenthümer zu, sondern auch Jedem, der sonst dabei betheiligt ist, z. B. wem eine Sache geliehen worden ist, oder dem Kleiderwäscher, weil man annimmt, dass sie darum, weil sie haften müssen, den Schaden erleiden. 1Wenn man, um Jemanden zu vermeiden, etwa eine Magistratsperson, in den nächsten Schenkladen tritt, und daselbst von einem wilden Hunde gebissen worden ist, so glauben Einige, könne man wegen des Hundes keine Klage erheben; wenn er aber nicht angelegt war, so kann man klagen.

3Gaius li­bro sep­ti­mo ad edic­tum pro­vin­cia­le. Ex hac le­ge iam non du­bi­ta­tur et­iam li­be­ra­rum per­so­na­rum no­mi­ne agi pos­se, for­te si pa­trem fa­mi­lias aut fi­lium fa­mi­lias vul­ne­ra­ve­rit qua­dru­pes: sci­li­cet ut non de­for­mi­ta­tis ra­tio ha­bea­tur, cum li­be­rum cor­pus aes­ti­ma­tio­nem non re­ci­piat, sed im­pen­sa­rum in cu­ra­tio­nem fac­ta­rum et ope­ra­rum amis­sa­rum quas­que amis­su­rus quis es­set in­uti­lis fac­tus.

3Gaj. lib. VII. ad Ed. prov. Es wird kein Zweifel mehr darüber erhoben, dass aus diesem Gesetze auch wegen freien Personen [zugefügten Schadens] geklagt werden könne, z. B. wenn ein vierfüssiges Thier einen Familienvater, oder einen Familiensohn verwundet hat; es wird nämlich hier nicht auf Entstellung Rücksicht genommen, denn der Körper eines freien Menschen unterliegt keiner Schätzung, sondern auf die zur Heilung verwendeten Kosten, auf die versäumte Arbeit, und zu deren künftigen Verrichtung Jemand untüchtig gemacht worden ist.

4Pau­lus li­bro vi­cen­si­mo se­cun­do ad edic­tum. Haec ac­tio uti­lis com­pe­tit et si non qua­dru­pes, sed aliud ani­mal pau­pe­r­iem fe­cit.

4Paul. lib. XXII. ad Ed. Analog findet die Klage auch Statt, wenn kein vierfüssiges, sondern irgend ein anderes Thier den Schaden angerichtet hat.

5Al­fe­nus li­bro se­cun­do di­ges­to­rum. Aga­so cum in ta­ber­nam equum de­du­ce­ret, mu­lam equus ol­fe­cit, mu­la cal­cem re­ie­cit et crus aga­so­ni fre­git: con­su­le­ba­tur, pos­set­ne cum do­mi­no mu­lae agi, quod ea pau­pe­r­iem fe­cis­set. re­spon­di pos­se.

5Alfen. lib. II. Dig. Ein Maulthiertreiber führte ein Pferd in eine Schenke, das Pferd beriecht ein Maulthier, das Maulthier schlägt aus, und zerbricht dem Treiber den Schenkel; es ward um Rath gebeten, ob wider den Eigenthümer des Maulthiers, das diesen Schaden angerichtet hat, Klage angestellt werden könne? Ich habe bejahend geantwortet.