Liber quadragesimus tertius
XXIX.
De homine libero exhibendo
(Von der Auslieferung freier Menschen.)
1Ulpianus libro septuagensimo primo ad edictum. Ait praetor: ‘Quem liberum dolo malo retines, exhibeas’. 1Hoc interdictum proponitur tuendae libertatis causa, videlicet ne homines liberi retineantur a quoquam:
1Ulp. lib. LXXI. ad Ed. Der Prätor sagt: Welchen freien Menschen du arglistigerweise festhältst, den sollst du ausliefern. 1Dieses Interdict wird zur Beschützung der Freiheit begründet, und zwar, damit freie Menschen von Niemandem festgehalten werden.
2Venuleius libro quarto interdictorum. (nihil enim multum a specie servientium differunt, quibus facultas non datur recedendi):
2Venulej. lib. IV. Interdict. Denn wer daran verhindert wird, sich von einem Orte wiederhinwegzubegeben, der ist von Dem, der Sclavendienst verrichtet, gar nicht sehr verschieden.
3Ulpianus libro septuagensimo primo ad edictum. quod et lex Fabia prospexit. neque hoc interdictum aufert legis Fabiae exsecutionem: nam et hoc interdicto agi poterit et nihilo minus accusatio legis Fabiae institui: et versa vice qui egit Fabia, poterit nihilo minus etiam hoc interdictum habere, praesertim cum alius interdictum, alius Fabiae actionem habere possit. 1Haec verba ‘quem liberum’ ad omnem liberum pertinent, sive pubes sit sive impubes, sive masculus sive femina, sive unus sive plures, sive sui iuris sit sive alieni: hoc enim tantum spectamus, an liber sit. 2Is tamen, qui in potestate habet, hoc interdicto non tenebitur, quia dolo malo non videtur habere qui suo iure utitur. 3Si quis eum, quem ab hostibus redemit, retineat, in ea causa est, ut interdicto non teneatur: non enim dolo malo facit. plane si offertur pretium, interdictum locum habet. sed et si eum remisit pretio non accepto, dicendum est interdicto locum fore, si, posteaquam semel remisit, velit retinere. 4Si eum quis retineat filium, quem non habet in potestate, plerumque sine dolo malo facere videbitur: pietas enim genuina efficit sine dolo malo retineri, nisi si evidens dolus malus intercedat. proinde et si libertum suum vel alumnum vel noxae deditum adhuc impuberem, idem erit dicendum. et generaliter qui iustam causam habet hominis liberi apud se retinendi, non videtur dolo malo facere. 5Si quis volentem retineat, non videtur dolo malo retinere. sed quid si volentem quidem retineat, non tamen sine calliditate circumventum vel seductum vel sollicitatum, neque bona vel probabili ratione hoc facit? recte dicetur dolo malo retinere. 6Is, qui nescit apud se esse hominem liberum, dolo malo caret; sed ubi certioratus retinet, dolo malo non caret. 7Plane si dubitat, utrum liber an servus sit, vel facit status controversiam, recedendum erit ab hoc interdicto et agenda causa libertatis. etenim recte placuit tunc demum hoc interdictum locum habere, quotiens quis pro certo liber est: ceterum si quaeratur de statu, non oportet praeiudicium fieri alienae cognitioni. 8Ait praetor ‘exhibeas’. exhibere est in publicum producere et videndi tangendique hominis facultatem praebere: proprie autem exhibere est extra secretum habere. 9Hoc interdictum omnibus competit: nemo enim prohibendus est libertati favere. 10Plane ex causa suspectae personae removendae sunt, si forte talis persona sit, quam verisimile est colludere vel calumniari. 11Sed et si mulier vel pupillus hoc interdictum desiderent pro cognato vel parente vel adfine suo solliciti, dandum esse eis interdictum dicendum est: nam et publico iudicio reos facere possunt, dum suas suorumque iniurias exsequuntur. 12Si tamen plures sunt, qui experiri volent, eligendus est a praetore, ad quem maxime res pertinet vel is qui idoneior est: et est optimum ex coniunctione, ex fide, ex dignitate actorem hoc interdicto eligendum. 13Si tamen, posteaquam hoc interdicto actum est, alius hoc interdicto agere desideret, palam erit postea alii non facile dandum, nisi si de perfidia prioris potuerit aliquid dici. itaque causa cognita amplius quam semel interdictum hoc erit movendum. nam nec in publicis iudiciis permittitur amplius agi quam semel actum est quam si praevaricationis fuerit damnatus prior accusator. si tamen reus condemnatus malit litis aestimationem sufferre quam hominem exhibere, non est iniquum saepius in eum interdicto experiri vel eidem sine exceptione vel alii. 14Hoc interdictum et in absentem esse rogandum Labeo scribit, sed si non defendatur, in bona eius eundum ait. 15Hoc interdictum perpetuum est.
3Ulp. lib. LXXI. ad Ed. Dies hat auch das Favische Gesetz verordnet, und es hebt dieses Interdict die Vollstreckung des Favischen Gesetzes nicht auf, denn es kann sowohl aus diesem Interdicte geklagt, als nichtsdestoweniger auch die Anklage des Favischen Gesetzes erhoben werden, und so kann umgekehrt auch Derjenige, wer aus dem Favischen Gesetze geklagt hat, nichtsdestoweniger dieses Interdict haben, besonders da auch der Eine das Interdict, und der Andere die Klage aus dem Favischen Gesetze haben kann. 1Die Worte: Welchen freien Menschen, betreffen jeden Freien, er sei mündig oder unmündig, männlichen oder weiblichen Geschlechts, [Einer] oder Mehrere, eigenen Rechtens oder fremdem Rechte unterworfen; es kommt einzig und allein darauf an, ob er frei ist. 2Derjenige aber, welcher ihn in der Gewalt hat, wird durch dieses Interdict nicht gehalten, weil, wer von seinem Rechte Gebrauch macht, nicht arglistig zu besitzen scheint. 3Wenn Jemand Denjenigen, den er vom Feinde losgekauft hat, festhält, so haftet er nicht durch das Interdict, denn er handelt nicht arglistig. Wenn ihm freilich das Lösegeld angeboten wird, so findet das Interdict statt. Wenn er ihn aber auch ohne Lösegeld losgelassen hat, so wird das Interdict statthaben, sobald er ihn, nachdem er ihn einmal losgelassen, festhalten will. 4Wer den Sohn, den er nicht mehr in der Gewalt hat, festhält, von dem wird meistentheils angenommen, dass er ohne Arglist handele, denn die natürliche elterliche Liebe bewirkt es, dass er ohne Arglist als festgehalten betrachtet wird, es müsste denn die Arglist offenbar klar am Tage liegen. Dasselbe gilt daher vom Freigelassenen, vom Pflegesohn, oder dem an Schadensstatt ausgelieferten Unmündigen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass Derjenige ohne Arglist handelnd betrachtet werde, wer eine rechtmässige Ursache hat, einen freien Menschen bei sich zu behalten. 5Wer Einen mit dessen Willen bei sich behält, scheint nicht arglistig zu handeln. Wie aber, wenn derselbe zwar eingewilligt hat, jedoch mit Ueberlistung betrogen, oder verführt, oder gebeten worden ist, und er dies ohne guten und zu billigenden Grund thut? — Dann wird richtig behauptet, dass er ihn arglistigerweise festhalte. 6Wer es nicht weiss, dass ein freier Mensch sich bei ihm befinde, ist von Arglist frei; sobald er aber davon benachrichtigt worden, tritt dieselbe ein. 7Wenn er aber darüber in Ungewissheit ist, ob er ein Freier, oder ein Sclave sei, oder ihm wegen seines Standesrechts Streit erhebt, so wird dieses Interdict nicht zur Anwendung kommen und die Frage über die Freiheit zur Verhandlung gedeihen; denn man hat mit Recht angenommen, dass dieses Interdict nur dann statthabe, wenn es ausgemacht ist, dass Jemand ein Freier sei. Wenn aber Frage über das Standesrecht erhoben wird, so darf der [vielleicht] durch einen andern Richter geschehenden Erörterung nicht in der Entscheidung vorgegriffen werden. 8Der Prätor sagt ausliefern. Ausliefern (exhibere) heisst öffentlich vorführen, und die Möglichkeit herstellen, einen Menschen zu sehen und zu berühren; eigentlich heisst exhibere ausserhalb einem abgesonderten Ort haben. 9Dieses Interdict ist Jedem zuständig, denn es darf Niemand abgehalten werden, zu Gunsten der Freiheit Etwas zu thun. 10Freilich müssen verdächtige Personen unter Umständen abgewiesen werden, z. B. wenn eine Person von der Art ist, von der es wahrscheinlich ist, dass sie ihren Scherz treibe, oder chicanire. 11Auch wenn aber eine Frau oder ein Unmündiger dieses Interdict verlangen, bekümmert für einen Verwandten, Vater oder Schwager, muss ihnen dasselbe ertheilt werden, denn wenn sie ihnen und den Ihrigen widerfahrene Injurien rächen wollen, so können sie auch peinliche Anklagen erheben. 12Sind Mehrere vorhanden, die Klage erheben wollen, so muss vom Prätor Derjenige ausgewählt werden, den die Sache vorzüglich angeht, oder der sich mehr dazu eignet, und es ist am Besten den Kläger für dieses Interdict nach der Verbindung [worin er zur fraglichen Person steht], nach seinen redlichen Absichten und seinem Stande zu wählen. 13Wenn jedoch, nachdem bereits aus diesem Interdicte Klage erhoben worden, ein Anderer aus demselben zu klagen verlangt, so ist klar, dass es nachher einem Andern nicht leicht ertheilt werden möchte, es müsste denn über die Unredlichkeit des frühern [Klägers] Etwas vorgebracht werden können. Es wird dasselbe daher [nur] nach Erörterung der Umstände öfter als einmal erhoben werden können. Denn es wird auch bei peinlichen Anklagen, wenn einmal eine solche erhoben worden, nur dann eine nochmalige Anklage erlaubt, wenn der frühere Ankläger der Prävarication als schuldig verurtheilt worden ist. Wenn aber der Beklagte, nachdem er verurtheilt worden, vorzieht, die Streitwürderung zu erlegen, als den Menschen auszuliefern, so ist es nicht unbillig, dass das Interdict nochmals wider ihn erhoben werde, und zwar entweder von demselben [Kläger], ohne dass ihm eine Einrede entgegenstände, oder von einem Andern. 14Labeo sagt, es könne dieses Interdict auch wider einen Abwesenden verhängt werden, und wenn er sich nicht zur rechtlichen Vertheidigung stelle, so müsse sein Vermögen mit Beschlag belegt werden. 15Dieses Interdict ist von immerwährender Dauer.
4Venuleius libro quarto interdictorum. Si quis liberum hominem ignorantem suum statum retineat, tamen si dolo malo retinet, cogitur exhibere. 1Trebatius quoque ait non teneri eum, qui liberum hominem pro servo bona fide emerit et retineat. 2Nullo tempore dolo malo retineri homo liber debet, adeo ut quidam putaverint nec modicum tempus ad eum exhibendum dandum, quoniam praeteriti facti poena praestanda est. 3Creditori non competit interdictum, ut debitor exhiberetur: nec enim debitorem latitantem exhibere quisquam cogitur, sed in bona eius ex edicto praetoris itur.
4Venulej. lib. IV. Interdict. Wenn Jemand einen freien Menschen, ohne sein Standesrecht zu kennen, festhält, so wird er, wenn er ihn arglistigerweise zurückbehält, dennoch zur Auslieferung genöthigt. 1Trebatius sagt auch, wer einen freien Menschen im guten Glauben als Sclave gekauft habe und festhalte, hafte nicht. 2Ein freier Mensch darf niemals arglistigerweise festgehalten werden; Einige sind hierin soweit gegangen, dass sie sogar glauben, es dürfe auch nicht einmal eine mässige Frist zur Auslieferung gestattet werden, weil die Strafe vielmehr eine schon vergangene Thatsache betrifft. 3Dem Gläubiger steht dieses Interdict nicht auf Auslieferung seines Schuldners zu; denn einen verborgenen Schuldner braucht Niemand auszuliefern, sondern es wird nach dem Edicte des Prätors Besitz von seinem Vermögen ergriffen.