De homine libero exhibendo
(Von der Auslieferung freier Menschen.)
1Ulp. lib. LXXI. ad Ed. Der Prätor sagt: Welchen freien Menschen du arglistigerweise festhältst, den sollst du ausliefern. 1Dieses Interdict wird zur Beschützung der Freiheit begründet, und zwar, damit freie Menschen von Niemandem festgehalten werden.
2Venulej. lib. IV. Interdict. Denn wer daran verhindert wird, sich von einem Orte wiederhinwegzubegeben, der ist von Dem, der Sclavendienst verrichtet, gar nicht sehr verschieden.
3Ulp. lib. LXXI. ad Ed. Dies hat auch das Favische Gesetz verordnet, und es hebt dieses Interdict die Vollstreckung des Favischen Gesetzes nicht auf, denn es kann sowohl aus diesem Interdicte geklagt, als nichtsdestoweniger auch die Anklage des Favischen Gesetzes erhoben werden, und so kann umgekehrt auch Derjenige, wer aus dem Favischen Gesetze geklagt hat, nichtsdestoweniger dieses Interdict haben, besonders da auch der Eine das Interdict, und der Andere die Klage aus dem Favischen Gesetze haben kann. 1Die Worte: Welchen freien Menschen, betreffen jeden Freien, er sei mündig oder unmündig, männlichen oder weiblichen Geschlechts, [Einer] oder Mehrere, eigenen Rechtens oder fremdem Rechte unterworfen; es kommt einzig und allein darauf an, ob er frei ist. 2Derjenige aber, welcher ihn in der Gewalt hat, wird durch dieses Interdict nicht gehalten, weil, wer von seinem Rechte Gebrauch macht, nicht arglistig zu besitzen scheint. 3Wenn Jemand Denjenigen, den er vom Feinde losgekauft hat, festhält, so haftet er nicht durch das Interdict, denn er handelt nicht arglistig. Wenn ihm freilich das Lösegeld angeboten wird, so findet das Interdict statt. Wenn er ihn aber auch ohne Lösegeld losgelassen hat, so wird das Interdict statthaben, sobald er ihn, nachdem er ihn einmal losgelassen, festhalten will. 4Wer den Sohn, den er nicht mehr in der Gewalt hat, festhält, von dem wird meistentheils angenommen, dass er ohne Arglist handele, denn die natürliche elterliche Liebe bewirkt es, dass er ohne Arglist als festgehalten betrachtet wird, es müsste denn die Arglist offenbar klar am Tage liegen. Dasselbe gilt daher vom Freigelassenen, vom Pflegesohn, oder dem an Schadensstatt ausgelieferten Unmündigen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass Derjenige ohne Arglist handelnd betrachtet werde, wer eine rechtmässige Ursache hat, einen freien Menschen bei sich zu behalten. 5Wer Einen mit dessen Willen bei sich behält, scheint nicht arglistig zu handeln. Wie aber, wenn derselbe zwar eingewilligt hat, jedoch mit Ueberlistung betrogen, oder verführt, oder gebeten worden ist, und er dies ohne guten und zu billigenden Grund thut? — Dann wird richtig behauptet, dass er ihn arglistigerweise festhalte. 6Wer es nicht weiss, dass ein freier Mensch sich bei ihm befinde, ist von Arglist frei; sobald er aber davon benachrichtigt worden, tritt dieselbe ein. 7Wenn er aber darüber in Ungewissheit ist, ob er ein Freier, oder ein Sclave sei, oder ihm wegen seines Standesrechts Streit erhebt, so wird dieses Interdict nicht zur Anwendung kommen und die Frage über die Freiheit zur Verhandlung gedeihen; denn man hat mit Recht angenommen, dass dieses Interdict nur dann statthabe, wenn es ausgemacht ist, dass Jemand ein Freier sei. Wenn aber Frage über das Standesrecht erhoben wird, so darf der [vielleicht] durch einen andern Richter geschehenden Erörterung nicht in der Entscheidung vorgegriffen werden. 8Der Prätor sagt ausliefern. Ausliefern (exhibere) heisst öffentlich vorführen, und die Möglichkeit herstellen, einen Menschen zu sehen und zu berühren; eigentlich heisst exhibere ausserhalb einem abgesonderten Ort haben. 9Dieses Interdict ist Jedem zuständig, denn es darf Niemand abgehalten werden, zu Gunsten der Freiheit Etwas zu thun. 10Freilich müssen verdächtige Personen unter Umständen abgewiesen werden, z. B. wenn eine Person von der Art ist, von der es wahrscheinlich ist, dass sie ihren Scherz treibe, oder chicanire. 11Auch wenn aber eine Frau oder ein Unmündiger dieses Interdict verlangen, bekümmert für einen Verwandten, Vater oder Schwager, muss ihnen dasselbe ertheilt werden, denn wenn sie ihnen und den Ihrigen widerfahrene Injurien rächen wollen, so können sie auch peinliche Anklagen erheben. 12Sind Mehrere vorhanden, die Klage erheben wollen, so muss vom Prätor Derjenige ausgewählt werden, den die Sache vorzüglich angeht, oder der sich mehr dazu eignet, und es ist am Besten den Kläger für dieses Interdict nach der Verbindung [worin er zur fraglichen Person steht], nach seinen redlichen Absichten und seinem Stande zu wählen. 13Wenn jedoch, nachdem bereits aus diesem Interdicte Klage erhoben worden, ein Anderer aus demselben zu klagen verlangt, so ist klar, dass es nachher einem Andern nicht leicht ertheilt werden möchte, es müsste denn über die Unredlichkeit des frühern [Klägers] Etwas vorgebracht werden können. Es wird dasselbe daher [nur] nach Erörterung der Umstände öfter als einmal erhoben werden können. Denn es wird auch bei peinlichen Anklagen, wenn einmal eine solche erhoben worden, nur dann eine nochmalige Anklage erlaubt, wenn der frühere Ankläger der Prävarication als schuldig verurtheilt worden ist. Wenn aber der Beklagte, nachdem er verurtheilt worden, vorzieht, die Streitwürderung zu erlegen, als den Menschen auszuliefern, so ist es nicht unbillig, dass das Interdict nochmals wider ihn erhoben werde, und zwar entweder von demselben [Kläger], ohne dass ihm eine Einrede entgegenstände, oder von einem Andern. 14Labeo sagt, es könne dieses Interdict auch wider einen Abwesenden verhängt werden, und wenn er sich nicht zur rechtlichen Vertheidigung stelle, so müsse sein Vermögen mit Beschlag belegt werden. 15Dieses Interdict ist von immerwährender Dauer.
4Venulej. lib. IV. Interdict. Wenn Jemand einen freien Menschen, ohne sein Standesrecht zu kennen, festhält, so wird er, wenn er ihn arglistigerweise zurückbehält, dennoch zur Auslieferung genöthigt. 1Trebatius sagt auch, wer einen freien Menschen im guten Glauben als Sclave gekauft habe und festhalte, hafte nicht. 2Ein freier Mensch darf niemals arglistigerweise festgehalten werden; Einige sind hierin soweit gegangen, dass sie sogar glauben, es dürfe auch nicht einmal eine mässige Frist zur Auslieferung gestattet werden, weil die Strafe vielmehr eine schon vergangene Thatsache betrifft. 3Dem Gläubiger steht dieses Interdict nicht auf Auslieferung seines Schuldners zu; denn einen verborgenen Schuldner braucht Niemand auszuliefern, sondern es wird nach dem Edicte des Prätors Besitz von seinem Vermögen ergriffen.