Uti possidetis
(Wie ihr besitzet.)
1Ulp. lib. LXIX. ad Ed. Der Prätor sagt: Wie ihr dies Gebäude, um das es sich handelt, weder gewaltsam, noch heimlich, noch bittweise Einer wider11Hiermit ist die wider ihn verübte dejectio etc. etc. zu verstehent. den Andern besitzet22Savigny a. a. O. S. 371. n. (3.), dass ihr nicht so besitzet, verbiete ich alle Gewaltthätigkeit. In Betreff der Kloaken werde ich dieses Interdict nicht ertheilen, und ich werde nicht erlauben auf mehr zu klagen, als die Sache werth ist, innerhalb des Jahres, wo sich die erste Gelegenheit darbot. 1Dieses Interdict ist in Bezug auf Grundbesitzer abgefasst, wem der Prätor nemlich im Grundbesitz den Vorzug geben will, und es ist ein verbietendes zur Erhaltung des Besitzes. 2Der Grund dieses Interdicts war der, weil der Besitz vom Eigenthum getrennt [gedacht] werden muss; denn es kann der Fall eintreten, dass der Eine Besitzer und Nichteigenthümer ist, und der Andere zwar Eigenthümer, aber nicht Besitzer; freilich kann auch der Besitzer zugleich Eigenthümer sein. 3Sobald nun zwischen zwei streitenden Parteien über das Eigenthum Streit ist, so sind dieselben entweder darüber einig, wer Besitzer und wer Kläger ist, oder nicht. Im erstern Fall ist die Sache damit abgethan, jener geniesst der Vortheile des Besitzers, der ohne Widerrede im Besitz ist, und dieser übernimmt die Lasten des Klägers. Ist es aber zwischen ihnen streitig, wer besitze, indem jeder versichert, dass vielmehr er besitze, dann werden Beide, wenn es eine unbewegliche Sache ist, um deren Besitz es sich handelt, zu diesem Interdicte verwiesen. 4Es bezweckt also dieses Interdict, gewöhnlich Wie ihr besitzet genennt, die Erhaltung des Besitzes, denn es wird zu dem Ende ertheilt, dass Dem, der sich im Besitze befindet, keine Gewalt angethan werde. Darum wird es folgerichtig nach dem Interdicte Von wo mit Gewalt vorgetragen; denn dieses verschafft den gewaltsamerweise verlorenen Besitz wieder, jenes verleihet den Schutz, dass der Besitz nicht verloren gehe; auch verbietet der Prätor dem Besitzer Gewalt anzuthun, und zu dem Ende greift das letztere Interdict den Besitzer an, das erstere beschützt ihn. Jeder Streit über den Besitz zweckt, wie Pedius sagt, entweder dahin ab, dass uns Etwas, was wir nicht besitzen, herausgegeben werde, oder Das, was wir besitzen, behalten zu dürfen. Das Verfahren über die Herausgabe des Besitzes wird entweder durch ein Interdict oder durch eine Klage geregelt. Der Weg zur Erhaltung des Besitzes ist also ein doppelter, entweder eine Einrede oder ein Interdict; die erstere wird dem Besitzer aus vielen Gründen ertheilt. 5Es liegt aber im Allgemeinen in diesem Interdicte als wesentliche Bedingung, dass man wider den Andern weder gewaltsam, noch heimlich, noch bittweise besitze. 6Das Interdict, welches den Besitzer eines Grundstücks schützt, ist das Wie ihr besitzet; denn eine Klage wird dem Besitzer niemals weiter ertheilt, weil für ihn der Besitz hinreicht. 7Es hat dieses Interdict statt, gleichviel ob Jemand behauptet, ein ganzes Landgut zu besitzen, oder wenn er es zu einem bestimmten Antheile, oder ungetheilt [mit einem Andern] besitzt. 8Dieses Interdict wird ohne Zweifel auch bei jedem Grundbesitz ohne Ausnahme stattfinden, sobald überhaupt nur Besitz möglich ist. 9Die Worte des Prätors in diesem Interdict: weder gewaltsam, noch heimlich, noch bittweise Einer wider den Andern besitzet, wollen sagen, dass, wenn auch Jemand gewaltsam, heimlich oder bittweise, jedoch wider einen Andern besitzt, ihm der Besitz von Nutzen sei; wenn aber wider seinen Gegner, er deshalb, dass erwider ihn besitzt, nicht den Sieg Rechtens erhalten dürfe; denn es ist einleuchtend, dass ein solcher Besitz nicht von Nutzen sein dürfe.
3Ulp. lib. LXIX. ad Ed. Wenn sich Zwei im Besitz auf das Ganze befinden, so ist es die Frage, wie es da zu halten sei; wir wollen davon handeln, wie dies der Fall sein könne. Wenn ein rechtmässiger und ein unrechtmässiger Besitz zusammentreffen, und zwar ich aus einer rechtmässigen Ursache besitze, du aber gewaltsam, oder heimlich, so werde ich, wenn du wider mich besitzest, durch das Interdict obsiegen, wenn aber nicht wider mich, so wird keiner von uns [vom Andern] besiegt werden, denn du besitzest sowohl wie ich. 1Dieses Interdict ist ein zweiseitiges, und Diejenigen, denen es zuständig ist, können33Savigny S. 369. f. beide Kläger und Beklagter sein. 2Dieses Interdict genügt Dem, der verhindert wird, auf seinem Grund und Boden zu bauen, denn wer mich daran verhindert, von meinem Besitze Gebrauch zu machen, der scheint mir wegen meines Besitzes Streit zu erheben. 3Wenn der Miethsmann den Eigenthümer abhalten will, sein Gebäude auszubessern, so, hat man angenommen, steht ihm ebenfalls das Interdict Wie ihr besitzet zu, und der Herr muss nur vor Zeugen erklären, dass er seinen Miether nicht am Bewohnen verhindern wolle, sondern nur am Besitz. 4Ingleichen frägt es sich, was Rechtens sei, wenn der Verwalter deines Nachbars von deinem Landgute herüber Weinstöcke um seine Bäume gerankt hat? — Pomponius sagt, du könnest ihm Anzeige davon machen, und die Weinstöcke abschneiden (dies sagt auch Labeo), oder er müsse sich wegen der Stelle, wo die Weinstöcke wurzeln, des Interdicts Wie ihr besitzet bedienen; wenn er dir nemlich Gewalt entgegengesetzt, dass du die Weinstöcke nicht abschneidest, oder wieder herüberleitest, so scheint er dir darin Gewalt anzuthun, dass du sie nicht besitzest; denn, sagt Pomponius, wer an der [Garten]cultur44Colere ist hier wohl so zu nehmen. auf einem Landgute verhindert wird, der wird am Besitz verhindert. 5Wird ferner, wenn behauptet wird, es habe Jemand widerrechtlicher Weise einen Erker über des Nachbars Grund und Boden, dem Einen wider den Andern das Interdict Wie ihr besitzet von Nutzen sein? — Bei Cassius findet sich berichtet, es sei für Beide ohne Erfolg, weil der Eine den Grund und Boden besitzt, und der Andere mit dem Gebäude Das, was sich darüber befindet. 6Auch schreibt Labeo, wenn ich von meinem Gebäude Etwas in das deinige hineingebauet habe, so kannst du wider mich interdiciren, wenn wir den Ort besitzen, der durch den Vorbau bedeckt wird, oder kann ich wider dich das Interdict, so wie ihr das Gebäude besitzet, von dem der Vorbau ausgeht, um den Besitz des Vorbaues um so leichter zu behalten, erheben?55Diese unbeantwortete Frage ist durch die Stellung bejahet. Glosse. — 7Ad Dig. 43,17,3,7Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 154, Note 7; Bd. I, § 223, Note 2.Befindet sich aber über dem Gebäude, welches ich besitze, ein Stockwerk, worin sich ein Anderer, als wäre er Eigenthümer, aufhält, so, sagt Labeo, könne ich von dem Interdicte Wie ihr besitzet [allein] Gebrauch machen, und nicht Derjenige, der sich in dem Stockwerke aufhält, denn zum Boden gehört allemal Das, was sich darüber befindet. Hat ein Stockwerk aber einen Zugang von der Strasse66Ex publico, überhaupt von aussen her; man s. die Erkl. dieser Stelle bei Savigny S. 247. ff. aus, so, sagt Labeo, ist nicht anzunehmen, dass er das Haus wider Den besitze, der blos das Kellergeschoss besitzt, sondern wider Den, dem das Gebäude über dem Kellergeschoss gehört; dies gilt von Dem, der einen Zugang von der Strasse her hat. Der Erbpächter hingegen wird sich eines eigenen Interdictes und vom Prätor [begründeter] Klagen bedienen; der Eigenthümer des Bodens wird nemlich mit dem Interdicte Wie ihr besitzet sowohl gegen jeden Andern, als gegen den Erbpächter Recht erhalten, den Erbpächter aber wird der Prätor in Folge des Pachtcontracts schützen, und dieser Meinung ist auch Pomponius. 8Die zur Erhaltung einer Sache in den Besitz gesetzten Gläubiger können von dem Interdicte Wie ihr besitzet keinen Gebrauch machen, und mit Recht, weil sie nicht besitzen77Sondern blos detiniren, s. Savigny S. 242.. Dasselbe gilt von allen Andern, die zur Verwahrung einer Sache in den Besitz gesetzt worden sind. 9Wenn mein Nachbar [eine uns gemeinschaftliche Wand] auf meiner und seiner Seite mit Wetterdächern88in parte mea; die alte Florentinische Lesart (unsers Textes) lässt sich mit Cujac. Obs. V. 27. recht wohl vertheidigen. versieht, so ist das Interdict Wie ihr besitzet für mich von Nutzen, sodass er zur Hinwegnahme genöthigt wird. 10Wenn ich von Jemandem ein Landgut übergeben erhalte, von dem ich weiss, dass er sich gewaltsamerweise im Besitz befindet, so wird nicht angenommen, dass ich gewaltsamerweise besitze. 11Die Summe der Verurtheilung wird bei diesem Interdicte auf die Schätzung des Gegenstandes selbst bezogen. Wieviel der Gegenstand beträgt, ist so zu verstehen, wie viel Jeder, bei der Zurückbehaltung des Besitzes betheiligt ist. Servius ist aber der Meinung, der Besitz müsse so hoch geschätzt werden, als der Gegenstand selbst werth ist; allein dies kann man durchaus nicht annehmen, denn etwas ganz Anderes ist der Werth einer Sache und der ihres Besitzes99Der Sinn dieser Stelle ist besonders durch die letzten Worte klar, allein die Exposition ist etwas undeutlich; s. Savigny S. 376..
4Ulp. lib. LXX. ad Ed. Ich glaube, man kann im Allgemeinen sagen, dass dieses Interdict anch zwischen Niessbrauchern stattfinden könne, wenn der Eine den Niessbrauch für sich in Anspruch nimmt, und der Andere den Besitz. Ingleichen wenn Einer den Besitz des Niessbrauchs für sich in Anspruch nimmt; das sagt Pomponius. Auch wenn der Eine den Gebrauch in Anspruch nimmt und der Andere die Benutzung, wird ihnen das Interdict ertheilt werden müssen.