Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 41 übersetzt von Sintenis
Dig. XLI7,
Pro derelicto
Liber quadragesimus primus
VII.

Pro derelicto

(Als aufgegeben.)

1Ulpianus libro duodecimo ad edictum. Si res pro derelicto habita sit, statim nostra esse desinit et occupantis statim fit, quia isdem modis res desinunt esse nostrae, quibus adquiruntur.
1Ulp. lib. XII. ad Ed. Wenn eine Sache als eine aufgegebene betrachtet worden ist, so hört sie sogleich auf, uns zu gehören und wird sofort Dem gehörig, der sie ergreift, weil Gegenstände auf dieselbe Weise aufhören uns zu gehören, wie sie erworben werden.
2Paulus libro quinquagensimo quarto ad edictum. Pro derelicto rem a domino habitam si sciamus, possumus adquirere. 1Sed Proculus non desinere eam rem domini esse, nisi ab alio possessa fuerit: Iulianus desinere quidem omittentis esse, non fieri autem alterius, nisi possessa fuerit, et recte.
2Paul. lib. LIV. ad Ed. Ad Dig. 41,7,2 pr.Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 184, Note 1.Wenn man weiss, dass der Eigenthümer eine Sache als aufgegeben betrachte, so kann man sie erwerben. 1Proculus sagt aber, diese Sache höre nicht eher auf, dem Eigenthümer zu gehören, als bis sie von einem Andern in Besitz genommen worden sei; Julianus hingegen sagt, sie höre allerdings auf, Dem zu gehören, der sie verlasse, werde aber nicht eher einem Andern gehörig, als bis sie in Besitz genommen worden sei; und er hat Recht.
3Modestinus libro sexto differentiarum. An pars pro derelicto haberi possit, quaeri solet. et quidem si in re communi socius partem suam reliquerit, eius esse desinit, ut hoc sit in parte, quod in toto: atquin totius rei dominus efficere non potest, ut partem retineat, partem pro derelicto habeat.
3Ad Dig. 41,7,3Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 169a, Note 5.Modestin. lib. VI. Differ. Ob ein Theil als aufgegeben betrachtet werden könne, darüber pflegt in der Regel Frage zu entstehen. Hat ein Mitgenosse an einer ihm mit einem Andern gemeinschaftlich gehörigen Sache seinen Theil aufgegeben, so hört er allerdings auf, ihm zu gehören, sodass hier Das vom Theile gilt, was sonst vom Ganzen. Allein der Eigenthümer des Ganzen kann es nicht bewirken, dass er die eine Hälfte behält und die andere als aufgegeben betrachtet.
4Paulus libro quinto decimo ad Sabinum. Id, quod pro derelicto habitum est et haberi putamus, usucapere possumus, etiam si ignoramus, a quo derelictum sit.
4Paul. lib. XV. ad Sabin. Das, was als aufgegeben betrachtet worden ist, und wir dafür halten, können wir ersitzen, wenn wir auch nicht wissen, von wem es aufgegeben worden ist.
5Pomponius libro trigensimo secundo ad Sabinum. Si id, quod pro derelicto habitum possidebas, ego sciens in ea causa esse abs te emerim, me usucapturum constat nec obstare, quod in bonis tuis non fuerit: nam et si tibi rem ab uxore donatam sciens emero, quia quasi volente et concedente domino id faceres, idem iuris est. 1Id, quod quis pro derelicto habuerit, continuo meum fit: sicuti cum quis aes sparserit aut aves amiserit, quamvis incertae personae voluerit eas esse, tamen eius fierent, cui casus tulerit ea, quae, cum quis pro derelicto habeat, simul intellegitur voluisse alicuius fieri.
5Pompon. lib. XXXII. ad Sabin. Ad Dig. 41,7,5 pr.Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 176, Note 6.Wenn ich Das, was du als aufgegeben besassest, und von dem ich wusste, dass es sich in diesem Verhältniss befinde, von dir gekauft habe, so kann ich es bekanntlich ersitzen, und es steht mir nicht der Umstand entgegen, dass es nicht zu deinem Vermögen gehörig ist. Denn auch, wenn ich wissentlich eine dir von deiner Frau geschenkte Sache gekauft habe, gilt dasselbe, weil du es gleichsam mit Einwilligung und Gestattung des Eigenthümers thust. 1Dasjenige, was Jemand als aufgegeben betrachtet hat, wird sofort mein, sowie wenn Jemand Geld ausgeworfen, oder Vögel hat fortfliegen lassen, beides dennoch Dem gehörig wird, dem es der Zufall zuführt, wenn auch [des Eigenthümers] Wille nicht auf eine bestimmte Person gerichtet war; und es wird dabei, sobald eine Sache von Jemand als verlassen betrachtet wird, zugleich angenommen, dass es sein Wille gewesen, sie solle Jemandem zu Theil werden.
6Iulianus libro tertio ad Urseium Ferocem. Nemo potest pro derelicto usucapere, qui falso existimaverit rem pro derelicto habitam esse.
6Julian. lib. III. ad Ursej. Feroc. Niemand kann etwas als aufgegeben ersitzen, der fälschlich geglaubt hat, dass eine Sache als aufgegeben betrachtet worden sei.
7Idem libro secundo ex Minicio. Si quis merces ex nave iactatas invenisset, num ideo usucapere non possit, quia non viderentur derelictae, quaeritur. sed verius est eum pro derelicto usucapere non posse.
7Idem lib. II. ex Minicio. Wenn Jemand über Bord geworfene Waaren gefunden hat, so frägt es sich, ob er sie deshalb nicht ersitzen könne, weil sie nicht als aufgegebene betrachtet werden? — Es ist richtiger, dass er sie nicht als aufgegeben ersitzen könne.
8Paulus libro octavo decimo responsorum. Sempronius Thetidi status quaestionem facere temptabat, quasi de serva sua nata sit. qui iam testato conventus a Procula nutrice Thetidis in solvendis alimentis respondit non se habere, unde alimenta eiusdem exsolvat, sed debere eam patri suo restituere Lucio Titio: idque ex illa in testationem redegisset, ut postea nullam quaestionem pateretur ab eodem Sempronio, Lucius Titius Seiae Proculae solutis alimentis puellam vindicta manumisit: quaero, an possit rescindi libertas Thetidis. Paulus respondit, quoniam dominus ancillae, ex qua Thetis nata est, Thetidem pro derelicto habuisse videtur, potuisse eam a Lucio Titio ad libertatem perduci.
8Paul. lib. XVIII. Resp. Sempronius versuchte der Thetis Streitigkeit wegen ihres persönlichen Standesrechts zu erheben, als sei sie von seiner Sclavin geboren; er hatte aber schon, von der Procula, der Amme der Thetis, rücksichtlich der Zahlung von Alimenten angegriffen, vor Zeugen zur Antwort gegeben, er habe nichts, wovon er ihr Alimente zahlen solle, sondern sie solle sie ihrem Vater Lucius Titius übergeben; als jene dies in ein Gezeugniss hatte fassen lassen, damit sie nachher keine Anfechtung von Seiten des Sempronius erleiden solle, liess Lucius Titius, nachdem er der Seja Procula die Alimente entrichtet hatte, das Mädchen durch feierliche Erklärung aus der Gewalt. Ich frage, ob die Freiheit der Thetis angefochten werden kann? Paulus hat geantwortet: weil der Herr der Sclavin, von der die Thetis geboren worden, die Thetis als aufgegeben betrachtet zu haben scheint, habe sie von Lucius auch zur Freiheit verholfen werden können.