De calumniatoribus
(Von den Chicaneurs.)
1Ulp. lib. X. ad Ed. Gegen den, von dem man sagen wird, dass er Geld empfangen habe, damit er aus Chicane [Jemandem] eine Verdriesslichkeit bereite oder nicht bereite11Ut calumniae causa negotium faceret vel non faceret. Calumnia konnte weder durch Verleumdung, noch durch falsche Anklage oder ein ähnliches Wort ausgedrückt werden, weil der Begriff, den die Römer damit verbanden, von viel weiterem Umfange war und jede in böser Absicht vorgenommene Handlung umfasste, wodurch man unter dem Schein des Rechts die Rechte Anderer verletzte. S. die in diesem Titel aufgeführten Beispiele und v. Glück a. a. O. Th. 5. S. 386. flg. Das fremde Wort Chicane, ohne Zweifel das bezeichnendste dafür, musste in Ermangelung eines deutschen gebraucht werden. Die Worte negotium facere vel non facere bezeichnen nicht allein den Fall, wo Jemand den Andern in einen Process verwickelt, oder nicht, sondern überhaupt jede Verdriesslichkeit, die man dem Andern zuzieht. S. z. B. L. 7. §. 2. D. h. t. Darum ist die Uebersetzung dieser Ausdrücke im §. 25. I. de actionib. 4. 6. nicht beibehalten worden., steht innerhalb eines Jahres aufs Vierfache des Geldes, das er wird empfangen haben sollen, nach einem Jahr wegen des Einfachen eine Klage auf das Geschehene zu. 1Dass diese Klage aber nicht blos bei bürgerlichen Processen [Statt finde], sondern sich auch auf öffentliche (peinliche) Processe22In pecuniariis causis — ad publica crimina. In diesem Gegensatz ist pecuniaria causa soviel als civilis d. h. bürgerlicher Rechtsstreit, crimen soviel als Process. S. Birnbaum a. a. O. Bd. 8. §. 11. namentlich S. 708. beziehe, schreibt Pomponius; vorzüglich da auch durch das Gesetz wegen Erpressungen gehalten ist, der, um [Jemanden] aus Chicane eine Verdriesslichkeit zu bereiten oder nicht zu bereiten, Geld empfangen hat. 2Wer aber Geld empfangen hat, sei es vor Einlassung oder nach Einlassung auf den Process, ist gehalten. 3Aber auch eine Constitution unsers Kaisers33Des Antoninus Caracalla. S. die Bemerkung zu L. 33. §. 2. D. de proc. et def. 3. 3. und L. 1. C. de poena just. 7. 49., welche an den Cassius Sabinus geschrieben ist, hat [davon] abgehalten, dem Richter oder Gegner bei öffentlichen oder Privat- oder fiscalischen Processen Geld zu geben, und hat befohlen, dass aus einem solchen Grunde der Streit erlösche. Man kann nun (nam) [darüber] verhandeln, ob, wenn der Gegner das Geld nicht aus Chicane, [sondern] in der Absicht, sich zu vergleichen, empfangen hat, die Constitution wegfällt? Und ich glaube, sie falle weg, sowie auch diese Klage; denn es sind ja nicht Vergleiche untersagt worden, sondern niedrige Concussionen44Ein auch in die Sprache des heutigen Criminalrechts übergegangener Name, unter welchem Erpressungen eines Vortheils von einem Andern durch den Vorwand oder durch Bedrohung mit Missbrauch eines Rechts, verstanden werden; so erklärt Feuerbach Lehrb. de. peinl. R. §. 430. dies Wort, welches eigentlich Erschütterung bedeutet.. 4Dass [Jemand] Geld empfangen habe, werden wir sagen, auch wenn etwas an Geldes Statt empfangen worden.
2Paul. lib. X. ad Edict. Ja sogar wenn Jemand von seiner Verbindlichkeit befreit sein sollte, kann er [so] angesehen werden, [als] habe er [Geld] genommen. Und dasselbe [findet Statt], wenn Geld zum unentgeltlichen Gebrauch gegeben worden, oder eine Sache zu geringerem Preise vermiethet oder verkauft worden sein sollte. Auch verschlägt es nichts, ob er selbst das Geld empfangen, oder befohlen, dass es einem Andern gegeben werde, oder es genehmigt haben sollte, dass es in seinem Namen empfangen worden sei.
3Ulp. lib. X. ad Ed. Und im Allgemeinen wird es eben so sein, wenn er überhaupt irgend einen Vortheil deshalb empfunden hat, sei es vom Gegner oder von irgend einem Andern. 1Wenn er also [Geld] empfangen hat, damit er [Jemandem] eine Verdriesslichkeit bereite, mag er es nun gethan haben oder nicht gethan haben, und [auf gleiche Weise] wer empfangen hat, damit er eine Verdriesslichkeit nicht bereite, ist, auch wenn er es gethan hat, gehalten. 2Durch dies Edict ist auch der gehalten, der depectus55Depectus hiesst Einer, der einen Vertrag gemacht hat, und ist sowohl im guten als bösen Sinn gebräuchlich (s. Brisson. h. v). Da es unserer Sprache an einem solchen zweideutigen Worte fehlt, so musste das lateinische Wort beibehalten werden. ist; depectus aber heisst Einer, der auf schändliche Weise einen Vertrag gemacht hat. 3Das wird zu bemerken sein, dass, wer Geld gegeben hat, damit Jemand eine Verdriesslichkeit erleide, nicht selbst das Zurückforderungs- [recht] haben wird; denn er hat schändlich gehandelt. Aber dem wird das Forderungs- [recht] gegeben werden, in Bezug auf welchen [etwas] gegeben worden ist, damit demselben eine Chicane bereitet werde. Deshalb, wenn Jemand sowohl von dir Geld empfangen hat, damit er mir eine Verdriesslichkeit bereite, als auch von mir, damit er sie mir nicht bereite, so wird er mir durch zwei Klagen gehalten sein.
4Gaj. lib. IV. ad Ed. provinc. Diese Klage66Nämlich die in der L. 1. pr. h. 1. beschriebene. steht dem Erben zwar nicht zu, weil es ihm genügen muss, dass er das Geld, welches der Verstorbene gegeben hat, zurückfordern kann.
5Ulp. lib. X. ad Ed. Gegen den Erben aber steht sie auf das zu, was auf ihn gekommen ist. Denn es ist verordnet worden, dass schändliche Gewinne auch den Erben entrissen werden [sollen], obgleich die Verbrechen [des Erblassers] erlöschen; z. B. das um einer Fälschung oder dem Richter um eines günstigen Urtheils willen Gegebene wird auch dem Erben entrissen werden, und wenn sonst etwas durch verruchte That erworben worden. 1Aber auch ausser dieser Klage steht eine Condiction77Ueber den Begriff der Condictionen siehe §. 15. D. de actionibus 4. 6. zu, wenn es sich blos um eine Schändlichkeit des Empfängers handeln sollte; denn wenn auch um eine des Gebers, so wird der Zustand desjenigen, der besitzt, besser sein. Demnach, wenn eine Condiction angestellt sein sollte, ob [dann wohl] diese Klage aufgehoben wird, oder aber aufs Dreifache sollte zu geben sein? Ob wir nach dem Beispiel, wie es beim Dieb gehalten wird (exemplo furis), sowohl aufs Vierfache die Klage geben, als auch die Condiction? Aber ich glaube, dass eine von beiden Klagen hinreiche. Wo aber die Condiction zusteht, da ist es nicht nöthig, nach einem Jahr die Klage aufs Geschehene zu geben.
6Gaj. lib. IV. ad Ed. provinc. Das Jahr aber fängt zwar in Bezug auf die Person desjenigen, der Geld gegeben hat, damit nicht gegen ihn geklagt würde, von der Zeit zu laufen an, da er [das Geld] gegeben hat, wenn ihm nur die Gelegenheit, rechtlich zu verfahren, zu Theil wurde. In Bezug auf die Person jenes aber, [um dessen willen], damit [nämlich] gegen denselben geklagt werde, ein Anderer Geld gegeben hat, kann man zweifeln, ob [das Jahr] vom Tage an, wo das Geld gegeben worden, gerechnet werden müsse, oder vielmehr [von dem Tage an], da er erfahren hat, dass es gegeben worden sei; weil der, der [von seinem Rechte] nichts weiss, die Möglichkeit, rechtlich zu verfahren, nicht zu haben scheint. Und es ist der Wahrheit gemässer dass von dem [Tage] an das Jahr gerechnet werde, da er es erfahren hat.
7Paul. lib. X. ad Ed. Wenn Jemand von einem Andern Geld empfangen haben sollte, damit er mir nicht eine Verdriesslichkeit bereite, so werde ich, wenn es auf meinen Auftrag gegeben worden ist, oder von meinem Geschäftsbesorger aller Angelegenheiten, oder von dem, der meine Geschäfte führen wollte, und ich es genehmigt habe, so angesehen, als hätte ich es [selbst] gegeben. Wenn aber nicht auf meinen Auftrag, ein Anderer es ihm, obgleich aus Mitleiden, gegeben haben sollte, damit [mir] nicht [eine Verdriesslichkeit] bereitet werde, ich es auch nicht genehmigt habe, dann könne sowohl er selbst es zurückfordern, als auch ich aufs Vierfache klagen. 1Wenn [etwas] empfangen worden ist, damit einem Haussohn eine Verdriesslichkeit bereitet werde, so ist auch dem Vater eine Klage zu geben. Ingleichen wenn ein Haussohn Geld empfangen haben sollte, damit er [Jemandem] eine Verdriesslichkeit bereite oder nicht bereite, so wird gegen ihn selbst die Klage gegeben werden; und wenn ein Anderer nicht auf meinen Auftrag es ihm gegeben haben sollte, damit [Jemandem eine Verdriesslichkeit] nicht bereitet werde, dann könne [jener] auch selbst es zurückfordern und ich aufs Vierfache klagen. 2Da ein Pächter öffentlicher Einkünfte Sclaven zurückbehielt und ihm, [damit er sie herausgebe,] Geld gegeben worden war, das [ihm] nicht gebührte, so ist auch er aus diesem Theil des Edicts durch die Klage auf das Geschehene gehalten.
8Ulp. lib. IV. Opin. Wenn der, welcher hierüber die Untersuchung88Cujus de ea re notio est. Notio heisst das Recht, wegen gewisser Fälle Untersuchung zu veranstalten, das sowohl dem Magistratus zusteht, als denen zustehen kann, die keine Gerichtsbarkeit haben. Vgl. Zimmern a. a. O. Bd. 3. §. 2. S. 8. hat, unterrichtet sein sollte, dass von dem, der unschuldig war, unter dem Vorgeben irgend eines Verbrechens, das, als von ihm begangen (in eo), nicht bewiesen worden ist, Geld empfangen worden, so befehle er, dass das, was unerlaubt erpresst worden ist, der Fassung (formam) des Edicts gemäss, welches von denen handelt, die Geld, damit sie [Jemandem] eine Verdriesslichkeit bereiten oder nicht bereiten, empfangen haben sollten, zurückerstattet werde, und lege dem, der dies begangen hat, nach Beschaffenheit des Verbrechens eine Strafe auf.
9Papin. lib. II. de Adult. Mit einem Sclaven, der angeklagt wird, wird, wenn es verlangt werden sollte, Untersuchung (durch die Folter) angestellt (quaestio habetur); und ist er freigesprochen worden, so wird der Ankläger dem Herrn zur [Leistung] des doppelten Werthes verurtheilt. Aber auch abgesehen von (citra) der Schätzung des Werthes wird wegen der Chicane desselben Untersuchung angestellt. Denn es ist das Verbrechen der Chicane von dem Schaden getrennt, der in dem Sclaven wegen der Untersuchung (durch die Folter) dem Herrn zugefügt worden ist.