Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 27 übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. XXVII7,
De fideiussoribus et nominatoribus et heredibus tutorum et curatorum
Liber vicesimus septimus
VII.

De fideiussoribus et nominatoribus et heredibus tutorum et curatorum

(Von den Bürgen, den Nominatoren1, und den Erben der Vormünder und Curatoren.)

1Nominatores heissen theils diejenigen, welche sich dadurch, dass sie einen tüchtigeren (potiorem) in Vorschlag bringen, von der Uebernahme der Vormundschaft befreien (v. Glück a. a. O. S. 142. ff.), theils und ins Besondere in diesem Titel diejenigen, welche von Amts wegen dem höheren Magistratus tüchtige Personen zu Vormündern in Vorschlag bringen mussten, und für diesen Vorschlag verantwortlich waren. S. v. Glück a. a. O. S. 403. In Ermangelung eines gebräuchlichen deutschen Substantivs ist das lateinische beibehalten, das Zeitwort nominare aber durch: in Vorschlag bringen, übersetzt worden.

1Pom­po­nius li­bro sep­ti­mo de­ci­mo ad Sa­binum. Quam­vis he­res tu­to­ris tu­tor non est, ta­men ea quae per de­func­tum in­choa­ta sunt per he­redem, si le­gi­ti­mae ae­ta­tis et mas­cu­lus sit, ex­pli­ca­ri de­bent: in qui­bus do­lus eius ad­mit­ti pot­est. 1Quod pe­nes tu­to­rem fuit, he­res quo­que eius red­de­re de­bet: quod apud pu­pil­lum is re­li­que­rit si he­res ca­pit, non qui­dem cri­mi­ne ca­ret, sed ex­tra tu­te­lam est et uti­li ac­tio­ne hoc red­de­re com­pel­li­tur.

1Pompon. lib. XVII. ad Sabin. Obwohl der Erbe eines Vormunds nicht Vormund ist, so müssen doch die [Geschäfte], welche von dem Verstorbenen angefangen worden sind, durch den Erben, wenn er in dem gesetzmässigen Alter und männlichen Geschlechts ist, vollendet werden; und bei denselben kann er sich auch eine böse Absicht zu Schulden kommen lassen. 1Was sich beim Vormund befunden hat, muss auch der Erbe desselben zurückgeben; wenn der Erbe Etwas, das jener bei dem Mündel gelassen haben wird, wegnimmt, so ist er zwar nicht von Verbrechen frei, aber es liegt das ausserhalb der Vormundschaft, und er wird durch eine analoge Klage genöthigt, dies zurückzugeben.

2Ul­pia­nus li­bro tri­ge­si­mo no­no ad Sa­binum. Pos­tu­la­re tu­to­rem vi­de­tur et qui per alium pos­tu­lat: item no­mi­na­re et qui per alium hoc idem fa­cit.

2Ulp. lib. XXXIX. ad Sabin. Auch der scheint einen Vormund zu begehren22Postulare; diejenigen nämlich, welche für einen Mündel einen bestimmten Vormund erbaten, waren für denselben verantwortlich. S. v. Glück a. a. O. S. 404. f., welcher ihn durch einen Anderen begehrt; ingleichen scheint auch der [einen Vormund] in Vorschlag zu bringen, welcher eben dies durch einen Anderen thut.

3Idem li­bro tri­ge­si­mo quin­to ad edic­tum. Et­iam fi­de­ius­so­rem et he­redes fi­de­ius­so­ris ad ra­tio­nem ean­dem usu­ra­rum re­vo­can­dos es­se con­stat, ad quam et tu­tor re­vo­ca­tur.

3Idem lib. XXXV. ad Sabin. Es ist bekannt, dass auch der Bürge und die Erben des Bürgen zu demselben Zinsenbetrag anzuhalten seien, zu welchem auch der Vormund angehalten wird.

4Idem li­bro tri­ge­si­mo sex­to ad edic­tum. Cum os­ten­di­mus he­redem quo­que tu­te­lae iu­di­cio pos­se con­ve­ni­ri, vi­den­dum, an et­iam pro­prius eius do­lus vel pro­pria ad­mi­nis­tra­tio ve­niat in iu­di­cium. et ex­stat Ser­vii sen­ten­tia ex­is­ti­man­tis, si post mor­tem tu­to­ris he­res eius neg­otia pu­pil­li ge­re­re per­se­ve­ra­ve­rit aut in ar­ca tu­to­ris pu­pil­li pe­cu­niam in­ve­ne­rit et con­sump­se­rit vel eam pe­cu­niam quam tu­tor sti­pu­la­tus fue­rat ex­ege­rit, tu­te­lae iu­di­cio eum te­ne­ri suo no­mi­ne: nam cum per­mit­ta­tur ad­ver­sus he­redem ex pro­prio do­lo iu­ra­ri in li­tem, ap­pa­ret eum iu­di­cio tu­te­lae te­ne­ri ex do­lo pro­prio. 1Neg­le­gen­tia pla­ne pro­pria he­redi non im­pu­ta­bi­tur. 2Usu­ras quo­que eius pe­cu­niae, quam pu­pil­la­rem agi­ta­vit, prae­sta­re de­bet he­res tu­to­ris: quan­tas au­tem et cu­ius tem­po­ris usu­ras prae­sta­re de­beat, ex bo­no et ae­quo con­sti­tui ab iu­di­ce opor­tet. 3Fi­de­ius­so­res a tu­to­ri­bus no­mi­na­ti si prae­sen­tes fue­runt et non con­tra­di­xe­runt et no­mi­na sua re­fer­ri in ac­ta pu­bli­ca pas­si sunt, ae­quum est per­in­de te­ne­ri, at­que si iu­re le­gi­ti­mo sti­pu­la­tio in­ter­po­si­ta fuis­set. ea­dem cau­sa vi­de­tur ad­fir­ma­to­rum, qui sci­li­cet cum ido­neos es­se tu­to­res ad­fir­ma­ve­rint, fi­de­ius­so­rum vi­cem sus­ti­nent.

4Idem lib. XXXVI. ad Ed. Da wir gezeigt haben, dass auch der Erbe [des Vormunds] mit der Vormundschaftsklage belangt werden könne, so ist zu untersuchen, ob auch die eigene böse Absicht, oder die eigene Verwaltung desselben in den Bereich der Klage komme. Und es ist die Meinung des Servius vorhanden, welcher glaubte, dass, wenn nach dem Tode des Vormunds der Erbe desselben fortgefahren habe, die Geschäfte des Mündels zu führen, oder in der Casse des Vormunds Geld des Mündels gefunden, und es verbraucht habe, oder das Geld, welches der Vormund [für den Mündel] stipulirt hatte, eingeklagt habe, derselbe auf die Vormundschaftsklage in eigenem Namen gehalten sei; denn da es erlaubt wird, gegen den Erben wegen seiner eigenen bösen Absicht den Würderungseid zu schwören, so erhellt, dass derselbe auf die Vormundschaftsklage wegen seiner eigenen bösen Absicht gehalten sei. 1Eine eigene Nachlässigkeit wird freilich dem Erben nicht zugerechnet werden. 2Der Erbe des Vormunds muss auch Zinsen von dem Mündelgeld, welches er unter den Händen gehabt hat, leisten; wie hohe Zinsen aber, und für welche Zeit er sie leisten solle, muss vom Richter dem gemäss, was gut und billig ist, bestimmt werden. 3Es ist billig, dass die von den Vormündern genannten Bürgen, wenn sie gegenwärtig gewesen sind, nicht widersprochen und geduldet haben, dass ihre Namen in die öffentlichen Acten eingetragen wurden, ebenso gehalten seien, als wenn eine Stipulation nach der gesetzlichen Bestimmung Statt gefunden hätte. Dasselbe Verhältniss findet bei den Affirmatoren33Affirmatores heissen diejenigen, welche dem Magistrat, welcher über die Tüchtigkeit eines Vormunds Untersuchung anstellte, versichert haben, dass derselbe tüchtig sei. S. v. Glück a. a. O. S. 402. ff. Statt, welche nämlich, da sie versichert haben, dass die Vormünder tüchtig seien, die Stelle von Bürgen vertreten.

5Pau­lus li­bro tri­ge­si­mo oc­ta­vo ad edic­tum. Si cum fi­de­ius­so­ri­bus tu­to­ris ex sti­pu­la­tio­ne rem sal­vam fo­re age­tur, eas­dem re­pu­ta­tio­nes ha­be­bunt, quas tu­tor.

5Paul. lib. XXXVIII. ad Ed. Wenn gegen die Bürgen des Vormunds aus der Stipulation: dass das Vermögen des Mündels ungeschmälert sein werde, geklagt werden wird, so werden sie dieselben Abrechnungen haben, welche der Vormund hat.

6Pa­pi­nia­nus li­bro se­cun­do re­spon­so­rum. Pu­pil­lus con­tra tu­to­res eo­rum­que fi­de­ius­so­res iu­di­cem ac­ce­pit: iu­di­ce de­func­to, prius­quam ad eum ire­tur, con­tra so­los fi­de­ius­so­res al­ter iu­dex da­tus est. of­fi­cio co­gnos­cen­tis con­ve­niet, si tu­to­res sol­ven­do sint et ad­mi­nis­tra­tio non dis­par, sed com­mu­nis fuit, por­tio­num vi­ri­lium ad­mit­te­re ra­tio­nem ex per­so­na tu­to­rum.

6Papinian. lib. II. Resp. Ein Mündel hat gegen [seine] Vormünder und deren Bürgen einen Richter erhalten; nachdem der Richter gestorben ist, bevor man noch zu demselben gegangen war, ist ein anderer Richter gegen die Bürgen allein gegeben worden; es wird der Pflicht desselben, wenn er erkennt, entsprechen, dass er, wenn die Vormünder zahlungsfähig sein sollten, und die Verwaltung nicht ungleich, sondern gemeinschaftlich gewesen ist, das Verhältniss von Kopftheilen aus der Person der Vormünder44D. h. weil die Bürgen ex persona tutorum haften, so muss der Richter sie eben so verurtheilen, wie er die Vormünder selbst verurtheilt haben würde; dies würde nun bei ungetheilter Verwaltung pro virilibus portionibus geschehen sein. S. L. 1. §. 10. 11. D. de tut. et rat. distr. 27. 3. u. v. Glück a. a. O. S. 379. ff. zu lassen.

7Idem li­bro ter­tio re­spon­so­rum. Si fi­de­ius­so­res, qui rem sal­vam fo­re pu­pil­lo ca­ve­rant, tu­to­rem ad­ules­cens ut an­te con­ve­ni­ret pe­tie­rant at­que id­eo sti­pu­lan­ti pro­mi­se­runt se red­di­tu­ros quod ab eo ser­va­ri non po­tuis­set: pla­cuit in­ter eos, qui sol­ven­do es­sent, ac­tio­nem re­si­dui di­vi­di, quod onus fi­de­ius­so­rum sus­cep­tum vi­de­re­tur: nam et si man­da­to plu­rium pe­cu­nia cre­da­tur, ae­que di­vi­di­tur ac­tio: si enim quod da­tum pro alio sol­vi­tur, cur spe­cies ac­tio­nis ae­qui­ta­tem di­vi­sio­nis ex­clu­dit?

7Idem lib. III. Resp. Wenn die Bürgen, welche Sicherheit gegeben hatten: dass das Vermögen des Mündels ungeschmälert sein werde, gebeten hatten, dass der mündig gewordene Mündel vorher den Vormund belangen sollte, und [wenn] sie darum dem [Pflegbefohlenen,] der es sich stipulirte, versprochen haben, dass sie das, was von dem [Vormund] nicht hätte erhalten werden können, geben würden, so hat man angenommen, dass die Klage auf das Rückständige unter denen, welche zahlungsfähig wären, getheilt werde, weil die Last der Bürgen übernommen zu sein scheine55Nämlich von dem Mündel, welcher nach Cujacius die Last der Bürgen für einander zu haften, nach Pothier die Last derselben, den Vormund auszuklagen, was sie eigentlich hätten thun müssen, nachdem sie für ihn Zahlung geleistet hätten. S. v. Glück a. a. O. S. 382. ff.. Denn auch wenn auf den Auftrag Mehrerer Geld dargeliehen werden sollte, so wird die Klage auf gleiche Weise getheilt; denn wenn das, was für einen Anderen gegeben worden ist, bezahlt wird, warum soll die Art der Klage die Billigkeit ausschliessen?

8Pau­lus li­bro no­no re­spon­so­rum. He­redes eius, qui non iu­re tu­tor vel cu­ra­tor da­tus ad­mi­nis­tra­tio­ni se non im­mis­cuit, do­lum et cul­pam prae­sta­re non de­be­re. 1Pau­lus re­spon­dit ta­le iu­di­cium in he­redem tu­to­ris trans­fer­ri opor­te­re, qua­le de­func­tus sus­ce­pit. hoc eo per­ti­net, ut non ex­cu­se­tur he­res, si di­cat se in­stru­men­ta tu­te­la­ria non in­ve­nis­se: nam cum ex om­ni­bus bo­na fi­de iu­di­ciis prop­ter do­lum de­func­ti he­res te­n­ea­tur, idem pu­to ob­ser­van­dum et in tu­te­lae ac­tio­ne. sed con­sti­tu­tio­ni­bus sub­ven­tum est igno­ran­tiae he­redum. hoc ta­men tunc ob­ser­van­dum est, cum post mor­tem tu­to­ris he­res con­ve­nia­tur, non si li­te con­tes­ta­ta tu­tor de­ces­se­rit: nam li­tis con­tes­ta­tio­ne et poe­na­les ac­tio­nes trans­mit­tun­tur ab utra­que par­te et tem­po­ra­les per­pe­tuan­tur.

8Paul. lib. IX. Resp. [Ich habe das Gutachten ertheilt,] dass die Erben desjenigen, welcher, da er nicht dem Rechte gemäss zum Vormund oder Curator bestellt worden ist, sich nicht in die Verwaltung gemischt hat, nicht für böse Absicht und Verschulden stehen müsse. 1Paulus hat das Gutachten ertheilt, dass die Klage so gegen den Erben des Vormundes übertragen werden müsse, wie sie der Verstorbene aufgenommen hat. Dies bezieht sich darauf, dass der Erbe nicht entschuldigt wird, wenn er sagen sollte, er habe keine die Vormundschaft betreffenden Urkunden gefunden; denn da der Erbe bei allen Klagen guten Glaubens wegen der bösen Absicht des Verstorbenen gehalten ist, so glaube ich, dass dasselbe auch bei der Vormundschaftsklage zu beobachten sei. Aber man ist durch die Constitutionen der Unwissenheit der Erben zu Hülfe gekommen. Dies ist jedoch [nur] zu beobachten, wenn der Erbe nach dem Tode des Vormundes belangt wird, nicht wenn der Vormund nach eingeleitetem Streit gestorben ist; denn durch die Einleitung des Streits werden sowohl Strafklagen, [auf die Erben] von beiden Theilen übertragen, als auch zeitliche [Klagen] in immerwährende verwandelt.