Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 27 übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. XXVII2,
Ubi pupillus educari vel morari debeat et de alimentis ei praestandis
Liber vicesimus septimus
II.

Ubi pupillus educari vel morari debeat et de alimentis ei praestandis

(Wo der Mündel erzogen werden oder sich aufhalten müsse, und von dem ihm zu leistenden Unterhalte.)

1Ulpianus libro trigesimo quarto ad edictum. Solet praetor frequentissime adiri, ut constituat, ubi filii vel alantur vel morentur, non tantum in postumis, verum omnino in pueris. 1Et solet ex persona, ex condicione et ex tempore statuere, ubi potius alendus sit: et nonnumquam a voluntate patris recedit praetor. denique cum quidam testamento suo cavisset, ut filius apud substitutum educetur, imperator Severus rescripsit praetorem aestimare debere praesentibus ceteris propinquis liberorum: id enim agere praetorem oportet, ut sine ulla maligna suspicione alatur partus et educetur. 2Quamvis autem praetor recusantem apud se educari non polliceatur se coacturum, attamen quaestionis est, an debeat etiam invitum cogere, ut puta libertum, parentem vel quem alium de adfinibus cognatisve. et magis est, ut interdum debeat id facere. 3Certe non male dicetur, si legatarius vel heres educationem recuset testamento sibi iniunctam, denegari ei actiones debere exemplo tutoris testamento dati: quod ita demum placuit, si idcirco sit relictum: ceterum si esset relicturus, etiamsi educationem recusaturum sciret, non denegabitur ei actio, et ita divus Severus saepissime statuit.
1Ulp. lib. XXXIV. ad Ed. Es pflegt der Prätor sehr häufig angegangen zu werden, dass er bestimme, wo die Kinder entweder ernährt werden, oder sich aufhalten sollen, nicht nur in Betreff der Nachgeborenen, sondern in Betreff der Kinder überhaupt. 1Und er pflegt mit Rücksicht auf die Person, die Verhältnisse, und die Zeit festzusetzen, wo das Kind lieber zu erziehen sei; und zuweilen geht der Prätor von dem Willen des Vaters ab. So hat der Kaiser Severus, als Jemand in seinem Testamente verordnet hatte, dass sein Kind bei dem substituirten Erben erzogen werden sollte, rescribirt, dass der Prätor es in Gegenwart der übrigen Angehörigen der Kinder erwägen solle; denn der Prätor muss darauf bedacht sein, dass das Kind ohne irgend einen üblen Verdacht11Der in dem vorliegenden Falle daraus entstehen könnte, dass der zum Erzieher bestellt worden ist, welcher Erbe des Mündels werden soll. ernährt und erzogen werde. 2Obwohl aber der Prätor nicht verspricht, dass er den, welcher es verweigert, dass der Mündel bei ihm erzogen werden solle, zwingen werde, so ist es doch die Frage, ob er auch einen, der nicht will, zwingen dürfe, z. B. einen Freigelassenen, einen Adscendenten, oder sonst einen von den Verschwägerten oder Verwandten [des Kindes]; und es ist mehr dafür, dass er dies zuweilen thun dürfe. 3Sicher wird man nicht unrichtig sagen, dass, wenn der Legatar oder Erbe die ihm im Testamente auferlegte Erziehung verweigere, demselben die Klagen versagt werden müssen, nach dem Muster eines im Testamente ernannten Vormundes22S. L. 32. u. 33. im vorherg. Titel.. Doch hat man dies nur dann angenommen, wenn [das Legat oder die Erbschaft] deshalb hinterlassen worden ist; sonst, wenn der Vater es hinterlassen haben würde, auch wenn er gewusst hätte, dass [der Bedachte] die Erziehung verweigern werde, so wird demselben die Klage nicht versagt werden; und so hat der höchstselige Severus sehr oft festgesetzt.
2Idem libro trigesimo sexto ad edictum. Officio iudicis, qui tutelae cognoscit, congruit reputationes tutoris non improbas admittere, ut puta si dicat impendisse in alimenta pupilli vel disciplinas. 1Modus autem, si quidem praetor arbitratus est, is servari debet, quem praetor statuit: si vero praetor non est aditus, pro modo facultatium pupilli debet arbitrio iudicis aestimari: nec enim permittendum est tutori tantum reputare quantum dedit, si plus aequo dedit. 2Hoc amplius et si praetor modum alimentis statuit, verumtamen ultra vires facultatium est quod decretum est nec suggessit praetori de statu facultatium, non debet ratio haberi alimentorum omnium, quia, si suggessisset, aut minuerentur iam decreta aut non tanta decernerentur. 3Sed si pater statuit alimenta liberis quos heredes scripserit, ea praestando tutor reputare poterit, nisi forte ultra vires facultatium statuerit: tunc enim imputabitur ei, cur non adito praetore desideravit alimenta minui.
2Idem lib. XXXVI. ad Ed. Es stimmt mit der Pflicht des Richters, welcher über die Vormundschaft erkennt, überein, dass er die nicht unzweckmässigen Anrechnungen des Vormundes zulasse, z. B. wenn der Vormund sagen sollte, dass er [Etwas] auf den Unterhalt oder den Unterricht des Mündels verwendet habe. 1Es muss aber, wenn der Prätor den Ausspruch gethan hat, das Maass [des Unterhalts] beobachtet werden, welches der Prätor festgesetzt hat; wenn aber der Prätor nicht angegangen worden ist, so muss es nach der Grösse des Vermögens des Mündels durch das Ermessen des Richters bestimmt werden; denn es ist dem Vormunde auch nicht zu erlauben, soviel anzurechnen, als er gegeben hat, wenn er mehr gegeben hat, als billig war. 2Ferner darf, wenngleich der Prätor das Maass für den Unterhalt festgesetzt hat, jedoch das, was bestimmt worden ist, die Kräfte des Vermögens übersteigt, und [der Vormund] dem Prätor über den Stand des Vermögens keine Auskunft gegeben hat, nicht auf den ganzen [vom Prätor bestimmten] Unterhalt Rücksicht genommen werden, weil, wenn [der Vormund dem Prätor] Auskunft gegeben hätte, entweder der schon bestimmte Unterhalt vermindert, oder nicht soviel bestimmt werden würde. 3Aber wenn der Vater den Unterhalt für seine Kinder festgesetzt hat, welche er zu Erben eingesetzt hat, so wird der Vormund, wenn er denselben leistet, ihn berechnen können, wenn nicht etwa [der Vater ihn] über die Kräfte des Vermögens hinaus festgesetzt haben sollte; dann nämlich wird es ihm angerechnet werden, dass er nicht dem Prätor angegangen ist und verlangt hat, dass der Unterhalt vermindert werden sollte.
3Idem libro primo de omnibus tribunalibus. Ius alimentorum decernendorum pupillis praetori competit, ut ipse moderetur, quam summam tutores vel curatores ad alimenta pupillis vel adulescentibus praestare debeant. 1Modum autem patrimonii spectare debet, cum alimenta decernit: et debet statuere tam moderate, ut non universum reditum patrimonii in alimenta decernat, sed semper sit, ut aliquid ex reditu supersit. 2Ante oculos habere debet in decernendo et mancipia, quae pupillis deserviunt, et mercedes pupillorum et vestem et tectum pupilli: aetatem etiam contemplari, in qua constitutus est cui alimenta decernuntur. 3In amplis tamen patrimoniis positis non cumulus patrimonii, sed quod exhibitioni frugaliter sufficit modum alimentis dabit. 4Sed si non constat, quis modus facultatium sit, inter tutorem et eum, qui alimenta decerni desiderat, suscipere debet cognitionem nec temere alimenta decernere, ne in alterutram partem delinquat: prius tamen exigere debet, ut profiteatur tutor, quae sit penes se summa, et comminari graviores ei usuras infligi eius, quod supra professionem apud eum fuerit comprehensum. 5Idem ad instructionem quoque pupillorum vel adulescentium pupillarum vel earum, quae intra vicensimum annum constitutae sunt, solet decernere respectu facultatium et aetatis eorum qui instruuntur. 6Sed si egeni sint pupilli, de suo eos alere tutor non compellitur. et si forte post decreta alimenta ad egestatem fuerit pupillus perductus, deminui debent quae decreta sunt, quemadmodum solent augeri, si quid patrimonio accesserit.
3Idem lib. I. de omnib. Tribunalib. Das Recht, für die Mündel den Unterhalt zu bestimmen, steht dem Prätor zu, so dass er selbst es anordnet, welche Summe die Vormünder oder Curatoren den Mündeln oder Minderjährigen zum Unterhalt leisten sollen. 1Er muss aber auf die Grösse des Vermögens sehen, wenn er den Unterhalt bestimmt, und er muss [denselben] so mässig festsetzen, dass er nicht die gesammten Einkünfte des Vermögens zum Unterhalt bestimmt, sondern immer so33Sic statt sit mit Baudoza, Pothier u. A. S. v. Glück a. a. O. S. 171. Anm. 57., dass Etwas aus den Einkünften übrig bleibt. 2Er muss, wenn er [den Unterhalt] bestimmt, auch die Sclaven, welche den Mündeln dienen, und die wegen der Mündel [zu gebenden] Besoldungen44Mercedes pupillorum, d. h. hier wohl die für den Unterricht der Mündel zu zahlenden Honorare. S. L. 4. h. t. und v. Glück a. a. O. S. 166. Anm. 51., und die Kleidung und die Wohnung des Mündels vor Augen haben; auch das Alter in Betracht ziehen, in welchen sich der [Mündel] befindet, für welchen der Unterhalt bestimmt wird. 3Bei solchen aber, welche ein ansehnliches Vermögen haben, wird nicht die Vergrösserung des Vermögens, sondern das, was zu einer standesmässigen Unterhaltung hinreicht55Quod exhibitioni frugaliter sufficit. S. v. Glück a. a. O. Anm. 59., das Maass für den Unterhalt abgeben. 4Aber wenn es nicht bekannt ist, welches die Grösse des Vermögens sei, so muss er eine Untersuchung zwischen dem Vormunde und dem, welcher verlangt, dass der Unterhalt bestimmt werden solle, anstellen, und nicht unbedachtsam den Unterhalt bestimmen, damit er gegen keinen von beiden Theilen Etwas versehe; zuvor muss er jedoch verlangen, dass der Vormund angebe, welche Summe sich bei ihm befinde, und drohen, dass demselben höhere Zinsen für das auferlegt werden sollen, was mehr, als er angegeben hat, bei ihm vorgefunden sein sollte. 5Derselbe pflegt auch für den Unterricht der Mündel, oder Minderjährigen, der Mündelinnen oder solcher Frauenspersonen, welche sich innerhalb des zwanzigsten Jahres befinden, mit Rücksicht auf die Vermögensumstände und des Alters derer, welche unterrichtet werden, [Etwas] zu bestimmen. 6Aber wenn die Mündel dürftig sein sollten, so wird der Vormund nicht genöthigt, sie von dem Seinigen zu ernähren; und wenn der Mündel etwa, nachdem der Unterhalt bestimmt worden ist, in Dürftigkeit gerathen sein sollte, so muss [der Unterhalt], welcher bestimmt worden ist, vermindert werden, ebenso wie er vermehrt zu werden pflegt, wenn Etwas zu dem Vermögen hinzugekommen sein sollte.
4Iulianus libro vicesimo primo digestorum. Qui filium heredem instituerat, filiae dotis nomine, cum in familia nupsisset, ducenta legaverat nec quicquam praeterea et tutorem eis Sempronium dedit: is a cognatis et a propinquis pupillae perductus ad magistratum iussus est alimenta pupillae et mercedes, ut liberalibus artibus institueretur, pupillae nomine praeceptoribus dare: pubes factus pupillus puberi iam factae sorori suae ducenta legati causa solvit. quaesitum est, an tutelae iudicio consequi possit, quod in alimenta pupillae et mercedes a tutore ex tutela praestitum sit. respondi: existimo, etsi citra magistratuum decretum tutor sororem pupilli sui aluerit et liberalibus artibus instituerit, cum haec aliter ei contingere non possent, nihil eo nomine tutelae iudicio pupillo aut substitutis pupilli praestare debere.
4Julian. lib. XXI. Dig. Jemand, der seinen Sohn zum Erben eingesetzt hatte, hatte seiner Tochter als Heirathsgut, wenn sie sich in der Familie verheirathet haben würde, Zweihundert, und Nichts weiter legirt, und ihnen den Sempronius zum Vormund ernannt; diesem ist, als er von den Verwandten und von den Angehörigen der Mündelin zur Obrigkeit geführt worden war, befohlen worden, der Mündelin Unterhalt und für die Mündelin ihren Lehrern Besoldungen zu geben, damit sie in den edlen Wissenschaften unterrichtet würde; als der Mündel mündig geworden ist, hat er seiner schon mündig gewordenen Schwester die Zweihundert in Folge des Legats gezahlt; man hat gefragt: ob er mit der Vormundschaftsklage das, was für den Unterhalt der Mündelin und für die Besoldungen vom Vormund aus dem Mündelvermögen geleistet sei, erlangen könne? Ich habe das Gutachten ertheilt: Ich bin der Meinung, dass, wenn auch ohne ein Decret der Obrigkeit der Vormund die Schwester seines Mündels ernährt und in den edlen Wissenschaften habe unterrichten lassen, da ihr das anders nicht hätte zu Theil werden können, doch deshalb auch die Vormundschaftsklage dem Mündel oder den Substituten des Mündels Nichts geleistet werden müsse.
5Ulpianus libro tertio de officio proconsulis. Si disceptetur, ubi morari vel ubi educari pupillum oporteat, causa cognita id praesidem statuere oportebit. in causae cognitione evitandi sunt, qui pudicitiae impuberi possunt insidiari.
5Ulp. lib. III. de off. Procons. Wenn gestritten werden sollte, wo der Mündel sich aufhalten, oder wo er erzogen werden müsse, so wird der Präses dies nach Untersuchung der Sache bestimmen müssen. Bei der Untersuchung der Sache sind aber diejenigen [von der Erziehung] auszuschliessen, welche der Sittlichkeit des Unmündigen gefährlich werden könnten.
6Tryphoninus libro quarto decimo disputationum. Si absens sit tutor et alimenta pupillus desideret, si quidem neglegentia et nimia cessatio in administratione tutoris obiciatur, quae etiam ex hoc arguatur, quod per absentiam eius deserta derelictaque sunt pupilli negotia, evocatis adfinibus atque amicis tutoris praetor edicto proposito causa cognita etiam absente tutore vel removendum eum, qui dignus tali nota videbitur, decernet vel adiungendum curatorem: et ita qui datus erit, expediet alimenta pupillo. si vero necessaria absentia tutoris et inprovisa acciderit, forte quod subito ad cognitionem principalem profectus nec rei suae providere nec consulere pupillo potuerit et speratur redire et idoneus sit tutor nec expediat alium adiungi et pupillus alimenta de re sua postulet: recte constituetur ad hoc solum, ut ex re pupilli alimenta expediat.
6Tryphonin. lib. XIV. Disp. Wenn der Vormund abwesend sein und der Mündel Unterhalt verlangen sollte, so wird, wenn eine Nachlässigkeit und allzu grosse Saumseligkeit in der Verwaltung des Vormunds [demselben] vorgeworfen werden sollte, — die auch daraus geschlossen werden mag, dass durch die Abwesenheit desselben die Geschäfte des Mündels liegen geblieben und verlassen sind, — der Prätor, nachdem die Verschwägerten und Freunde des Vormunds vorgefordert worden sind, ein Edict aufgestellt, [und] die Sache untersucht worden ist, auch in Abwesenheit des Vormunds entscheiden, dass entweder derselbe abzusetzen sei, wenn er eine solche Beschimpfung wird zu verdienen scheinen, oder [demselben] ein Curator beizugeben sei; und der, welcher so bestellt sein wird, wird für den Mündel den Unterhalt ausmitteln. Wenn aber eine nothwendige und unvorhergesehene Abwesenheit des Vormunds eingetreten sein sollte, — etwa weil er schleunig zu einer kaiserlichen Untersuchung abgereist, weder für seine eigenen Angelegenheiten Vorsorge treffen, noch für den Mündel sollte haben sorgen können, — und man hoffen sollte, dass er zurückkehre, und er ein sicherer Vormund sein, es auch für den Mündel nicht dienlich sein sollte, dass ein Anderer [dem Vormund] beigegeben werde, und der Mündel von seinem Vermögen Unterhalt fordern sollte, so wird [ein Anderer] mit Recht blos dazu bestellt werden, damit er aus dem Vermögen des Mündels den Unterhalt ausmittle.