De legitimis tutoribus
(Von den gesetzlichen Vormündern.)
1Ulpian. lib. XIV. ad Sabin. Die gesetzlichen Vormundschaften wurden nach dem Zwölftafelgesetze den Agnaten und vatergleichen (Geschwistern) Brüdern, ebenso den Freilassern, d. i. denen zugewiesen, an welche die gesetzliche Beerbung gelangen kann. Dies zeigt von hoher Einsicht, auf dass die, welche die Erbfolge erwarteten, das Vermögen beschützten, damit es nicht verschleudert würde. 1Bisweilen befindet sich die Erbschaft in andern Händen, als die Vormundschaft, wie wenn der Mündel eine vatergleiche11Siehe Collat. leg. Mos. et Rom. XVI. §. 3. (Schult. Jur. Antejurist. S. 797.) und Cujacius Abh. XI. 26., wo er, den Accursius zurechtweisend, auch lehrt, dass die Consanguinei nichts Anderes als die nächsten Agnaten sind. Schwester hat; denn es kommt zwar die Erbschaft an die Agnatin, aber an den Agnaten die Vormundschaft. Ebenso ist es auch bei den Freigelassenen, wenn die Frau und der Sohn des Freilassers da sind. Denn die Vormundschaft wird der Sohn, die Erbschaft die Frau des Freilassers, erhalten. Dasselbe wird der Fall sein, wenn eine Tochter und ein Enkel des Freilassers vorhanden sind. 2Wenn der Bruder in feindlicher Gewalt ist, so wird nicht einem entferntern Agnaten die Vormundschaft zugewiesen; denn wenn der Freilasser in feindlicher Gewalt ist, so kommt auch nicht die Vormundschaft an dessen Sohn, sondern es wird inzwischen vom Prätor ein Vormund bestellt. 3Bisweilen wird die Vormundschaft ohne Erbschaft, bisweilen die Erbschaft ohne Vormundschaft zugewiesen, wie dies bei dem der Fall ist, der sich verbarg, da er ersucht wurde, seinen Sclaven frei zu lassen. Denn es rescribirte der höchstselige Pius an den Aurelius Bassus im Allgemeinen: ein Mensch [der sich, um nicht seinen Sclaven frei lassen zu können, verbarg] solle nicht das Recht des Freilassers haben. Seine Worte sind: Die betrügliche Absicht solcher Leute, welche eine fideicommissarisch ertheilte Freiheit dadurch vernichten wollen, soll damit bestraft werden, dass sie über den, welchen sie nicht in Freiheit setzen wollen, sich keine Patronatsrechte erwerben. Dasselbe wird auch da eintreten, wenn einer Tochter ein Freigelassener [adsignirt] wurde. Die Vormundschaft wird zwar, nach Marcellus Bemerkung, bei den Brüdern verbleiben, die gesetzliche Erbschaft aber an die Schwester kommen.
2Idem lib. XXXVII. ad Sabin. Ohne Zweifel geht die gesetzliche Vormundschaft durch eine Veränderung des bürgerlichen Zustandes von Seiten des Mündels verloren, auch wenn dies ohne Verlust des Bürgerrechts geschieht.
3Idem lib. XXXVIII. ad Sabin. Ueber die gesetzliche Vormundschaft, welche nach dem Zwölftafelgesetze den Freilassern zugewiesen wird, findet sich daselbst zwar keine eigenthümliche und ausdrückliche Bestimmung, allein man richtete sich nach den Beerbungen, welche nach diesem Gesetze den Patronen gestattet sind. 1Es ist daher der Freilasser nach dem Zwölftafelgesetze Vormund, mag nun diese Freilassung freiwillig oder nothwendig aus Veranlassung eines Fideicommisses geschehen sein. 2Wenn aber auch unter der Bedingung ein Kauf geschlossen wurde, dass er (der Käufer) [den Sclaven] freilasse, und dieser (Sclav), nach der Verfügung des göttlichen Marcus an den Aufidius Victorinus, die Freiheit erlangte, so soll er (der Käufer) doch Vormund sein. 3Wenn aber freilich der Sclav etwa nach dem Rubrianischen Senatsschlusse22Die Worte dieses Senatsschlusses befinden sich im Fr. 26. §. 7. D. de fideicomm. libert. (40. 5.) zur Freiheit gelangte, dann soll der, welcher [um die Freilassung] ersucht wurde, nicht Vormund werden, sondern dieser Sclav als Freigelassener des Orkus zur Familie des Erblassers gehören33Weil er nunmehr als direct von seinem Herrn freigelassen angesehen wird. Dieser befindet sich aber in der Unterwelt, folglich ist der freigewordene Sclav ein Freigelassener seines in dem Orkus sich aufhaltenden Freilassers.. In diesem Falle fängt nun die Vormundschaft [zu]erst bei den Kindern des Freilassers an, indem sie nie an die Freilasser selbst gelangt war. Dies aber findet bei allen Freigelassenen des Verstorbenen, die durch testamentarische Verfügung frei wurden, Statt. 4Sind der Freilasser zwei oder mehrere, so sind sie alle Vormünder. Befindet sich aber eine Frau unter ihnen, so sollen blos die Männer die Vormundschaft übernehmen. 5Starb einer von den Freilassern, so bleibt, obgleich [der Verstorbene] einen Sohn hinterliess, die Vormundschaft doch bei den noch Uebrigen. Wurde ein Freilasser von den Feinden gefangen genommen, so führen inzwischen die Mitfreilasser allein die Vormundschaft. Auf ähnliche Weise ergibt sich, dass die Uebrigen die Vormundschaft führen, wenn einer von ihnen Sclav wurde. 6Starben aber alle Freilasser, dann erst gelangt die Vormundschaft an ihre Kinder. 7Wenn nun einer von den Freilassern einen Sohn, der andere einen Enkel hinterliess, [so fragt es sich,] ob blos an den Sohn, oder auch an den Enkel die Vormundschaft komme, weil ja auch der Enkel der nächste Verwandte seines Vaters in der Familie ist? Dies wird aus den gesetzlichen Beerbungen deutlich werden. Da heisst es nämlich: die gesetzliche Erbschaft kommt blos an den Sohn. Deshalb fällt auch blos auf den Sohn die Vormundschaft; nach dem Sohn dann auf den Enkel. 8Man kann fragen, ob, wenn des Freilassers Sohn von der Vormundschaft entfernt wurde, oder sich dagegen entschuldigte, diese nun auf den Enkel falle? Marcellus ist, nach seinem Schreiben, der Meinung, dass hier kein Nachrücken Statt finde. Denn die Entfernung jener von der Vormundschaft soll kein Nachrücken [entfernterer Agnaten], sondern Bestellung anderer Vormünder an ihrer Statt [durch die Obrigkeit] bewirken. 9Es tritt aber bei der gesetzlichen Vormundschaft ein Nachrücken nicht nur durch den Tod, sondern auch durch die Verschmälerung des bürgerlichen Zustandes [des Vormundes] ein. Wird daher der bürgerliche Zustand des nächsten Verwandten verändert, so rückt in der Verwaltung der Vormundschaft der ihm Nächstfolgende nach. 10Wenn ein Gewalthaber seinen Sohn, oder seine Tochter, oder seinen Enkel, oder seine Enkelin, oder fernere Abkömmlinge im Zustande der Unmündigkeit aus seiner Gewalt entlässt, so verliert er die Stelle eines gesetzlichen Vormundes.
5Ulp. lib. XXXV. ad Ed. Gesetzliche Vormünder bestellt Niemand, sondern das Zwölftafelgesetz bestimmte diese. 1Dass aber diese auch zur Sicherheitsleistung gezwungen werden können, ist gewiss, und zwar insoweit, dass sehr Viele annehmen, auch der Freilasser und dessen Sohn, und die übrigen Kinder desselben können gezwungen werden, Sicherheit zu leisten, dass das Mündelvermögen in gutem Zustande erhalten werden würde. Aber man thut besser, es, nach vorgängiger Untersuchung der Ursache, auf die Bestimmung des Prätor ankommen zu lassen, ob der Freilasser und seine Kinder Sicherheit leisten müssen, oder nicht, auf dass, wenn er eine ehrbare Person, vorzüglich aber, wenn die Vermögensmasse unbeträchtlich ist, ihm die Sicherheitsleistung erlassen werde; ist aber der Freilasser ein gemeiner Mensch, oder eine nicht eben ehrbare Person, da soll dann Sicherheitsleistung Statt finden, so dass hier in Rücksicht auf die Art der Vormundschaft, auf die Person oder die geschehene Untersuchung eine Sicherheitsleistung zugelassen wird. 2Es ward gefragt, ob bei gesetzlichen, oder obrigkeitlichen Bevormundungen auch Einem Vormunde die Verwaltung zuerkannt werden könne? Labeo sagt, auch ein Einziger könne zum Vormunde bestimmt werden, es könnten ja Einige abwesend oder wahnsinnig sein. Diese Meinung muss man ihrer Nützlichkeit wegen aufnehmen, auf dass auch einem Einzigen die Verwaltung zuerkannt werde. 3Können sich aber nun auch diese Vormünder nach der obigen Clausel gegenseitig [zur Sicherheitsleistung] auffordern? Es hat die Behauptung mehr für sich, dass auch bei diesen in dem Falle, wo nicht Sicherheit geleistet wurde, eine Aufforderung dazu zulässig sei, nämlich wenn nicht alle Sicherheit leisteten, oder die Sicherstellung aufhörte, [denn es wird bisweilen keine Sicherstellung verlangt], oder wenn diese aufhörte, oder wenn Municipalbeamte von den durch sie gegebenen Vormündern keine Sicherheitsleistung erhalten konnten oder wollten. 4Ist dies nun auch von den Freilassern, vorzüglich da, wo keine Sicherheit zu leisten ist, anzunehmen? Nach meiner Meinung darf ein solches Auffordern, wenn nicht ein wichtiger Grund dazu vorhanden ist, bei den Freilassern keine Anwendung finden, damit Niemand die Hoffnung zur Erbschaft, die zu erwarten steht, vermindere. Denn wurde ein Freilasser von der Mitverwaltung ausgeschlossen, so kann ihm leicht durch den Mitfreilasser, der allein das Vermögen des Pupillen schlecht verwaltet, ein Schaden erwachsen. 5Erlitt der gesetzliche Vormund eine Schmälerung seines bürgerlichen Zustandes, so soll seine Vormundschaftsführung aufhören, und nach beendigter Vormundschaft die Vormundschaftsklage Statt finden.
6Paul. lib. XXXVIII. ad Ed. Stirbt der Vater ohne ein Testament, so kommen die Agnaten zur Vormundschaft. Ohne Testament gestorben ist aber nicht nur der, welcher kein Testament machte, sondern auch der, welcher in seinem Testamente seinen Kindern keine Vormünder gab; denn in Bezug auf die Vormundschaft hat er kein Testament gemacht. Eben dahin werden wir uns erklären, wenn der in einem Testament gegebene Vormund noch während der Unmündigkeit des Sohnes starb; denn es kehrt die Vormundschaft desselben zu den Agnaten zurück.
8Paul. lib. XXXVIII. ad Ed. Wenn ich einen unmündigen Sohn und [zugleich] einen Bruder und einen Enkel von einem andern Sohn hinterliess, so werden bekanntlich diese beiden, wenn sie nur das erforderliche Alter haben, Vormünder, weil sie in demselben Verwandschaftsgrade stehen.
9Gaj. lib. XII. ad Ed. prov. Sind mehrere Agnaten da, so erhält der Nächstverwandte die Vormundschaft; stehen mehrere in demselben Verwandschaftsgrade, so erhalten alle die Vormundschaft.
10Hermogen. lib. II. Jur Epit. Eine näherverwandte Frauensperson steht einem Agnaten bei Uebernehmung der Vormundschaft über einen agnatisch verwandten Unmündigen nicht im Wege. Deshalb wird denn der Vatersbruder gesetzlicher Vormund seines Bruderssohnes sein, wenn dieser auch eine vatergleiche Schwester hat. Es hindert auch weder die Vatersschwester den Grossvatersbruder, noch die Mutterschwester44Das Unpassende dieses Beispiels von der Mutterschwester, die doch eine Agnatin war und wurde, veranlasste den Jos. Finestres, dies für die Waare eines ungelehrten Auslegers zu erklären. die Bruderssöhne, Vormünder zu werden. 1Taube und Stumme können aus dem Grunde keine gesetzlichen Vormünder sein, weil sie auch nicht in einem Testamente oder auf eine andere Weise mit Erfolg bestellt werden können.