Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 24 übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. XXIV2,
De divortiis et repudiis
Liber vicesimus quartus
II.

De divortiis et repudiis

(Von den Scheidungen und Kündigungen1.)

1Divortium wird nur von der Trennung der Ehe, repudium sowohl von dieser, als von der Trennung eines Verlobnisses gebraucht. Auch wird repudium häufig von der Handlung gebraucht, wodurch die Trennung bewirkt wurde, z. B. repudium mittere, dicere, scribere u. dergl. m. S. Wächter v. d. Ehescheid. S. 66. v. Glück a. a. O. S. 231 ff.

1Paulus libro trigesimo quinto ad edictum. Dirimitur matrimonium divortio morte captivitate vel alia contingente servitute utrius eorum.
1Paul. lib. XXXV. ad Ed. Die Ehe wird getrennt durch Scheidung, Tod, Gefangenschaft, oder wenn eine andere Sclaverei einen von beiden [Ehegatten] betrifft.
2Gaius libro undecimo ad edictum provinciale. Divortium autem vel a diversitate mentium dictum est vel quia in diversas partes eunt, qui distrahunt matrimonium. 1In repudiis autem, id est renuntiatione comprobata sunt haec verba: ‘tuas res tibi habeto’, item haec: ‘tuas res tibi agito’. 2In sponsalibus quoque discutiendis placuit renuntiationem intervenire oportere: in qua re haec verba probata sunt: ‘condicione tua non utor’. 3Sive autem ipsi praesenti renuntietur sive absenti per eum, qui in potestate eius sit cuiusve is eave in potestate sit, nihil interest.
2Gaj. lib. XI. ad Ed prov. Die Scheidung ist aber entweder von der Verschiedenheit der Gesinnungen [so] benannt worden, oder weil die, welche die Ehe trennen, sich nach verschiedenen Seiten wenden. 1Bei Kündigungen aber, das heisst bei der Aufsagung, sind diese Worte gebräuchlich geworden: du magst deine Sachen für dich behalten, ingleichen diese: du magst deine Sachen mit dir nehmen22Die erstere Formel sprach wohl die Frau zum Manne, die letztere der Mann zur Frau, wie auch die Basil. XXVIII. t. 7. c. 9. Tom. IV. p. 328. andeuten. S. v. Glück a. a. O. XXIII. S. 130. Anm. 61. — Wächter a. a. O. S. 111 ff. will aus einer Handschrift und gestützt auf andere Gründe statt der ersten Formel (tuas res tibi habeto) lesen: tuas res tibi, abeo (du magst deine Sachen für dich behalten, ich gehe weg) und statt der zweiten (tuas res tibi agito) tuas res tibi, ago (du magst deine Sachen mit dir nehmen, ich jage dich fort).. 2Man hat angenommen, dass auch bei der Trennung eines Verlöbnisses eine Aufsagung vorkommen müsse, und dabei sind diese Worte gebräuchlich geworden: ich will die Verbindung mit dir nicht eingehen33Conditione tua non utor. Die Vulg. liest utar.. 3Es macht aber keinen Unterschied, ob er [oder sie]44Ob der Theil, dem die Ehe oder das Verlöbniss aufgekündigt werden soll. gegenwärtig sei und ihm [oder ihr] selbst, oder ob er [oder sie] abwesend sei und ihm [oder ihr] durch den aufgesagt werde, der sich in seiner [oder ihrer] Gewalt befindet, oder in dessen Gewalt er oder sie sich befindet.
3Paulus libro trigesimo quinto ad edictum. Divortium non est nisi verum, quod animo perpetuam constituendi dissensionem fit. itaque quidquid in calore iracundiae vel fit vel dicitur, non prius ratum est, quam si perseverantia apparuit iudicium animi fuisse: ideoque per calorem misso repudio si brevi reversa uxor est, nec divortisse videtur.
3Paul. lib. XXXV. ad Ed. Eine [wahre] Scheidung ist nicht vorhanden, wenn sie nicht eine ernstliche ist, welche mit der Absicht, eine immerwährende Trennung zu begründen, geschieht. Was daher in der Hitze des Zorns entweder geschieht, oder gesagt wird, ist nicht eher gültig, als bis aus der Beharrlichkeit erhellt hat, dass es der Ausspruch der Gesinnung gewesen sei; und darum scheint eine Ehefrau, wenn sie, nachdem in der Hitze eine Kündigung ergangen war, kurz darauf zurückgekehrt ist, sich nicht geschieden zu haben.
4Ulpianus libro vicesimo sexto ad Sabinum. Iulianus libro octavo decimo digestorum quaerit, an furiosa repudium mittere vel repudiari possit. et scribit furiosam repudiari posse, quia ignorantis loco habetur: repudiare autem non posse neque ipsam propter dementiam neque curatorem eius, patrem tamen eius nuntium mittere posse. quod non tractaret de repudio, nisi constaret retineri matrimonium: quae sententia mihi videtur vera.
4Ulp. lib. XXVI. ad Sabin. Julianus fragt im achtzehnten Buche der Digesta, ob eine Rasende eine Kündigung ergehen lassen, oder ihr gekündigt werden könne; und er schreibt, dass einer Rasenden gekündigt werden könne, weil sie wie eine, die Nichts weiss, angesehen wird, dass sie aber nicht kündigen könne, weder sie selbst, wegen ihrer Unvernünftigkeit, noch ihr Curator; ihr Vater könne jedoch eine Kündigung ergehen lassen. [Julianus] würde dies aber nicht in Betreff der Kündigung erörtert haben, wenn es nicht bekannt wäre, dass die Ehe [mit einer Rasenden] fortbestehe; und diese Meinung scheint mir wahr zu sein.
5Idem libro trigesimo quarto ad edictum. Si filia emancipata idcirco diverterat, ut maritum lucro dotis adficiat, patrem fraudet, qui profecticiam dotem potuit petere, si constante matrimonio decessisset, ideo patri succurrendum est, ne dotem perdat: non enim minus patri quam marito succurrere praetorem oportet. danda igitur est ei dotis exactio, atque si constante matrimonio decessisset filia.
5Idem lib. XXXIV. ad Ed. Wenn eine aus der väterlichen Gewalt entlassene Tochter sich deshalb geschieden hatte, damit sie [ihrem] Ehemann den Gewinn des Heirathsguts zuwende, [ihren] Vater [um dasselbe] betrüge, der doch das profecticische55S. die Bem. zu L. 5. pr. D. de j. dot. 23. 3. u. vergl. L. 6. pr. eod. Heirathsgut hätte fordern können, wenn sie, während die Ehe bestand, verstorben wäre, so ist darum dem Vater zu Hülfe zu kommen, damit er das Heirathsgut nicht verliere; denn der Prätor muss dem Vater nicht weniger als dem Ehemann zu Hülfe kommen; es ist demselben daher die Forderung des Heirathsguts zu geben, gleich als ob die Tochter, während die Ehe bestand, verstorben wäre.
6Iulianus libro sexagesimo secundo digestorum. Uxores eorum, qui in hostium potestate pervenerunt, possunt videri nuptarum locum retinere eo solo, quod alii temere nubere non possunt. et generaliter definiendum est, donec certum est maritum vivere in captivitate constitutum, nullam habere licentiam uxores eorum migrare ad aliud matrimonium, nisi mallent ipsae mulieres causam repudii praestare. sin autem in incerto est, an vivus apud hostes teneatur vel morte praeventus, tunc, si quinquennium a tempore captivitatis excesserit, licentiam habet mulier ad alias migrare nuptias, ita tamen, ut bona gratia dissolutum videatur pristinum matrimonium et unusquisque suum ius habeat imminutum: eodem iure et in marito in civitate degente et uxore captiva observando.
6Julian. lib. LXII. Digestor. Die Ehefrauen derjenigen, welche in die Gewalt der Feinde gekommen sind, können blos deswegen noch als verheirathet angesehen werden, weil sie nicht leicht einen Anderen heirathen können. Und im Allgemeinen ist zu bestimmen, dass, so lange es gewiss ist, dass der in Gefangenschaft befindliche Ehemann lebe, die Ehefrauen solcher [Männer] keine Erlaubniss haben, zu einer anderen Ehe zu schreiten, wenn nicht lieber die Frauen selbst eine Veranlassung zur Kündigung geben wollen. Wenn es aber ungewiss ist, ob er noch lebendig bei den Feinden zurückgehalten werde, oder vom Tod getroffen sei, dann hat die Frau, wenn fünf Jahre seit der Zeit der Gefangennehmung verflossen sein werden, die Erlaubniss zu einer anderen Ehe zu schreiten, so jedoch, dass die frühere Ehe in Güte aufgelöst zu sein scheint, und ein jeder [Ehegatte] sein Recht unvermindert behält66D. h. nichts von seinem Vermögen verliert, indem sonst bei nicht gütlicher Scheidung Abzüge vom Vermögen des schuldigen Gatten Statt fanden. S. Hasse a. a. O. S. 162 ff.; dasselbe Recht ist auch dann zu beobachten, wenn der Ehemann im Vaterland lebt und die Ehefrau gefangen ist.
7Papinianus libro primo de adulteriis. Si paenituit eum, qui libellum tradendum divortii dedit, isque per ignorantiam mutatae voluntatis oblatus est, durare matrimonium dicendum, nisi paenitentia cognita is qui accepit ipse voluit matrimonium dissolvere: tunc enim per eum qui accepit solvitur matrimonium.
7Papinian. lib. I. de adult. Wenn es den [Ehegatten] gereut hat, welcher [Jemanden] einen Scheidungsbrief gegeben hat, damit derselbe [dem anderen Ehegatten] übergeben werde, und er aus Unbekanntschaft mit dem geänderten Willen überreicht worden ist, so muss man sagen, dass die Ehe fortdauere, wenn nicht der [Ehegatte], welcher [den Scheidungsbrief] erhalten hat, nachdem ihm die Reue [des anderen] bekannt geworden ist, selbst hat die Ehe auflösen wollen; dann nämlich wird durch den, welcher [den Scheidungsbrief] erhalten hat, die Ehe aufgelöst.
8Idem libro secundo de adulteriis. Divus Hadrianus eum, qui alienam uxorem ex itinere domum suam duxisset et inde marito eius repudium mississet, in triennium relegavit.
8Idem lib. II. de adult. Der höchstselige Hadrianus hat Einen, der eine fremde Ehefrau von der Strasse in sein Haus geführt, und von da aus eine Kündigung an ihren Ehemann hatte ergehen lassen, auf drei Jahre relegirt.
9Paulus libro secundo de adulteriis. Nullum divortium ratum est nisi septem civibus Romanis puberibus adhibitis praeter libertum eius qui divortium faciet. libertum accipiemus etiam eum, qui a patre avo proavo et ceteris susum versum manumissus sit.
9Paul. lib. II. de adult. Keine Scheidung ist gültig, wenn nicht sieben mündige Römische Bürger zugezogen sind, ausser dem Freigelassenen dessen, der sich scheiden will. Als einen solchen Freigelassenen werden wir auch den ansehen, der vom Vater, Grossvater, Urgrossvater und den übrigen [Verwandten in] aufwärts [steigender Linie] freigelassen worden ist.
10Modestinus libro primo regularum. Patrono invito liberta, quam in matrimonio habuit, ab eo discedere non potest, nisi ex causa fideicommissi manumissa sit: tunc enim potest, licet eius fit liberta.
10Modestin. lib. I. Regul. Wider Willen des Patrons kann die Freigelassene, welche er zur Ehe gehabt hat, sich nicht von ihm trennen, wenn sie nicht in Folge eines Fideicommisses freigelassen sein sollte; dann nämlich kann sie es, wenn sie gleich seine Freigelassene ist.
11Ulpianus libro tertio ad legem Iuliam et Papiam. Quod ait lex: ‘divortii faciendi potestas libertae, quae nupta est patrono, ne esto’, non infectum videtur effecisse divortium, quod iure civili dissolvere solet matrimonium. quare constare matrimonium dicere non possumus, cum sit separatum. denique scribit Iulianus de dote hanc actionem non habere. merito igitur, quamdiu patronus eius eam uxorem suam esse vult, cum nullo alio conubium ei est nam quia intellexit legis lator facto libertae quasi diremptum matrimonium, detraxit ei cum alio conubium. quare cuicumque nupserit, pro non nupta habebitur. Iulianus quidem amplius putat nec in concubinatu eam alterius patroni esse posse. 1Ait lex: ‘quamdiu patronus eam uxorem esse volet’. et velle debet uxorem esse et patronus durare: si igitur aut patronus esse aut velle desierit, finita est legis auctoritas. 2Illud rectissime placuit, qualiquali voluntate intellegi possit patronus animum habere desisse quasi in uxorem, finiri legis huius beneficium. proinde cum patronus rerum amotarum cum liberta, quae ab invito eo divorterat, vellet experiri, imperator noster cum divo patre suo rescripsit intellegi eum hoc ipso nolle nuptam sibi, qui eam actionem vel aliam inportet, quae non solet nisi ex divortio oriri. quare si accusare eam adulterii coeperit vel alio crimine postulare, quod uxori nemo obicit, magis est, ut diremptum sit matrimonium: etenim meminisse oportet ideo adimi cum alio conubium, quia patronus sibi nuptam cupit. ubicumque igitur vel tenuis intellectus videri potest nolentis nuptam, dicendum est iam incipere libertae cum alio esse conubium. proinde si patronus sibi desponderit aliam vel destinaverit vel matrimonium alterius appetierit, credendus est nolle hanc nuptam: et si concubinam sibi adhibuerit, idem erit probandum.
11Ulp. lib. III. ad leg. Jul. et Pap. Wenn das Gesetz77Das Julische und Papische. Vergl. L. 45. D. de ritu nupt. 23. 2. sagt: die Freigelassene, welche mit [ihrem] Patron verheirathet ist, soll die Erlaubniss sich zu scheiden nicht haben, so scheint es die Scheidung, welche nach dem bürgerlichen Recht die Ehe aufzulösen pflegt, nicht ungeschehen gemacht zu haben; und darum können wir nicht sagen, dass die Ehe bestehe, da sie getrennt ist. Sonach schreibt Julianus, dass eine solche die Klage wegen des Heirathsguts nicht habe; mit Recht hat sie daher so lange, als ihr Patron sie zu seiner Ehefrau haben will, nicht das Recht zur Ehe mit einem Anderen; denn weil der Gesetzgeber eingesehen hat, dass durch die Handlung der Freigelassenen die Ehe gleichsam getrennt sei, so hat er ihr das Recht zur Ehe mit einem Anderen entzogen. Mag sie daher geheirathet haben, wen sie will, sie wird für eine nicht Verheirathete gehalten werden. Julianus geht noch weiter, indem er glaubt, dass sie auch nicht im Concubinat mit einem anderen Patron leben könne. 1Das Gesetz sagt: Solange als der Patron sie zur Ehefrau haben will; er muss sie zur Ehefrau haben wollen und Patron bleiben. Wenn er also aufgehört haben wird, entweder Patron zu sein, oder [sie zur Ehefrau haben] zu wollen, so hat die Kraft des Gesetzes aufgehört. 2Das hat man ganz richtig angenommen, dass die Wohlthat dieses Gesetzes aufhöre, wenn es an einer Willensäusserung, sie möge beschaffen sein wie sie wolle, erkannt werden könne, dass der Patron aufgehört habe, [gegen die Freigelassene] die Gesinnung, gleichwie gegen eine Ehefrau, zu haben. Deshalb hat unser Kaiser mit seinem höchstseligen Vater88Ant. Caracalla und sein Vater Sept. Severus. rescribirt, dass, wenn der Patron gegen die Freigelassene, welche sich wider seinen Willen von ihm geschieden hat, mit der Klage wegen entwendeter Sachen verfahren wollte, man es gerade daran erkenne, dass er sie nicht mehr mit sich verheirathet wissen wolle, da er jene Klage oder eine andere anstellt, welche nur in Folge der Scheidung zu entstehen pflegt. Darum ist, wenn er sie des Ehebruchs angeklagt, oder wegen eines anderen Verbrechens belangt haben wird, welches Niemand [seiner] Ehefrau vorwirft, mehr dafür, dass die Ehe getrennt sei; denn man muss sich daran erinnern, dass ihr darum das Recht zur Ehe mit einem Anderen genommen werde, weil der Patron wünscht, dass sie mit ihm noch verheirathet sei. Wo man also auch nur ein unbedeutendes Anzeichen bemerken kann, dass er sie nicht mehr mit sich verheirathet wissen will, so muss man sagen, dass von da an die Freigelassene das Recht zur Ehe mit einem Andern zu haben anfange. Deshalb ist [dann], wenn der Patron sich mit einer Anderen verlobt, oder [eine Andere für sich zur Frau] bestimmt, oder nach der Ehe mit einer Anderen verlangt haben wird, zu glauben, dass er die Freigelassene nicht mehr mit sich verheirathet wissen wolle; und wenn er sich eine Concubine genommen haben wird, so wird dasselbe anzunehmen sein.