Ne quis eum qui in ius vocabitur vi eximat
(Dass Niemand den, welcher vor Gericht berufen wird, mit Gewalt entreisse.)
1Ulp. lib. V. ad Edictum. Dieses Edict hat der Prätor öffentlich bekannt gemacht, um durch die Frucht vor Strafe die zu beschwichtigen, welche vor Gericht Berufene mit Gewalt entreissen. 1Ja, es schreibt Pomponius, dass auch im Betreff eines Sclaven eine Noxalklage zu verstatten sei, er müsste es denn mit Wissen seines Herrn gethan haben; denn in diesem Falle wird dieser ohne mögliche Auslieferung dessen, welcher den Schaden zugefügt, auf die Klage antworten. 2Ofilius glaubt, dass dies Edict keine Wirkung habe, wenn eine Person, die nicht vor Gericht berufen werden konnte, entrissen worden ist, z. B. Eltern und Freilasser und die übrigen hierher gehörigen Personen. Diese Meinung scheint mir die richtigere zu sein, und allerdings, wenn der gefehlt hat, welcher beruft, hat nicht der gefehlt, welcher entrissen hat.
2Paul. lib. IV. ad Edictum. Denn handeln gleich beide gegen das Edict, sowohl der Freigelassene, der den Freilasser beruft, als auch der, welcher den Freilasser mit Gewalt entreisst, so ist doch der Freigelassene, der bei gleicher Schuld die Rolle des Klägers spielt, im Nachtheile. 1Mit derselben Billigkeit verfährt man auch gegen den, welcher anderswohin, als er durfte, vor Gericht gerufen wurde, und man muss bestimmt sagen, dass der nicht mit Gewalt entrissen zu werden schiene, welcher das Recht habe, nicht zu leiden, dass man ihn hier verklage.
3Ulp. lib. V. ad Edictum. Hat Jemand einen vor Gericht berufenen Sclaven entrissen, so glaubt Pedius, dass das Edict ohne Wirkung sei, weil er keine Person war, die vor Gericht berufen werden konnte. Was aber thun? man wird auf Herausgabe desselben (ad exhibendum) klagen müssen. 1Entreisst Jemand den vor einen Richter, welcher nur delegirte Gerichtsbarkeit ausübt, Geladenen, so wird die Strafe des Edicts keine Anwendung leiden. 2Was der Prätor vorgeschrieben hat, mit Gewalt entreisse, anbelangend, so entsteht die Frage, ob Gewalt hinreiche oder auch böser Vorsatz da sein müsse? Gewalt reicht hin, wenn auch der böse Vorsatz fehlt.
4Paul. lib. IV. ad Edictum. Aber der Audruck entreissen (eximere) ist allgemein, wie Pomponiussagt; denn wegreissen (eripere) heisst Jemandem durch Raub aus den Händen etwas wegnehmen; entreissen aber auf jede Art wegnehmen; z. B. wenn Jemand den Andern nicht weggerissen, aber doch so lange sein Gehen ins Gericht verzögert hat, dass der Klagtermin verstrich, oder der Gegenstand durch die Zeit verloren ging, so wird man annehmen, dass er entrissen habe, obgleich er den Körper selbst nicht entrissen hat. Aber auch, wenn er ihn an einem Orte zurückgehalten, nicht aber dahin abgeführt hat, verfällt er diesen Worten. 1Ingleichen, wenn Jemand den, welcher aus Chicane berufen wurde, entrissen hat, verfällt er gewiss diesem Edicte. 2Der Prätor sagt: und nicht aus bösem Vorsatz so handle, dass er entrissen werde; denn es kann auch ohne böse Absicht geschehen, z. B. wenn eine Ursache des Entreissens Statt findet.
5Ulp. lib. V. ad Edictum. Hat Jemand Einen vermittelst eines Dritten entrissen, so verfällt er diesen letzten Worten, er mag gegenwärtig oder abwesend gewesen sein. 1Gegen den aber, welcher mit Gewalt entriss, wird eine Klage in factum verstattet, in der nicht das zu Sprache kommt, was in Wahrheit besteht, sondern die Summe, auf welche die streitige Sache vom Kläger gewürdert worden: dies nämlich ist hinzugefügt, damit klar sei, selbst wenn er ein Chicaneur ist, könne er doch zur Erlegung dieser Strafe zwingen. 2Man muss jedoch beweisen, dieses Entreissen sei daran Schuld, dass man nicht ins Gericht geführt worden sie: sonst findet die Strafe nicht Statt, weil die Worte von der Wirkung verstanden werden müssen. 3Diese Klage ist in factum, und wird auch gegen Einzelne verstattet werden, wenn Mehrere gefehlt haben. Und nichts desto weniger bleibt doch der Entrissene verbindlich. 4Erben wird sie aber nur dann gestattet werden, wenn sie Interesse an der Sache haben; aber gestattet wird sie nicht, weder gegen den Erben, noch nach Ablauf von Jahresfrist.
6Idem lib. XXXV. ad Edictum. Der, welcher einen Schuldner mit Gewalt entrissen hat, befreit den Beklagten durch Zahlung nicht, weil er nur seine eigene Strafe erlegt.