De in ius vocando
(Von der Berufung ins Gericht.)
1Paul. lib. IV. ad Edictum. Ins Gericht berufen heisst Jemanden berufen, um mit ihm rechtlich zu verfahren.
2Ulp. lib. V. ad Edictum. Ins Gericht darf nicht berufen werden, weder ein Consul, noch ein Präfect, noch ein Prätor, noch ein Proconsul, noch die übrigen Obrigkeiten, welche mit Imperium versehen sind, welche auch Jemand züchtigen können, und den Befehl geben, dass er eingekerkert werde, auch nicht ein Pontifex, während er opfert; noch die, welche aus Achtung gegen den Ort sich von da nicht wegbegeben können; aber auch nicht der, welcher auf einem auf öffentliche Kosten gehaltenen Pferde in öffentlicher Angelegenheit an einem Aufzuge Theil nimmt. Ausserdem darf in das Gericht nicht berufen werden, wer eine Frau nehmen will, oder die, welche einen zum Manne zu nehmen im Begriff ist; auch kein Richter, so lange er die Parteien über ihre Streitigkeit sprechen hört, noch Einer, so lange er vor dem Prätor für eine Partei das Wort führt, noch der, welcher eine seiner Familie zugehörige Leiche bestattet oder einem Todten die letzte Ehre erweist,
3Callistrat. lib. I. Cognitionum. oder die, welche einen Leichenzug begleiten, was auch durch ein Rescript der höchstseligen kaiserlichen Gebrüder gebilligt zu sein scheint,
4Ulp. lib. I. ad Edictum. und der, welcher eines Processes wegen vor dem Prätor oder an einem andern bestimmten Orte sich stellen muss; auch nicht Wahnsinnige oder Kinder [soll man ins Gericht berufen]. 1Der Prätor sagt: Dass Niemand Eltern, Freilasser, Freilasserin, Kinder, Eltern des Freilassers, der Freilasserin vor Gericht ohne meine Erlaubniss beruft. 2Eltern verstehe hier von beiden Geschlechtern; aber ob ohne Unterschied der Grade, darüber waltet Zweifel ob. Einige sagen, dass Eltern so bis zum dritten Grade genannt werden; höher hinauf stehende heissen Vorfahren. Dies sei die Meinung der Alten gewesen, sagt Pomponius; aber Cajus Cassius nennt alle ohne Unterschied der Grade Eltern, was auch ehrbarer ist und mit Recht die Oberhand behielt. 3Labeo glaubt, dass unter Eltern auch die verstanden werden, welche, in der Sclaverei befindlich, Kinder erzeugten. Doch bezieht sich dies nicht blos auf rechte Kinder, wie Severus annahm, vielmehr darf auch ein ausser der ehe erzeugter Sohn seine Mutter ins Gericht nicht berufen,
5Paul. lib. IV. ad Edictum. weil sie immer gewiss ist, wenn gleich sie ausser der Ehe empfangen haben sollte; Vater aber nur der ist, welchen die Ehe angibt.
7Id. lib. IV. ad Edictum. Die Eltern des Adoptivvaters kann man ohne Strafe berufen, weil diese ihm nicht Eltern sind, da er nur denen natürlich verwandt wird, mit welchen er in bürgerlicher Verwandtschaft tritt.
8Ulp. lib. V. ad Edictum. Den Adoptivvater kann man, so lange man in seiner Gewalt steht, nicht ins Gericht berufen, und das mehr um des Rechtes der väterlichen Gewalt halber, als nach Vorschrift des Prätors; es müsste denn ein Sohn sein, der sich im Lager Vermögen erworben; denn dann wird es nach vorläufiger Untersuchung der Sache gestattet; nie aber, dass der leibliche Vater, nicht einmal so lange sich der Sohn in einer Adoptivfamilie befindet, von ihm ins Gericht berufen werde. 1Freilasser, sagt er [der Prätor], Freilasserin. Unter Freilassern sind hier zu verstehen, die, welche Jemand, welcher Sclave war, freiliessen, er mag nun [der Sclave] einen verabredeten Betrug entdeckt haben, oder auf gerichtlichem Wege als freigelassener anerkannt worden sein, ohne dass er es sonst gewesen, oder ich geschworen haben, das er mein Freigelassener sei; sowie ich im Gegentheile nicht für den Freilasser gehalten werden werde, wenn das Urtheil mir ungünstig ausfiel, oder die andere Partei auf meinen Antrag geschworen hat, dass sie nicht mein Freigelassener sei. 2Habe ich den Schwur veranlasst, keine Frau zu nehmen, oder keinen Mann, so werde ich ohne Strafe vor Gericht berufen werden. Und Celsus zwar sagt, dass mein Recht an einem solchen Freigelassenen bei meinem Leben nicht auf meinen Sohn übergehe, aber Julian schreibt das Gegentheil. Sehr viele billigen Julians Meinung, wonach es kommen wird, dass der Freilasser zwar ohne Strafe vor Gericht berufen werde, nicht aber der Sohn, den man als schuldlos ansieht.
9Paul. lib. IV. ad Edictum. Auch der, welcher auf einen fideicommissarischen Auftrag freilassen soll, darf nicht vor Gericht berufen werden, wenn es gleich zu dem Zwecke geschieht, dass er freilasse.
10Ulp. lib. V. ad Edictum. Aber wenn ich einen unter der Bedingung gekauft, ihn freizulassen, und dieser vermöge der Constitution des höchstseligen Marcus zu Freiheit gelangt, werde ich vor Gericht nicht berufen werden könne, weil ich Freilasser bin. Habe ich ihn aber mit seinem eigenen Gelde gekauft und mein Versprechen gebrochen, werde ich nicht für den Freilasser gelten. 1Die, welche gegen den Kaufvertrag öffentlich preisgegeben worden ist, wird den Käufer zum Freilasser habe, wenn sie unter der Bedingung verkauft wurde, dass sie frei sei, wenn sie öffentlich preisgegeben worden. Aber wenn der Verkäufer, der sich eigenmächtiges Handanlegen ausdrücklich vorbehalten hat, selbst sie öffentlich preisgegeben, so erhält sie, weil auch sie zur Freiheit gelangt, dieselbe zwar unter dessen Schutze, welcher sie verkauft hat, aber es ist gegen die Billigkeit, dass ihm die Ehrenvorrechte zustehen, wie auch Marcellus im 6. Buche seiner Digesten meint. 2Unter Freilasser verstehen wir auch selbst den, welcher eine capitis deminutio erlitten, oder dessen Freigelassener eine dergleichen erlitten, dadurch, dass er durch Schleichwege adrogirt wird; denn wenn er in diesem Acte seinen Stand verbirgt, so nimmt man nicht an, dass man beabsichtigt, ihn zu einem Freigebornen zu machen. 3Wenn er das Recht, Ringe zu tragen, erlagt hat, glaube ich, dass er dem Freilasser die schuldige Ehrfurcht bezeigen müsse, ob er gleich alle Auszeichnungen eines Freigebornen hat. Etwas anders ist es, wenn der Flecken seiner Geburt getilgt worden ist; denn der Kaiser macht zum Freigebornen. 4Wer von einer Innung, oder einem Collegium, oder einer Stadt freigelassen wird, kann die einzelnen Glieder derselben ins Gericht berufen, weil er nicht dieser einzelnen Freigelassener ist, sondern nur dem Staate als Ganzem Ehrerbietung bezeigen muss; und will er gegen den Staat oder die Innung klagen, so muss er die Erlaubniss nach dem Edicte verlangen, wenn er gleich nur ihren bestellten Actor ins Gericht berufen wird. 5Kinder und Eltern des Freilassers und der Freilasserin müssten wir von beiden Geschlechtern verstehen. 6Aber wenn der Freilasser vermöge der Strafe der Deportation zum Fremdenstande herabgesetzt worden, so glaubt Pomponius, dass er die Ehrenrechte verloren; ist er aber in den vorigen Stand wieder eingesetzt, so wird ihm auf dieses Edicts Vortheil erhalten werden. 7Unter den Eltern des Freilassers sind auch die Adoptiveltern begriffen, aber nur so lange, als die Adoption währt. 8ist mein Sohn in Adoption gegeben worden, so wird er von meinem Freigelassenen nicht in das Gericht berufen werden können: aber auch nicht mein Enkel, der in der Adoptivfamilie erzeugt ist. Hat aber mein emancipirter Sohn nachher einen zum Sohne angenommen, so wird dieser, mein Enkel, ins Gericht berufen werden können, weil er mir fremd ist. 9Unter Kindern aber verstehen wir nach Cassius, sowie bei dem Begriffe von Eltern, auch die, welche über den Grad des Urgrossenkels hinausgehen. 10Wenn eine Freigelassene vom Freilasser Kinder erhalten hat, so wird sie und ihr Sohn gegenseitig sich nicht ins Gericht berufen. 11Wenn aber die Kinder des Freilassers den Freigelassenen des Vaters eines schweren Verbrechens angeklagt, oder gerichtlich sich zum Sclaven erbeten haben, so kommt ihm kein Ehrenrecht zu. 12Der Prätor sagt: dass Niemand ohne meine Erlaubniss vor Gericht berufe; denn er wird es erlauben, wenn die Klage, welche man gegen den Freilasser oder die Eltern anstellt, keine Schande verursacht, oder das Ehrfurchtgefühl nicht verletzt, die man gegen den Freilasser oder die Eltern anstellt. Und dies alles muss er nach vorgängiger Untersuchung thun; denn bisweilen muss er auch, im Fall die Klage Schande bringt, wie Pedius glaubt, erlauben, dass der Freilasser vom Freigelassenen vor Gericht berufen werden, wenn er ihm eine sehr grobe Beleidigung angethan, z. B. Streiche mit der Peitsche gegeben. 13Man muss aber immer dem Freilasser diese Ehre erweisen, auch wenn er als Vormund oder Curator oder Defensor oder Actor in den Process verwickelt werde. Wird aber der Vormund oder Curator des Freilassers darin verwickelt, so können sie, wie Pomponius schreibt, ohne Strafe vor Gericht gerufen werden, und das ist richtiger.
11Paul. lib. IV. ad Edictum. Fügt gleich der Prätor nicht hinzu, dass er nach vorläufiger Untersuchung des Strafgerichts gestatten werde, so sagt doch Labeo, man müsse der richterlichen Gewalt hier Zügel anlegen, z. B. wenn es den Freigelassenen gereue und er die Klage aufgebe, oder wenn der berufene Freilasser nicht gekommen sei, oder wenn er nicht gegen seinen Willen berufen worden, obgleich die Worte des Edicts diese Auslegung nicht dulden.
12Ulp. lib. LVII. ad Edictum. Wenn der Freigelassene gegen des Prätors Edict den Sohn seines Freilassers, welchen dieser selbst in seiner Gewalt hat, vor Gericht berufen, so muss man dahin entscheiden, dass man in Abwesenheit des Vaters dem in dessen Gewalt stehenden Sohne zu Hülfe kommen müsse, und dass ihm eine Klage in factum auf Strafe, d. h. auf 50 Goldstücke, gegen den Freigelassenen zustehe.
15Paul. lib. I. Quaestionum. Ein Freigelassener ist gegen seinen Freilasser schriftlich eingekommen, ohne zu verbergen, dass er sein Freigelassener sei; scheint ihm nun, im Fall auf sein Begehren geantwortet wird, auch die im Edicte bestimmte Strafe erlassen? Ich habe geantwortet: ich glaube nicht, dass dieser Fall das Edict des Prätors angehe; denn man nimmt ja auch nicht an, dass der, welcher schriftlich beim Quaestor oder dem Vorsteher einer Provinz einkommt, den Freilasser vor Gericht berufe.
16Id. lib. II. Responsorum. Man hat gefragt, ob der Vormund im Namen des Mündels eine Freilasserin ohne Erlaubniss des Prätors berufen könne. Ich habe geantwortet, dass der fragliche Mann im Namen seines Mündels seine Freilasserin auch ohne Erlaubniss des Prätors vor Gericht habe berufen können.
17Id. lib. I. Sententiarum. Man wird gezwungen, den zu stellen, für welchen man beim niedern Gerichtspersonale Sicherheit gestellt hat. Ingleichen wird der, welcher zu Protocoll versprochen hat, dass er Jemanden stellen werde, obgleich er dem niedern Gerichtspersonale keine Sicherheit leistet, ihn zu stellen gezwungen.
18Gaj. lib. I. ad Legem XII. Tabularum. Sehr viele haben geglaubt, es sei nicht erlaubt, Jemand von seinem Hause weg vor Gericht zu berufen, weil das Haus jedem der sicherste Zufluchtsort sei; und der, welcher von da weg Jemanden vor Gericht berufe, scheine ihm Gewalt anzuthun.
19Paul. lib. I. ad Edictum. Und gewiss leidet er genug Strafe dadurch, dass, wenn er nicht vor Gericht vertheidigt wird und verborgen bleibt, sein Gegner in den provisorischen Besitz der Güter desselben eingewiesen wird. Aber wenn er Zugang zu sich gestattet oder von der Strasse aus erblickt wird, so wird er, wie Julian sagt, den Rechten gemäss vor Gericht berufen.
20Gaj. lib. I. ad Legem XII. Tabularum. Aber dass auch vom Weinberg, Bad und Theater weg Jemand vor Gericht berufen werden dürfe, bezweifelt Niemand.
21Paul. lib. I. ad Edictum. Obgleich der, welcher zu Hause ist, bisweilen vor Gericht berufen werden kann, so darf doch Niemand aus seinem Hause herausgezogen werden.
22Gaj. lib. I. ad Legem XII. Tabul. Auch ist es nicht erlaubt, noch nicht erwachsene Mädchen, die fremder Gewalt unterworfen sind, ins Gericht zu berufen. 1Wer vor Gericht berufen worden ist, muss in zwei Fällen entlassen werden: wenn Jemand seine Vertheidigung vor Gericht besorgt, und wenn, während man ins Gericht geht, Vergleich über die Sache zu Stande gekommen ist.
24Ulp. lib. V. ad Edictum. Gegen den, welcher gegen Obiges gehandelt, wird eine Klage auf 50 Goldstücke, jedoch weder dem Erben, noch gegen den Erben, noch über Jahresfrist hinaus, verstattet.
25Modestin. lib. I. de Poenis. Wenn ein Freigelassener seinen Freilasser vor Gericht berufen hat, ohne die im Edicte enthaltene Erlaubniss erhalten zu haben, so erlegt er, auf vom Freilasser erhobene Beschwerde, entweder die genannte Strafe, d. h. 50 Goldstücke, oder im Fall man seine Armuth erfährt, wird er vom Präfect der Stadt als einer, der pflichtwidrig gehandelt, am Leibe gestraft.