Liber secundus
XII.
De feriis et dilationibus et diversis temporibus
(Von den Gerichtsferien und Aufschubsgestattungen und der Berechnung verschiedener Zeiten.)
1Ulpianus libro quarto de omnibus tribunalibus. Ne quis messium vindemiarumque tempore adversarium cogat ad iudicium venire, oratione divi Marci exprimitur, quia occupati circa rem rusticam in forum conpellendi non sunt. 1Sed si praetor aut per ignorantiam vel socordiam evocare eos perseveraverit hique sponte venerint: si quidem sententiam dixerit praesentibus illis et sponte litigantibus, sententia valebit, tametsi non recte fecerit qui eos evocaverit: sin vero, cum abesse perseveraverint, sententiam protulerit etiam absentibus illis, consequens erit dicere sententiam nullius esse momenti (neque enim praetoris factum iuri derogare oportet): et citra appellationem igitur sententia infirmabitur. 2Sed excipiuntur certae causae, ex quibus cogi poterimus et per id temporis, cum messes vindemiaeque sunt, ad praetorem venire: scilicet si res tempore peritura sit, hoc est si dilatio actionem sit peremptura. sane quotiens res urguet, cogendi quidem sumus ad praetorem venire, verum ad hoc tantum cogi aequum est ut lis contestetur, et ita ipsis verbis orationis exprimitur: denique alterutro recusante post litem contestatam litigare dilationem oratio concessit.
1Ulp. lib. IV. de omnibus Tribunalibus. Dass Niemand den Gegner zwinge, zur Zeit der Ernte oder Weinlese vor Gericht zu kommen, ist in der Rede (Verordnung) des höchstseligen Marcus gesagt; weil die, welche mit Landarbeit zu thun haben, nicht zum vor Gericht Erscheinen zu zwingen sind. 1Aber wenn ein Prätor entweder aus Unwissenheit oder auch Nachlässigkeit sie berufen und sie freiwillig gekommen sind, so wird, wenn derselbe in ihrer Gegenwart und mit ihrem Willen das Urtheil gesprochen hat, dieses von Wirkung sein, obgleich er nicht recht gehandelt, als er sie berufen. Wenn er aber da, wo sie fortdauernd abwesend waren, auch in ihrer Abwesenheit ein Urtheil gesprochen hat, so wird man dem Obigen zu Folge sagen, dass dies Urtheil nichtig sei; denn die Handlung des Prätors kann dem Rechte keinen Eintrag thun. Und auch ohne Appellation wird das Urtheil also ungültig werden. 2Aber es sind einige Fälle ausgenommen, wo man gezwungen werden kann, auch während der Zeit, so Ernte und Weinlese ist, vor den Prätor zu kommen, nämlich wenn die Sache durch Ablauf von Zeit wahrscheinlich untergeht, d. h. wenn eine Aufschubsgestattung (dilatio) die Klage völlig aufheben würde. Allerdings, so oft es die Sache nothwendig erheischt, ist man zu zwingen, vor dem Prätor zu erscheinen; aber billig ist es, dass man nur gezwungen werde, sich auf die Klage einzulassen. Und das ist in den Worten der Rede enthalten. Wenigstens hat diese, wenn die eine Partei es verweigern sollte, nach der Einlassung weiter rechtlich zu verfahren, ihr Aufschub zugesichert.
2Idem libro quinto ad edictum. Eadem oratione divus Marcus in senatu recitata effecit de aliis speciebus praetorem adiri etiam diebus feriaticis: ut puta ut tutores aut curatores dentur: ut offici admoneantur cessantes: excusationes allegentur: alimenta constituantur: aetates probentur: ventris nomine in possessionem mittatur, vel rei servandae causa, vel legatorum fideive commissorum, vel damni infecti: item de testamentis exhibendis: ut curator detur bonorum eius, cui an heres exstaturus sit incertum est: aut de alendis liberis parentibus patronis: aut de adeunda suspecta hereditate: aut ut aspectu atrox iniuria aestimetur: vel fideicommissaria libertas praestanda.
2Idem lib. V. ad Edict. Durch das Ablesen derselben Rede hat der höchstselige Marcus bewirkt, dass in gewissen andern Fällen auch an Ferientagen der Prätor angegangen werden dürfe; z. B. damit Vormünder oder Curatoren bestellt, oder Nachlässige ihrer Pflicht erinnert, Entschuldigungsgründe angeführt, Alimente bestimmt, der Beweis des Alters geführt, provisorischer Besitz für ein ungeborenes Kind, oder wegen der Erhaltung des Streitgegenstandes, oder der Legate und Fideicommisse halber, oder um künftigem Schaden vorzubeugen, verfügt werden, ebenfalls wegen Aushändigung von Testamenten; damit ein Curator für das Vermögen dessen bestellt werde, von welchem es ungewiss ist, ob er je einen Erben haben werde; oder wegen Ernährung von Kindern, Eltern und Freilassern; oder wegen Antretung einer Schulden halber verdächtigen Erbschaft; oder damit eine schwere Beleidigung durch Augenschein gewürdert werde; oder wenn Einem eine Freilassung in einem Fideicommisse auferlegt ist.
3Idem libro secundo ad edictum. Solet etiam messis vindemiarumque tempore ius dici de rebus quae tempore vel morte periturae sunt. morte: veluti furti: damni iniuriae: iniuriarum atrocium: qui de incendio ruina naufragio rate nave expugnata rapuisse dicuntur: et si quae similes sunt. item si res tempore periturae sunt aut actionis dies exiturus est. 1Liberalia quoque iudicia omni tempore finiuntur. 2Item in eum, qui quid nundinarum nomine adversus communem utilitatem acceperit, omni tempore ius dicitur.
3Idem lib. II. ad Edict. Es pflegt auch zur Ernte- und Weinlesezeit Recht über solche Dinge gesprochen zu werden, deren man durch Ablauf von Zeit oder durch Tod verlustig werden würde; durch Tod, wie z. B. Klagen wegen Diebstahl, wegen unrechtlicher Zufügung von schaden, wegen schwerer Beleidigungen, wenn Jemand beschuldigt wird, bei einer Feuersbrunst, einem Schiffbruche, oder Eroberung einer Flösse oder eines Schiffes sich des Raubes schuldig gemacht zu haben; und wenn dergleichen ähnliche Fälle vorliegen. Ebenfalls wenn die Gegenstände durch Ablauf von Zeit zu Grunde gehen würden, z. B. wenn die Frist, binnen der geklagt werden darf, ablaufen würde. 1Auch Klagen über Freiheit werden zu jeder Zeit angenommen. 2Ebenfalls gegen den, welcher der Jahrmärkte halber gegen das allgemeine Beste etwas erhalten hat, wird zu jeder Zeit Recht gesprochen.
4Paulus libro primo ad edictum. Praesides provinciarum ex consuetudine cuiusque loci solent messis vindemiarumque causa tempus statuere.
5Ulpianus libro sexagensimo secundo ad edictum. Pridie kalendas Ianuarias magistratus neque ius dicere, sed nec sui potestatem facere consuerunt.
5Ulp. lib. LXII. ad Edict. Den 31. December pflegen die Obrigkeiten weder Recht zu sprechen, noch sonst Audienz zu geben.
6Idem libro septuagensimo septimo ad edictum. Si feriatis diebus fuerit iudicatum, lege cautum est, ne his diebus iudicium sit nisi ex voluntate partium, et quod aliter adversus ea iudicatum erit ne quis iudicatum facere neve solvere debeat, neve quis ad quem de ea re in ius aditum erit iudicatum facere cogat.
6Idem lib. LXXVII. ad Edictum. Wenn in Ferientagen das Urtheil gefällt worden, so ist gesetzlich vorgeschrieben, dass an diesen Tagen jedes Urtheil null sei, was nicht mit Willen der Parteien gefällt ist; und dass, wenn anders gegen diese Vorschrift geurtheilt worden, keiner verbunden sein soll, die ihm zuerkannte Verbindlichkeit zu erfüllen oder zu bezahlen, und dass Niemand, wenn er deshalb vor Gericht angegangen worden, ihn zwingen soll, die zuerkannte Verbindlichkeit zu erfüllen.
7Idem libro primo de officio consulis. Oratione quidem divi Marci amplius quam semel non esse dandam instrumentorum dilationem expressum est: sed utilitatis litigantium gratia causa cognita et iterum dilatio tam ex eadem quam ex alia provincia secundum moderamen locorum impertiri solet, et maxime si aliquid inopinatum emergat. illud videndum, si defunctus acceperit aliquam dilationem propter instrumenta, an successori quoque eius dari debeat, an vero, quia iam data est, amplius dari non possit? et magis est, ut et hic causa cognita dari debeat.
7Idem lib. I. de offic. Consulis. In der Rede des höchstseligen Marcus ist zwar ausgedrückt, es solle wegen Zusammensuchen von Beweisemitteln nicht mehr als Eine Dilation ertheilt werden. Aber zum Nutzen der Parteien pflegt nach vorläufiger Untersuchung der Sache dem Urtheile der Ortsgerichte gemäss sowohl in derselben, als in einer andern Provinz, auch zum zweiten Male Dilation gestattet zu werden; und besonders, wenn etwas Unverhofftes sich ereignen sollte. Wenn ein schon Verstorbener wegen der Beweismittel eine Dilation erhalten hat, so muss man sehen, ob sie auch seinem Nachfolger zu geben sei, oder ob sie vielmehr, weil sie schon gegeben, nicht mehr zu geben sei? Und es ist mehr dafür vorhanden, dass sie auch diesem nach vorläufiger Untersuchung der Sache gegeben werden müsse.
8Paulus libro tertio decimo ad Sabinum. More Romano dies a media nocte incipit et sequentis noctis media parte finitur. itaque quidquid in his viginti quattuor horis, id est duabus dimidiatis noctibus et luce media, actum est, perinde est, quasi quavis hora lucis actum esset.
8Paul. lib. XIII. ad Sabin. Der Römischen Gewohnheit zufolge fängt der Tag von Mitternacht an, und endigt sich mit der Mitte der folgenden Nacht, und was daher nur in diesen 24 Stunden, d. h. zwei halben Nächten und dem dazwischenliegenden Tage verhandelt wurde, ist ebenso, als ob es zu jeder Tagesstunde verhandelt worden sei.
9Ulpianus libro septimo de officio proconsulis. Divus Traianus Minicio Natali rescripsit ferias a forensibus tantum negotiis dare vacationem, ea autem, quae ad disciplinam militarem pertinent, etiam feriatis diebus peragenda: inter quae custodiarum quoque cognitionem esse.
9Ulp. lib. VII. de offic. Proconsulis. Der höchstselige Trajan hat dem Minucius Natalis rescribirt, dass Ferien nur von den gerichtlichen Geschäften entbänden; was aber zur Kriegszucht gehöre, müsse auch an Ferientagen vollbracht werden, wozu auch die Besichtigung der Wachen gehöre.
10Paulus libro quinto sententiarum. In pecuniariis causis omnibus dilatio singulis causis plus semel tribui non potest: in capitalibus autem reo tres dilationes, accusatori duae dari possunt: sed utrumque causa cognita.
10Paul. lib. V. Sententiar. In Geldsachen kann Dilation nicht mehr als einmal in einzelnen Processen, in peinlichen aber können dem Beklagten drei, dem Kläger zwei Dilationen gegeben werden, beides jedoch nach vorläufiger Untersuchung der Sache.