Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Zweites Buch übersetzt von Heimbach unter Redaction von Otto
Dig. II10,
De eo per quem factum erit quominus quis in iudicio sistat
Liber secundus
X.

De eo per quem factum erit quominus quis in iudicio sistat

(Von dem, welcher daran Schuld ist, dass sich Jemand nicht vor Gericht stellt.)

1Ulpianus libro septimo ad edictum. Aequissimum putavit praetor dolum eius coercere, qui impedit aliquem iudicio sisti. 1Fecisse autem dolo malo non tantum is putatur, qui suis manibus vel per suos retinuit11Die Großausgabe liest retinuerit statt retinuit., verum qui alios quoque rogavit ut eum detinerent vel abducerent, ne iudicio sistat, sive scientes sive ignorantes quid esset quod comminisceretur. 2Dolum autem malum sic accipimus, ut si quis venienti ad iudicium aliquid pronuntiaverit triste, propter quod is necesse habuerit ad iudicium non venire, teneatur ex hoc edicto: quamvis quidam putent sibi eum imputare, qui credulus fuit. 3Si reus dolo actoris non steterit, non habebit reus adversus eum actionem ex hoc edicto, cum contentus esse possit exceptione, si ex stipulatu conveniatur de poena, quod ad iudicium non venerit. aliter atque si ab alio sit impeditus: nam actionem propositam adversus eum exercebit. 4Si plures dolo fecerint, omnes tenentur: sed si unus praestiterit poenam, ceteri liberantur, cum nihil intersit. 5Servi nomine ex hac causa noxali iudicio agendum omnes consentiunt. 6Et heredi datur, sed non ultra annum. adversus heredem autem hactenus puto dandam actionem, ut ex dolo defuncti heres non lucretur.
1Ulp. lib. VII. ad Edictum. Der Prätor hat es für sehr billig gehalten, den bösen Vorsatz dessen zu bestrafen, welcher Einen hindert, sich vor Gericht zu stellen. 1Mit bösem Vorsatze scheint aber nicht allein der gehandelt zu haben, welcher ihn mit eigenen Händen oder vermittelst der Seinigen zurückhielt, sondern auch der, welcher selbst Andere gebeten hat, dass sie ihn aufhalten oder wegführen sollten, damit er sich nicht vor Gericht stellen könne, sei es nun, dass sie es wissen, was er im Schilde führt oder nicht. 2Bösen Vorsatz verstehen wir aber so, dass, wenn Jemand einem vor Gericht Geladenen eine Trauerbotschaft überbracht hat, weshalb dieser genöthigt gewesen, vor dem Gerichte nicht zu erscheinen, jener der Strafe des Edicts verfällt, wenn gleich Einige glauben, er müsse es sich selbst zurechnen, wenn er leichtgläubig gewesen. 3Hat der Beklagte wegen Hinterlist des Klägers sich nicht stellen können, so wird der Beklagte aus diesem Edicte keine Klage gegen ihn haben, da er an der Einrede genug haben kann, wenn er ex stipulatu auf Geldstrafe verklagt wird, weil er vor Gericht nicht gekommen sei; anders, als wenn er von einem Andern verhindert wurde; denn gegen den wird er die vorliegende Klage anstellen können. 4Haben Mehrere mit bösem Vorsatze gehandelt, so verfallen sie Alle. Aber wenn Einer die Strafe bezahlt, gehen die Uebrigen frei aus, weil der Kläger kein Interesse weiter zu verfolgen hat. 5Dass man in diesem Falle, wenn ein Sclave ins Spiel kommt, eine Noxalklage anstellen müsse, darin stimmen Alle überein. 6Auch dem Erben wird sie verstattet, aber nicht über Jahresfrist hinaus; gegen den Erben aber, glaube ich, sei sie nur in so weit zu verstatten, als dieser aus dem bösen Vorsatze des Verstorbenen keinen Gewinn zieht.
2Paulus libro sexto ad edictum. Si actoris servus domino sciente et cum possit non prohibente dolo fecerit, quo minus in iudicio sistam, Ofilius dandam mihi exceptionem adversus dominum ait, ne ex dolo servi dominus lucretur. si vero sine voluntate domini servus hoc fecerit, Sabinus noxale iudicium dandum ait nec factum servi domino obesse debere nisi hactenus, ut ipso careat: quando ipse nihil deliquit.
2Paul. lib. VI. ad Edictum. Wenn der Sclave des Klägers mit Wissen des Herrn, oder ohne dass es dieser, wenn er konnte, verhinderte, aus böser Absicht so gehandelt, dass ich mich nicht vor Gericht stellen kann, glaubt Ofilius, man müsse mir eine Einrede gegen den Herrn verstatten, damit dieser nicht aus dem bösen Vorsatze seines Sclaven Gewinn ziehe. Hat dies aber der Sclave ohne Willen des Herrn gethan, so muss, wie Sabinus sagt, eine Noxalklage verstattet werden; und es dürfe die That des Sclaven dem Herrn nicht schaden, weil er ja selbst nichts verbrochen, ausser in soweit, dass er ihn selbst nicht besitze.
3Iulianus libro secundo digestorum. Ex hoc edicto adversus eum, qui dolo fecit, quo minus quis in iudicium vocatus sistat, in factum actio competit quanti actoris interfuit eum sisti. in quo iudicio deducitur si quid amiserit actor ob eam rem: veluti si reus tempore dominium rei interim sibi adquirat aut actione liberatus fuerit. 1Plane si is, qui dolo fecerit, quo minus in iudicio sistatur, solvendo non fuerit, aequum erit adversus ipsum reum restitutoriam actionem competere, ne propter dolum alienum reus lucrum faciat et actor damno adficiatur. 2Si et stipulator dolo Titii et promissor dolo Maevi impeditus fuerit, quo minus in iudicio sistatur: uterque adversus eum, cuius dolo impeditus fuerit, actione in factum experietur. 3Si et stipulator dolo promissoris et promissor dolo stipulatoris impeditus fuerit quo minus ad iudicium veniret: neutri eorum praetor succurrere debebit, ab utraque parte dolo compensando. 4Si a fideiussore quinquaginta stipulatus fuero, si in iudicium reus non venerit, petiturus a reo centum, et dolo malo Sempronii factum fuerit, ne in iudicium reus veniat: centum a Sempronio consequar. tanti enim mea interfuisse videtur, quia, si venisset in iudicium, actio mihi centum adversus reum vel adversus heredem eius competebat, licet fideiussor minorem summam mihi promiserit.
3Jul. lib. II. Digestorum. Aus diesem Edicte steht gegen den, welcher aus bösem Vorsatze so gehandelt, dass ein vor Gericht Gerufener nicht da erscheinen kann, eine Klage in factum zu, auf soviel, als des Klägers Interesse betrug, dass er sich vor Gericht stelle. Dieser Klage wird eingerechnet, wenn der Kläger deshalb etwas verloren hat, z. B. wenn der Beklagte durch Ablauf der Zeit einstweilen das Eigenthum der Sache erwirbt, oder von der Klage befreit worden ist. 1Ad Dig. 2,10,3,1Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. I, § 118, Note 6.Freilich wenn der, welcher mit bösem Vorsatze so gehandelt, dass der Andere sich nicht vor Gericht stellen konnte, insolvent gewesen, so wird es billig sei, dass gegen den Beklagten selbst eine Wiederherstellungsklage Statt finde, damit der Beklagte nicht Vortheil aus dem bösen Vorsatze eines Fremden ziehe und der Kläger Schaden leide. 2Wenn der, welcher sich hatte versprechen lassen, durch böse Absicht des Titius, und der, welcher versprochen hat, durch böse Absicht des Mävius verhindert worden sind, sich vor Gericht zu stellen, so werden beide Theile gegen den, durch dessen böse Absicht sie verhindert worden, die Klage in factum anstellen. 3Wenn der, welcher sich etwas hat versprechen lassen, durch bösen Vorsatz dessen, welcher versprochen hat, und dieser durch jenes bösen Vorsatz verhindert worden sind, vor Gericht zu kommen, so darf der Prätor keinem von beiden helfen, sondern es wird der böse Vorsatz der Parteien gegen einander aufgehoben. 4Habe ich vom Bürgen mir 50 Goldstücke versprechen lassen, wenn der Beklagte nicht vor Gericht kommen sollte, ob ich gleich vom Beklagten 100 ausklagen wollte, und ist die böse Absicht des Sempronius daran Schuld, dass der Beklagte nicht vor Gericht gekommen ist, so werde ich 100 vom Sempronius einklagen können; denn so gross scheint mein Interesse gewesen zu sein, weil, wenn jener vor Gericht gekommen wäre, mir gegen ihn oder dessen Erben die Klage auf 100 zugestanden haben würde, wenn gleich der Bürge nur eine kleinere Summe mir versprochen haben sollte.