Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Buch 14 übersetzt von Treitschke
Dig. XIV5,
Quod cum eo, qui in aliena potestate est, negotium gestum esse dicetur
Liber quartus decimus
V.

Quod cum eo, qui in aliena potestate est, negotium gestum esse dicetur

(Von Geschäften, die angeblich mit Menschen, welche unter fremder Gewalt stehen, verhandelt worden sind.)

1Gaius li­bro no­no ad edic­tum pro­vin­cia­le. Om­nia pro­con­sul agit, ut qui con­tra­xit cum eo, qui in alie­na po­tes­ta­te sit, et­iam­si de­fi­cient su­pe­rio­res ac­tio­nes, id est ex­er­ci­to­ria in­sti­to­ria tri­bu­to­ria­ve, ni­hi­lo mi­nus ta­men in quan­tum ex bo­no et ae­quo res pa­ti­tur suum con­se­qua­tur. si­ve enim ius­su eius, cu­ius in po­tes­ta­te sit, neg­otium ges­tum fue­rit, in so­li­dum eo no­mi­ne iu­di­cium pol­li­ce­tur: si­ve non ius­su, sed ta­men in rem eius ver­sum fue­rit, ea­te­nus in­tro­du­cit ac­tio­nem, qua­te­nus in rem eius ver­sum fue­rit: si­ve ne­utrum eo­rum sit, de pe­cu­lio ac­tio­nem con­sti­tuit.

1Gaj. lib. IX. ad Ed. prov. Der Proconsul thut Alles, damit, wer mit einem unter fremder Gewalt stehenden Menschen contrahirt hat, wenngleich die obigen Klagen, nämlich die Rhederklage, die Factorklage und die tributorische, nicht Statt finden, doch soweit, als es Billigkeit verstattet, zu dem Seinigen gelange. Falls nämlich das Geschäft auf Geheiss dessen, in dessen Gewalt er11Der andre Contrahent und Schuldner. steht, gemacht worden wäre, verheisst er22Der Proconsul. deshalb eine Klage auf das Ganze; auf den Fall, dass es nicht auf Geheiss desselben geschehen wäre, aber doch zu seinem Nutzen gereicht hätte, führt er33Der Proconsul. eine Klage auf soviel ein, als in dessen Nutzen verwendet worden ist; wäre endlich keines von beiden der Fall, so ordnet er die Sondergutsklage an.

2Ul­pia­nus li­bro vi­cen­si­mo no­no ad edic­tum. Ait prae­tor: ‘In eum, qui em­an­ci­pa­tus aut ex­he­redatus erit qui­ve abs­ti­nuit se he­redi­ta­te eius cu­ius in po­tes­ta­te cum mo­ri­tur fue­rit, eius rei no­mi­ne, quae cum eo con­trac­ta erit, cum is in po­tes­ta­te es­set, si­ve sua vo­lun­ta­te si­ve ius­su eius in cu­ius po­tes­ta­te erit con­tra­xe­rit, si­ve in pe­cu­lium ip­sius si­ve in pa­tri­mo­nium eius cu­ius in po­tes­ta­te fue­rit ea res red­ac­ta fue­rit, ac­tio­nem cau­sa co­gni­ta da­bo in quod fa­ce­re pot­est.’ 1Sed et si ci­tra em­an­ci­pa­tio­nem sui iu­ris fac­tus sit vel in ad­op­tio­nem da­tus, de­in­de pa­ter na­tu­ra­lis de­ces­se­rit, item si quis ex mi­ni­ma par­te sit in­sti­tu­tus, ae­quis­si­mum est cau­sa co­gni­ta et­iam in hunc da­ri ac­tio­nem in id quod fa­ce­re pot­est.

2Ulp. lib. XXIX. ad Ed. Der Prätor sagt: Wer der väterlichen Gewalt entlassen oder enterbt worden ist, oder die Erbschaft dessen, in dessen Gewalt er bei desselben Tode stand, ausgeschlagen hat, gegen den werde ich wegen solcher Geschäfte, die mit ihm, da er noch unter Gewalt stand, geschlossen worden sind, dafern er solche nach seinem eignen Willen, oder nach dem Geheiss dessen, in dessen Gewalt er gestanden haben wird, geschlossen hat, oder der Gegenstand in sein Sondergut oder in das Vermögen dessen, in dessen Gewalt er gewesen, verwendet worden ist, nach vorgängiger Untersuchung der Sache eine Klage auf soviel, als er leisten kann, gestatten. 1Allein auch wenn er auf andre Weise, als durch Entlassung, zu eignem Rechte kommt, oder einem Andern zur Adoption überlassen wird, und sodann der natürliche Vater verstirbt, sowie auch, wenn Einer zu einem sehr kleinen Theile zum Erben eingesetzt ist, so ist es höchst billig, dass nach Untersuchung der Sache auch gegen einen solchen eine Klage auf soviel, als er zu leisten vermag, ertheilt werde.

3Idem li­bro ter­tio dis­pu­ta­tio­num. Sed an hic de­tra­hi de­beat quod aliis de­be­tur, trac­ta­ri pot­est. et si qui­dem sint cre­di­to­res, qui, cum es­set alie­nae po­tes­ta­tis, cum eo con­tra­xe­runt, rec­te di­ce­tur oc­cu­pan­tis me­lio­rem es­se con­di­cio­nem, ni­si si quis pri­vi­le­gia­rius ve­niat: hu­ius enim non si­ne ra­tio­ne prio­ris ra­tio ha­be­bi­tur. quod si qui sint, qui, post­ea­quam sui iu­ris fac­tus est, cum eo con­tra­xe­runt, pu­to ho­rum ra­tio­nem ha­ben­dam.

3Ad Dig. 14,5,3Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl. 1891, Bd. II, § 268, Note 2.Idem lib. III. Disput. Ob aber hier abzuziehen sei, was Andre zu fordern haben, darüber lässt sich sprechen. Und zwar: sind dies Gläubiger, die mit ihm contrahirt haben, als er unter fremder Gewalt stand, so wird richtig zu sagen sein, dem zuerst Besitz Ergreifenden gebühre der Vorzug, es wäre denn, dass ein Bevorrechteter erschiene; denn ein solcher wird von Rechtswegen zuerst zu bedenken sein. Sind aber Gläubiger vorhanden, welche mit ihm contrahirt haben, nachdem er zu eigenem Rechte gekommen, so werden sie, glaube ich, zu berücksichtigen sein.

4Idem li­bro vi­cen­si­mo no­no ad edic­tum. Sed si ex par­te non mo­di­ca sit he­res scrip­tus fi­lius, in ar­bi­trio est cre­di­to­ris, utrum pro por­tio­ne he­redi­ta­ria an in so­li­dum eum con­ve­niat. sed et hic iu­dex aes­ti­ma­re de­beat, ne for­te in id quod fa­ce­re pot­est de­beat con­ve­ni­ri. 1In­ter­dum au­tem et si ex­he­redatus fi­lius vel em­an­ci­pa­tus sit, in so­li­dum ac­tio ad­ver­sus eum da­bi­tur, ut pu­ta si pa­trem fa­mi­lias se men­ti­tus est, cum con­tra­he­re­tur cum eo: nam li­bro se­cun­do di­ges­to­rum Mar­cel­lus scrip­sit, et­iam­si fa­ce­re non pos­sit, con­ve­nien­dum prop­ter men­da­cium. 2Quam­quam au­tem ex con­trac­tu in id quod fa­ce­re pot­est ac­tio in eum da­tur, ta­men ex de­lic­tis in so­li­dum con­ve­nie­tur. 3So­li au­tem fi­lio suc­cur­ri­tur non et­iam he­redi eius: nam et Pa­pi­nia­nus li­bro no­no quaes­tio­num scri­bit in he­redem fi­lii in so­li­dum dan­dam ac­tio­nem. 4Sed an et­iam tem­po­ris ha­be­ri de­beat ra­tio, ut, si qui­dem ex con­ti­nen­ti cum fi­lio aga­tur, de­tur ac­tio in id quod fa­ce­re pot­est, sin ve­ro post mul­tos an­nos, non de­beat in­dul­ge­ri? et mi­hi vi­de­tur ra­tio­nem ha­ben­dam es­se: in hoc enim cau­sae co­gni­tio ver­ti­tur. 5Is qui de pe­cu­lio egit, cum pos­set quod ius­su, in ea cau­sa est, ne pos­sit quod ius­su post­ea age­re, et ita Pro­cu­lus ex­is­ti­mat: sed si de­cep­tus de pe­cu­lio egit, pu­tat Cel­sus suc­cur­ren­dum ei: quae sen­ten­tia ha­bet ra­tio­nem.

4Idem lib. XXIX. ad Ed. Wenn aber der Sohn zu einem nicht geringen Erbtheile eingesetzt ist, so hat der Gläubiger die Wahl, ihn entweder nach Verhältniss seines Erbtheils, oder aufs Ganze zu belangen. Hier wird es aber dem Ermessen des Richters zu überlassen sein, ob er nicht etwa auf soviel, als er zu leisten vermag, belangt werden müsse. 1Bisweilen aber wird gegen den Sohn die Klage aufs Ganze zugelassen, wenn er gleich enterbt oder der Gewalt entlassen ist, dann nämlich, wenn er sich fälschlich für einen Hausvater ausgegeben hat, als man mit ihm contrahirte; denn dann, schreibt Marcellus im zweiten Buche der Digesten, ist er wegen seiner Lüge zu belangen, wenn er gleich nicht soviel leisten kann. 2Obwohl aber aus dem Contracte eine Klage gegen ihn [nur] auf soviel, als er zu leisten vermag, bewilligt wird, so wird er doch aus Vergehungen aufs Gauze verklagt werden können. 3Uebrigens kommt man blos dem Sohne zu Hilfe, nicht dem Erben desselben; denn auch Papinianus schreibt im neunten Buche der Quästionen, wider den Erben des Sohnes sei die Klage aufs Ganze zu geben. 4Ob aber auch die Zeit zu berücksichtigen ist, so dass, wenn der Sohn sofort belangt wird, die Klage [nur] auf soviel, als er leisten kann, gegeben, wenn es hingegen erst nach vielen Jahren geschieht, solche Nachsicht ihm nicht gegönnt werde? Ich halte dafür, dass hierauf Rücksicht zu nehmen sei; denn darin besteht eben die Untersuchung der Sache. 5Wer die Sondergutsklage angestellt hat, wo er aus dem vorhergegangenen Geheiss (quod jussu) klagen konnte, steht in solchem Rechtsverhältniss, dass er noch nachher aus dem Geheiss klagen kann; dieser Meinung ist auch Proculus. Wenn er aber in Folge einer Täuschung die Sondergutsklage angestellt hat, glaubt Proculus, es müsse ihm44Ebenfalls mit der Klage aus dem Geheiss. geholfen werden; welche Meinung gegründet ist.

5Pau­lus li­bro tri­gen­si­mo ad edic­tum. Si fi­lius fa­mi­lias vi­vo pa­tre con­ven­tus et con­dem­na­tus sit, in em­an­ci­pa­tum vel ex­he­redatum post­ea iu­di­ca­ti ac­tio in id quod fa­ce­re pot­est dan­da est. 1Si fi­lio ex­he­redato ex se­na­tus con­sul­to Tre­bel­lia­no he­redi­tas pa­tris re­sti­tu­ta sit, non de­be­bit in quan­tum fa­ce­re pot­est, sed in so­li­dum con­dem­na­ri, quia ef­fec­tu quo­dam­mo­do he­res est. 2Sed si co­ac­tus im­mis­cue­rit se, ut re­sti­tuat he­redi­ta­tem, per­in­de ob­ser­van­dum, ac si se abs­ti­nuis­set.

5Paul. lib. XXX. ad Ed. Wenn ein Haussohn bei Lebzeiten des Vaters verklagt und verurtheilt ist, so muss gegen ihn, nachdem er der väterlichen Gewalt entlassen oder enterbt worden ist, die Klage auf soviel, als er leisten kann, gegeben werden. 1Wenn dem enterbten Sohne die väterliche Erbschaft in Gemässheit des Trebellianischen Senatsschlusses55Also als Fideicommiss. ausgeantwortet wird, so wird er nicht in soviel, als er leisten kann, sondern ins Ganze zu verurtheilen sein, weil er der Wirkung nach gewissermaassen Erbe ist. 2Wenn er aber gezwungen sich der Erbschaft nur angemaasst hat, um sie wieder66An einen fideicommissarischen Erben. auszuantworten, so ist dies eben so anzusehen, als ob er sich deren enthalten hätte.

6Ul­pia­nus li­bro se­cun­do dis­pu­ta­tio­num. Eum, qui se pa­trem fa­mi­lias si­mu­la­vit et man­dan­te ali­quo sti­pu­la­tus est, man­da­ti te­ne­ri Mar­cel­lus scribsit, quam­vis rem prae­sta­re non pos­sit: et sa­ne ve­rum est te­ne­ri eum de­be­re, quia do­lo fe­cit. hoc et in om­ni­bus bo­nae fi­dei iu­di­ciis di­cen­dum erit.

6Ulp. lib. II. Disputat. Marcellus schreibt, wer sich fälschlich für einen Hausvater ausgegeben und in Auftrag eines Andern etwas stipuliert habe, der sei mit der Auftragsklage zu belangen, wenn er gleich die77Stipulirte und empfangene. Sache zu gewähren nicht vermöge, und gewiss ist es richtig, dass er belangbar sein müsse, weil er betrüglich gehandelt hat. Dasselbe gilt von allen Klagen guten Glaubens.

7Scae­vo­la li­bro pri­mo re­spon­so­rum. Pa­ter fi­lio per­mi­sit mu­tuam pe­cu­niam ac­ci­pe­re et per epis­tu­lam cre­di­to­ri man­da­vit, ut ei cre­de­ret: fi­lius ex mi­ni­ma par­te pa­tri he­res ex­sti­tit. re­spon­di es­se in po­tes­ta­te cre­di­to­ris, utrum fi­lium, cui cre­di­dis­set, in so­li­dum, an he­res, pro qua par­te quis­que suc­ces­sis­set, mal­let con­ve­ni­re: sed fi­lius con­dem­na­tur in quan­tum fa­ce­re pot­est.

7Scaevola. lib. I. Respons. Ein Vater gestattete seinem Sohn, ein Darlehn aufzunehmen, und trug mittelst Briefs dem Gläubiger auf, ihm zu leihen; darauf wurde der Sohn zu einem sehr kleinen Theil Erbe des Vaters. Ich habe geantwortet: es habe der Gläubiger die Wahl, ob er lieber den Sohn, dem er geliehen, aufs Ganze, oder die Erben, jeden nach Verhältniss seines Erbtheils, in Anspruch nehmen wolle; der Sohn wird aber [nur] in soviel verurtheilt, als er leisten kann.

8Pau­lus li­bro pri­mo de­cre­to­rum. Ti­tia­nus Pri­mus prae­po­sue­rat ser­vum mu­tuis pe­cu­niis dan­dis et pig­no­ri­bus ac­ci­pien­dis: is ser­vus et­iam neg­otia­to­ri­bus hor­dei so­le­bat pro emp­to­re sus­ci­pe­re de­bi­tum et sol­ve­re. cum fu­gis­set ser­vus et is, cui dele­ga­tus fue­rat da­re pre­tium hor­dei, con­ve­ni­ret do­mi­num no­mi­ne in­sti­to­ris, ne­ga­bat eo no­mi­ne se con­ve­ni­ri pos­se, quia non in eam rem prae­po­si­tus fuis­set. cum au­tem et alia quae­dam ges­sis­se et hor­rea con­du­xis­se et mul­tis sol­vis­se idem ser­vus pro­ba­re­tur, prae­fec­tus an­no­nae con­tra do­mi­num de­de­rat sen­ten­tiam. di­ce­ba­mus qua­si fi­de­ius­sio­nem es­se vi­de­ri, cum pro alio sol­ve­ret de­bi­tum, non pro aliis sus­ci­pit de­bi­tum: non so­le­re au­tem ex ea cau­sa in do­mi­num da­ri ac­tio­nem nec vi­de­tur hoc do­mi­num man­das­se. sed quia vi­de­ba­tur in om­ni­bus eum suo no­mi­ne sub­sti­tuis­se, sen­ten­tiam con­ser­va­vit im­pe­ra­tor.

8Paul. lib. I. Decret. Titianus Primus hatte einen Sclaven zum Ausleihen von Geldern und Empfang von Pfändern angestellt; dieser pflegte auch gegen gewisse Leute, die mit Gerste handelten, für die Käufer die Schuld zu übernehmen und zu bezahlen; da er darauf entwichen war, und derjenige, welchem er zu Bezahlung des Kaufpreises der Gerste überwiesen (delegirt) worden, den Herrn von seines Factors wegen belangte, leugnete dieser, dass er deswegen belangt werden könne, weil Jener nicht hierzu angestellt gewesen; da jedoch bewiesen wurde, dass der Sclav auch einige andere Geschäfte betrieben, Scheuern gemiethet, und an Viele bezahlt hatte, so hatte der Präfect des Getreidehandels (annonae) sein Urtheil gegen den Herrn gesprochen. Ich sagte, es sei dies als eine Art von Bürgschaft anzusehen; wenn Jemand für Andere eine Schuld bezahlt88Hierzu war nämlich der Sclav allerdings ermächtigt, da dies bei dem Ausleihen von Geldern leicht vorkommen kann; nicht aber, Verbindlichkeiten zu übernehmen., so übernimmt er nicht eine Schuld; es werde aber aus solchem Grunde gewöhnlich keine Klage gegen den Herrn gegeben. Es scheint auch nicht, dass der Herr dazu Auftrag ertheilt gehabt; weil er aber angesehen wurde, als habe er den Sclaven in Allem zu seinem Stellvertreter bestellt, so bestätigte der Kaiser99Septimius Severus. das Urtheil.