Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Zwölftes Buch übersetzt von Schneider unter Redaction von Otto
Dig. XII5,
De condictione ob turpem vel iniustam causam
Liber duodecimus
V.

De condictione ob turpem vel iniustam causam

(Von der Condiction wegen eines schändlichen oder unrechtmässigen Grundes1.)

1Der Unterschied zwischen turpis und injusta causa ist der, dass jene einen erst künftig auszuführenden schändlichen Zweck, zu welchem Etwas gegeben wird, diese aber einen bereits vorhandenen rechtswidrigen Grund, aus welchem Jemand Etwas erlangt hat, bedeutet. Causa hat hier also die Bedeutung von Zweck oder Grund. S. v. Glück a. a. O. Th. 13. S. 50 ff.

1Paulus libro decimo ad Sabinum. Omne quod datur aut ob rem datur aut ob causam, et ob rem aut turpem aut honestam: turpem autem, aut ut dantis sit turpitudo, non accipientis, aut ut accipientis dumtaxat, non etiam dantis, aut utriusque. 1Ob rem igitur honestam datum ita repeti potest, si res, propter quam datum est, secuta non est. 2Quod si turpis causa accipientis fuerit, etiamsi res secuta sit, repeti potest:
1Paul. lib. X. ad Sabin. Alles, was gegeben wird, wird entweder wegen einer Sache oder wegen eines Grundes22Aut ob rem..., aut ob causam In diesem Gegensatze ist „causa dasjenige, was in Hinsicht einer schon geschehenen Leistung, res aber, was in Beziehung auf eine künftige Gegenleistung gegeben worden ist.“ So v. Glück a. a. O. Th. 13. S. 50 ff.; und [zwar] entweder wegen einer schändlichen oder ehrbaren Sache; wegen einer schändlichen aber entweder so, dass eine Schändlichkeit des Gebers, nicht des Empfängers, oder so, dass [eine Schändlichkeit] nur des Empfängers, nicht auch des Gebers, oder [so dass eine Schändlichkeit] Beider vorhanden ist. 1Was also wegen einer ehrbaren Sache gegeben worden ist, kann dann zurückgefordert werden, wenn die Sache, wegen welcher es gegeben worden ist, nicht erfolgt ist. 2Wenn aber der Grund des Empfängers ein schändlicher gewesen sein sollte, so kann man, auch wenn die Sache nicht erfolgt ist, zurückfordern.
2Ulpianus libro vicensimo sexto ad edictum. ut puta dedi tibi ne sacrilegium facias, ne furtum, ne hominem occidas. in qua specie Iulianus scribit, si tibi dedero, ne hominem occidas, condici posse: 1Item si tibi dedero, ut rem mihi reddas depositam apud te vel ut instrumentum mihi redderes. 2Sed si dedi, ut secundum me in bona causa iudex pronuntiaret, est quidem relatum condictioni locum esse: sed hic quoque crimen contrahit (iudicem enim corrumpere videtur) et non ita pridem imperator noster constituit litem eum perdere.
2Ulp. lib. XXVI. ad Ed. Zum Beispiel, ich habe dir [Etwas] gegeben, damit du nicht einen Tempelraub, damit du nicht einen Diebstahl verüben, damit du nicht einen Menschen tödten mögest; und in diesem Falle, wenn ich dir [Etwas] gegeben haben werde, damit du nicht einen Menschen tödten mögest, schreibt Julianus, könne condicirt werden. 1Ingleichen wenn ich dir [Etwas] gegeben haben werde, damit du mir eine bei dir niedergelegte Sache zurückgeben mögest, oder damit du eine Urkunde mir zurückgeben möchtest. 2Aber wenn ich dir gegeben habe, damit der Richter zu meinen Gunsten in einer guten Rechtssache erkennen möchte, so hat man zwar berichtet, dass die Condiction Statt finde; aber auch dieser (der Geber) begeht ein Verbrechen, er scheint nämlich den Richter zu bestechen; und nicht eben längst hat unser Kaiser33Anton. Caracalla; s. Bd. I. S. 372. Anm. 31. und L. 1. C. de poena jud. q. male jud. 7. 49. Da Ulpianusnicht bestimmt sagt, ob der Geber, trotz der Strafe, doch nach der Meinung früherer Juristen, welche er anführt, die Condiction habe, und da die Basilica dies bejahen, so scheint es zweifelhaft zu sein, ob der Geber seit jener Constitution das Gegebene zurückfordern könne. Allein die L. 3. h. t. ist offenbar dafür, dass die Condiction dem Geber zu versagen sei. S. v. Glück. a. a. O. S. 56. namentlich Anm. 17. constituirt, dass er den Process verliere.
3Paulus libro decimo ad Sabinum. Ubi autem et dantis et accipientis turpitudo versatur, non posse repeti dicimus: veluti si pecunia detur, ut male iudicetur.
3Paul. lib. X. ad Sabin. Wo aber sowohl des Gebers, als des Empfängers Schändlichkeit vorkommt, da sagen wir, könne nicht zurückgefordert werden, wie wenn Geld gegeben werden sollte, damit schlecht geurtheilt werde.
4Ulpianus libro vicensimo sexto ad edictum. Idem si ob stuprum datum sit, vel si quis in adulterio deprehensus redemerit se: cessat enim repetitio, idque Sabinus et Pegasus responderunt. 1Item si dederit fur, ne proderetur, quoniam utriusque turpitudo versatur, cessat repetitio. 2Quotiens autem solius accipientis turpitudo versatur, Celsus ait repeti posse: veluti si tibi dedero, ne mihi iniuriam facias. 3Sed quod meretrici datur, repeti non potest, ut Labeo et Marcellus scribunt, sed nova ratione, non ea, quod utriusque turpitudo versatur, sed solius dantis: illam enim turpiter facere, quod sit meretrix, non turpiter accipere, cum sit meretrix. 4Si tibi indicium dedero, ut fugitivum meum indices vel furem rerum mearum, non poterit repeti quod datum est: nec enim turpiter accepisti. quod si a fugitivo meo acceperis ne eum indicares, condicere tibi hoc quasi furi possim: sed si ipse fur indicium a me accepit vel furis vel fugitivi socius, puto condictionem locum habere.
4Ulp. lib. XXVI. ad Ed. Dasselbe [findet Statt,] wenn wegen eines unehelichen Beischlafs [Etwas] gegeben sein, oder wenn Jemand, der beim Ehebruch ertappt worden, sich losgekauft haben sollte; es fällt nämlich die Zurückforderung weg, und das haben Sabinus und Pegasus zum Bescheid gegeben. 1Ingleichen, wenn ein Dieb gegeben haben sollte, damit er nicht verrathen würde, so fällt, weil eine Schändlichkeit Beider vorkommt, die Zurückforderung weg. 2So oft aber eine Schändlichkeit des Empfängers allein vorkommt, so sagt Celsus, könne zurückgefordert werden; wie wenn ich dir gegeben haben werde, damit du mir kein Unrecht zufügen mögest. 3Aber was einer Hure gegeben wird, kann nicht zurückgefordert werden, wie Labeo und Marcellus schreiben; aber aus einem neuen Grunde, nicht aus dem, weil eine Schändlichkeit Beider vorkommt, sondern [weil eine Schändlichkeit] des Gebers allein [vorkommt]; denn jene handle [zwar] schändlich, dass sie eine Hure sei, empfange [aber] nicht schändlich, da sie eine Hure sei44Es gab nämlich früher bei den römern Weibspersonen der Art, welche zu ihrem Gewerbe ein Privilegium hatten, und also einen Lohn annehmen durften. S. v. Glück a. a. O. S. 52 ff.. 4Wenn ich dir eine Angeberbelohnung gegeben haben werde, damit du meinen flüchtig gewordenen [Sclaven], oder den Dieb meiner Sachen angeben mögest, so kann nicht zurückgefordert werden, was gegeben worden ist, denn du hast ja nicht schändlich empfangen. Wenn du aber von meinem flüchtig gewordenen [Sclaven Etwas] erhalten haben solltest, damit du ihn nicht angeben möchtest, so kann ich dies wohl von dir, gleichsam als von einem Diebe, condiciren; aber wenn der Dieb selbst von mir eine Angeberbelohnung erhalten hat, oder der Genosse des Diebes oder des flüchtig Gewordenen, so glaube ich, dass die Condiction Statt habe.
5Iulianus libro tertio ad Urseium Ferocem. Si a servo meo pecuniam quis accepisset, ne furtum ab eo factum indicaret, sive indicasset sive non, repetitionem fore eius pecuniae Proculus respondit.
5Julian. lib. III. ad Ursej. Feroc. Wenn Jemand von meinem Sclaven Geld empfangen hätte, damit der einen von demselben verübten Diebstahl nicht angeben möchte, so hat Proculus zum Bescheid gegeben, dass, möchte er nun angegeben haben oder nicht, die Zurückforderung jenes Geldes Statt finden würde.
6Ulpianus libro octavo decimo ad Sabinum. Perpetuo Sabinus probavit veterum opinionem existimantium id, quod ex iniusta causa apud aliquem sit, posse condici: in qua sententia etiam Celsus est.
6Ulp. lib. XVIII. ad Sabin. Immerwährend hat Sabinus die Meinung der Alten55S. Bd. I. S. 351. Anm. 4. gebilligt, die da glaubten, dass das, was aus einem unrechtmässigen Grunde bei Jemandem sich befinde, condicirt werden könne; und dieser Meinung ist auch Celsus.
7Pomponius libro vicensimo secundo ad Sabinum. Ex ea stipulatione, quae per vim extorta esset, si exacta esset pecunia, repetitionem esse constat.
7Pompon. lib. XXII. ad Sabin. Es ist bekannt, dass in Folge einer solchen Stipulation, welche durch Gewalt erpresst worden war, die Zurückforderung, wenn das Geld eingefordert worden wäre, Statt finde.
8Paulus libro tertio quaestionum. Si ob turpem causam promiseris Titio, quamvis si petat, exceptione doli mali vel in factum summovere eum possis, tamen si solveris, non posse te repetere, quoniam sublata proxima causa stipulationis, quae propter exceptionem inanis esset, pristina causa, id est turpitudo, superesset: porro autem si et dantis et accipientis turpis causa sit, possessorem potiorem esse et ideo repetitionem cessare, tametsi ex stipulatione solutum est.
8Paul. lib. III. Quaestion. Wenn du dem Titius [Etwas] wegen eines schändlichen Grundes versprochen haben solltest, so kannst du, obwohl du ihn, wenn er fordern sollte, durch die Einrede der bösen Absicht oder auf das Geschehene zurückweisen kannst, gleichwohl, wenn du bezahlt haben solltest, nicht zurückfordern, weil, nachdem der nächste Grund, [nämlich] die Stipulation, da sie wegen der Einrede wirkungslos war, aufgehoben worden ist, der frühere Grund, d. h. die Schändlichkeit, übrig geblieben war66D. h. der nächste Grund der Verbindlichkeit war die Stipulation; sie wurde wegen der Einrede wirkungslos, eigentlich konnte also das Gezahlte zurückgefordert werden; allein es blieb ein anderer Grund, aus welchem dies nicht geschehen konnte, nämlich, weil es turpiter datum war.. Ferner aber, wenn der Grund sowohl [auf Seiten] des Gebers, als des Empfängers schändlich sei, so sei der Besitzer der vorzüglichere, und darum falle die Zurückforderung weg, obgleich in Folge der Stipulation gezahlt worden ist.
9Idem libro quinto ad Plautium. Si vestimenta utenda tibi commodavero, deinde pretium, ut reciperem, dedissem, condictione me recte acturum responsum est: quamvis enim propter rem datum sit et causa secuta sit, tamen turpiter datum est. 1Si rem locatam tibi vel venditam a te vel mandatam ut redderes, pecuniam acceperis, habebo tecum ex locato vel vendito vel mandati actionem: quod si, ut id, quod ex testamento vel ex stipulatu debebas, redderes mihi, pecuniam tibi dederim, condictio dumtaxat pecuniae datae eo nomine erit. idque et Pomponius scribit.
9Ad Dig. 12,5,9ROHGE, Bd. 8 (1873), S. 171: Widerrechtliche Einwirkung des einen Paciscenten auf die Willensbestimmung des Andern durch Bedrohungen.Idem lib. V. ad Plaut. Wenn ich dir Kleidungsstücke zum Gebrauch geliehen haben werde77Commodavero; diese Lesart scheint der des Textes: commendavero, bei so leicht möglicher Verwechslung, vorzuziehen zu sein., nachher [ihren] Werth, damit ich sie zurückerhielte, gegeben hätte, so hat man zum Bescheid gegeben, dass ich richtig mit der Condiction klagen würde; denn obwohl wegen einer Sache gegeben worden, und die Gegenleistung erfolgt ist, so ist doch schändlich gegeben worden. 1Wenn du Geld empfangen haben solltest, damit du eine dir vermiethete, oder von dir verkaufte, oder [dir] übertragene (mandatam) Sache zurückgeben möchtest, so werde ich gegen dich [die Klage] aus dem Miethcontract, oder dem Verkauf, oder die Auftragsklage haben; wenn ich dir aber Geld gegeben haben sollte, damit du das, was du aus einem Testament oder aus einer Stipulation schuldetest, mir zurückgeben möchtest, so wird deswegen nur die Condiction des gegebenen Geldes Statt finden; und das schreibt auch Pomponius.