Corpus iurisprudentiae Romanae

Repertorium zu den Quellen des römischen Rechts

Digesta Iustiniani Augusti

Recognovit Mommsen (1870) et retractavit Krüger (1928)
Deutsche Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (1830–1833)
Zehntes Buch übersetzt von Sintenis
Dig. X1,
Finium regundorum
Liber decimus
I.

Finium regundorum

(Von der Grenzberichtigung.)

1Paulus libro vicensimo tertio ad edictum. Finium regundorum actio in personam est, licet pro vindicatione rei est.
1Paul. lib. XXIII. ad Ed. Die Grenzberichtigungsklage ist eine persönliche, wiewohl sie auch statt der Eigenthumsklage dient.
2Ulpianus libro nono decimo ad edictum. Haec actio pertinet ad praedia rustica, quamvis aedificia interveniant: neque enim multum interest, arbores quis in confinio an aedificium ponat. 1Iudici finium regundorum permittitur, ut, ubi non possit dirimere fines, adiudicatione controversiam dirimat: et si forte amovendae veteris obscuritatis gratia per aliam regionem fines dirigere iudex velit, potest hoc facere per adiudicationem et condemnationem.
2Ulp. lib. XIX. ad Ed. Diese Klage betrifft ländliche Grundstücke, wenn auch Gebäude dazwischen liegen, denn es ist einerlei, ob man Bäume oder Gebäude auf der Grenze setzt. 1Dem Richter in der Grenzberichtigungsklage steht frei, da, wo er die [früheren] Grenzen nicht bestimmen kann, den Streit durch ein Zuerkennen als Eigenthum zu schlichten; und wenn er die Grenzen, um alte Ungewissheiten zu beseitigen, wo anders ziehen will, so kann er dies durch Zuerkennen als Eigenthum und Verurtheilung thun.
3Gaius libro septimo ad edictum provinciale. Quo casu opus est, ut ex alterutrius praedio alii adiudicandum sit, quo nomine is cui adiudicatur in vicem pro eo quod ei adiudicatur certa pecunia condemnandus est.
3Gaj. lib. VII. ad Ed. prov. In diesem Fall ist es nothwendig, dass dem Einen vom Grundstück des Andern etwas eigenthümlich zuerkannt werden müsse; wem aber etwas eigenthümlich zuerkannt wird, der muss wiederum für dasjenige, was ihm eigenthümlich zuerkannt worden, zur Erlegung einer bestimmten Summe verurtheilt werden.
4Paulus libro vicensimo tertio ad edictum. Sed et loci unius controversia in partes res scindi adiudicationibus potest, prout cuiusque dominium in eo loco iudex compererit. 1In iudicio finium regundorum etiam eius ratio fit quod interest. quid enim si quis aliquam utilitatem ex eo loco percepit, quem vicini esse appareat? non inique damnatio eo nomine fiet. sed et si mensor ab altero solo conductus sit, condemnatio erit facienda eius, qui non conduxit, in partem mercedis. 2Post litem autem contestatam etiam fructus venient in hoc iudicio: nam et culpa et dolus exinde praestantur: sed ante iudicium percepti non omnimodo hoc in iudicium venient: aut enim bona fide percepit, et lucrari eum oportet, si eos consumpsit, aut mala fide, et condici oportet. 3Sed et si quis iudici non pareat in succidenda arbore vel aedificio in fine posito deponendo parteve eius, condemnabitur. 4Si dicantur termini deiecti vel exarati, iudex, qui de crimine cognoscit, etiam de finibus cognoscere potest. 5Si alter fundus duorum, alter trium sit, potest iudex uni parti adiudicare locum de quo quaeritur, licet plures dominos habeat, quoniam magis fundo quam personis adiudicari fines intelleguntur: hic autem cum fit adiudicatio pluribus, unusquisque portionem habebit, 6quam in fundo habet, et pro indiviso qui communem fundum habent, inter se non condemnantur: neque enim inter ipsos accipi videtur iudicium. 7Si communem fundum ego et tu habemus et vicinum fundum ego solus, an finium regundorum iudicium accipere possumus? et scribit Pomponius non posse nos accipere, quia ego et socius meus in hac actione adversarii esse non possumus, sed unius loco habemur. idem Pomponius ne utile quidem iudicium dandum dicit, cum possit, qui proprium habeat, vel communem vel proprium fundum alienare et sic experiri. 8Non solum autem inter duos fundos, verum etiam inter tres pluresve fundos accipi iudicium finium regundorum potest: ut puta singuli plurium fundorum confines sunt, trium forte vel quattuor. 9Finium regundorum actio et in agris vectigalibus et inter eos qui usum fructum habent vel fructuarium et dominum proprietatis vicini fundi et inter eos qui iure pignoris possident competere potest. 10Hoc iudicium locum habet in confinio praediorum rusticorum: nam in confinio praediorum urbanorum displicuit, neque enim confines hi, sed magis vicini dicuntur et ea communibus parietibus plerumque disterminantur. et ideo et si in agris aedificia iuncta sint, locus huic actioni non erit: et in urbe hortorum latitudo contingere potest, ut etiam finium regundorum agi possit. 11Sive flumen sive via publica intervenit, confinium non intellegitur, et ideo finium regundorum agi non potest,
4Paul. lib. XXIII. ad Ed. Es kann aber auch der Streit über eine einzige Stelle durch Zuerkennen als Eigenthum nach Antheilen geschlichtet werden, je nachdem der Richter das Eigenthum eines Jeden an der Stelle erforscht hat. 1Bei der Grenzberichtigungsklage kommt auch das Interesse in Betracht. Wie nun, wenn Jemand von der Stelle einen Nutzen gezogen hat, von der es sich ergibt, dass sie dem Nachbar gehörte? Hier würde eine desfallsige Verurtheilung unbillig sein11Die verschiedenen Erklärungsversuche dieser Stelle, sowie der Aenderungen der Lesart (inique damnatio — fiet) und der Interpunction s. bei Glück X. p. 445. n. 63. Glück selbst schwankt zwischen der Noodtschen Erklärung, der das Fragezeichen hinter fiet erst setzen und die Beantwortung in der Fragestellung finden will, und der Sammetschen, der nichts ändert, sondern damnatio für deminutio patrimonii erklärt. Mir scheint jede Aenderung entbehrlich, und die letzte, doch wohl gewagte, Erklärung von damnatio unnöthig, dahingegen man die gewöhnliche Bedeutung beibehalten kann. Paulus will offenbar blos die Regel, dass das Interesse zu berücksichtigen sei, durch zwei Beispiele verständlich zu machen suchen, von denen das erste nicht unter die Regel zu subsumiren ist, wohl aber das letzte. Diese Verschiedenheit zeigt schon der Anfang des letzten Satzes Sed et si u. s. w. Ohnehin befindet sich derjenige, welcher die Nutzungen gezogen, im ersten Fall in bona fide; man sehe nur den folgenden Paragraphen.. Wenn aber ein Feldmesser von dem Einem allein angenommen worden ist, so wird derjenige, welcher ihn nicht gedungen hat, [dennoch] zu einem Theile des Lohnes22Wegen dieses Ausdrucks s. Glück XI. p. 377. n. 64. Merces ist hier nur uneigentlich gebraucht. verurtheilt werden. 2Nach der Einleitung des Verfahrens kommen aber bei dieser Klage auch die Nutzungen in Betracht, denn von da an wird sowohl Verschuldung als Arglist vertreten; allein die vor der Einleitung des Verfahrens gewonnenen kommen nicht unbedingt bei dieser Klage in Betracht; denn man hat sie entweder im guten Glauben gewonnen, und dann muss man, wenn man sie verbraucht hat, den Vortheil davon geniessen, oder im schlechten Glauben, und dann müssen sie mittelst einer Condiction zurückgefordert werden. 3Wer aber dem Richter, der einen auf die Grenze gesetzten Baum umzuhauen, oder ein aufgeführtes Gebäude, oder einen Theil desselben wegzureissen anbefohlen, nicht Gehorsam geleistet hat, wird [zur Erlegung der Streitwürderung]33Glosse. verurtheilt. 4Wenn angezeigt worden, dass die Grenzmahle umgeworfen oder untergepflügt worden seien, so kann der Richter, der über das Verbrechen erkennt, auch über die Grenzen erkennen. 5Wenn ein Landgut Zweien, und ein anderes Dreien gehört, so kann der Richter der einen Partei eine streitige Stelle als Eigenthum zuerkennen, wenn sie auch mehrern Eigenthümern gehört, weil angenommen wird, dass die Grenzen vielmehr dem Landgute als den Personen zuerkannt werden; es wird hier aber, weil Mehreren eigenthümlich zuerkannt wird, Jeder einen Antheil [nach Verhältniss dessen] erhalten, den er an dem Landgute, auch als ungetheilt, besitzt. 6Diejenigen, welche ein Landgut in Gemeinschaft besitzen, werden sich gegenseitig nicht verurtheilt; denn es kann zwischen denselben gar keine Einlassung auf die Klage angenommen werden. 7Wenn wir, du und ich, ein Landgut gemeinschaftlich besitzen, und ich ein daran grenzendes allein, findet da zwischen uns die Grenzberichtigungsklage Statt? Pomponius sagt, sie könne nicht Statt finden, weil wir, ich und mein Mitgenosse, in dieser Klage nicht Gegner sein können, sondern die Stelle einer Person vertreten. Auch schreibt Pomponius, es finde nicht einmal eine analoge Klage Statt, indem derjenige, wer ein eigenes Landgut besitzt, entweder dieses oder seinen Antheil an dem gemeinschaftlichen verkaufen und dann die Klage erheben könne. 8Es kann aber nicht blos zwischen zwei Landgütern, sondern auch zwischen dreien und mehreren die Grenzberichtigungsklage Statt haben, z. B. wenn das eine an mehrere grenzt, etwa an drei oder vier. 9Die Grenzberichtigungsklage kann auch in Ansehung von Zinsäckern, und zwischen denen, die den Niessbrauch haben, oder dem Niessbraucher und dem Eigenheitsherrn eines benachbarten Landgutes, und denen, welche pfandrechtsweise besitzen, Statt finden. 10Diese Klage kommt in Betreff der ländlichen Grundstücke zur Anwendung, bei städtischen nicht; denn diese grenzen nicht an einander, sondern sind vielmehr blos benachbart zu nennen und werden auch meist durch gemeinschaftliche Wände geschieden; wenn daher auf Aeckern sich an einander stossende Gebäude befinden, so findet diese Klage keine Anwendung. Innerhalb der Stadt kann auch die Breite der Gärten bewirken, dass die Grenzberichtigungsklage zur Anwendung kommen kann. 11Wenn ein öffentlicher Weg zwischen [zwei Grundstücken] durchgeht, so wird keine Begrenzung angenommen, und deshalb kann auch keine Grenzberichtigungsklage erhoben werden,
5Idem libro quinto decimo ad Sabinum. quia magis in confinio meo via publica vel flumen sit quam ager vicini.
5Idem lib. XV. ad Sabin. weil dann der öffentliche Weg oder Fluss vielmehr mit meinem Acker grenzt, als der Acker meines Nachbars.
6Idem libro vicensimo tertio ad edictum. Sed si rivus privatus intervenit, finium regundorum agi potest.
6Idem lib. XXIII. ad Ed. Wenn aber ein Privatbach dazwischen fliesst, so kann die Grenzberichtigungsklage erhoben werden.
7Modestinus libro undecimo pandectarum. De modo agrorum arbitri dantur et is, qui maiorem locum in territorio habere dicitur, ceteris, qui minorem locum possident, integrum locum adsignare compellitur: idque ita rescriptum est.
7Modestin. lib. X. Pand. Ueber das Maass der Aecker werden Schiedsrichter ernannt, und wer einen grössern Antheil an einer Feldflur hat, muss den übrigen, die einen geringern Antheil besitzen, einen bestimmten Fleck anweisen; dies beruht auf einer kaiserlichen Verordnung.
8Ulpianus libro sexto opinionum. Si irruptione fluminis fines agri confudit inundatio ideoque usurpandi quibusdam loca, in quibus ius non habent, occasionem praestat, praeses provinciae alieno eos abstinere et domino suum restitui terminosque per mensorem declarari iubet. 1Ad officium de finibus cognoscentis pertinet mensores mittere et per eos dirimere ipsam finium quaestionem, ut aequum est, si ita res exigit, oculisque suis subiectis locis.
8Ulp. lib. VI. Opin. Wenn eine Ueberschwemmung durch einen Durchbruch eines Flusses die Grenzen eines Ackers zerstört, und dadurch diesem oder jenem Gelegenheit gegeben hat, sich Ländereien zu bemächtigen, an denen ihnen kein Recht zukommt, so befiehlt ihnen der Provincialpräsident, sich fremden Eigenthums zu enthalten und dem Eigenthümer das Seine zurückzuerstatten, und die Grenzen durch einen Feldmesser zu bestimmen. 1Zur Amtspflicht dessen, dem die rechtliche Erörterung über die Grenzen obliegt, gehört auch die Absendung von Feldmessern, um durch dieselben die Frage wegen der Grenzen selbst lösen zu lassen, wie es billig ist; wenn es die Sache erfordert, auch die [streitigen] Stellen selbst in Augenschein zu nehmen.
9Iulianus libro octavo digestorum. Iudicium finium regundorum manet, quamvis socii communi dividundo egerint vel alienaverint fundum.
9Julian. lib. VIII. Dig. Die Grenzberichtigungsklage bleibt fortdauernd, wenn auch die mehreren Miteigenthümer [des betheiligten Grundstücks] die Gemeingutstheilungsklage wider einander erhoben, oder das Gut veräussert haben.
10Idem libro quinquagensimo primo digestorum. Iudicium communi dividundo, familiae erciscundae, finium regundorum tale est, ut in eo singulae personae duplex ius habeant agentis et eius quocum agitur.
10Idem lib. LI. Dig. Die Gemeingutstheilungsklage, die Erbtheilungsklage und die Grenzberichtigungsklage sind von der Art, dass in denselben jede einzelne Person ein doppeltes Recht hat, sowohl das des Klägers als des Beklagten.
11Papinianus libro secundo responsorum. In finalibus quaestionibus vetera monumenta census auctoritas ante litem inchoatam ordinati sequenda est, modo si non varietate successionum et arbitrio possessorum fines additis vel detractis agris postea permutatos probetur.
11Papin. lib. II. Resp. Bei Grenzerörterungen kann man sich nach alten Denkmälern und dem Ansehn der vor dem Beginn des Streites angelegten Censustabellen44Census = tabulae censuales de agrorum finibus publica auctoritate per agrimensores s. finitores confectde. S. Glück X. p. 458. n. 98. richten, es liesse sich denn erweisen, dass durch den Wechsel der Nachfolge im Eigenthum und die Willkühr der Besitzer die Grenzen durch Hinzunahme oder Ausschliessung von Aeckern späterhin verändert worden seien.
12Paulus libro tertio responsorum. Eos terminos, quantum ad dominii quaestionem pertinet, observari oportere fundorum, quos demonstravit is, qui utriusque praedii dominus fuit, cum alterum eorum venderet: non enim termini, qui singulos fundos separabant, observari debent, sed demonstratio adfinium novos fines inter fundos constituere.
12Paul. lib. III. Resp. Was die Frage wegen des Eigenthums angeht, so muss man sich nach denjenigen Grenzmahlen zwischen [zwei] Landgütern richten, welche der frühere Eigenthümer beider Grundstücke, als er das eine von beiden verkaufte, als solche bezeichnet hat; denn es müssen nicht diejenigen Grenzmahle, welche die einzelnen Landgüter von einander scheiden, berücksichtigt werden, sondern die Bezeichnung der Begrenzung soll neue Grenzen zwischen den Landgütern herstellen.
13Gaius libro quarto ad legem duodecim tabularum. Sciendum est in actione finium regundorum illud observandum esse, quod ad exemplum quodammodo eius legis scriptum est, quam Athenis Solonem dicitur tulisse: nam illic ita est: ἐάν τις αἱμασιὰν παρ’ ἀλλοτρίῳ χωρίῳ ὀρυγῇ, τὸν ὅρον μὴ παραβαίνειν· ἐὰν τειχίον, πόδα ἀπολείπειν· ἐὰν δὲ οἴκημα, δύο πόδας. ἐὰν δὲ τάφον ἢ βόθρον ὀρύττῃ, ὅσον τὸ βάθος ᾖ, τοσοῦτον ἀπολείπειν· ἐὰν δὲ φρέαρ, ὀργυιάν. ἐλαίαν δὲ καὶ συκῆν ἐννέα πόδας ἀπὸ τοῦ ἀλλοτρίου φυτεύειν, τὰ δὲ ἄλλα δένδρα πέντε πόδας.
13Gaj. lib. IV. ad Leg. Duod. Tabul. Es ist zu bemerken, dass bei der Grenzberichtigungsklage darauf Acht genommen werden muss, was gewissermaassen nach dem Beispiel desjenigen Gesetzes geschrieben worden ist, welches Solon zu Athen gegeben haben soll, denn hier heisst es so: Wer einen Zaun längs einem fremden Grundstück setzt und in die Erde gräbt, der darf die Grenze nicht überschreiten; wenn eine Mauer, so lasse er einen Fuss Zwischenraum; wenn aber ein Haus, zwei Fuss; wenn er ein Grab oder eine Grube gräbt, so muss er soviel Zwischenraum, als sie Tiefe hat, lassen; wenn einen Brunnen, eine Klafter Breite; Oel- oder Feigenbäume pflanze er neun Fuss vom fremden Boden abwärts; andere Bäume fünf Fuss.